Der Linken liebster Feind

Wer hätte gedacht, daß Bruno Mégret eines Tages für einen Kommunisten Dienst tun würde. Noch dazu auf eigenes Verlangen. Aber so ist es gekommen: Der Ingenieur Bruno Mégret, dreizehn Jahre lang Chefideologe der rechtsextremistischen Nationalen Front, hat nach seiner spektakulären Wahlniederlage im Frühjahr 1999 die Wiedereingliederung ins Bauministerium beantragt, zu dessen Beamtencorps er immer noch gehörte. Dienstrechtlich war nichts dagegen einzuwenden. Einen “Radikalenerlaß” wie einst in der Bundesrepublik Deutschland hat es in Frankreich nie gegeben.

Und so hat Mégret wieder einen Platz in einer Behörde, die zur Zeit dem kommunistischen Verkehrsminister Jean-Claude Gayssot untersteht. Zumindest im Telefonverzeichnis steht er dort. Die Sekretärin, die seinen Apparat betreut, will ihn noch nie zu Gesicht bekommen haben. Mégret, so ist anderweitig zu erfahren, sei mit “Sonderaufgaben” betraut. Die Personalabteilung hat ihn “in den Kleiderschrank gesteckt”, wie das hier im Beamtenjargon heißt: eine niedrig dotierte Planstelle für politisch mißliebige Beamte, die man nicht alle Nasen lang auf dem Büroflur treffen möchte. Prophylaktisch wird ihnen oftmals kein eigener Schreibtisch zugeteilt, so daß sie gleich zu Hause bleiben.

Bruno Mégret wird das nicht stören. Schließlich ist er immer noch Parteivorsitzender, Mitglied des Regionalrats in Marseille und Ehemann der politisch unbedarften Bürgermeisterin von Vitrolles. Die hübsche Catherine hatte sich einst an seiner Stelle ins Amt wählen lassen, weil er aus technischen Gründen von der Kandidatur ausgeschlossen war. Die Ideen, mit denen Vitrolles in der Folge auf sich aufmerksam machte, stammten alle aus Bruno Mégrets rechtsradikalem Kopf: etwa die städtische Geburtenprämie von 5000 Francs für “weiße” Babys. Sie ist inzwischen höchstinstanzlich für illegal erklärt worden.

Zwölf Jahre lang hat Mégret im Schatten des charismatischen Widerlings Jean-Marie Le Pen den Front National aufgebaut. Als Mégret Mitte der achtziger Jahre von den Neogaullisten zu den Rechtsextremisten gestoßen ist, hatte der Front weder Programm, Struktur noch Apparat. Er bestand aus dem althergebrachten Bündel von Splitterbewegungen, die erst Jean-Marie Le Pen kraft seiner Persönlichkeit 1972 unter dem Titel Front National zusammengefaßt hatte.

Mégret, das hatte er im Zentralkomitee der Neogaullisten gelernt, machte aus dem Front eine schlagkräftige Partei im Dienste ihres Führers. Bei den Präsidentschaftswahlen 1988 erntete Le Pen 14,4 Prozent der Stimmen – ein glänzender Erfolg für den Wahlkampfstrategen Mégret und ein Schock sondergleichen für die französische Öffentlichkeit.

Von diesem Moment an funktionierte die Nationale Front als Spaltpilz im rechten Parteienlager. In dieser Eigenschaft ist sie der französischen Linken bis weit über Mitterrands Tod hinaus lieb und teuer gewesen. Bei der letzten Wahl zur Nationalversammlung (1997) hat die Linke nur gewonnen, weil die Nationale Front in mehr als fünfzig Wahlkreisen genügend Stimmen bekam, um einen Sieg des bürgerlich-konservativen Kandidaten zu verhindern.

Für die Regionalwahlen im Jahr darauf hatte sich der Parteistratege Mégret die indirekte Regierungsbeteiligung ins Programm geschrieben. In fünf Regionen (von 22) war die Nationale Front nach der Wahl so stark, daß die rechtsbürgerlichen Parteien entweder mit der Linken koalieren oder mit dem Teufel paktieren konnten: Wenn sie ihr Regierungsprogramm ausdrücklich den politischen Zielen der Rechtsextremisten anpaßten, versprachen diese im Gegenzug die Unterstützung einer Minderheitsregierung. Die Verlockung war allzu groß. Das gesamte rechte Parteienlager bis hinauf in die Vorstände war gespalten.

Das ist Bruno Mégrets große Stunde gewesen. Französische Kommentatoren verglichen den unscheinbaren Mann allen Ernstes mit Hitler und Haider. Inzwischen hat sich gezeigt, daß Mégrets Triumph vor allem der Anfang vom Ende seiner Strategie war.

Mégret hat die französischen Rechtsextremisten auf einen Erfolg zugelenkt, der nicht in ihrer Natur liegt. Sie bilden kein politisches Milieu, das nach den Mühen der Ebene strebt, nach Koalitionsfähigkeit, Regierungsbeteiligung und Kompromissen. Der Front National ist eine Versammlung von alternden Algerienkriegern, ultraorthodoxen Katholiken, jungen Schlägertypen, Spät-Pétainisten und allerlei Anhängern von Verschwörungstheorien – Randfiguren, die am Rand stehen, pöbeln und stören wollen. Und den bullerigen Parteigründer Jean-Marie Le Pen bewundern.

Das haben Mégret und seine Leute unterschätzt, als sie nach dem Erfolg bei den Regionalwahlen einen Putsch gegen den 70jährigen Le Pen versuchten. Sie haben sich mit beamtenhaftem Kalkül ans Werk gemacht. Le Pen hat sich mit vitaler Hemmungslosigkeit gewehrt. Warum sollte er gegen aufständische Technokraten aus den eigenen Reihen auch weniger infam sein als gegen Juden und Einwandererkinder? Er wollte nicht aufs Altenteil geschickt werden. Den Putsch der Jüngeren hat er mit einem Feuerwerk von Parteiausschlüssen, Wortkanonaden und Prozessen pariert. Für die Front-Gegner war das alles sehr amüsant.

Bei der Anhängerschaft hingegen hat es eine Art Schrumpffieber ausgelöst. Zudem haben die gute Konjunktur und der Rückgang der Arbeitslosigkeit die französische Gesellschaft quer durch alle Schichten beruhigt. Die Zeit der Angst und Bedrückung, die den Nährboden für viele rechtsextreme Stimmabgaben in Frankreich bildete, ist fürs erste vorbei.

Das Wählerpotenzial des Front National fiel von zwanzig auf neun Prozent. Bruno Mégret, der sich so große Hoffnungen gemacht hat, bekam bei der Europawahl 1999 nicht einmal genug Stimmen, um an den Futtertrögen der öffentlichen Parteienfinanzierung teilzuhaben. Es ist nicht anzunehmen, daß er sich deshalb geschlagen gibt. Mégret wird der französischen Innenpolitik erhalten bleiben – als Randfigur.

Published 20 December 2000
Original in French
First published by Du

Contributed by Du © Jacqueline Henard / Du / Eurozine

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