The power to refuse

Commons und Widerstand

Commons sind nicht, sie werden gemacht

Der Begriff Commons bezeichnet eine bestimmte Art mit Dingen, in der Fachsprache “common pool resources” genannt, umzugehen. Commons sind also keine Dinge, sie existieren nicht von selbst. Weder ist Wasser ein Commons (es kann auch in Flaschen gefüllt und im Supermarkt verkauft werden und ist dann eine Ware) noch die Atmosphäre, die Rohstoffvorräte der Erde oder das Wissen der Welt. Aber all diese Dinge und noch viele mehr können zu Commons werden, wenn es Menschen gibt, die sich gemeinsam darum kümmern. Die Frage, was denn ein Commons sei, ist daher schwer zu beantworten, denn Commons bestehen immer aus drei Elementen: aus einer Ressource, den Menschen, die sie herstellen, erhalten und nutzen, auch Commoners genannt, und den Regeln, die diese Menschen sich dafür geben. Commons sind soziale Vereinbarungen und bringen eine spezifische Form sozialer Beziehungen hervor (vgl. Helfrich 2012). Dieser Sachverhalt wird besser durch ein Verb ausgedrückt: Commoning, die kollektive Praxis der Herstellung, Nutzung und Erhaltung von Commons. Wir können dann danach fragen, welche Menschen welche Dinge als Commons behandeln. Und das ist eine große Vielfalt an Ressourcen, so verschiedene Dinge wie Wasserversorgungsanlagen, Wälder und Weiden, Häuser und öffentliche Plätze, Gärten und Autos oder freie Software und freies W-LAN. Natürlich gelten für all diese unterschiedlichen Dinge nicht die gleichen Regeln. Und doch funktionieren Commons überall, so die Commons-Forscherin Elinor Ostrom, allerdings überall anders (vgl. Ostrom 1999). Die Regeln für die Nutzung der Commons hängen von den Eigenschaften der Ressource ebenso ab wie von klimatischen oder technischen Bedingungen und der Kultur, in der sie entstehen. Es gibt also keine Gebrauchsanweisung für Commons, aber es gibt viele Menschen auf der ganzen Welt, die Commons pflegen, nutzen und immer wieder reproduzieren. Sie tun das, weil sie ihre Bedürfnisse besser befriedigen können, wenn sie miteinander kommunizieren und kooperieren, als sie es alleine könnten, und hüten einen großen Erfahrungsschatz, aus dem wir schöpfen können.


Trotz ihrer Unterschiedlichkeit folgen alle Commons einer spezifischen Logik, die sich in wesentlichen Punkten von der Marktlogik unterscheidet: Commoners produzieren nicht für Geld und nicht für Profit, sondern ausschließlich, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Alle können zu den Commons beitragen, was sie haben und können; gerade die Vielfalt an Fähigkeiten und Bedürfnissen bringt es mit sich, dass Commons als ein Raum der Fülle und nicht der Knappheit erlebt werden. Es ist genug für alle da, alle können beitragen, alle können mitgestalten. Und zuletzt, in Commons herrscht ein anderer Eigentumsbegriff, oder besser, es wird unterschieden zwischen Besitz und Eigentum. Eigentum, so wie es in unserem Rechtsrahmen heute verstanden wird, gibt Eigentümern das Recht, nach Belieben mit ihrem Eigentum zu verfahren. Ein Hauseigentümer kann in seinem Haus nicht nur wohnen oder es an andere vermieten. Er kann es auch leer stehen und verfallen lassen, abreißen oder zum Spekulationsobjekt machen. Besitz würde hingegen bedeuten, dass jemand ein Haus nutzen könnte, solange er es braucht und zwar nach eigenem Gutdünken. Braucht er es nicht mehr, müsste er es jedoch weitergeben. Soll es abgerissen werden, könnten alle Menschen aus der Umgebung mitreden, und nur wenn es niemand mehr nutzen will, könnten sie gemeinsam den Abriss beschließen. Anstatt ausschließenden Privateigentums gibt es in Commons vielfältige Nutzungsrechte, damit niemand von der Befriedigung seiner Grundbedürfnisse ausgeschlossen wird und Ressourcen nicht vergeudet und übernutzt werden. Aber was hat denn das nun mit Widerstand zu tun?

Commons ändern Machtverhältnisse

Der Begriff Widerstand ruft meist als erste Assoziationen Straßenkämpfe, Polizeieinsatz und Gewalt hervor. Dieser erste Blick ist zwar nicht unbedingt falsch, Widerstand enthält oft auch diese Elemente. Wirksamer Widerstand bedeutet aber viel mehr als spontane, eruptive Entladungen kollektiver Unzufriedenheit, mehr als Kritik und den Ruf nach Revolution. Widerstand kommt von widerstehen und enthält neben Unzufriedenheit mit dem, was ist, häufig auch eine Vision davon, wie es sein könnte, eine Vision vom guten oder zumindest besseren Leben und Praktiken, diese bereits im Hier und Jetzt umzusetzen. Das kann in der heutigen Situation zum Beispiel bedeuten, den Verlockungen der Konsumgesellschaft ebenso zu widerstehen wie den Zumutungen der Arbeitsgesellschaft; es kann heißen, sich nicht dem Druck ständiger Erreichbarkeit, des ständigen Sich-bewähren-Müssens, dem Druck von Effizienz, Flexibilität, Innovation und wie die Anforderungen der schönen neuen Welt noch alle heißen mögen, zu unterwerfen.

Commons – oder noch besser Commoning als soziale Praxis der kollektiven Wiederaneignung der Lebensbedingungen – können ein wichtiger Bestandteil eines so verstandenen Widerstandes sein, weil Menschen dadurch unabhängiger werden von Markt und Staat und nicht mehr so leicht regierbar sind. Wer für sich selbst sorgen kann, muss sich nicht alles gefallen lassen. Commons geben den Menschen, so der italienische marxistische Ökonom Massimo de Angelis, mehr Macht; nicht “Macht über” andere, sondern “Macht zu”, die Macht, die Anforderungen der Herrschenden zurückzuweisen, “the power to refuse”.

Keine Commons ohne Widerstand, kein Widerstand ohne Commons

Commoning und Widerstand gehen oft Hand in Hand und stehen in vielfältigen Beziehungen zueinander. Die Erhaltung von Commons ist häufig nur möglich durch Widerstand gegen Einhegungen, die sogenannten “Enclosures”. In der Geschichte war das Recht der Commoners, sich gegen Einhegungen zu wehren, manchmal sogar gesetzlich festgeschrieben. Dieser Widerstand ist also – bisweilen sogar legaler – Teil des Commoning.

Andererseits ist Commoning Teil nahezu jedes kollektiven Widerstands. Bereits die Organisation von Demonstrationen, Protestveranstaltungen und -camps oder politischer Kampagnen erfordert ja eine Vielzahl von Vorbereitungen, in denen Menschen miteinander kommunizieren und kooperieren, ihre Bedürfnisse abgleichen und verschiedenste Fähigkeiten einbringen, so dass ein gemeinsames Ziel erreicht werden kann. Ein solcher Prozess muss nicht immer, kann aber oft Commoning sein. Und wenn der Protest länger anhalten soll, wie etwa bei Unibesetzungen, Klimacamps oder der Occupy-Bewegung, dann ist es unerlässlich, dass möglichst schnell eine selbstorganisierte Grundversorgung auf die Beine gestellt wird. Solche Camps stellen nahezu eine Idealform temporärer Commons dar. In den letzten Jahren spielt noch eine andere Art von Commons eine wichtige Rolle in der Organisation von Widerstand: freie Medien, Open-Source-Software und freie Netze.

Enclosures erfolgen jedoch nicht nur durch das Kapital, sondern auch durch Regierungen, um die Entwicklung der Marktwirtschaft voranzutreiben, und manchmal verschwinden Commons einfach, weil die NutzerInnen die Mühe ihrer gemeinsamen Produktion und Erhaltung nicht mehr auf sich nehmen wollen, sondern den Verlockungen von Markt oder Staat erliegen, den Versprechungen, dass diese ihre Bedürfnisse billiger, besser oder sicherer befriedigen könnten. Das funktioniert zwar manchmal, doch selten für alle, und führt auf längere Sicht zwangsweise in neue Abhängigkeitsverhältnisse. Commoning bedeutet also auch, diesen Verlockungen und Versprechungen zu widerstehen.

Widerstand als Teil des Commoning

Im feudalen England hatte jenes Land, das die besitzlosen Bauern zur Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse nutzen konnten, obwohl es im Besitz des Adels oder des Königs war, den Rechtsstatus eines “Commons”. Das Recht auf Nutzung der Commons wurde in der Magna Carta 1215 zum ersten Mal abgesichert. In diesem Gesetzesakt ist auch das Recht auf Erhaltung und Verteidigung der Commons enthalten. Einmal jährlich wurde in sogenannten “perambulations”, volksfestartigen Veranstaltungen, die Grenze des common land abgeschritten und alle Mauern oder Zäune, die im letzten Jahr errichtet wurden, durften abgerissen und eingeebnet werden (vgl. Linebaugh 2008, S. 21ff).

Schon damals waren Commons Orte des Widerstandes, wobei Ort im doppelten Sinn verstanden werden kann.1 Sie waren der physische Ort, wo die Menschen täglich zusammenkamen und der daher die Möglichkeit bot, sich zu organisieren und Widerstand zu formieren, wenn die Willkür der Herrschenden zu groß oder die Rechte der Commoners zu sehr eingeschränkt wurden. Sie waren gleichzeitig ein sozialer und juristischer Ort der Freiheit, der relativen Unabhängigkeit vom feudalen Herrscher, weil sie dessen Macht begrenzten. Das Recht auf die Nutzung der Commons war ein Gesetz, das über dem Herrscher stand, dem auch er sich unterordnen musste. Das ist eine Besonderheit des britischen Common Law gegenüber dem römischen Recht im restlichen Europa, das vom Staat, von der Regierung garantiert wird, was immer auch die Gefahr von Machtmissbrauch enthält. Dieses Recht schränkte die Verfügungsgewalt der Grundbesitzer ein und gab damit den Bauern ein gewisses Maß an Autonomie, weil sie für ihren Lebensunterhalt selbst sorgen konnten und nicht von anderen abhängig waren.

Im Gegensatz zu den meisten europäischen Ländern gibt es in England bis heute den Status “common land” für Land, das nicht einfach verkauft oder umgewidmet werden darf, sondern der Öffentlichkeit zur Nutzung zur Verfügung steht. Wird es für andere Zwecke verwendet, muss anderes, gleichwertiges Land in common land umgewidmet werden. Dieses Gesetz wurde in London anlässlich der Olympischen Spiele einfach außer Kraft gesetzt, als auf einem als common land ausgewiesenen Grundstück ein Basketballfeld gebaut werden sollte. Das “New Lammas Lands Defence Committee”2 konnte das zwar nicht verhindern, aber es begann das Bewusstsein bei Regierung und Bevölkerung für die Bedeutung dieser Rechtsform durch die Wiederaufnahme der perambulations, der regelmäßigen öffentlichkeitswirksamen Begehung jener Grundstücke, zu stärken. Dahinter steht die Erkenntnis, nur wenn Commons auch genutzt werden und deren Erhaltung aktiv betrieben wird, bleiben sie bestehen (vgl. www.gemeingueter.de 2012).

Die Durchsetzung des Kapitalismus war nur möglich durch die Einhegung der historischen Commons, die den Bauern ihre Lebensgrundlage nahm und sie – nach einer langen Phase des Widerstands, der auch in manche Bürgerkriege mündete – zwang, sich als Lohnarbeiter zu verdingen. Diese Einhegungen geschahen jedoch nicht nur unmittelbar durch das Kapital, sondern auch durch die Regierungen der neu entstehenden Staaten, die die Industrialisierung nach Kräften unterstützten, weil sie den Aufstieg des Bürgertums förderte und die Macht des Adels und des Königs schwächte. In England etwa stand in Bezug auf die sogenannten “parliamentary enclosures”, in denen Commons etwa zum Zweck der Schafzucht privatisiert wurden, das Königshaus zeitweise auf Seite der enteigneten Bauern, weil es auch seine eigene Macht schwinden sah (vgl. Polanyi 1971, S. 55ff).

Das Elend des frühen Industrieproletariats ist aus der Literatur von Charles Dickens bis Karl Marx bestens bekannt. Es wurde gelindert durch neue Commons, die sich die Arbeiterklasse schuf. Diese reichten von den ersten solidarischen Versicherungsformen bis zu Einkaufs-, Siedlungs- und Produktionsgenossenschaften, die die ArbeiterInnen unabhängiger von Lohnarbeit und staatlicher Unterstützung machten und dadurch ihre Machtposition in den Verhandlungen mit Unternehmern und Politik stärkten. Ihre größten Erfolge hatte die ArbeiterInnenbewegung, wenn sie starke eigene Versorgungsstrukturen in Form von Commons hatte, wie etwa im Rätesystem nach dem Ersten Weltkrieg. Commons zu schaffen und zu nutzen war ein wesentlicher Faktor für erfolgreiche Arbeitskämpfe. Die sozialen Errungenschaften des Roten Wien etwa waren die Antwort der Sozialdemokratie auf die erfolgreichen Praktiken der Selbstorganisation in der ArbeiterInnenbewegung, um diese unter Kontrolle zu bringen (vgl. Exner/Kratzwald 2012, S. 54ff).

Den europäischen Sozialstaat schließlich kann man als eine Verstaatlichung der Commons sehen, die in mancher Hinsicht durchaus Vorteile brachte, jedoch der ArbeiterInnenklasse die Kontrolle aus der Hand nahm und die soziale Absicherung an Lohnarbeit band. Solche Sozialsysteme nehmen repressive Züge an, wenn Lohnarbeit nicht ausreichend zur Verfügung steht, vor allem in wirtschaftlichen Krisenzeiten. Der große Erfolg dieses Modells in der Wachstumsphase nach dem Zweiten Weltkrieg führte jedoch dazu, dass auch die ArbeiterInnenbewegung zum größten Teil diesem neuen Arrangement aus Lohnarbeit, Privateigentum, Markt und ergänzenden Sozialleistungen zustimmte und es als “besser” und “moderner” anerkannte und damit den letzten Resten der Subsistenzwirtschaft3 ein Ende gesetzt wurde. Erst dadurch konnte das Marktsystem seine Dominanz erringen, die es seitdem ständig verstärkt, indem es sich auf immer mehr gesellschaftliche Bereiche ausdehnt. Nur kurz währte allerdings die Euphorie, die ersten Krisen traten bereits in den Siebzigerjahren auf. Die ArbeiterInnenbewegung war – ohne ihre Commons – zu schwach, die Umsetzung neoliberaler Umstrukturierungsprogramme zu verhindern, weil sie sich vollkommen von Lohnarbeit und staatlicher Umverteilung abhängig gemacht hatte. Zu dieser Zeit begann jedoch auch der Widerstand in Form selbstorganisierter Initiativen und Betriebe, weil vielen Menschen deren Bedeutung bewusst wurde – wie häufig bei Commons erst, als ihr Fehlen sich negativ bemerkbar machte. In den letzten Jahren seit der Krise haben solche Initiativen einen neuen Aufschwung erlebt und durch die neuen Medien und Technologien entwickeln sie sich um einiges dynamischer als noch vor zwanzig Jahren. Neue Formen des Commoning als Widerstand gegen die Ausweglosigkeit und Repressivität eines aus den Fugen geratenen Marktfundamentalismus sind derzeit quer durch Europa zu beobachten.4

Widerstand gegen die Einhegung von Commons ist also nach wie vor Teil der Praxis des Commoning. Allerdings sind dies bereits Beispiele, die auch den anderen Aspekt umfassen: Commoning ist auch immanenter Bestandteil von Widerstandsbewegungen.

Commons als Teil von Widerstandspraktiken und -bewegungen

Die gelernte Österreicherin hat als Ausgangspunkt für die Umweltbewegung neben dem erfolgreichen Widerstand gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf hauptsächlich die ebenso erfolgreiche Besetzung der Hainburger Au 1984 in Erinnerung. Über mehrere Wochen campierten UmweltschützerInnen unter winterlichen Bedingungen und trotz Bedrohung durch die Gewerkschaft der Bau- und Holzarbeiter in der Au, um Schlägerungen zu verhindern. Ähnliches geschah in Gorleben im Wendland als Protest gegen die Errichtung einer Atomendlagerstätte – allerdings mit weniger Erfolg. Bis heute aber gerät jeder Castor-Transport zum Spießrutenlauf, weil sich Atomkraftgegner über mehrere Tage oder Wochen zum “Schottern” treffen. Sie versuchen, die Gleise zu untergraben, um sie unbefahrbar zu machen. Seit dem Beginn der globalisierungskritischen Bewegung Ende des letzten Jahrhunderts sind Widerstandscamps aus Anlass verschiedener Gipfeltreffen von WTO, EU oder G8-Staaten zum Standard geworden. In den letzten Jahren kamen noch Klimacamps dazu, die einerseits versuchen, die Öffentlichkeit auf die Bedrohung durch den Klimawandel aufmerksam zu machen, klimaschädigende Aktivitäten einzuschränken, in dem sie etwa eine Flughafenlandebahn oder eine Kraftwerkseinfahrt blockieren, andererseits aber auch ganz konkret Alternativen zu setzen. Nahezu jede und jeder können von ähnlichen Beispielen in der eigenen Region berichten. Häufig sind es Menschen, die sich bisher kaum politisch betätigt hatten, unauffällige Bankangestellte oder Pensionistinnen, die auf diese Weise aktiv werden, weil in ihrem unmittelbaren Umfeld Dinge geschehen, die sie als bedrohlich erleben und die ihre Mitgestaltungs- und Mitspracherechte einfordern, wie etwa in Stuttgart im Protest gegen den Bahnhofsumbau. Immer dann, wenn Menschen nicht nur Forderungen an die Politik stellen, sondern den Anspruch erheben, ihre Lebenswelt aktiv mitzugestalten und bereit sind, dafür Verantwortung zu übernehmen, wird Commoning Teil des Widerstands.

Alle diese Protestformen sind nur möglich, weil Kommunikation, Kooperation und Vertrauensbildung vorausgehen und weil eine gemeinsame temporäre Infrastruktur geschaffen wird, die den Beteiligten einen gewissen Grad an Autonomie verleiht. Essen und Trinken, Übernachtungsmöglichkeiten, sanitäre Anlagen, meist auch soziale und medizinische Betreuung werden selbst organisiert. Einen Schwerpunkt vieler Camps und Besetzungen bildet das Teilen und gemeinsame Erarbeiten von Wissen und Können. Hierarchiefreiheit, Beteiligungsmöglichkeit, gegenseitiger Respekt und die Wertschätzung aller Beiträge kennzeichnen diese Form der Organisation und machen sie zu einem Lehrbeispiel für wirkungsvolles Commoning. Dieselben Prozesse laufen bei Universitäts- oder Hausbesetzungen ab (vgl. Kratzwald 2009). Auch wenn die Menschen nach Tagen oder Wochen mit mehr oder weniger Erfolg auseinandergehen, solche Erfahrungen prägen langfristig, lassen Visionen erreichbar erscheinen und sind ein wirksames Mittel gegen die Gefühle von Ohnmacht und Alternativenlosigkeit.

Die Occupy-Bewegung, die als Antwort auf die Finanz- und Staatsschuldenkrise entstand, stellt das Commoning, die hierarchiefreie Selbstorganisation, ins Zentrum ihres Widerstandes. Die oft geäußerte Kritik, die Bewegung sei unpolitisch, weil sie keine konkreten, gemeinsamen Forderungen habe, läuft ins Leere. Die Kritik der Occupy-Bewegung ist viel fundamentaler, sie richtet sich nicht gegen Finanzmarktspekulationen, Budgetkürzungen oder Bankenrettung, auch wenn diese der Anlass für ihr Entstehen waren, und sie stellt keine Forderungen an den Staat. Sie stellt das Markt-Staat-Duopol als Ganzes in Frage, dem Markt und der Politik werden sowohl die Fähigkeit als auch die Legitimation abgesprochen, eine adäquate Antwort auf die anstehenden Fragen zu finden. “Wenn Sie etwas fordern, verlangen Sie von einer höheren Instanz im Staat, es Ihnen zu geben. Damit akzeptieren Sie die Existenz und Funktion dieser Instanz. Genau das tun wir nicht. … Die 99 Prozent verstehen, dass die aktuellen politischen Systeme ihre Probleme nicht lösen werden, also orientieren sie sich um” (Graeber 2012). Sie berufen sich damit – bewusst oder unbewusst – auf die Werte und Prinzipien des Commoning.

Auch der arabische Frühling und die Gezi-Park-Bewegung weisen alle Merkmale des Commoning auf. Keine Protestbewegung kann erfolgreich sein, wenn nicht autonom für die Grundbedürfnisse gesorgt werden kann, und alle treten sie für mehr Selbstbestimmung und Beteiligungsmöglichkeiten ein.

Territorien des Widerstands

Raúl Zibechi beschreibt unter diesem Titel, wie die BewohnerInnen der Favelas in mehreren Städten in Chile, Peru und Venezuela es schafften, eine funktionierende Infrastruktur aufzubauen, die ihnen einen ausreichenden Lebensstandard jenseits des kapitalistischen Marktes ermöglichte. In Regionen, die nicht nur uninteressant für Investoren sind, sondern auch außerhalb der Reichweite staatlicher Organe liegen, entstehen Ökonomien, die Zibechi explizit als “nicht-kapitalistisch” bezeichnet und die der Logik der Commons folgen. Frauen spielen in diesen Ökonomien eine bedeutende Rolle, und ihre Antriebskraft ist allein die Befriedigung der Bedürfnisse. Die Praxis der Selbstversorgung hat es diesen Menschen ermöglicht, sogar die Militärdiktaturen zu überstehen, während die Sozialpolitik linker Regierungen meist ihr Ende bedeutete, weil sie diese Gebiete wieder unter die Kontrolle des Staates brachte, der die Aufgabe der Grundversorgung übernahm. Es gelingt Zibechi zu zeigen, wie durch das Zusammenspiel von “befreiten” Räumen und dissidenten Praktiken es diesen Menschen möglich wurde, lange Zeit ihre Autonomie von Markt und Staat zu bewahren, sich also den Verlockungen ebenso wie den Repressionen zu widersetzen.

Eine ähnliche Situation beschreibt James C. Scott in der Region Zomia in Südost-Asien (vgl. Scott 2009). Sieben Volksgruppen haben es dort geschafft, durch Rückzug in die Hügel über Jahrhunderte der Eingliederung in ein Staatsgebiet zu widerstehen. Meist werden solche Gruppen als vormodern und primitiv angesehen. Im Gegensatz dazu erkannte Scott, dass diese Menschen die Zugehörigkeit zu einem Staat bewusst vermieden und eine eigene, nicht-staatliche Ordnung entwickelt haben. Sie praktizieren Wirtschaftsformen, die es ihnen ermöglichen, kollektiv ihre Bedürfnisse selbst zu befriedigen, und sie haben dafür eine Region gewählt, die aus geografischen Gründen staatliche Interventionen erschwert. Auch hier sieht man die enge Wechselwirkung zwischen Territorium und Commoning, die dauerhaften Widerstand ermöglicht.

Widerstand im neoliberalen Alltag

Aber auch viel unspektakulärer üben sich Menschen ganz bewusst in Praktiken des Commoning. Sie widersetzen sich damit der Normierung aller Individuen, Prozesse und Beziehungen entsprechend den Anforderungen der neoliberalen Verwertungslogik. Commons sind eine Form des Widerstands gegen die Selbstoptimierung, Selbstausbeutung, Isolation und In-Konkurrenz-Setzung, die heute unvermeidlich scheinen, will man im Leben reüssieren. Sie bedeuten Widerstand gegen die Allgegenwart der Warenform und die Privilegierung des Privateigentums und Widerstand dagegen, dass Menschen auf die Rolle von KonsumentInnen reduziert werden. Dieser Widerstand geschieht nicht durch Zerstörung von Bestehendem, sondern durch die kreative Herstellung, die sorgfältige Pflege, die Erhaltung und den Schutz von Alternativen. Menschen tun dies in Energiegenossenschaften und Projekten solidarischer Landwirtschaft, in Gemeinschaftsgärten und selbstverwalteten Kulturzentren, in Freie-Software-Projekten und Leihläden, beim Car-Sharing und Couch-Surfing, in offenen Werkstätten und Fab Labs. Wer Dinge selber machen kann oder sie mit anderen gemeinsam nutzt, schont nicht nur Ressourcen, sondern bekommt viele Dinge auch ohne Geld und wird dadurch unabhängiger von Lohnarbeit und staatlicher Unterstützung. So wie die Bauern im historischen England. Freie Software und Open-Source-Hardware sind eine Form des Widerstands gegen Kommunikationsmonopole, allgegenwärtige Überwachung und planned obsolescence. Dieser Widerstand ist aber kein Selbstzweck und auch kein individualisierter Lebensstil. All diese Dinge funktionieren nur durch Kooperation mit anderen und sie verfolgen ein Ziel: ein besseres Leben, eine Produktionsweise, die sozial gerecht, ökologisch nachhaltig und demokratisch steuerbar ist. Dass das nicht bloß ein Rückzug in private Idyllen ist, sondern eine ernsthafte Bedrohung für das herrschende System, lässt sich an der Vehemenz erkennen, mit der solchen Initiativen, sobald sie eine gewisse Relevanz erlangen, entgegengetreten wird. Der Vorwurf der Steuerhinterziehung, Verbot durch Konsumentenschutzgesetze, die gleichermaßen für große Konzerne wie kleine Vereine angewendet werden, bis hin zur Kriminalisierung, mit solch scharfen Geschützen machen Staat und Kapital in friedlicher Eintracht gegen Menschen mobil, die sich nicht mit Alternativenlosigkeit abfinden wollen.

Sobald man nämlich die neoliberale Engführung des Denkens verlässt, die als einziges Bewertungskriterium für jede Tätigkeit, jede Idee und jede soziale Beziehung die Frage gelten lässt, ob man damit Geld verdienen kann und ob sie zum Wirtschaftswachstum beiträgt oder Arbeitsplätze schafft, wird eine große Zahl an wesentlich attraktiveren Lösungen sichtbar. In Opposition zur von Margret Thatcher geprägten Formel TINA – “There Is No Alternative” – lautet das entsprechende Akronym der Commons TAMA – “There Are Many Alternatives”. Dies ist deshalb möglich, weil Commoning den Dualismus überwinden hilft, den Dualismus Markt – Staat, Nord – Süd, Mensch – Natur, Individuum – Gesellschaft, indem Menschen Arrangements entwickeln, in denen diese Gegensätze aufgehoben werden in einander unterstützenden Beziehungen, in denen der Vorteil des einen nicht automatisch zum Nachteil der anderen wird, in denen sowohl Marktelemente als auch staatliche Institutionen ihren Platz haben können, ohne jedoch alles einer Logik unterzuordnen. Eine auf Commons basierende Wirtschaft und Gesellschaft braucht weder Wachstum noch Jobs, weder Rendite für Investoren noch einen patriarchalen “Vater Staat”.

In die neue Gesellschaft tanzen

Commons sind produktiv und das gefällt auch dem Kapital, das sich nicht aus sich selbst reproduzieren kann, sondern immer Bereiche außerhalb seiner selbst braucht, die es mit den notwendigen Ressourcen versorgen: die Natur, unbezahlte Hausarbeit, Subsistenzarbeit oder eben Commoning (vgl. De Angelis 2012). Commons können auch vom Kapital vereinnahmt werden, sie können dann auch der Profitmaximierung dienen und sich gegen die ursprüngliche Idee richten. Seit fast 400 Jahren hat das Kapital seine Fähigkeit bewiesen, Widerstände in seine Logik zu integrieren und dadurch zu befrieden. Ob Commons also eine Form des Widerstands sind oder eine Möglichkeit für das Kapital an kostenlose Ressourcen zu kommen, ist nur im jeweiligen Einzelfall zu klären.

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Doch Commons sind keine statischen Strukturen. Wie bereits am Beginn betont, sind Commons besser durch ein Verb zu beschreiben. Commoning ist ein unabgeschlossener Prozess, der davon lebt, sich an sich ändernde Rahmenbedingungen anzupassen. Bewegung ist ein gutes Mittel gegen Vereinnahmung. Auch für John Holloway ist die “Wiedereinsetzung von Verben” ein wichtiger Teil der Kritik am Kapitalismus (Holloway 2012, S. 232). Eine andere Gesellschaft aufzubauen, bedeutet, in Bewegung zu sein. Nicht in einer Bewegung des Protests, sondern in der “weniger sichtbaren Bewegung des Verweigerns und Schaffens” (ebd., S. 258), diese Gleichzeitigkeit von Verweigerung und dem Schaffen von Neuem ist typisch für Commoning. Denn “Tätigsein ist ein reißender Strom gegen alle Einschließungen” (ebd., S. 260), der Ausweg aus dem Kapitalismus kommt aus dem Widerstand gegen Enclosures. Diese ständige Bewegung, die keinem geraden Weg folgt, sondern viele Umwege nimmt, ist für Holloway wie ein Tanz. Und bereits für Emma Goldman war klar, “If I can’t dance, it’s not my revolution!”

Literatur:

De Angelis, Massimo: “Commons und Kapital”. Aus dem Englischen von Brigitte Kratzwald, in: Commons. Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat. Hgg. von Silke Helfrich/Heinrich-Böll-Stiftung. Bielefeld: Transcript 2012, S. 272-235.
Baier, Andrea/Müller, Christa/Werner, Karin: Stadt der Commonisten. Neue urbane Räume des Do it yourself. Bielefeld: Transcript 2013.
Exner, Andreas/Kratzwald, Brigitte: Solidarische Ökonomie & Commons. Wien: Mandelbaum 2012.
Gemeingueter.de (2012): http://www.gemeingueter.de/?p=3558 (Zugriff 5. Dez. 2013)
Graeber, David (Interview von Stefan Schultz), Spiegel online vom 18.05.2012; http://www.spiegel.de/wirtschaft/interview-mit-david-graeber-von-occupy-a-833789.html (Zugriff 5. Dez. 2013)
Helfrich, Silke: “Gemeingüter sind nicht, sie werden gemacht”, in: Commons. Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat. Hgg. von Helfrich, Silke/Heinrich Böll Stiftung. Bielefeld: Transcript 2012, S. 85-91.
Holloway, John: Kapitalismus aufbrechen. Aus dem Englischen von Marcel Stoetzler. Münster: Westfälisches Dampfboot 2010.
Kratzwald, Brigitte: “Gemeingut Universität” (2009); http://kratzwald.wordpress.com/2009/12/08/gemeingut-universitat (Zugriff 8. Dez. 2013)
Linebaugh, Peter: The Magna Carta Manifesto. Liberties and Commons for All. Berkeley/Los Angeles/London: University of California Press 2008.
Mittendrein, Lisa: Solidarität ist alles, was uns bleibt. Solidarische Ökonomien in der griechischen Krise. Neu-Ulm: AG Spak 2013.
Ostrom, Elinor: Die Verfassung der Allmende. Jenseits von Staat und Markt. Aus dem Englischen von Ekkehard Schöller. Tübingen: Mohr Siebeck 1999.
Polanyi, Karl: The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen. Aus dem Englischen von Heinrich Jelinek. Wien: Europaverlag 1971.
Scott, James C.: The Art of Not Being Governed. An Anarchist History of Upland Southeast Asia. New Haven: Yale University Press 2009.
Zibechi, Raúl: Territorien des Widerstands. Eine politische Kartografie der urbanen Peripherien Lateinamerikas. Aus dem Spanischen von Kirsten Achtelik u. Huberta von Wangenheim. Berlin: Assoziation A 2011.

Zum Thema Commons als Orte des Widerstands siehe Exner/Kratzwald 2012, S. 35ff.

Wie sie etwa in verschiedensten Formen der Lebensmittelproduktion durch Arbeiterinnen und Arbeiter in Schrebergärten oder Kleinstlandwirtschaften noch bis einige Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bestand.

Siehe etwa das verstärkte Auftreten von solidarischen Ökonomien im krisengebeutelten Griechenland (vgl. Mittendrein 2013) oder das sprunghafte Ansteigen urbaner Gärten und solidarischer Landwirtschaftsinitiativen in ganz Mitteleuropa (vgl. Baier/Müller/Werner 2013).

Published 13 May 2014
Original in German
First published by Wespennest 166 (2014)

Contributed by Wespennest © Brigitte Kratzwald / Wespennest / Eurozine

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