Wollen die Frauen "alles haben"?

Es gibt Perioden, in denen der weibliche Körper ein Tagesthema wird, ein politisches, mediales, ein, wie man auch sagt, Gesellschaftsthema. Das war natürlich in den 1960er- und 1970er-Jahren der Fall, als die feministischen Bewegungen aus dem Körper ein politisches Thema machten und dafür kämpften, dass vor allem die Abtreibung und die Verhütung erlaubt würden. Dass die Frauen über ihren Körper bestimmen könnten, über seine Reproduktionsfähigkeit, dass man aufhören würde, sie ausschließlich als potenzielle, einerseits der Autorität ihrer Väter oder Ehemänner, andererseits den Bedürfnissen ihrer Kinder unterworfene Mütter zu betrachten.

Photo: Piotr Marcinski. Source:Shutterstock

Heute ist der weibliche Körper von neuem in Diskussion; auf der politischen Arena, auf Werbeplakaten, machen Privatsphäre und Intimität fette Schlagzeilen. In Frankreich hat der Skandal der Pillen der dritten Generation bei vielen, über Wochen hinweg, eine – berechtigte – Angst erzeugt und Terminvereinbarungen beim Gynäkologen nach sich gezogen. Er hat abermals aus der Verhütung eine öffentliche Debatte gemacht. Und zwar nicht mehr über das Recht an sich (sich schützen oder nicht), sondern über seine Modalitäten (wie sich schützen); manche konnten allerdings befürchten, dass diese zwar gerechtfertigte Wiederinfragestellung – wenngleich der mediale Umgang damit manchmal überzogen war, als hätte man nichts davon gewusst, dass die Pille Risiken mit sich bringe – manche und besonders die jüngsten Frauen dazu bringt, auf Verhütung zu verzichten.1 Und das im Kontext der Krise, in dem man die Subventionen für Informationseinrichtungen wie der “Beratungsstelle für Fragen zur Verhütung” sinken sieht und in dem Verhütung teuer aussehen kann (man weiß nicht immer, ob die Kosten für die Pillen rückerstattet werden).

Was die Debatte rund um das Heiratsgesetz für alle betrifft, die gehörig ausgeufert ist und nun auch Abstammungsfragen behandelt, so hat diese das Gespenst des “Maschinenkörpers” (des in der Leihmutterschaft “zur Ware gemachten” Körpers) und das der Parthenogenese (durch medizinische Hilfe zur Fortpflanzung für lesbische Paare, die den Vater “verschwinden” ließen) wiederauferstehen lassen. Die Angst vor einer allmächtigen Technik, die den Zufall, das Unvorhergesehene, auslöschen würde, würde aus der Reproduktion eine einfache Operation im Laboratorium machen und den Frauen die Kontrolle, diesmal freilich eine absolute, über ihren Körper erlauben. Wenn die Reproduktionstechnik tatsächlich Fehlentwicklungen riskiert und wenn die Debatten über die Bioethik relevant sind (und alle Formen an Zusammenleben und Abstammung betreffen – heterosexuelle wie homosexuelle), dann mag es manchmal so aussehen, dass manche Argumente, zwischen den Zeilen, eine andere Vorstellung des weiblichen Körpers vermitteln, eine natürlichere, dem Unvorhergesehenen, das heißt der Schwangerschaft offene, die sich in der Mutterschaft und im Stillen2 entfaltet: ein “rebiologisierter” Körper.

Zwischen der Natur und der Technik, fehlt da nicht ein dritter Begriff, der der “Gesellschaft”? Wenn Frauen ihre Eizellen tieffrieren möchten, um nach 40 Kinder zu haben, sind das einfach nur unverantwortliche Individualistinnen, die nur an ihre eigenen Wünsche denken? Möchten sie das nicht deshalb, weil sie wissen, dass sie, wenn sie Kinder zu der Zeit bekommen, in der sie ihre Karriere bauen (und das ist bei der Verlängerung der Studiendauer und der Prekarisierung der Erstbeschäftigung kaum vor 30), diese werden unterbrechen und vielleicht aufgeben müssen? Wenn andere angesehene Posten verlassen, um sich um ihre Kinder zu kümmern, liegt das daran, weil sie keinerlei Ehrgeiz haben und die feministische Sache verraten? Liegt das nicht vielmehr darin begründet, weil sie ihrem Familienleben mehr Wichtigkeit zugestehen und erkennen, dass ihre Arbeit dieses fast vollkommen ausschließt?

Diese Fragen hat Anne-Marie Slaughter in einem Artikel gestellt, der letztes Jahr in den Vereinigten Staaten für viel Wirbel gesorgt hat, in dem sie erklärt, warum sie nach zwei Jahren das US-Außenministerium verlassen hat, wo sie mit der politischen Planung betraut war, um wieder zu ihrer flexibleren Universitätsarbeit zurückzukehren, die es ihr erlaubte, sich mehr um ihre Kinder zu kümmern, die eine schwierige Pubertät durchliefen. In den Vereinigten Staaten hat sich die Debatte vor allem auf den Ausdruck “alles haben” (Kinder und eine Karriere) konzentriert, auf den “Verrat”, den ein solcher Artikel in Bezug auf die feministische Sache darstellen würde, beziehungsweise auf die Frechheit, dass sich eine reiche, gebildete Frau mit einem schönen Beruf (sogar mit zwei …) zu einem Zeitpunkt beklagte, in dem so viele Amerikaner nicht nur nicht “alles” haben, sondern nicht gerade viel. Was aber zum Interessantesten im Artikel von Slaughter zählt, das war die Art, in der sie suggerierte, dass man, damit die Frauen “alles haben” könnten, anders gesagt, Familienleben und Karriere miteinander verbinden (ohne “aus dem Markt auszusteigen”, wenn sie für eine Schwangerschaft aussetzen), sowohl unser Konzept der Familie als auch von Arbeit modifizieren müsse. Das heißt die Fernarbeit ermöglichen (die Telearbeit, über die man so viel in den 1980er-Jahren sprach, hat sich letztlich wenig konkretisiert – außer am Abend und an den Wochenenden), Urlaubszeiten den Müttern anpassen, aber auch den Vätern, die sich um ihre Kinder kümmern möchten, den Personen, die einen kranken Verwandten haben (weil Familie bedeutet nicht nur das Paar und die Kinder), alles in allem, anerkennen, dass arbeiten und eine Familie haben einander nicht notwendigerweise ausschließen.

Dergleichen Veränderungen würden nicht nur Frauen zugute kommen, ganz im Gegenteil. Sie würden es erlauben, die Arbeitsbelastung zu verringern, die Tatsache zu berücksichtigen, dass sich mehr und mehr Leute um einen alten Elternteil kümmern müssen, und darauf zu achten, dass die Männer sich mehr an den Aufgaben im Haushalt beteiligen. Der Fortschritt besteht nicht darin “mehr zu arbeiten um mehr zu verdienen”, sondern “weniger zu arbeiten um besser zu arbeiten”, das heißt um anderes zu machen. Produktiv sein bedeutet nicht mindestens 70 Stunden in der Woche im Büro zu verbringen. Es ist Zeit, ein neues Modell zu entwickeln; man verlangt von den Arbeitnehmern in ihrer Karriere “flexibel” und “mobil” zu sein, aber ihre Arbeitsverhältnisse sind immer noch genauso starr wie vorher, wenn nicht starrer. Diese Strukturreformen könnten in Zeiten der Krise unzeitgemäß erscheinen, wenn sich öffentliches Geld rar macht und man die Arbeitnehmer ermutigt, mehr zu arbeiten, um weniger zu verdienen, und wenn man, heimlich, vielleicht gerne hätte, dass die Frauen sich ein wenig nach Hause zurückziehen würden, einfach nur, um Stellen freizumachen. Aber die feministischen Kämpfe sind immer Kämpfe der ganzen Gesellschaft gewesen, für die ganze Gesellschaft.

So rief die Beratungsstelle für Fragen zur Verhütung am 3. Jänner 2013 dazu auf "die Pille nicht zu verteufeln", http://www.planning-familial.org/actualites/ne-diabolisons-pas-la-pilule-008093

Diese Debatte ist anderswo weit lebhafter als in Frankreich; in den Vereinigten Staaten zum Beispiel, wo das Time-Magazin im Mai 2012 unter dem Titel "Sind Sie mütterlich genug?" (Are You Mom Enough?) auf dem Cover die Fotografie einer Frau publiziert hat, die einen kleinen, auf einem Sesselchen stehenden Buben von vier Jahren stillt, was eine große Kontroverse auslöste.

Published 6 November 2013
Original in French
Translated by Michael Hammerschmid
First published by Wespennest 165 (2013) (German version); Esprit 3-4/2013 (French version)

Contributed by Wespennest © Alice Béja / Wespennest / Eurozine

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Read in: FR / DE

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