Worte des Kandidaten Kerry

Wahlkampf in den USA

Seit dem Vietnamkrieg standen die Demokratische Partei und ihre
Präsidentschaftskandidaten innenpolitisch für ein umfassendes
sozialstaatliches Programm und außenpolitisch für eine entschiedene
Politik der Kriegsvermeidung. Die Republikaner dagegen setzten auf eine
harte, militärisch akzentuierte Außenpolitik bei gleichzeitiger
Beschneidung der Sozialprogramme. Doch im Gefolge des 11. September hat
sich bei den Demokraten ein neuer Typ von Politiker in den Vordergrund
gespielt. Ihr prominentester Vertreter ist der Präsidentschaftskandidat
Senator John Kerry. Als eine Art “aufgeklärter Falke” versucht er, den
mutmaßlichen Vorteil der Bush-Administration auf dem Gebiet der
Sicherheitspolitik dadurch auszugleichen, dass er einen aggressiven
Feldzug gegen den Terrorismus und gegen die Weiterverbreitung von
Atomwaffen ankündigt.

“Wir werden unsere nationale Sicherheit verteidigen und ein militärisches
Potenzial bewahren, das uns zur stärksten bewaffneten Macht dieser Erde
macht”, verkündete der Kandidat. Zudem werde er nicht zögern, diese
militärische Macht bei Bedarf “auch gegen Terroristen einzusetzen”.
Dieses Bekenntnis zu einer robusten Außen- und Sicherheitspolitik stammt
von Senator John Kerry. Er verkündete es am 2. September 2003, dem Tag,
an dem er sich zum Bewerber um die demokratische
Präsidentschaftskandidatur erklärte. Früher hätten demokratische
Kandidaten als Hintergrund für eine solche Rede eine Kindertagesstätte
oder eine Werkshalle gewählt. Kerry dagegen verkündete seine Kandidatur
vor einer eher martialischen Kulisse: Um seinen harten Kurs in der
Militärpolitik zu unterstreichen, sprach er vor der gigantischen
Silhouette des Flugzeugträgers USS Yorktown.

Seitdem hat der Senator sein Bekenntnis zu einem starken Militär
mehrfach wiederholt. Er hat sogar, was für einen ernsthaften
demokratischen Präsidentschaftskandidaten bislang fast undenkbar war, dem
amtierenden Präsidenten eine zu “schwache” Verteidigungspolitik
vorgehalten: “George Bush hat die stärkste Militärmacht der Welt
übernommen”, sagte Kerry am 27. Februar 2004 in Los Angeles, “aber er hat
sie geschwächt. Viel zu oft fehlen unseren Truppen in gefährlichen
Missionen die Waffen und die Ausrüstung, die sie brauchen, um ihren Job
sicher zu erledigen.” Außerdem kritisierte er, Bush habe es versäumt,
eine energische und umfassende Strategie zum Kampf gegen den Terrorismus
zu entwickeln: “Ich werfe George Bush nicht vor, dass er im Krieg gegen
den Terror zu viel getan hat. Ich glaube vielmehr, dass er zu wenig getan
hat.”

Kerry artikuliert in seinen Reden und Verlautbarungen zur nationalen
Sicherheitspolitik eine Position der Demokraten, die sich zwar von
derjenigen der Republikaner unterscheidet, aber nicht weniger aggressiv
ist. Dabei stützt er sich auf eine ganze Phalanx von
Verteidigungsexperten, von denen viele in der Clinton-Administration
gedient haben. Sie haben eine neue, differenzierte Sicherheitsdoktrin
ausgearbeitet und propagieren sie seit längerem auf Konferenzen, in
Fachzeitschriften und den Massenmedien. Zu den wichtigsten Figuren dieses
Beraterstabs gehören Samuel R. (“Sandy”) Berger, früher
Sicherheitsberater von Präsident Clinton, der ehemalige
Verteidigungsminister William J. Perry, Ashton B. Carter, ehemals
stellvertretender Verteidigungsminister und heute Professor an der
Kennedy School of Government in Harvard, und schließlich Lawrence J.
Korb, früher Vizeverteidigungsminister in der Reagan-Administration und
heute am Center for American Progress tätig, einem neuen Thinktank der
Demokratischen Partei.

Die Arbeit am Entwurf einer neuen Doktrin begann kurz nach den
Zwischenwahlen zum Kongress im November 2002. Dabei büßten die Demokraten
etliche Sitze im Senat wie im Repräsentantenhaus ein. Daraufhin machten
mehrere prominente Demokraten, darunter auch Expräsident Bill Clinton,
der Parteiführung den Vorwurf, dass sie in einer Zeit, da die größte
Sorge der Nation dem Terrorismus gelte, auf ihrer traditionellen
“Tauben”- Perspektive beharre. “Wir haben uns nicht aus der Deckung
gewagt”, erklärte Clinton vor dem Democratic Leadership Council, einer
Organisation gemäßigter Demokraten, die ihn bei seiner ersten Wahl 1992
unterstützt hatte. “Wenn die Leute sich unsicher fühlen, wollen sie
lieber jemanden haben, der stark ist und Unrecht hat, als jemanden, der
schwach ist und Recht hat.” Wenn die Partei die Wahlen von 2004 gewinnen
wolle, so Clinton weiter, “müssen wir in der Frage der nationalen
Sicherheit eine klare und starke Position beziehen”.1

Auf Initiative Clintons und einiger seiner früheren Mitarbeiter begann
eine Gruppe von Demokraten der politischen Mitte ein
sicherheitspolitisches Konzept auszuarbeiten, das man dem demokratischen
Präsidentschaftskandidaten für 2004 andienen wollte. Nachdem sich Kerry
dann in den Vorwahlen durchgesetzt hatte und als im April 2004 wieder
Kämpfe im Irak ausbrachen, verurteilte er die Kriegsführung der
Bush-Regierung mit der Bemerkung, der Präsident habe die US-Soldaten in
höchstem Maße gefährdet, weil er kein internationales Bündnis zustande
gebracht habe: “Unsere Soldaten bezahlen heute den Preis für eine falsche
Strategie. Wegen unseres Alleingangs im Irak tragen unsere Soldaten nun
90 Prozent des Risikos und stellen 90 Prozent der Toten und Verwundeten.”

Um den Druck auf die US-Truppen zu reduzieren und den Wiederaufbau zu
beschleunigen, machte Kerry den Vorschlag, die oberste Autorität im Irak
den Vereinten Nationen zu übertragen und eine multinationale Truppe unter
Führung der Nato mit der friedenserhaltenden Mission zu betrauen.
Wiederholt musste sich Kerry auch gegen Angriffe der Republikaner zur
Wehr setzen, die ihm nicht zutrauen, in Notzeiten das Amt des
Oberbefehlshabers ausüben zu können. Typisch für solche Angriffe waren
die Bemerkungen von Vizepräsident Dick Cheney am 26. April: “Der Senator
aus Massachusetts gibt uns allen Anlass, an seiner Urteilsfähigkeit und
an seiner Haltung in entscheidenden Fragen unserer nationalen Sicherheit
zu zweifeln.” Um solche Attacken zu kontern, verweist Kerry immer wieder
auf seinen Militärdienst in Vietnam und stellt die Aufrichtigkeit von
Leuten wie Bush und Cheney in Frage, die sich damals dem Einsatz
entziehen konnten: “Jeder weiß, dass ich in Vietnam gekämpft habe und
verwundet wurde. Ich habe meinen Wehrdienst geleistet und bin sehr stolz
darauf. Jetzt werfen mir das Leute vor, die sich damals anders
entschieden haben. Das stört mich schon sehr.” Im Wahlkampf werden die
Republikaner wohl zig Millionen Dollar für Fernsehspots ausgeben, in
denen sie fragen, ob sich Kerry ausreichend mit Fragen der nationalen
Sicherheit befasst. Die Demokraten hingegen werden viel Geld aufwenden,
um die soldatischen Leistungen ihres Kandidaten herauszustreichen. Allein
schon dies wird ihren Wahlkampf von allen vorangegangenen unterscheiden.

Um auf dieses Duell vorbereitet zu sein, haben die Demokraten ein
umfassendes außen- und verteidigungspolitisches Programm ausgearbeitet.
Das unterscheidet sich zwar nicht in allen Punkten von der
Regierungspolitik, stellt dieser jedoch einen eigenständigen Ansatz
entgegen.

Die “Bush-Doktrin” ermächtigt die Vereinigten Staaten zum präventiven
und einseitigen Einsatz militärischer Gewalt, um jede vermeintliche
Bedrohung der nationalen Sicherheit im Keim zu ersticken. Der Rückgriff
auf militärische Gewaltmittel ist nach dieser Doktrin des Weißen Hauses
auch deshalb so wichtig, weil man auf diese Weise den Einsatz von
Massenvernichtungswaffen durch terroristische Organisationen und
“Schurkenstaaten” verhindern will, die sich durch die traditionellen
Mittel der Diplomatie oder der militärischen Abschreckung nicht
beeindrucken lassen. Nach dieser Strategie haben die USA selbst dann das
Recht zu präventivem Vorgehen gegen eine potenzielle Bedrohung, wenn ihre
Verbündeten die Analyse Washingtons nicht teilen oder nicht bereit sind,
der Gefahr entgegenzutreten.

Die Republikaner betrachten die Bush-Doktrin als logische
Weiterentwicklung der alten US-Verteidigungspolitik; mit einigen neuen
Elementen werde lediglich auf das veränderte globale Bedrohungspotenzial
reagiert. Sandy Berger sieht hingegen “einen radikalen Wandel innerhalb
der amerikanischen Außenpolitik”. Ende Oktober 2003 kritisierte er Bush
auf einer vom Center for American Progress organisierten Tagung: “In
gewisser Weise hat er der Doktrin der Abschreckung, die in den
vergangenen fünfzig Jahren der Eckpfeiler unserer nationalen Sicherheit
war, eine prinzipielle Absage erteilt.” Zudem sei die Politik eines
forcierten Unilateralismus “diametral gegen das Konzept von dauerhaften
Bündnissen gerichtet”, das es möglich gemacht habe, “gemeinsame
Bedrohungsszenarien” zu entwickeln und während der gesamten Periode des
Kalten Krieges gemeinsam zu agieren.2

Nach Ansicht der Demokraten lassen sich die Sicherheitsinteressen der
USA am besten dadurch wahren, dass man die gestörten Beziehungen zu den
bewährten Verbündeten repariert und diese enger in die wichtigsten
Vorhaben einbindet – dass man sie also zu Partnern im Krieg gegen den
Terrorismus und beim Wiederaufbau in Afghanistan und im Irak macht. In
diesem Sinne erklärte Kerry: “Als Präsident werde ich die Bush-Ära der
Isolation beenden und eine neue Ära der Allianzen beginnen. Denn der
Kalte Krieg ist zwar zu Ende, aber unser Bedarf an Verbündeten ist
genauso groß oder noch größer geworden, weil wir vor ganz anderen
Gefahren stehen und ganz neue Herausforderungen bewältigen müssen.”3

Es gibt kein Dokument und keine Rede, in denen bereits alle Aspekte
dieser neuen Politik formuliert wären. Doch ihr Grundcharakter lässt sich
am besten mit dem Begriff “aufgeklärter Nationalismus” beschreiben, den
Senator Joe Biden am 28. Oktober 2003 benutzt hat.4 Der Ausdruck
bedeutet, dass die USA ihre nationalen Interessen mit einer Kombination
von militärischer Stärke und internationaler Kooperation verfolgen
wollen. Die Gemeinsamkeit mit der Bush-Doktrin besteht darin, dass die
Bedrohung durch Schurkenstaaten und terroristische Gruppen ausgeschaltet
werden soll.

Aber das Konzept der Demokraten will zu diesem Zweck nicht nur die Macht
der Vereinigten Staaten aufbieten, sondern die kollektive Stärke der
Weltgemeinschaft. Diese soll überall in der Lage sein, Terrorzellen
aufzuspüren und zu vernichten. Zweitens soll der Zugang von
Schurkenstaaten zur Atomwaffentechnologie unterbunden und – drittens –
sollen Aufbauprogramme für Staaten organisiert werden, die durch Kriege
ruiniert wurden. Die USA würden dafür zwar weiterhin das militärische
Potenzial und auch die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung stellen.
Aber sie würden dies als Mitglied der internationalen Gemeinschaft in
Zusammenarbeit mit anderen tun.

Dieses Konzept der Demokraten weicht zwar in manchen Punkten von dem der
Republikaner ab, übernimmt aber auch viele Hardlinerpositionen der
jetzigen Regierung. Sandy Berger hat das in aller Deutlichkeit
ausgesprochen: “Eine demokratische Regierung wird die Bereitschaft der
Vereinigten Staaten unterstreichen, ihre lebenswichtigen Interessen auch
unter Einsatz militärischer Gewalt zu verteidigen – zur Not auch allein.”
Man werde sich zwar länger als die Republikaner auf diplomatischer Ebene
um eine friedliche Konfliktlösung bemühen, aber wenn die Umstände es
erforderten, werde man genauso entschlossen militärische Mittel zum
Einsatz bringen.5

“Keine Zweifel an unserer Entschlossenheit”

Am 3. Dezember 2003 äußerte Kerry unverblümt: “Als Präsident werde ich
unsere Sicherheit nicht irgendeinem anderen Staat oder einer anderen
Institution überantworten. Und unsere Gegner werden keine Zweifel an
unserer Entschlossenheit haben, wenn nötig auch Gewaltmittel
einzusetzen.” Deswegen wollen Kerry und seine Anhänger die Fähigkeit der
USA zur Führung von Kriegen deutlich verbessern, eine für Demokraten eher
unübliche Forderung. Insbesondere wollen die Kerry-Leute die Kampfkraft
der Landstreitkräfte und der Marineinfanterie erhöhen. Diese haben sowohl
bei einem Bodenkrieg als auch bei friedenserhaltenden Missionen und der
Stabilisierung von Nachkriegsgesellschaften die Hauptlast zu tragen. Um
sie zu stärken, wollen die Demokraten zwei neue Divisionen aufstellen und
damit die Zahl der einsatzbereiten Soldaten um 40 000 erhöhen. Außerdem
soll die Grundausrüstung der Infanterietruppen verbessert werden, indem
mehr schusssichere Westen, gepanzerte Transportfahrzeuge und
Kampfhubschrauber angeschafft werden.6

Bei solchen Vorschlägen betonen die Demokraten häufig den Unterschied
zwischen einer höherwertigen Ausstattung der Bodentruppen – etwa für den
Einsatz gegen Guerillaeinheiten und zur Stabilisierung von Regionen wie
Afghanistan, Irak und Kosovo – und den raffinierten Hightechwaffen, die
die Bush-Administration bevorzugt. So schrieb etwa Lawrence J. Korb im
Januar 2004: “Die Diskussion über die Umgestaltung des Militärs muss vor
allem die Menschen im Auge haben, die mit diesen Waffen kämpfen. Wir
brauchen ein Militär, das stark genug und hinreichend ausgerüstet ist, um
die vielfältigsten Aufgaben auf vielen Kriegsschauplätzen in aller Welt
wahrzunehmen.”7Die Demokraten wollen für die zusätzlichen Einheiten und
für die Waffen, die ihr Konzept erfordert, bis zu 6 Milliarden Dollar
jährlich mehr ausgeben. Diese Kosten hat jedenfalls Korb für das Center
for American Progress ermittelt. Um die Gelder aufzubringen, ohne den
Verteidigungshaushalt insgesamt zu erhöhen, würden sie das Programm zur
Entwicklung eines Raketenabwehrschirms zurückstutzen und einige der
kostspieligen Rüstungsprogramme einstellen, etwa die Entwicklung des
F/A-22-Kampfflugzeugs und die Beschaffung neuer U-Boote der
Virginia-Klasse.

Während Präsident Bush in seiner Wiederwahlkampagne auf die Aussage
baut, er sei am besten geeignet, den Krieg gegen den Terrorismus zu
gewinnen, behaupten die Demokraten, das Weiße Haus führe diesen
entscheidenden Kampf zu zögerlich. Der Präsident habe sich seit 2001 zu
sehr auf den Irak fixiert und damit die Aufmerksamkeit und die nötigen
Mittel von der wichtigeren Aufgabe, der Vernichtung von al-Qaida,
abgezogen. Zum Zweiten habe er die internationale Gemeinschaft in
vielerlei Hinsicht vor den Kopf gestoßen und damit die Unterstützung
durch die anderen Länder gefährdet, die nötig ist, um gegen Terrorzellen
vorzugehen.

Das erste Argument hat mit der Aussage von Richard A. Clarke, dem
früheren Chef der Terrorbekämpfung im Weißen Haus, neuen Auftrieb
bekommen. Bei seinem dramatischen Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss
über den 11. September hat Clarke am 24. März 2004 ausgesagt, der
Präsident und seine engsten Mitarbeiter hätten erstens die terroristische
Bedrohung vor dem 11. September weitgehend ignoriert und zweitens in den
Tagen nach den Attacken versucht, diese Saddam Hussein in die Schuhe zu
schieben, obwohl es dafür nicht die geringsten Anhaltspunkte gab.

Präsident Bush, schlussfolgern die Demokraten, habe es also aufgrund
seiner Irak-Obsession versäumt, einen wirksamen Krieg gegen al-Qaida zu
führen.

Um diese Anklage zu untermauern, verweisen Kerry und andere auf die
Tatsache, dass es nicht gelungen ist, Ussama Bin Laden aufzuspüren und
festzusetzen. “Wir hatten ihn vor zwei Jahren in den Bergen von Tora Bora
schon fast gestellt”, erklärte Kerry am 27. Februar, “aber dann hat Bush
die US-Truppen zurückgehalten. Stattdessen hat er den afghanischen
Warlords, die nicht loyal zu unserer Sache stehen, aufgetragen, den Job
zu Ende zu bringen.” Auf diese Weise habe das Weiße Haus “den Krieg gegen
den Terrorismus erschwert”.8Zudem habe die Bush-Administration andere
Regierungen vor den Kopf gestoßen, deren Hilfe beim weltweiten Kampf
gegen al-Qaida und deren Ableger unentbehrlich ist. “Präsident Bush sagt,
die Zusammenarbeit mit anderen Staaten, und insbesondere mit unseren
Verbündeten, sei für unseren Krieg gegen den Terrorismus entscheidend. Da
hat er völlig Recht. Doch seine Regierung setzt sich ständig über die
Interessen dieser Staaten hinweg, und das gleich bei einer ganzen Reihe
von Themen, vom Klimaschutz bis zum Internationalen Strafgerichtshof.”
Statt die Unterstützung für den Kampf gegen den Terrorismus zu gefährden,
müssten die Vereinigten Staaten “mit der internationalen Gemeinschaft
zusammenarbeiten, um eine globale Strategie festzulegen, die eine
kollektive und keine imperiale ist”. Nur mit veränderter Taktik und neuen
Prioritäten könnten die USA ihren Kampf gegen den Terrorismus effektiver
führen.

Aus dieser Analyse ergeben sich zwei Forderungen. Erstens müssen die
Beziehungen zu den wichtigsten Verbündeten wieder verbessert werden,
zweitens brauchen Militär und Nachrichtendienste mehr Mittel, um ihre
neuen Aufgaben zu erledigen. Vordringlich sollen die unkonventionellen
Kampfmethoden der US-Armee erheblich verbessert werden, erläutert Sandy
Berger: “Obwohl wir nach wie vor in der Lage sein müssen, konventionelle
Kriege zu führen, haben wir jetzt auch Feinde aufzuspüren und zu
vernichten, die nicht offen auftreten, sondern sich häufig in der
Zivilbevölkerung verstecken.” Für solche Operationen brauche man jedoch
eigens ausgebildete Kommandoeinheiten und Spezialagenten der
Geheimdienste – “eine Herausforderung für unsere Nachrichtendienste”.9

Im Gegensatz zu einigen traditionellen Demokraten wie Dennis Kucinich,
Abgeordneter des Repräsentantenhauses aus Ohio, die für einen raschen
Abzug der US-Truppen aus dem Irak eintreten, will John Kerry die
US-Truppen im Lande lassen. So soll verhindert werden, dass es zur Basis
von Terroristen wird. Kerry ist sogar bereit, noch mehr US-Truppen in den
Irak zu entsenden, wenn das Land damit stabilisiert werden kann. Für ihn
sind die USA zum Erfolg verdammt: “Wir können es uns einfach nicht
leisten, dass der Irak zu einem failed state wird und damit zu einer
Brutstätte für antiamerikanischen Terrorismus.” Allerdings verlangt
Kerry, die militärische Präsenz der USA im Irak unter ein Mandat der
Vereinten Nationen zu stellen. Verantwortlich für die Sicherheit solle
die Nato werden.

Ganz ähnlich sehen die Demokraten die Lage in Afghanistan. Angesichts
der Gefahr, dass Gewalt und Chaos die Rückkehr der Taliban und der
verbliebenen Al-Qaida-Kämpfer begünstigen könnten, fordern sie eine
starke und dauerhafte militärische Präsenz der USA. In diesem Sinne
fordert Sandy Berger von den Demokraten eine kräftige Dosis “Realismus”:
“Wenn die Vereinigten Staaten in den Krieg ziehen, sollten sie darauf
vorbereitet sein, nach dem Kampf dazubleiben, um das, was zerstört wurde,
wieder aufzubauen.” Washington müsse nicht nur firepower (Feuerkraft),
sondern auch staying power (Stehvermögen) demonstrieren.

“Die islamische
und die übrige Welt”

Aber auch diese Aufgabe wollen die Demokraten “internationalisieren”, d.
h.: mehr auf die Hilfe der Verbündeten vor allem in Europa
zurückgreifen, macht Sandy Berger klar: “Jetzt, da die Nato einer
erweiterten Friedenstruppe in Afghanistan zugestimmt hat, geht es darum,
dass europäische Truppen die bestehende militärische US-Präsenz
verstärken.”10

Zur “aufgeklärten” Außenpolitik gehört noch eine weitere Absicht: Die
Demokraten wollen sich bemühen, auf die Ursachen des Terrorismus
einzugehen und der ideologischen Anziehungskraft extremistischer
Bewegungen zu begegnen. So hat Kerry im Februar geäußert, die USA könnten
zwar vielleicht sämtliche Schlachten gegen den Terrorismus gewinnen,
doch am Ende komme es allein darauf an, “im Krieg der Ideen zu obsiegen”.
Zu diesem Zwecke müsse man den Medien, die in weiten Teilen der
islamischen Welt den Hass predigten, Alternativen entgegensetzen. Zudem
solle die muslimische Jugend gemäßigte, westlich orientierte
Bildungsangebote erhalten.

“Wir müssen eine große Initiative starten, um die Kluft zwischen der
islamischen und der übrigen Welt zu überbrücken”, erklärte Kerry vor dem
Council on Foreign Relations. Nur so könnte man die Verfechter des
Terrorismus bei den Muslimen im Nahen Osten in Misskredit bringen. Doch
dieser “Krieg der Ideen” müsse einhergehen mit konkreten Schritten zur
Bekämpfung von Armut und ökonomischer Rückständigkeit, die in den
Entwicklungsländern viele Menschen in die Arme extremistischer
Organisationen treiben. Susan Rice, Vizeaußenministerin mit dem
Zuständigkeitsbereich Afrika in der Clinton-Regierung, hat es so
formuliert: “Unsere Sicherheit ist aufs Höchste bedroht, wenn die halbe
Weltbevölkerung mit weniger als zwei Dollar pro Tag auskommen muss. Also
sollten wir schon aus purem Eigeninteresse den Abstand zwischen Reich und
Arm verringern. Wir müssen dies als unseren eigenen und nicht nur als
den Kampf der Entwicklungsländer betrachten.”11

Nach Ansicht der Demokraten hängt ein erfolgreicher Antiterrorkampf noch
von einem weiteren Faktor ab: von deutlichen Fortschritten in Richtung
einer friedlichen Lösung des Konflikts zwischen Israelis und
Palästinensern. Die Position, die Kerry zu diesem Konflikt bezieht, geht
zunächst von einer eindeutigen Unterstützung des Staates Israel aus: “Die
altbewährte Garantie Amerikas für die Unabhängigkeit und Weiterexistenz
Israels darf niemals ins Wanken geraten.” Kerry betont aber auch, Israel
müsse am Ende die Bildung eines palästinensischen Staates akzeptieren und
sich auf einen Verhandlungsprozess einlassen, der zu einer solchen
Lösung führt.

In seinen öffentlichen Äußerungen gibt Kerry nicht zu erkennen, welche
Art Zugeständnisse von Israel zu verlangen seien, damit ein endgültiges
Friedensabkommen mit den Palästinenser erreicht werden kann. Aber er
bejaht die Roadmap, die von den USA und einer Gruppe europäischer Länder
vorgelegt wurde, um beide Seiten auf den Weg zu einem solchen Abkommen zu
bringen. Zum Beispiel hat Kerry vorgeschlagen, die USA solle den
palästinensischen Sicherheitskräften Ausrüstung liefern und
Ausbildungshilfe anbieten, wenn und falls diese sich entschlossen zeigen,
terroristische Gruppen im Westjordanland und im Gaza-Streifen zu
verfolgen.

In vielerlei Hinsicht nimmt Kerry zu Israel und den Palästinensern eine
ganz ähnliche Haltung ein wie Präsident Bush. Beide bestehen darauf, dass
die Palästinenser Jassir Arafat durch eine akzeptable Führungsfigur
ersetzen müssen, und beide erklären, Fortschritt sei erst dann möglich,
wenn die palästinensische Autonomiebehörde die Hamas und andere militante
Gruppen zerschlägt.

Beim Kampf gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen behaupten
die Demokraten, ebenfalls über eine bessere Strategie zu verfügen als die
Republikaner. Am militärischen Konzept der Bush-Administration
kritisieren sie einen doppelten Fehler. Weil sie sich von der
internationalen Gemeinschaft entfremdet habe, die den einseitigen Einsatz
von Gewalt durch die USA missbillige, würden erstens die kooperativen
Bemühungen um die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen
behindert. Zweitens würden dadurch potenzielle Gegner veranlasst, sich
möglichst schnell in den Besitz atomarer, biologischer oder chemischer
Kampfmittel zu bringen, um die USA von einem Angriff abzuhalten.

Die Demokraten würden das von militärischem Denken geprägte Konzept der
Bush-Administration aufgeben und zusammen mit den Verbündeten den
internationalen Handel mit Materialien, Geräten und Know-how zur
Herstellung von Massenvernichtungsmitteln unterbinden. Sandy Berger
versichert: “Eine demokratische Regierung sollte jedes ihr verfügbare
Mittel einsetzen, um eine solche Bedrohung abzuwenden, bevor nur noch der
Einsatz von Gewalt übrig bleibt. Die erste Maßnahme, mit der Washington
den Erwerb von tödlichem Waffenmaterial durch Schurkenstaaten unterbinden
kann, besteht darin, solches Material schon an der Quelle abzufangen.”
Das erfordert insbesondere mehr finanzielle Mittel für die Entsorgung der
überschüssigen Vorräte in der früheren Sowjetunion und höhere
Sicherheitsstandards für die Materialien, die nicht vernichtet werden.
Das entsprechende Programm läuft in den USA unter dem Titel “Cooperative
Threat Reduction”, das nach seinen Initiatoren im Senat auch als
“Nunn-Lugar-Programm” bezeichnet wird.

Ein schärferes Profil wollen die Demokraten auch im Hinblick auf
Nordkorea entwickeln. Sie fordern einen stärkeren Druck auf Pjöngjang, um
das nordkoreanische Atomwaffenprogramm zu stoppen und das vorhandene
nukleare Arsenal abzurüsten. Sandy Berger geht sogar so weit, dem Weißen
Haus Schwäche vorzuwerfen: “Die Regierung hat mit unerklärlicher
Nachsicht reagiert, als Nordkorea sich seine Atombewaffnung
zusammenkaufte und eine rote Ampel nach der anderen überfuhr.”12
Angesichts der Tatsache, dass Nordkorea als einziges Land der Welt
willens und fähig ist, Terroristen mit Atommunition zu versorgen, schlägt
Berger vor, Pjöngjang durch ökonomische und politische Anreize zur
Aufgabe seiner atomaren Ambitionen zu bringen. Wenn die Nordkoreaner dies
ablehnen, solle Washington nach Berger andere Staaten auffordern,
gemeinsam mit den USA zu “Zwangsmaßnahmen” zu greifen.

Im Rahmen ihrer Strategie eines “aufgeklärten Nationalismus” wollen die
Demokraten auch eine andere Energiepolitik betreiben. Sie würden die
Abhängigkeit der USA von Ölimporten reduzieren und damit auch das Risiko
einer künftigen militärischen Einmischung in der Nahostregion vermindern.

So erklärte Kerry im Februar: “Wenn ich Präsident bin, werde ich alles
daransetzen, alternative Treibstoffe und die entsprechenden Fahrzeuge der
Zukunft zu entwickeln – damit dieses Land innerhalb von zehn Jahren vom
Öl des Nahen Ostens unabhängig wird und unsere Söhne und Töchter nicht
mehr für dieses Öl kämpfen und sterben müssen.”13

Dies ist ein sehr ehrgeiziges Vorhaben, und es wird einigen Widerstand
von demokratischen Wählergruppen in Michigan und anderen Bundesstaaten
provozieren, wo eine Menge gut bezahlter Jobs in der Automobilindustrie
auf dem Spiel stehen. Auch gibt es ernsthafte Zweifel, ob der Kongress
jemals ein derart gigantisches Programm zur Entwicklung alternativer
Energien absegnen würde.

Eine größere Energieunabhängigkeit der USA würde auch zu einem anderen
Ziel Kerrys beitragen: dass sich Washington gegenüber der saudischen
Königsfamilie nicht mehr so willfährig verhalten muss. Nach Ansicht der
Demokraten unterhalten einflussreiche Republikaner – besonders in der
unmittelbaren Umgebung der Bush-Dynastie – sehr enge politische und
ökonomische Beziehungen zu den saudischen Herrschern. Deshalb hätten sie
so große Hemmungen, die Saudis dafür zu bestrafen, dass noch immer
Spendenströme an islamistische Wohlfahrtsorganisationen fließen, denen
direkte Beziehungen zu al-Qaida und anderen terroristischen Gruppen
nachgesagt werden. Vor dem Council on Foreign Relations erklärte Kerry im
Dezember 2003: “Die saudische Regierung behauptet heute, sie sei dabei,
das Finanzierungssystem der Terroristen zu zerschlagen, aber das sind nur
Worte, denen keine Taten folgen.”

Kerry zufolge werden die USA die Saudis so lange schonen, wie die USA
von saudischem Erdöl und saudischen Geldanlagen abhängig bleiben: “In
Wirklichkeit ist es so, dass es tiefe und zur Zeit auch unauflösliche
Verflechtungen gibt, eine ökonomische und energiepolitische Abhängigkeit,
die unsere Beziehung mit Saudi-Arabien kompliziert.” Und genau dies
spreche dafür, eine neue Energiepolitik für die USA zu entwickeln.14 Ein
solches Projekt wird vielleicht noch aggressiver durchgesetzt werden
müssen als der Kampf gegen den Terrorismus.

New York Times, 4. Dezember 2002.

Referat vor dem Council on Foreign Relations, New York, 3. Dezember 2003. Die hier zitierten Reden Kerrys sind nachzulesen unter www.johnkerry.com

Auf derselben "Conference on New American Strategies for Security and Peace" ("Neue amerikanische Strategien für Sicherheit und Frieden") vom 28./29. Oktober 2003, von der auch das Zitat von Sandy Berger stammt (siehe Anm. 2).

Ebd.

Lawrence J. Korb, "Six Steps to a Safer America", Center for American Progress, 29. Januar 2004, S. 5.

Ebd.

Kerry am 27. Februar 2004 (siehe Anm. 3).

Berger, "Foreign Policy for a Democratic President", Ausgabe vom Mai/Juni 2004.

Ebd.

Der Beitrag von Susan Rice ist dokumentiert unter www.americanprogress.org

Berger (siehe Anm. 2).

Kerry am 27. Februar 2004 (siehe Anm. 3).

Kerry am 3. Dezember 2003 (siehe Anm. 3).

Published 21 July 2004
Original in English
Translated by Niels Kadritzke

Contributed by Le monde diplomatique © Le monde diplomatique Eurozine

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