Heftbeschreibung L'Homme 1/2007

DIENSTBOTINNEN, Hg. von Gunda Barth-Scalmani u. Regina Schulte

“Es war ein einzigartiges, beiderseitiges Herzensverständnis, welches diese zwei Menschen miteinander verband …” Diese poetischen Worte beschreiben nicht etwa eine große Liebe sondern das (Arbeits-)Verhältnis zwischen dem Literaten Marcel Proust und seiner Hausangestellten Céleste Albaret.

Vielschichtig können Dienstbotinnen-Geschichten bei genauer Text- und Kontextanalyse werden. Das gilt für frühneuzeitliche Beispiele ebenso wie für aktuelle Medienberichte. Wir wissen, dass heute Familienleben vielfach ohne ’schwarze’ Hausarbeit oder ’illegale Pflege’ nicht funktionieren würde. Über das Leben der Putzfrauen, Altenbetreuerinnen und Krankenpflegerinnen, die oft aus sogenannten Dritte Welt Ländern oder dem ehemaligen Ostblock kommen, über ihre Motive, Wünsche und Meinungen wissen wir wenig.

Dienstbotinnen – ein zentrales Thema der Frauen- und Geschlechtergeschichte

Dienstbotinnen und Hausgehilfinnen gehören zu den Kernthemen der Frauen- und Geschlechtergeschichte. Lange interessierten vorrangig die städtischen Dienstmädchen um 1900. Hier waren geschlechtsspezifische Ungleichheiten besonders greifbar. Die Reproduktionsarbeit wurde in der bürgerlichen Gesellschaft ins unsichtbare Private verdrängt, und um einen gewissen Lebensstandard halten zu können, beschäftigte man in den bürgerlichen Haushalten auch familienfremde Frauen.

Während dieses Feld also gut erforscht ist, zeigen sich hinsichtlich anderer historischer Phasen, geographischer Räume und sozialer Milieus große Lücken. Die Anregung zu diesem Themenheft geht unter anderem auf einen von Regina Schulte geleiteten Workshop über “Narratives of the Servant” zurück, der in einem europaweiten Projekt Fortsetzung fand. “L’Homme. Z. F. G.” versteht sich hier einmal mehr als Mittlerin zwischen unterschiedlichen Wissenschaftskulturen und Sprachen.

Zu den Beiträgen

Von der Magd Zita, die schon zu ihren Lebzeiten im 13. Jahrhundert als heilig galt, erzählt Raffaela Sarti und zeigt dabei, wie die katholische Kirche und andere Autoritäten die Heilige instrumentalisierten. Jeweils zeit- und zielgruppengemäß wurden mit den Geschichten gesellschaftlich erwünschte Normen für Dienstmädchen propagiert und ihnen zugleich die religiöse Überhöhung ihres Lebens als Trost und Ausgleich angeboten.

Mit Familien in der frühneuzeitlichen Toskana befasst sich Giulia Calvi und macht darauf aufmerksam, dass dort nicht immer klar zwischen DienerInnen und Familienmitgliedern unterschieden wurde. Viele Situationen – z. B. illegitime Geburt oder Witwenschaft – machten Angehörige zu DienstbotInnen und führten sie in Existenznöte. Calvi spricht von border identities und argumentiert dieses Konzept mit zahlreichen Beispielen.

Karen Elisa Diehl geht es um “dritte Personen und narrative Dopplungen”. Mit der Wiederentdeckung des französischen Romanciers Marcel Prousts wurde seine Haushälterin Céleste Albaret zur Zeitzeugin, zur begehrten Interviewpartnerin für Journalisten, Filmer und Biographen. Ihnen erzählte sie in der dritten Person von Prousts Leben und macht sich selbst indirekt zur Hauptperson.

Helma Lutz bearbeitet das Thema “Dienstmädchen im Zeitalter der Globalisierung”. Die Berufstätigkeit von Frauen hat in den Haushalten nicht zur gerechten Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern geführt; zu tief ist die Hierarchie der Geschlechter in das Waschen, Kochen und Putzen eingeschrieben. Solche Arbeiten an ‘fremde’ Frauen zu delegieren, stört die Ordnung nicht. Die modernen (Haus-)Arbeitsverhältnisse der Migrantinnen erinnern an jene der Dienstmädchen um 1900 – besonders wenn die Frauen bei ihren ArbeitgeberInnen wohnen.

In “L’Homme extra” stellt Christine Schneider mit Nekrologen von Ordenschwestern eine selten verwendeten Quellengattung vor. Auch sie sind Narrationen von und über Dienerinnen, hier Dienerinnen Gottes und zugleich Bräute Jesu Christi. Vor dem Hintergrund des beginnenden Kalten Krieges und mit neuen Materialien der britischen Militärregierung und aus der Sowjetischen Besatzungszone analysiert Irene Stoehr die 1946-1948 geführte Debatte um die NS-Vergangenheit der deutschen Frauenrechtlerin Gertrud Bäumer.

Das “Forum” ist den Einführungen in die Frauen- und Geschlechtergeschichte beziehungsweise feministische Geschichtswissenschaft von Andrea Griesebner (Wien) und Claudia Opitz (Basel) gewidmet. Je zwei Männern und Frauen, zugleich Angehörige unterschiedlicher Wissenschaftlergenerationen, haben sie dezidiert aus ihrer Perspektive gelesen und vergleichend besprochen.

Den Abschluss bilden Rezensionen einiger themenspezifischer Publikationen zu Frauenarbeit in Haushalten unterschiedlicher Epochen sowie interessanter Neuerscheinungen aus der Geschlechtergeschichte und den Gender Studies.

Published 11 July 2007
Original in German

Contributed by L'Homme © L'Homme Eurozine

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