Wer ist das Volk?

Participation between collective rage and constructive involvement

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Die “Alternative für Deutschland” und ihre europäischen Gesinnungsgenossen “Populisten” zu nennen, wird allmählich zur Verharmlosung. Populisten zehren traditionell vom Gegensatz zwischen “denen da oben” und “dem Volk”, von der Entfremdung der breiten Bevölkerung von Berufspolitikern, Spitzenmanagern und Meinungsführern. Solche anti-elitären Bewegungen entstanden im 19. Jahrhundert, in Amerika und Russland mobilisierten People’s Party und Volkstümler gegen die Mächtigen und Volksvertreter, die Politik als Beruf betrieben. Dem folgten die Perons und Chavisten in Südamerika, in den 1970er Jahren zogen vor allem in Skandinavien Steuerrebellen wie Mogens Glistrup Protestwähler an, denen der Wohlfahrtsstaat zu teuer war. Und zuletzt kamen die Skeptiker, die Euro und EU für Fehlkonstruktionen halten und dem “Beltway” (Washington DC) misstrauen.

In January 2015, the lights were turned off over the Brandenburg Gate in Berlin as part of a. Photo: Andreas Augstein. Source:Wikimedia

Im Einschluss des gegen die Machthaber einigen Volkes steckte immer schon der Ausschluss von Leuten, die angeblich nicht dazu gehörten – von den “Know-nothings” in den USA, die gegen katholische Einwanderer und Asiaten wetterten, bis zu pauschalen Islamhassern von heute, die ums Abendland fürchten, selbst wenn sie nie ein Gotteshaus betreten haben oder Hooligans sind. An dieser Linie scheiden sich Nationalpopulisten von Sozialreformern, auf das heutige Amerika bezogen: fremdenfeindliche Anhänger Donald Trumps, die Muslime und Mexikaner abweisen wollen, von Unterstützern Bernie Sanders, die soziale Gerechtigkeit unabhängig von der Hautfarbe und Religion reklamieren. Nicht immer lässt sich das säuberlich trennen: die französische Linkspartei geriert sich fast ebenso nationalistisch wie Marine Le Pens Nationale Front, und im Widerstand gegen Freihandel (und “Amerika”) sind sich Populisten aller Couleur einig. Überschneidungen gibt es auch im paranoiden Generalverdacht gegen “korrupte Politiker” und “verlogene Medien”, auch “Emanzen” und “Schwuchteln” gehören ins Hassvokabular ich-schwacher Männer.

Soziale Ungerechtigkeitsgefühle richten sich an die falsche Adresse und bündeln sich nach klassischer Sündenbock-Manier zu Fremdenhass, womit Populisten an eine kritische Schwelle gelangt sind. Die Geschichte der AfD zeigt, wie ein steuer- und eurokritischer Liberalismus in einen völkisch-autoritären Nationalismus abdriftet, an die Stelle skeptischer Professoren traten in der Führung halbseidene politische Unternehmer, die in die Wut der Straße investieren und daraus politisches Kapital schlagen wollen. Das Volk ist dann nicht mehr eine diffuse Versammlung von Wutbürgern, die Denkzettel austeilen, es fantasiert sich zur homogenen Volksgemeinschaft zusammen, die für alles Fremde keinen Platz hat. Auf der schiefen Ebene in den Rassismus und Antisemitismus befindet sich schon eine große Anzahl von Spitzenpolitikern, die sich in den rechten Fraktionen des Europäischen Parlaments zusammengeschlossen haben. Gemeinsame Losung ist die Islamfeindlichkeit und das Bestreben, mit dem Austritt der Nationalstaaten aus der EU Souveränität zurückzugewinnen. Rechtsintellektuelle Strömungen reden vom “Großen Bevölkerungsaustausch” (Renaud Camus) und stoßen damit seit der Masseneinwanderung 2015 zunehmend auf Resonanz, auch in Osteuropa, wo es kaum Flüchtlinge gibt. Die demokratische Parole “Wir sind das Volk” dreht sich, wie schon 1989, zum ethnokratischen “Wir sind ein Volk”, das statisch bleibt und keinerlei Einbürgerung zulässt.

Die Bewegung vom liberalen und vielfältigen Demos, einem leidenschaftlichen, zu rationalen Entscheidungen fähigen Souverän, zum autoritären und homogenen Ethnos, einem aus Gefühlen, oft auch Ressentiments heraus agierenden Volkskörper, demonstrieren drastische Äußerungen exemplarischer Autokraten: Kaczynskis PiS-Partei stellt das Volk über das Recht, Pegida-Redner fordern von Widerstand gegen die “Volksverräterin” Merkel auf, Präsident Erdogan macht die Zugehörigkeit zum türkischen Volk von Bluttests abhängig, Trumps Wähler rechnen mit einem schwarzen Präsidenten ab.

Von da ist es zum Arier-Nachweis der Nationalsozialisten nicht mehr weit, und in der Tat haben manche Populisten in ihrem Identitätswahn die halbe Strecke zum Faschismus des 20. Jahrhunderts bereits zurückgelegt. Der zeichnete sich außer durch den Führerkult und einen starken, von einer Einheitspartei regierten Staat durch die strikte Exklusion “Volksfremder” aus dem jeweiligen Territorium aus. Und zu den Fremden gehören derzeit nicht nur Flüchtlinge, sondern auch solche, die ihnen helfen, und vermeintliche Fantasten, die eine multikulturelle Gesellschaft passabel und friedlich gestalten wollen. Wir erleben gerade Feinderklärungen en masse – Carl Schmitt, der “Kronjurist des Dritten Reiches” und Verfechter der identitären Demokratie, und andere Konservative Revolutionäre lassen grüßen.

Im Widerstand gegen den “Großen Austausch”, der in Wahrheit Angst hat vor den Unübersichtlichkeiten der modernen Weltgesellschaft, “unterlaufen” überforderten Partei-Funktionären gehäuft rassistische Schlenker – und sie stellen fest, dass rhetorische Aggression sich auszahlt. Wenn sie zu Mord und Totschlag führt, können sie sich immer noch distanzieren. Potenzielle Anhänger können daran erkennen, wohin die Reise geht: Wer politische Entscheidungen einzig nach einem angstbesetzten Wir-Gefühl trifft, der kann weder wirtschaftlichen Nutzen noch grenzüberschreitende Solidarität noch menschliche Kooperations- und Lernfähigkeit einrechnen. Und landet fast zwangsläufig beim ethnisch-religiösen Bürgerkrieg, den Nationalisten beschwören und in Wahrheit selbst inszenieren.

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Der Schwung an außerparlamentarischer Beteiligung und Wählermobilisierung, die Populisten und Nationalisten bewirkt haben, ist suspekt. So war die “Beteiligungsrevolution” seit den 1960er Jahren, die in den 1980er Jahren auch den Osten erreicht hatte, kaum gemeint! Doch selbst an den Manifestationen des “dunklen Deutschland”, genau wie an den Erfolgen von Donald Trump, Marine LePen und anderen europäischen Nationalisten, erweist sich, welchen Engagement- und Beteiligungsstau die vermeintliche Alternativlosigkeit des neoliberalen Finanzkapitalismus hinterlassen hat, dem ja auch der Aufstieg von Bernie Sanders und Jeremy Corbyn zu verdanken ist.

Zwischen der postdemokratischen Attacke und dem wüsten Ressentiment der Wutbürger steht die demokratische Linke – ratlos. Zur wachsenden sozialen Ungleichheit hat sie belehrende Kommentare, träumt hier und da auch immer noch vom großen Kladderadatsch, der das Monster zu Fall bringen soll. Aber demokratiepolitisch fällt ihr traditionell wenig ein. Dabei bleibt auch nach jüngsten Wahlen und Umfragen in Deutschland wahr, dass mindestens vier Fünftel der Deutschen nicht zur konservativen Revolution neigen. Und selbst in Österreich ist mindestens die Hälfte der Wählerschaft nicht von der FPÖ überzeugt.

Darf man darauf setzen, dass die politischen Novizen ihren Laden genauso blamieren und zerlegen werden wie andere rechte Eintagsfliegen zuvor? Sicher nicht. In Frankreich und den Niederlanden, in Österreich und Ungarn, wohl auch in Polen und Norwegen sind rechte Parteien schon so lange und nachhaltig etabliert, dass auf eine Selbstzerstörung nicht gesetzt werden kann. Der rhetorische Antifaschismus muss praktisch werden, die viel berufene Bürgergesellschaft muss sich entschiedener politisieren und demokratische Beteiligung auch jenseits von Parteien und Parlamenten (aber nicht gegen sie) verankern. Dazu bedarf es demokratischer Experimente.

Der Vorschlag, den Patrizia Nanz und ich unter dem Namen “Konsultative” unterbreiten, ist die Einrichtung eines Netzwerkes von “Zukunftsräten”. Darunter verstehen wir eine dauerhafte Einrichtung einer Gemeinde oder eines Stadtteils, die wichtige Zukunftsfragen identifiziert und Lösungsvorschläge ausarbeitet. Einem Zukunftsrat gehören bis zu 15 zufällig ausgewählte Personen an, welche die lokale Bevölkerung annähernd repräsentativ und dabei vor allem die Generationenmischung spiegeln. Die Mitwirkenden treffen sich regelmäßig und erhalten, ähnlich wie Schöffen, eine maßvolle Aufwandsentschädigung. Die Amtsperiode des Zukunftsrates beträgt zwei Jahre, er wird von einem ehrenamtlichen oder professionellen Team von Moderatoren unterstützt, die auch an der Geschäftsführung mitwirken. Zukunftsräte entstehen von unten, werden aber in der Gemeindesatzung fest verankert; Stadtverordnete und Magistrate sind verpflichtet, sich mit den Vorlagen der Zukunftsräte substantiell auseinanderzusetzen und diese in den Entscheidungsprozess einzubringen.

Von der lokalen Ebene ausgehend, kann sich ein Netzwerk analoger Zukunftsräte auf der Landes-, Bundes- und europäischen Ebene ausdehnen. Das knüpft natürlich an bestehende Möglichkeiten in einem an sich partizipationsfreundlichen Land an: Bürgerinitiativen zu gründen, sich an Planverfahren zu beteiligen, Bürgerentscheide zu initiieren, in Planungszellen und Zukunftswerkstätten mitzumachen und vieles mehr.

Zu wünschen ist die Verbindung dieser vielfältigen Ansätze zu einer Art “vierten Gewalt” neben Legislative, Exekutive und Judikative, so dass Beteiligung nicht den Aufs und Abs des Engagements unterworfen bleibt und versickert, Institutionen sind haltbarer als punktuelle Initiativen. Zudem werden Beteiligungsverfahren oft von Sonderinteressen und Betroffenen dominiert – die von uns vorgeschlagene Zufallsauswahl überwindet diese soziale Selektion und bringt Stimmen zum Sprechen, die sonst kaum einmal artikuliert werden.

Ein Mittel gegen die Gegenwartsfixierung aktueller Politik, durchaus auch bei den Bürgerinitiativen, ist der längere Atem von Zukunftsräten. Es geht nicht um diese oder jene Umgehungsstraße oder Stromtrasse jetzt, sondern beispielsweise um ein nachhaltiges Mobilitätskonzept, letztlich um die Frage, wie wir in zehn, zwanzig und mehr Jahren in einem demokratischen Gemeinwesen leben wollen. Damit rücken die in jeder Sonntagsrede adressierten “künftigen Generationen” ins Zentrum der heutigen Politik.

So wird auch der praktische Antipopulismus der Zukunftsräte sichtbar: die neue Rechte befördert Ängste vor der Zukunft, sie verschließt die Augen vor der Welt und panzert sich wütend im Status quo ein. Diesem Gebräu aus Ressentiment, Paranoia und Angstlust etwas entgegenzusetzen, ist die wichtigste Aufgabe von Demokraten. Sie tragen konstruktiv zur Gestaltung der Energiewende nach dem Pariser Klimagipfel bei und engagieren sich für eine nachhaltige Flüchtlingspolitik. Zukunftsräte können sicher keine Notunterkünfte bereit stellen, aber die akute Wohnungsnot aufgreifen und Raumplanungskonzepte für alle möglichen Belange vorlegen.

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Sozialdemokratische Parteien sind häufig die Leidtragenden des autoritären Vormarsches: Das Elend der französischen Sozialisten steht allen vor Augen, in Österreich, auch einem roten Stammland, stehen die Zeichen auf Sturm, genau wie die skandinavischen Sozialdemokraten muss sich die SPÖ mit einer aggressiven Konkurrenz von rechts auseinandersetzen. In Ostmitteleuropa sieht es ganz bitter aus, und wenn die italienischen Sozialdemokraten ein wenig besser da stehen, ändert das am Genossen Abwärtstrend nichts. Selbst die bis dato stabile SPD hat schwer Federn gelassen.

Auch wer kein Parteigänger ist, muss sich über diese Entwicklung Sorgen machen. In den 1970er Jahren hat die europäische Sozialdemokratie im Management der Weltwirtschaftskrise die neuen sozialen Bewegungen verloren, außerparlamentarische Ökopaxe gründeten grüne Parteien. In den 1990er Jahren ging im neoliberalen Zeitgeist ein Teil gewerkschaftlich organisierter Arbeitnehmer an linkspopulistische Parteien verloren, das Dienstleistungs-proletariat nicht länger wählen. Der österreichische Fall belegt, dass sich unterdessen eine dritte Spaltungslinie aufgetan hat: autoritäre Nationalisten fühlen sich von den Sozialstaatsparteien verlassen und verraten. Solidarität, ein Eckpfeiler der sozialistischen Internationale, gilt bei ihnen nur für Landsleute. “Deutschland zuerst” ist die Parole der AfD, Donald Trump proklamiert mit America first! den Abwehrkampf des weißen Mannes.

Die gute Nachricht ist, dass die SPD sich damit problembewusst und selbstkritisch auseinandersetzt, die weniger gute, dass sie kaum Antworten weiß außer den altbekannten – Bildungsgerechtigkeit, Rentensicherheit, höhere Kapitalertragssteuern. Die deutsche Sozialdemokratie hat sich ähnlich wie die österreichische im Gefängnis der Großen Koalition zu stark auf Reparaturen am Sozialstaat konzentriert, ohne dass es ihr gedankt wurde. Und andernorts, wie in Frankreich, Spanien, Polen und Griechenland werden sie verantwortlich gemacht für sozialpolitische Grausamkeiten. Korrekturen des dysfunktional gewordenen Finanz-Kapitalismus müssten tiefer ansetzen, doch ob die Sozialdemokratien dazu den Willen und vor allem die Macht haben, ist zweifelhaft. Schon die Finanztransaktionssteuer verhindert die Finanzlobby, deren monströse Züge die Panama Papers allseits vorgeführt haben.

Haben sich die Sozialisten und Sozialdemokraten darüber sichtbar empört? Nein, und so wabert ein ambivalentes Gefühl sozialer Ungerechtigkeit, das in Entsolidarisierung mündet. Populisten erklären nicht die Urheber und Nutznießer sozialer Ungleichheit zu Schuldigen, sondern Einwanderer, die Globalisierung per se und eine ganze Religion so pauschal zu Sündenböcken, wie Antisemiten im 19. und 20. Jahrhundert die Juden. Judenhass, erklärte August Bebel seinerzeit, sei der Sozialismus der dummen Kerls. Will die Linke verhindern, das ihre Anhänger einem engstirnigen Nationalismus nachhängen, der sich hinter hohen Mauern vor allem Fremden Schutz sucht (ohne ihn zu finden), muss sie einen neuen Gesellschaftsvertrag aufsetzen, der Fremde einschließt und die Sorge für die natürliche Umwelt einbezieht.

Das geht über die herkömmliche Vorstellung von Generationengerechtigkeit hinaus. Die Linke versteht darunter Chancengleichheit für schlechter gestellte Kinder, die Gleichstellung von Frauen und die Verhinderung von Altersarmut – Themen, die in der Ellbogengesellschaft leicht vergessen werden. Aber darf die Wahrung sozialstaatlicher Besitzstände auf Kosten künftiger Generationen gehen? Dagegen muss die Sozialdemokratie sich europäisch und global verbünden und nationalstaatliche Sozialpolitik mit nachhaltiger Entwicklung verbinden. “Dekarbonisierung”, die im Dezember vergangenen Jahres bei der COP 21 in Paris vereinbarte stufenweise Reduzierung von Treibhausgasemissionen auf Null, ist mehr als technischer Umweltschutz und sozialökologische Modernisierung, es ist eine große Transformation unserer Gewohnheiten von der Produktion über den Konsum bis hin zur Mobilität und Raumplanung.

Zu oft haben alle Parteien des Industriezeitalters diese Perspektive nur als Verlust von Arbeitsplätzen und Verzicht auf Annehmlichkeiten deklariert und damit Chancen verschenkt, die eine derartige Umwälzung in sich birgt. “Gerecht” (oder besser: solidarisch) ist, unseren Kindern und Kindeskindern eine Welt zu hinterlassen, die sie wenigstens nicht schlechter stellt, wozu namentlich eine Beschränkung der Erderwärmung auf höchstens zwei Grad gehört. Im Industrialismus wurden die planetarischen Grenzen verkannt, jetzt kommen sie gebieterisch zurück.

Solidarisch ist es natürlich auch, Arbeitnehmern in emissionsintensiven Branchen einen sanften Umstieg zu ermöglichen, was freilich nicht zu einer endlosen Verzögerung des Kohleausstiegs oder des Umbaus emissionsintensiver Altindustrien führen darf. Interessanterweise sind die meisten Unternehmen zum grünen Kapitalismus bereit, sie warten auf ein klares Signal aus der Politik. Noch viel zu stark ist Sozialdemokratie auf die Großunternehmen (und Großstädte und Gewerkschaften) des fossil-industriellen Komplexes fixiert. Nicht nur muss die Kohleverstromung bis 2025 aus dem Energiemix verschwinden, auch der Verbrennungsmotor kann nach 2030 im Individualverkehr nicht überleben.

Das ist ein nicht zuletzt für die deutsche Industrie, der es nur scheinbar blendend geht, aufregendes Konversionsprogramm, dessen Kosten über die Jahre hinweg aufzubringen sind, und zwar nicht aus der Portokasse. Die von “John Doe” publizierten Praktiken in der Finanzwelt belegen, dass ein geradezu absurder Überschuss an Liquidität besteht, während die Steuerflucht zugleich die öffentlichen Haushalte ausdörrt. Eine solidarische Finanzwirtschaft muss entsprechende Fonds bereitstellen, nicht zuletzt aus einer globalen Kohlenstoffsteuer. Eine weitere Quelle sind die großen Vermögen, die derzeit ohne große Effekte für das Gemeinwohl und die Sicherung der Lebensbedingungen der künftigen Generationen insgesamt an Einzelne vererbt werden, die daraus nur neue Privilegien ableiten und die soziale Spaltung verschärfen. Die Erbschaftssteuer muss eine Generationenkomponente erhalten.

Diese Umverteilungsvorschläge deuten schon an, wie stark das Thema “Energie- und Verkehrswende” mit Gerechtigkeitsaspekten verbunden ist und welche konkreten Solidaritätsleistungen in der “Einen Welt” das nach sich zieht. Damit käme eine zweite, starke Seite der Sozialdemokratie zur Geltung, die von Willy Brandt und Erhard Eppler bis Frank-Walter Steinmeier die deutsche Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit wesentlich geprägt hat. Denn globale Nachhaltigkeitspolitik, die anders als die autoritären Nationalisten von Putin bis Trump auf inter- und supranationale Kooperation setzt, ist ihrer Intention und Wirkung nach nichts anderes als zeitgemäße Friedenspolitik.

Das Klimaabkommen von Paris und die in New York beschlossenen Nachhaltigkeitsziele der 2030-Agenda der Vereinten Nationen sind Meilensteine, die man einmal mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 vergleichen wird. Derzeit stehen sie bei vielen Regierungen und der internationalen Politik nicht hoch im Kurs: Krieg, Terror, Staatenzerfall, Gewalt und Flucht, auch das Auseinanderdriften der Europäischen Union scheinen die Nachhaltigkeitsziele zu verdrängen. Dabei würden sich alle diese Krisen noch verschärfen, wenn die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit bedroht oder gar zerstört sind. Dann kann es weder Frieden zwischen den Völkern noch gesellschaftlichen Fortschritt geben.

Eine Außen- und Entwicklungspolitik, die von der Zukunft her geführt wird, dreht den Spieß herum: Ambitionierter Klimaschutz und die Umsetzung der Agenda 2030 stärken die Kooperation zwischen den Staaten. Das ist das unternehmerische Projekt unserer Zeit, das ganz nebenbei sinnvolle Arbeit und ein erfülltes Leben schafft. Ob es die SPD anpackt, bleibt abzuwarten, aber es wäre die wirkliche Alternative für Deutschland und Europa.

Fazit

Nationalisten aufgepasst: Ihr seid nicht das Volk, den ehrwürdigen Slogan der demokratischen Revolutionen von 1776 bis 1989 könnt ihr nicht entwenden! Bürgergesellschaft ebenso aufgepasst: Engagiert euch für künftige Generationen! An die Adresse der politischen Eliten: Hier ist eine Chance, vielleicht die letzte, dem Legitimationsverlust von Parteien, Parlamenten und Regierungen etwas entgegenzusetzen! Die Konsultative ist keine Konkurrenz, sondern eine Ergänzung. Aber eine notwendige.

Published 8 July 2016
Original in English
First published by Eurozine

© Claus Leggewie / Eurozine

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