Eine andere Medienordnung ist möglich

Von der liberalen Öffentlichkeit zur Information als Gemeingut

Unter politischen Druck geraten, geben digitale Plattformen ihre Laissez-faire-Haltung gegenüber den von ihnen angebotenen Inhalten auf und verbünden sich mit klassischen Medien, um „vertrauenswürdige“ Nachrichten und Informationen zu liefern. Dies ist jedoch der falsche Weg, um Bedingungen zu schaffen, unter denen Desinformation bekämpfbar wird.

Eine „Medienordnung“ (media regime) kann als eine bestimmte historische Kombination von Technologie, Regulierung und professionellen Normen beschrieben werden, die als natürlich erscheint, tatsächlich aber das Resultat eines eminent politischen und heftig umkämpften Prozesses ist.1 Bis vor kurzem waren Medienordnungen in englischsprachigen Ländern durch eine Mischung von regulierten Rundfunksendern und privaten Printmedien gekennzeichnet. Das Gewicht öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten variiert von Land zu Land, vom relativ unbedeutendem PBS in den USA zur finanziell gut ausgestatteten und einflussreichen BBC in Großbritannien. Doch selbst für Sender in Privatbesitz bedeutete Regulierung, dass Fernsehen und Radio – bei weitem die wichtigsten Medien nach 1945 – den Erfordernissen und Standpunkten eines „nationalen Interesses“ angepasst wurden, festgelegt von den Eliten in Staat und Wirtschaft. Die Lizenzen, welche die Federal Communications Commission an die Besitzer amerikanischer Sendernetze vergaben, erlaubte ihnen, hohe Gewinne zu erzielen. Ohne dass man es ihnen hätte sagen müssen, wussten sie, dass die Regierung Lizenzen jederzeit wieder entziehen konnte, wenn man den herrschenden Konsens über den Kalten Krieg in Frage stellte.

In diesen Funk- und Print-Medienordnungen stießen Versuche feindlicher ausländischer Mächte, die Nachrichten zu beeinflussen, auf starke Hindernisse. Die Entscheidungsträger in den Redaktionen der großen Zeitungen und Sender identifizierten sich eng mit ihrem Land und waren daran gewöhnt, im Rahmen eines bestimmten Verständnisses des nationalen Interesses zu arbeiten, das sie mit anderen Elitegruppen, sei es im Staat oder staatsnah, teilten. Ihre Arbeitgeber waren über den Anzeigenmarkt in ein Wirtschaftssystem integriert, das seinerseits weitgehend nationalen Charakter hatte.

Kleinere Magazine konnten diese Einvernehmlichkeit hinsichtlich politischer Ökonomie und Außenpolitik in Frage stellen. Sie konnten sogar Material publizieren, das mit den Feinden des Westens sympathisierte. Aber wer das tat, hatte Schwierigkeiten, Anzeigen einzuwerben und blieb in der Regel marginal.

Der Schritt zum Digitalen

In seinen frühen Jahren verhielt sich das Internet als Ergänzung zum bestehenden Rundfunk plus Print-System. Die Untergrundpresse wuchs und gedieh in dem Maße, wie Interessengruppen die neue Technologie nutzten, um interaktivere Formen des Engagements auszuprobieren. Nischenpublikationen und Blogger konnten nun ein sehr viel breiteres Publikum erreichen. Zugleich behielten die Nachrichten in Funk und Fernsehen ihren privilegierten Status als primäre Quelle von Information über Politik und Weltgeschehen.

Doch in der letzten Dekade entstanden digitale Plattformen, die zu wichtigen, wenn nicht dominanten Verteilern von Nachrichten geworden sind. Google, Facebook/Instagram und in geringerem Maße Twitter akkumulieren und binden inzwischen Aufmerksamkeit in einem riesigen Ausmaß. Fast die Hälfte der gesamten Ausgaben für Werbung fällt heute auf Online-Anzeigen. Es ist offensichtlich, dass die alte Ordnung der Rundfunk- und Printmedien einer „Digital first“-Organisation von Information weicht. Wir sind immer noch dabei, diese rapide Verschiebung im Gravitationszentrum der Medien zu verarbeiten.

Kommerzielle amerikanische Plattformen bieten neue Möglichkeiten für die Publikation und Diskussion politisch relevanter Aussagen, und zwar über nationale Grenzen hinaus, ohne dass sie auf nennenswerten Widerstand stoßen würden. Individuelle Artikel und Interventionen auf Mikroblogging-Websites wie Twitter erreichen noch mehr Leser. Auch Audio- und Video-Inhalte finden ein weltweites Publikum, ohne auf die Hilfe der regulierten Sender angewiesen zu sein.

Diese Entwicklung hat den politischen Diskurs für Stimmen außerhalb des Mainstreams geöffnet. Figuren wie Bernie Sanders oder Jeremy Corbyn hätten dem Skeptizismus der Mainstream-Journalisten und der Feindseligkeit ihrer Parteieliten wohl kaum die Stirn bieten können ohne die Möglichkeit, sich mittels Facebook und Twitter mit ihren potentiellen Unterstützern zu verbinden. Gleichzeitig haben sich solche Plattformen als angreifbar für aus- und inländische Akteure erwiesen, die versuchen, den demokratischen Prozess durch Desinformation zu untergraben. Irreführende und auf Sensation abgestellte Inhalte sind ein wichtiger Motor für ihre Vervielfältigung.

Wie die Plattformen gefügig gemacht werden

Die US-Geheimdienste und ihre engsten Verbündeten verfügen über enge Verbindungen zu den digitalen Plattformen. Aus den von Edward Snowden enthüllten Quellen wissen wir, dass die NSA praktisch unbeschränkten Zugriff auf die von Google, Facebook und Microsoft gesammelten Daten hat. Ihre Schwesterinstitution in Großbritannien, die GCHQ, praktiziert ebenfalls eine massive Überwachung von Datenkommunikation. Der Guardian berichtete 2013, dass die GCHQ „Abhörvorrichtungen an transatlantischen Glasfaserkabeln installiert hat, wo sie britischen Boden erreichen; die Kabel dienen der Datenübertragung aus Telefonnetzen und von Internet-Servern in den USA nach Westeuropa.“2 Es klingt wie ein Echo aus Rundfunkzeiten, wenn die anonyme Quelle des Guardian sagt, es gebe „für die Firmen eine übergreifende Lizenzbedingung, dass sie in dieser Sache kooperieren müssen. Falls sie sich widersetzen, können wir sie zwingen. Sie haben keine Wahl.“

Die übrigen staatlichen Institutionen haben langsamer reagiert, insbesondere was den Inhalt betrifft, den die Plattformen anbieten. Doch in den letzten Jahren haben Politiker begonnen, Druck auf sie zu machen und sie dazu zu bewegen, ihre Laissez-faire-Haltung aufzugeben. Die von Protestkampagnen aufgeschreckten Partei-Eliten haben guten Grund, sich an dem „Inhalts-Agnostizismus“ zu stoßen, der die Plattformen in ihren frühen Jahren auszeichnete. Dabei werden sie von den alten Medien unterstützt, deren Geschäftsmodell durch die neuen untergraben wurde und die nun versuchen, ihre Position zurückzugewinnen, indem sie zu bevorzugten Anbietern von Inhalten für die im Entstehen begriffene digitale Medienordnung werden.

Diese gemeinsame Anstrengung zeigt schon Wirkung. Im August 2016 sagte Mark Zuckerberg, CEO von Facebook, vor einem Publikum in Rom, dass „wir ein Technik-, kein Medienunternehmen sind“.3 Im Dezember desselben Jahres, nach den Präsidentschaftswahlen, äußerte er sich etwas differenzierter: „Facebook ist eine neue Art von Plattform. Es ist kein traditionelles Technikunternehmen. Es ist kein traditionelles Medienunternehmen. Wissen Sie, wir entwickeln Technologien, und wir fühlen uns verantwortlich dafür, wie sie genutzt werden.“4

Im Frühjahr 2018 sagte Zuckerberg vor dem Handels- und Justizausschuss des US-Senats aus, dass es “inzwischen klar ist, dass wir nicht genug getan haben, um zu verhindern, dass diese Werkzeuge Schaden anrichten. Das trifft zu für fake news, ausländische Einmischung in Wahlen, hate speech sowie Entwickler und Datenschutz.“5. Im Oktober 2018 blockierte Facebook hunderte von Websites wegen „nichtauthentischem Verhaltens“.6 Im Januar 2016 kündigte das Unternehmen an, Nachrichtenmedien mit 300 Millionen Dollar unterstützen zu wollen,7 und im September, dass es ein Aufsichtsgremium zur Überwachung und gegebenenfalls Revision des hauseigenen Umgangs mit Inhalten schaffen werde.8 Einen Monat später versicherte Zuckerberg amerikanischen Abgeordneten, dass „wir mit einer ganzen Reihe von Leuten kooperieren, um ein neues Produkt zu schaffen, das den Qualitätsjournalismus fördern soll.

Damit bezog er sich auf einen „news tab“ in der mobilen Facebook-App, der Inhalte von einer ausgewählten Gruppe von Publikationen zeigen würde. In einem Artikel mit der Schlagzeile „Facebook schließt Frieden mit Verlegern und stellt Facebook News vor“ beschrieb die New York Times, wie Facebook News „Stories aus einem Mix von Publikationen anbieten wird, darunter die New York Times, das Wall Street Journal und die Washington Post sowie rein digitale Medien wie BuzzFeed und Business Insider. Einige Artikel werden von einem Team professioneller Journalisten ausgewählt, während andere auf Leserinteressen zugeschnitten werden unter Einsatz von Facebooks Technologie des maschinellen Lernens“.9

Im selben Artikel wird Zuckerberg mit der Aussage zitiert, er fühle „akute Verantwortung, weil offensichtlich klar geworden ist, dass das Internet das Geschäftsmodell der Nachrichtenindustrie untergräbt“. Facebook News lässt uns ahnen, was man sich in der neuen „Digital first“-Medienordnung unter Qualitätsjournalismus vorstellt. Auf der Startliste findet sich die berüchtigte Alt-right Website Breitbart News, doch soweit uns bekannt (Facebook lieferte keine vollständige Liste) keine sozialistische oder wenigstens linksliberale Publikation, entgegen Zuckerbergs ausdrücklich geäußertem Willen, Inhalte aufzunehmen, „die gewissermaßen verschiedene Perspektiven repräsentieren“. Und das in einem Land, in dem Bernie Sanders aus Umfragen regelmäßig als populärster Politiker hervorgeht.

Alphabet, die Besitzerin von Google, Youtube und eine Reihe anderer wichtiger Internet-Firmen haben sich dem raschen Wandel des politischen Umfeldes schneller und flexibler angepasst als Facebook. Im August 2017 kündigte Google an, dass es in seinen Suchergebnissen „maßgeblichen“ Medienunternehmen vor „alternativen“ den Vorzug geben werde. Unmittelbar nach der Umstellung berichtete die World Socialist Web Site einen Besucher-Rückgang von 75 %.10 Im März 2018, also fast ein Jahr bevor Facebook ein ähnliches Engagement ankündigte, sagte das Unternehmen zu, Verleger mittels der Google News Initiative mit 300 Millionen Dollar zu unterstützen.11

Im Oktober 2019 informierte Alphabet darüber, dass es seinen Suchalgorithmus hinsichtlich Nachrichtenartikeln abermals geändert habe. Demnach zielt die Firma darauf ab, Originalberichten den Vorzug vor Kommentaren zu geben.12 Auch diese Maßnahme wird wohl große, etablierte Unternehmen gegenüber kleineren und marginaleren favorisieren. Andere Social Media-Unternehmen, die zu Orten politischer Debatte geworden sind, versuchen inzwischen, Kontroversen im Rahmen zu halten. Im Oktober 2019 kündigte der CEO von Twitter, Jack Dorsey, an, dass er politische Werbung gänzlich sperren werde. Wie dies zu bewerkstelligen wäre, ist noch nicht ganz klar, da sich später herausstellte, dass ‚Themenanwaltschaft’ (issue advovacy) erlaubt bleiben würde.13

Die neue digitale Ordnung

In den USA scheint sich die Koalition von Parteieliten und den klassischen Medienunternehmen durchzusetzen. Facebook und Google stellen die Trennung zwischen Mainstream- und marginalen Medien wieder her, welche die alte Rundfunk- und Printmedien-Ordnung auszeichnete, Facebook ganz offen, Google eher diskret. Eine Handvoll von Unternehmen wird die Nachrichteninhalte für die Mehrheit der Internet-User liefern. Redakteure werden wie zuvor in Zusammenarbeit mit ihren Kollegen in Politik und Wirtschaft dafür zuständig sein, die Grenzen des öffentlich Sagbaren zu kontrollieren. Ein lebhafter Randbereich kleinerer Medien wird in verschiedener Form überleben. Doch werden ihnen Anzeigeneinnahmen vorenthalten bleiben, und in einer Umgebung, wo so viel online-Inhalt über Anzeigen finanziert und gratis angeboten wird, werden sie es schwer haben, zahlende Abonnenten zu finden. Die Möglichkeiten politischer Diskussion zwischen Gleichen wird äußerst beschränkt sein und passiver Konsum durch isolierte Individuen wird wieder zur Norm. Die Untergrund-Presse wird zurück in den Untergrund gedrängt.

Aber hier gibt es ein eklatantes Problem. Die Wiederherstellung der Autorität „verantwortungsbewusster“ Nachrichten-Produzenten würde uns in der Zukunft nur dann vor fake news schützen können, wenn sie dazu in der Vergangenheit fähig gewesen wären. Es wird aber schnell klar, dass sie das nicht waren. Von der Invasion in den Irak bis zur Finanzkrise waren die großen Medien wiederholt nicht in der Lage, sich Manipulations- und Einschüchterungsversuchen durch mächtige Akteure in Politik und Wirtschaft zu wiedersetzen. Wiederholt haben sie Dinge von höchster Wichtigkeit verzerrt dargestellt, wenn sie mit der Wahrheit Webeeinnahmen oder Lizenzen aufs Spiel gesetzt hätten.14

Die Etablierung dieser alten Medien im Herzen der entstehenden digitalen Ordnung ist für jene eine Priorität, die Nachrichten glaubwürdig machen wollen und zugleich die Politiker und ihre Verbündeten im Privatsektor von den Herausforderungen und Möglichkeiten fernhalten wollen, welche die neuen Technologien mit sich bringen. Dies ist jedoch der falsche Weg, um Bedingungen zu schaffen, unter denen Desinformation bekämpfbar wird.

Mediendemokratie und Information als Gemeingut

Über das Verhältnis der Medien zum politischen System und zur Gesellschaft insgesamt wird in den Mainstream-Medien nur selten berichtet. Noch seltener geschieht dies, wenn es um offenkundige Fakten geht, welche den Vorstellungen jener zuwiderlaufen, die die wichtigen Institutionen in diesem Bereich besitzen und kontrollieren. Sie behaupten indes gerne, dass sie sehr wohl in der Lage seien, Abstand von anderen Machtzentren zu halten, und diese ihrem neutralen prüfenden Blick unterwerfen. In Wahrheit aber sind alle großen Medien, einschließlich der digitalen Plattformen, in das politische wie in das wirtschaftliche System integriert.

Die Eliten in diesen Medieninstitutionen erleben diese Integration als komplexe Interdependenz zwischen ihnen und den Eliten in anderen Teilen des Machtapparats. Sie halten keineswegs Distanz zu den Machtstrukturen, die sie beschreiben, vielmehr sollten die Medien eher als integraler Bestandteil eines Staates verstanden werden, dem es gelungen ist, die Zivilgesellschaft zu kapern und stillzustellen. So wie es heute aussieht, hat kaum jemand von uns die Macht, Ideen oder Vorschläge für politisches Handeln zu verbreiten. Nichts, das einer liberalen Öffentlichkeit auch nur annähernd gleichkäme, in der wir als vernünftige und gleiche Bürger Umgang miteinander pflegten, kann unter diesen Bedingungen existieren.

Niemand kann uns zwingen, offensichtlich falsche Vorstellungen von der Autonomie der Medien gegenüber dem Staat und privater Macht zu akzeptieren. Stattdessen steht es uns frei anzuerkennen, dass die Art und Weise, wie wir über Dinge jenseits unserer unmittelbaren Erfahrung Kenntnis erlangen, insbesondere über die Anschauungen, Werte und Interessen anderer Bürger, niemals unpolitisch sein kann. Wenn wir nicht wohlbedachte Schritte unternehmen, eine öffentliche Kontrolle über die Produktion öffentlicher Meinung durchzusetzen, werden andere nur zu bereitwillig diese Aufgabe übernehmen.

Es gibt politische Traditionen, aus denen wir schöpfen können, wenn wir darüber nachdenken, wie unserer Kommunikationssysteme im digitalen Zeitalter zu reorganisieren wären. Unter Gemeingütern stellen wir uns zumeist Ressourcen wie Seen und Wälder vor. Doch weist der Vorrat an allgemein zugänglichen Beschreibungen der Welt, wie sie uns die Medien liefern, ganz ähnliche Züge auf. Wir alle hängen von dieser Wissensallmende ab, wenn wir individuelle und kollektive Entscheidungen treffen, um uns in der Welt zurechtzufinden.

Wenn relevante Information der allgemeinen Betrachtung entzogen und von ein paar Insidern gehortet wird, leidet die Gemeinschaft als Ganze. Und wenn unzutreffende oder irreführende Information ihren Weg in die von uns geteilte Beschreibung der Welt finden, sind wir alle davon betroffen. Selbst wenn wir selbst uns keine Falschmeldungen verkaufen lassen, so wird die Tatsache, dass andere sie glauben, reale Folgen für uns haben. Nicht anders als wie bei natürlichen Gemeingütern können Informationssysteme verkommen, wenn Leute ihnen mehr entnehmen als ihnen zusteht oder wenn sie den Bestand an Beschreibungen kontaminieren, auf den jede und jeder angewiesen ist.

Elinor Ostrom hat einige Merkmale dargelegt, durch die sich nachhaltig gepflegte Allmenden oder commons auszeichnen.15 Vielleicht das wichtigste ist partizipative Lenkung (participatory governance). Jene, die auf geteilte Ressourcen angewiesen sind, müssen auch die Macht haben, die Richtlinien festzulegen, wie mit diesen Ressourcen umzugehen ist; und jene, die verantwortlich sind für die Einhaltung dieser Richtlinien, müssen der Gemeinschaft gegenüber rechenschaftspflichtig sein. Die Lenkung eines bestimmten commons muss gegen Einmischung von oben gefeit sein. Macht muss mit Verantwortung einhergehen.

Es ist offensichtlich, was dies für eine Institution wie die BBC bedeuten würde – das wichtigste Medium, über das die Briten sich über die Welt informieren. Derzeit haben die Zuschauer und Zuhörer keine nennenswerte Mitsprache bei den Richtlinien, die die BBC prägen, ebenso wenig, wie sie eine nennenswerte Kontrolle über jene hätten, die für die Aufsicht über den Betrieb verantwortlich sind. Mag sein, dass die Informationsprodukte der BBC ungetrübt von Sonderinteressen sind; mag sein, dass sie über jedes Thema voll informiert. Aber wir können nicht darauf vertrauen, dass die BBC ein gut gelenktes Gemeingut ist.

Ein anderes und besser vertrautes Modell für das Nachdenken darüber, wie man eine demokratiefreundliche digitale Ordnung gestalten könnte, ist die klassische Demokratie selbst. Von Polybius bis Madison waren sich die Verfassungstheoretiker darin einig, dass Demokratie nicht von den Möglichkeiten zur Kommunikation zu trennen ist, welche die Versammlung der Bürger bietet. Es ist das gleiche Recht eines jeden, zu seinen Mitbürgern zu sprechen, und nicht die Wahlen, was die Demokratie Athens wie die des Achaiischen Bundes ausmacht. Auf der Ebene des Nationalstaats ist diese Art demokratischer Kommunikation am besten als entkörperlichte und virtuelle Version der antiken Versammlung aus Fleisch und Blut zu betrachten. Derzeit erlaubt diese virtuelle Versammlung allerdings nur einigen wenigen, zu der Gesamtheit der Bürger zu sprechen.

Wenn wir alle Zugang zu vertrauenswürdiger Information haben wollen und uns darauf verlassen können wollen, dass unsere Mitbürger angemessen informiert werden, müssen wir Kommunikationssysteme in eine demokratische und liberale öffentliche Sphäre einbetten. Unser Verfassungsverständnis muss die versammelte Bürgerschaft als anhaltend wirksames Element des Staatshandelns einschließen. Die Bürgerschaft erhält Einfluss durch ihre Teilhabe an Entscheidungen über die Prioritäten des Nachrichtenjournalismus – und durch die gemeinsame Anstrengung, die aktuellen Bedingungen zu verstehen und Vorschläge zu ihrer Veränderung zu erarbeiten.

Gegenwärtig verfügt nur eine Handvoll Leute – Mandatsträger, die in ihren Parteien einflussreiche Positionen bekleiden, leitende Journalisten in größeren Medienunternehmen, Reiche oder Manager großer Vermögen, und Berühmtheiten – über kommunikative Macht. Gemeinwesen, in denen öffentlich zu sprechen einer Minderheit vorbehalten bleibt, während die Mehrheit schweigt, nennt man Oligarchie.

Es ist höchste Zeit, das zentrale demokratische Prinzip kommunikativer Gleichheit wiederherzustellen, um uns besser gegen Manipulation durch Un- und Halbwahrheiten und Unterdrückung von Information zu schützen. Jeder einzelne von uns muss sein Teil von Mitsprache über die Mittel reklamieren, mittels deren wir der Welt um uns Sinn verleihen. Wir müssen uns in die Lage versetzen, Verbreiter von Desinformation zu identifizieren und sie angemessen zu bestrafen, damit Debatten nicht länger von den Mächtigen und ihren Helfershelfern manipuliert werden. Das Resultat wird ein Kommunikationssystem sein, das sehr viel besser fähig sein wird, Propaganda als solche zu identifizieren. Wenn es denn einen Informationskrieg gibt, bietet eine engagierte und informierte Bürgerschaft die beste Verteidigung.

Ökosozialisten sehen das Mediensystem als ein Gemeingut, Demokraten sehen es als Teil der Verfassungsordnung. Beide ziehen ähnliche Schlüsse, was die politischen Implikationen betrifft. Im digitalen Zeitalter legen uns beide Positionen die Forderung nah, dass der Staat die Architektur für eine öffentliche Plattform zur Verfügung stellt, die transparent und sicher ist und die direkt von jenen gelenkt wird, die auf sie angewiesen sind. Sie verweisen auch auf die Notwendigkeit, dass Entscheidungen über die Produktion von Nachrichteninhalten einer kontinuierlichen Überwachung und Lenkung durch die Öffentlichkeit unterworfen werden.

Einzig eine Plattform-Architektur, die durch demokratische und partizipative Lenkung geprägt ist, wird hinreichend widerstandsfähig gegen kapitalkräftige Subversionsversuche sein können. Diese Architektur wird die egalitäre Diskussion von Nachrichteninhalten sowie die egalitäre Kontrolle über die öffentlichen Mittel zur Unterstützung von Journalismus und Forschung erlauben. Wichtiger noch, wird sie jedem von uns dieselbe Möglichkeit bieten, den Inhalt politisch relevanter Rede zu prägen, dieselbe Macht, den Bestand von Dingen zu vergrößern, die wir für wichtig erachten, dieselbe Chance, die Aufmerksamkeit unserer Mitbürger zu gewinnen. Erst damit wird die Medienproduktion aufhören, ein Raum zu sein, in dem Eliteninteressen miteinander konkurrieren und hinter einer Nebelwand von Täuschungen ihre Geschäfte machen. Erst dann wird die Medienproduktion eine wahrhaft öffentliche Angelegenheit.

Vgl. Michael X. Carpini und Bruce A. Williams, After Broadcast News: Media Regimes, Democracy and the New Information Environment, Cambridge 2011.

“GCHQ taps fibre-optic cables for secret access to world’s communications”, Ewen MacAskill et al., Guardian, 21. Juni 2013; www.theguardian.com/uk/2013/jun/21/gchq-cables-secret-world-communications-nsa.

“Facebook CEO says group will not become a media company”, Guilia Segreti, Reuters, 29. August 2016; https://uk.reuters.com/article/us-facebook-zuckerberg/facebook-ceo-says-group-will-not-become-a-media-company-idUKKCN1141WN.

“Zuckerberg implies Facebook is a media company, just ‘not a traditional media company’”, Techcrunch, 21. Dezember 2016; https://techcrunch.com/2016/12/21/fbonc/.

“Zuckerberg’s testimony: CEO will defend Facebook as a ‘positive force’”, Dominic Rushe, Guardian, 9. April 2018

“Facebook accused of censorship after hundreds of US political pages purged”, Dan Tynan, Guardian, 17. Oktober 2018.

“Facebook says it plans to put $300 million into journalism projects”, Mathew Ingram, Columbia Journalism Review, 15. Januar, 2019.

“Facebook unveils its plan for oversight board”, Dave Lee, bbc.co.uk, 17. September 2019.

“Facebook calls truce with publishers as it unveils Facebook News”, Mike Isaac and Marc Tracy, New York Times, 25. Oktober 2019. Ein Teil der von Facebook übernommenen Publikationen <meint er Medien, also Zeitungen etc.?> würden zumindest für einen Teil der Inhalte entschädigt.

“Google intensifies censorship of left-wing websites”, Andre Damon, wsws.org, 19. September 2017.

“Google unveils its $300M News Initiative”, Anthony Ha, Techcrunch, 20. März 2018.

“The Pentagon wants more control over news. What could go wrong?”, Matt Taibbi, Rolling Stone, 5. September 2019.

“Twitter’s political ad ban raises one big issue: what exactly is an ‘issue’”, Adi Robertson, theverge.com, 31 October, 2019.

Ich erörtere das Versagen der Rundfunk plus Print-Medienordnung detailliert in meinem Buch The Return of the Public, London 2010.

Elinor Ostrom, Governing the Commons, Cambridge 1991.

Published 16 March 2020
Original in English
Translated by Klaus Nellen
First published by openDemocracy / Eurozine (English version); Eurozine (German version)

© Dan Hind / openDemocracy / Eurozine

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