Und täglich drückt der Fußballschuh.

Ausgewählte Standardsituationen

Sports and primarily football form a vital bond for much in postmodern society. While urgent social problems are relegated to the bench, football, politics and advertising have beautifully close relationship: politicians shove their way into the team cabins for nowhere else do the feelings of team spirit rise so high. Advertising builds on the language and connotations of the sportswolrd. In their essay, Chlada and Dembowski use analysis and satire to discuss new aspects of the sportification of our society, which they already elaborated in their book “Ball & Birne. Zur Kritik der herrschenden Fußballkultur”.

“Nur allzu gern und aus durchsichtigen Gründen
bürdet die Macht dem Fußball Verantwortung auf,
bringt ihn sogar dazu, die diabolische Rolle dessen zu akzeptieren,
der die Massen verdummt.”
Jean Baudrillard

1. Sport und Spektakel

Dem Mythos vom proletarischen Gekicke zum Trotz: Der Fußball war und ist ein “Gesellschaftsspiel bürgerlicher Mittelschichten” (Christiane Eisenberg), das Fußballfeld war und ist das Feld des autoritären Charakters. Seit seiner Entstehung im Kaiserreich, zeichnet sich der angeblich “gezähmte Fußball” (Dietrich Schulze-Marmeling) in Deutschland bis heute vor allem durch seine ausgeprägte Staatsorientierung aus. Nach Aufhebung des Sozialistengesetzes im Jahr 1890, wurden Spiel und Sport zur Bekämpfung des Sozialismus empfohlen. Die Geschichte von Schalke 04 ist nur das bekannteste Beispiel des konsequenten Übergangs des Vereinsfußballs in die nationalsozialistische Sportpolitik. Heute beklagen Politiker, Pädagogen, Soziologen Werteverfall, Sinnkrise, Orientierungslosigkeit, besonders bei Jugendlichen. Doch in Wirklichkeit ist die Orientierung eindeutig und immer präsent: “Gib alles”, “Sei erfolgreich”, “Bezwinge Dich und die Konkurrenz” lauten die Sportformeln, die längst auch Parteitage (“Jetzt geht´s los!”) erreichen und die Feuilletons füllen. Eingeübt werden sollen “Selbstbehauptung”, “Durchsetzungsvermögen”, “Coolness”. “Dabeisein ist alles”, das Motto des Olympischen Komitees, liefert den für die Gesellschaft notwendigen ideologischen Kitt. Wer nicht “dabeisein”, nicht “mitmachen” will, gilt als Spiel- und Spaßverderber, als “unkonstruktiv” und wird als störendes Element bekämpft. Entsprechend muß, wer “mitregieren” – dabeisein ist eben alles – und “mitgestalten” will, seine “Politikfähigkeit” (d. i. die Anpassung an den herrschenden Zynismus) beweisen, die herrschenden, sportlichen Werte akzeptieren (“Realpolitik”, “Sachzwänge”) und bereit sein, diese “durchzusetzen”. Von der “großen Weigerung” (Herbert Marcuse) ist nicht mal eine kleine geblieben. Die sportifizierten Bilderwelten werden beispielsweise in die Werbung eingeführt, wodurch sich die Vorherrschaft sportlicher Werte verstärkt. Der Fiat Seicentoträgt den Beinamen “Sporting”. Das Auto ist der “athletische Kämpfer”: “bissig, spritzig, aggressiv”. Mit ihm ist man “nicht zu übersehen”. Auch der neue Toyota Avensis ist kein Auto “für irgendwen”, denn im Crashtest zählen nur “knallharte Fakten”. Wer “gnadenlos” vor die Wand gefahren ist, holt sich “zwar Beulen”, doch das ist nicht so schlimm: Hauptsache dabei gewesen. So sagt die Frau auf der Werbewand: “Mein Neuer ist’n echt harter Typ.” Ein Beulentyp: fit for fun.
Nicht erst seit Guildo Horn (“ehrlich”, “gibt alles”, “schindet sich fürs Publikum”, “schwitzt auch mal richtig”) verschwindet das alte Schönheitsideal. Auch Ferrari“rüstet weiter auf”, berichtet die “BILD-Zeitung”. “Schumi” soll “noch schneller” werden. Einziger Nachteil: “Schön schaut’s nicht aus.” Die Zeitung lobt die “ehrliche” Aussage des Teamchefs, und ein Team-Verantwortlicher ergänzt: “Solange wir damit eher Rennen gewinnen können, ist uns das egal.” Verlust der Ästhetik, sich schinden für den Erfolg und, wie schon der frühere Fußball-Nationaltrainer Sepp Herberger sagte, auf dem “Platz lachend umfallen” – das ist die Orientierung auf “knallharte”, “gnadenlose” Zeiten. Und wer es nicht schafft, sich “durchzusetzen”, soll als Zuschauer den “harten” Siegertyp bewundern, wenigstens als Unterstützer dabei sein. Animieren, akklamieren, aufmarschieren: “Der Fan”, so Dieter Bott, “ist der kommende ideale Staatsbürger.” Er bildet die stimmungsvolle Kulissein der “Gesellschaft des Spektakels” (Guy Debord). Unabhängig vom eigenen sportlichen Können, sollen “wir” gewinnen, sollen die Siege der “Unsrigen” (Joseph Fischer) gefeiert werden, sind die Werte der Herrschenden die der Beherrschten: Keineswegs zufällig fand die vielbeschworene “Brechstange”, mit der die deutsche Nationalmannschaft “die anderen knacken” sollte, ihre Entsprechung in der Eisenstange, mit der ein deutscher Hooligan einen französischen Polizisten während der WM ’98 ins Koma schlug. Nach dem frühen Ausscheiden der “Unsrigen” drohte Joseph Fischer: “Wenn ihr Rot-Grün wählt, geht´s mit der Nationalmannschaft wieder aufwärts.” Rot-Grün wurde gewählt. Seither quält sich Fischer als Außenminister weiter realpolitisch die Pfunde runter und warb mit der Bundeswehr im Kosovo schon mal für fair play.

2. Fußballschuh mit eingebautem Lenkrad

“Seit Jahren haben böse Kräfte das Fußballspiel infiltriert: Manchmal in Form von kontrollsüchtigen Managern, die phantasielose Systeme einführen. Abseitsfallen dürfen nicht an die Stelle des individuellen Talents treten. Systeme sollen der Phantasie keine Grenzen setzen. Kontrollsüchtige Manager sollen den Mund halten.”

Achtung! – hier handelt es sich nicht um einleitende Worte einer Faninitiative, die sich das Spiel zurückholen will. Ganz im Gegenteil: es ist Zeit für Werbung. Seitdem ein Werbespot mit dem Dortmunder Fußballprofi Lars Ricken Anzugtypen und VIP-Logen offiziell zum Laster des modernen Fußballs erklärte, setzt der Sportartikelhersteller Nikewieder auf solche Doppelmoral. Wieder will der Aus- und Aufrüster im Namen der Jugend sprechen und das Business kritisieren, welches er selbst entscheidend mit anschiebt. Aus den europäischen Spitzenclubs werden Fußballstars von Oliver Bierhoff bis zum französischen Weltmeister Lilian Thuram in ein sportliches Men in Black-Team beordert, um mit viel Tamtam den verlorenen Ball aufzuspüren.

Tanja Schulz, Mitarbeiterin des adidas-Teams, findet den Spot des Marktkontrahenten “durchaus ganz nett gemacht”, sieht aber den ehrlicheren Anspruch in der eigenen Predator Cup-Tour, die u. a. auf dem Maifeld des Berliner Olympiageländes Halt machte. “Mit 800 teilnehmenden Teams hier in Berlin und den anderen vier Turnieren von München bis Gelsenkirchen ist es das größte Streetsoccer-Turnier der Welt”, freuen sich die PR-Manager, denn die Tragweite macht´s. So rühmen sich die Sportartikelhersteller, daß es sich um “die größte Offensive im deutschen Nachwuchsfußball” handelt, die ja seit dem Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft bei der WM ´98, besonders nach den aktuellen Pleiten, so dringend nötig erscheint.
Deshalb findet der DFB das Engagement seiner Hausmarke auch ganz toll und erlaubte als Schirmherr, daß der Berliner adidas-Predator Cupim werbewirksamen Schatten des Pokalfinales stattfinden durfte. Im Gegenzug konnten die Altstars Karl-Heinz Rummenigge und Uwe Seeler 4000 Aktive aus dem gesamten Bundesgebiet und 30000 erwartete Flaneure auf die WM 2006 in Deutschland einschwören, die genau den Kommerz toppen würde, den die aktuellen Werbestrategien angeblich bändigen wollen: “Wir machen das für euch.”

Abgesehen von großen Worten fuhr der DFB auf dieser Veranstaltung allerdings kaum etwas auf. Vier 2006-Werbebanden wurden zu einem Quadrat aufgebaut und begrifflich überladen als “Jonglier-Modul” verkauft. Dabei sollten die Kids hier einfach nur den Ball jonglieren, um Trikots und Eintrittskarten für das nächste Freundschaftsspiel des nationalen Gerippes zu gewinnen. Symptomatisch für die Lage im DFB-“Fußball-Land” herrschte an diesem Stand gähnende Leere.

Das Hauptanliegen der Werbeaktion im modernen Kleinfeld-Turniergewand ereignete sich auf 56 Plätzen, wo sich Kids von F- bis A-Jugend den ganzen Tag die pralle Sonne auf den Kopf knallen ließen. Mit ihnen ihre knapp beschürzten, aber sehr stolzen Eltern, die zum Glück daran gedacht hatten, ihre Kühltaschen zu füllen. Ansonsten wären ihre Schützlinge auf das heutige Monopol eines Energydrink-Anbieter angewiesen. “Dazu könnt ihr Snickers essen, bis ihr umfallt”, verkündete ran-ModeratorLou Richter auf seiner Bretterbühne. Die Schokoriegelfirma brachte auch ihren aufblasbaren “Action Park” mit, in dem die Kids nebenbei ihre Zielwasser- und Kopfballfähigkeiten testen konnten. Das ganze “Mega-Event” war eingerahmt von Werbebanden und Promotion-Aktionen.

Tanja Schulz spricht aus, um welch ehrenrühriges Treiben es sich hier angeblich dreht: “Uns geht es nur um den Spaß, die Leistungsorientierung steht nicht im Vordergrund”. Da sieht der nationalmannschaftsdienliche Patenonkel Jens Jeremies gern hin, um zu sehen, “wie schon die Kleinsten Fußball leben”. Endlich soll sich mal nicht alles um den Erfolg mit dem Ellenbogen und Leistung um jeden Preis drehen. Da ist sich adidaswieder mit Nikeeinig: “Jede Menge Fun” und “coole Sprüche”.

Doch Fun ist noch immer ein “Stahlbad” (Theodor W. Adorno). Über die Spaßschiene wollen adidas& Co die Kinder im Zeichen ihres Predator-Fußballschuhs mit eingebautem Lenkrad weiter auf Konsum trimmen. Was auf den ersten Blick so aussieht wie die Aufwertung des Hinterhoffußballs, wo abseits von Teamtaktiken wieder “Platz für Innovation” (adidas) geschaffen würde, ist nichts weiter als das Einstimmen auf einen gnadenlos kommerzialisierten Fußball mit integrierten Einkaufsstraßen und kaufanregender Erlebniswelt. Hier wird die Spektakel-Gesellschaft angekurbelt, in der nichts als die sich für sich selbst entwickelnde Wirtschaft durch ihr “Monopol des Scheins” (Guy Debord) interessiert. Ein solches Streetsoccerevent ist ein vortreffliches Beispiel für die Funktion des Spektakels, welches sich als sich als eine ungeheure, unbestreitbare und unerreichbare Positivität darstellt. Es sagt nichts mehr als: “Was erscheint, das ist gut; und was gut ist, das erscheint.” Die durch das Spektakel prinzipiell geforderte Haltung ist die passive Hinnahme, die es schon durch seine Art, unwiderlegbar zu erscheinen, faktisch erwirkt hat. “Das Spektakel unterjocht sich die lebendigen Menschen, insofern die Wirtschaft sie gänzlich unterjocht hat”, so Guy Debord. “Es ist der getreue Widerschein der Produktion der Dinge und die ungetreue Vergegenständlichung der Produzenten.”

Immer wenn jemand auf das Streetsoccer-Tor zielt, zielt er gleichzeitig in die Richtung von dreistreifigen Werbesymbolen, die gut sichtbar über den Torlatten befestigt sind. Dazu kommt ein sogenannter “Traxion-Parcours”, wo jedes Team zusätzliche Punkte sammeln kann, indem eine gesichtslose Freistoßwand überzirkelt und ein Slalomparcours mit lebensgroßen Fußballstars aus Pappe umkurvt werden soll. Hier wird Starkult etabliert und einhämmernd mit Produktpaletten verknüpft, das Posing der “Fußballstars von morgen” (adidas& Sport Bild) verstärkt. Darüber trösten auch lustige Teamnamen wie “FC Barfuß hau in Sand”, “Verfolgte der Pädagogen der ehemaligen Hauptstadt der DDR” oder “Aktivist Schwarze Pumpe” nur kurz hinweg. Denn gleich geht es doch wieder nur um Rekorde, wenn lauthals aus den Boxen dröhnt, daß das Team “Teletubbies” mit 29:1 gegen “The Tigers” gewonnen habe. Ohne behaupten zu wollen, früher wäre alles besser gewesen, wünscht man sich bei einer solchen Veranstaltung unweigerlich zurück in den Hinterhof, der mit “drei Ecken ein Elfer” und ständig wechselnder Teamzugehörigkeit ungleich sympathischer erscheint.

“Ich hasse nicht den Fußball. Ich hasse die Fußballfans.”
Umberto Eco

3. Der Fan unter der männlichen Lupe

Leider erwies sich auch so mancher Hinterhof in der Vergangenheit als Keimzelle des männlichen Härteideals, wo ein Urkommunismus des Fußballs nicht funktionierte. “Die Türken und die Mädchen dürfen aber nicht mitspielen” erinnert sich beispielsweise die Lüdenscheider Hip-Hop-Band Anarchist Academy an ihre Kindheit.

Auf die Bedeutung von historisch bzw. gesellschaftlich dominanter Männlichkeit weist Wilhelm Heitmeyer im zu kurzen Exkurs “Männlichkeitsnormen und Körperlicheit” bei Fußballfans bereits 1988 hin, ohne diesen Aspekt allerdings nachhaltig zu vertiefen. Zu kritisieren ist dabei, daß in seinen empirischen Untersuchun-gen die Bedeutung der Sexualität heranwachsender Jungen und jungerwachsener Männer vollends ausgespart bleibt. Zu beachten wäre explizit das maskuline Syndrom, das eine Funktionalisierung des Körpers zur Leistungsmaschine herausstellt, wonach der “entlebendigte, körperlose Mann” (Michael Schenk) zurückbleibt. Dies bezieht ein, daß “auch kleine heranwachsende Jungen von der gesellschaftlichen Männergewalt erst einmal vergewaltigt werden müssen, bis sie als Vergewaltigermänner funktionieren, die sie später, meistens, sind”. Übertragen auf die Stadionrealität passiert die Sozialisation mit dem Fußball als Zuschauersport in den meisten Fällen “an der Hand des Vaters” respektive durch eine andere männliche Bezugsperson oder Gruppe.

Klaus Theweleit sieht den männlichen Körper im Verlaufe seiner Sozialisation zerstückelt, wenn er sagt: “Der individuelle Körper, der teilanästhesierte Körper, der institutionelle Körper leben im Männerleib unintegriert nebeneinander, übergangslos, umschaltbar eben.” Ob im Sport, bei den Rotariern, im Wissenschaftsclub, im Versicherungsbüro, beim Unternehmer, im Journalisten, im Lehrer: der andauernde “Macho” sei ein “institutionelles Gestenrepertoire mit Umschaltvorrichtung”. Im Umfeld von Fußballspielen erfolgt demnach eine institutionelle Umschaltung auf die Männertypen, die wir samstäglich dann in den Stadien beobachten können. Es handelt sich um “auffällige”, von der Sozialarbeit zunehmend zu Härtefallgruppen degradierte junge Männer, die den Fußball als Ventil benutzen, wie andere den Karneval als gesellschaftlich anerkanntes “Über-die-Stränge-schlagen”. Dies ist zu betrachten im Kontext des manipulierten Publikumsaustauschs in den Stadien, hin zur gesteigerten Salonfähigkeit des Fußballs sowie neuer Zielgruppen der zu Wirtschaftsunternehmen mutierten Vereine.

Der ideologische Rückversicherer der bürgerlichen Mittelschicht Ulrich Beck behandelt im Rahmen seiner Gesellschaftsanalyse in keinster Weise die Funktion des Sports und nur sehr am Rande die Probleme, die während der Entwicklung eines jungen Mannes von zentraler Bedeutung sind. Sehr wohl finden Jugendliche auf der Identitätssuche Orientierungen, die das kapitalistische Konkurrenzprinzip und transportierten Mannsbilder suggerieren – auch durch den Sport abgebildet und von den Medien verstärkt. Auf dem Fußballrasen wie auf den Rängen wird ein sehr eindeutiges männliches Ideal vorgelebt. Untersuchungen zum autoritären Charakter (Theodor W. Adorno, Erich Fromm u. a.), welche die Individuen als verformt vor allem durch die autoritäre Beschaffenheit des Staates und der kapitalistischen Gesellschaft verstehen, liefern für die einseitig männlich geprägten Fußballfanszenen als “Folie der Gesellschaft” (Gunter A. Pilz) tiefer greifende Deutungsansätze. Indem der “passive-autoritäre” bzw. “masochistische Charakter” (Erich Fromm) sich unterwirft, um ein bestätigendes Element einer “höheren” Institution zu werden, will er die “Furcht vor der Freiheit”, die Furcht vor Verantwortung und eigenen Entscheidungen vermeiden. Den “aktiv-autoritären” bzw. “sadistischen Charakter” kennzeichnet ebenso seine innere Schwäche, Minderwertigkeit und ein Gefühl persönlicher Isolation. Jedoch übertüncht er diese in einer Art “Flucht nach vorn” durch ein aktives Handlungsmuster, in dem er andere Menschen kontrolliert und beherrscht. Er braucht den Beherrschten ebenso sehr wie dieser ihn; der einzige Unterschied liegt in der Illusion, daß der Herrscher der unabhängige und der Gefolgsame der Abhängige sei. Sie brauchen und ergänzen sich beide. “Die Tatsache”, so Erich Fromm, “daß beide Formen der autoritären Persönlichkeit auf eine letzte gemeinsame Tatsache zurückgehen, die symbiotische Tendenz, macht auch verständlich, warum man in so vielen autoritären Persönlichkeiten sowohl die sadistische wie die masochistische Komponente antrifft; gewöhnlich sind nur die Objekte verschieden. Wir alle kennen den Haustyrannen, der Frau und Kinder sadistisch behandelt, der aber im Büro seinem Chef gegenüber der unterwürfige Angestellte ist.” Umgangssprachlich ist der autoritäre Charakter als “Spießer” und “Radfahrer” bekannt, der nach oben buckelt und nach unten tritt. Seine uneingelösten und bei sich selber nicht eingestandenen aggressiven und sexuellen Wünsche und Regungen projiziert dieser auf “Sündenböcke”, an denen er kritisiert, verfolgt und bekämpft, was er bei sich selber verurteilt und womit er nicht klarkommt. Der Fußballsport liefert durch sein Identitätsangebot und starres Regelwerk mit Befehl, Gehorsam und Bestrafung ein Präsentationsfeld für konventionelle, patriarchale Wertvorstellungen und autoritäre Charaktere. Durch das ihm zugrunde liegende männliche Weltbild verstärkt er autoritäre Charakterstrukturen, Nationalismus, Rassismus, Gewalt, Identitätsdenken, Chauvinismus, Sexismus.

“Auch wenn kein Zweifel besteht”, so der Erfolgsautor Nick Hornby, “daß Sex eine nettere Beschäftigung als der Besuch von Fußballstadien ist (keine 0:0-Unentschieden, keine Abseitsfalle, keine Pokalüberraschungen und dirist warm), sind die Gefühle, die er bei üblichem Ablauf der Dinge erzeugt, einfach nicht so intensiv wie die, die das einmalige Erlebnis eines in der letzten Minute erzielten und für die Erringung der Meisterschaft entscheidenden Tores hervorruft.” Der diesen Schwachsinn schrieb, verliebte sich laut Selbstauskunft in den Fußball, wie er sich später in Frauen verlieben sollte, “unerklärlich, unkritisch und ohne einen Gedanken an den Schmerz und die Zerrissenheit zu verschwenden, die damit verbunden sein würden” und wurde durch sein Buch “Ballfieber”, das “letztlich” davon handle, “wie es ist, Fan zu sein” und einen Blick auf Hornbys “Besessenheit” zu werfen verspricht, zum Kultautor. Das Buch sei zum Teil auch eine Erforschung der Bedeutungen, die Fußball für “uns” zu enthalten scheint. Es sei ihm “ziemlich deutlich geworden”, daß seine “Hingabe” so manches über des Autors Charakter und seiner persönlichen Geschichte aussage, doch biete die Art, wie das Spiel aufgenommen wird, auch allerlei Informationen über die Gesellschaft. Hornbys “Hingabe” bringt ihn dazu, “das Elend, das der Fußball bietet, zu genießen.” Beschrieben wird der Fan als Opfer seiner Leidenschaft, um eine “Rechtfertigung” zu liefern, “die man von einem Mann erwarten kann, der einen großen Teil seiner Freizeit damit verbracht hat, sich in der Kälte erbärmlich aufzuregen.” Bereits in seiner Einführung möchte Hornby die Gelegenheit ergreifen, sich bei all denen zu entschuldigen, die sich seine “pathetisch überspannten Analogien anhören mußten”, denn auch er akzeptiere nun, daß Fußball keine Relevanz für den Falklandkonflikt, die Rushdie-Affäre, den Golfkrieg, die Geburt von Kindern, die Ozonschicht, die Kopfsteuern usw. besitze.

Wurden Kritiker, die den Masochismus des Fans betonten, bisher müde belächelt, so ist es mittlerweile Mode geworden, sich auf dessen devoten Charakter zu berufen, um zu sagen: Seht her! Wir leiden und könne nichts dafür. In Hornbys Worten: “Also seid bitte denen gegenüber tolerant, die einen Augenblick im Sport als ihren schönsten Augenblick überhaupt beschreiben.” Aufgabe einer kritischen Theorie des Fußballs wäre es, den Fan als Täter zu entlarven. Ein in der Gesellschaft des Spektakels schwieriges Unterfangen.

“Sport macht Spaß,
aber Spaß ist das Gegenteil von emanzipierter Lust.”
Dieter Bott

4. Fußball ist sexy

Die Aufgabe des Stürmers dagegen läßt sich viel leichter umreißen. Hier handelt es sich um das Abbild des regredierten, durchschnittlich-männlichen Sexualverhaltens. Ergo: der Stürmer hat nichts anderes zu tun, als das runde Leder ins Tor zu mogeln. Kopfball-Hüne Horst Hrubesch, selbst eine “phallische Gesamterscheinung” (Thomas Ernst), faßte seinen Job kurz und präzise zusammen mit den Worten: “Drin ist drin – egal wie.” Im Klartext: Außer der ewigen Sehnsucht, “das Ding reinzumachen” (Edgar “Euro-Eddy” Schmitt, Ex-Fußballer Karlsruher SC), bleibt dem “Haufen Fußballspieler” (Gilles Deleuze/Félix Guattari), den sogenannten “Spitzen”, nicht viel Freude in den “Stadien auf des Lebens Weg” (Sören Kierkegaard) – Sublimierung sucks. Doch bei aller Gefahr, die diese sexuellen Angreifer mit sich bringen: ohne Stürmer wäre Fußball langweilig. Oder, wie der Bremer Angreifer Bruno Labbadia treffend formulierte: “Das darf man nicht zu sehr hochsterilisieren.”
Dennoch widmete der Playboy seine Juni-Ausgabe 1998 der Fußball-WM. Klar: “Alles, was Männern Spaß macht”, ist des Spielbuben Motto.

Interessante Dinge waren da zu lesen. Zum Beispiel, daß Marcel Reif “nicht nur der beliebteste Sportmoderator, sondern auch ein Mann mit Platzreife” sei und Oliver Bierhoff “ein Mann für jede Torart”. Hört, hört! Ebenso geistreich: der Vergleich zwischen “Super-Mario” und “Super-Mario”, d. h. Telespielklempner und Fußballer. Beide, so weiß der Playboyzu berichten, haben Feinde: der eine fürchte sich vor King Kobra (“Tyrann des Schildkrötenlandes”), der andere vor Kaiser Franz (“Tyrann des Trainingsgeländes”). Auch den Fans des MSV Duisburg wurde es besorgt. Endlich durften sie erfahren, was ihr damaliger Publikumsliebling Joachim Hopp jenseits der kultivierten Balltreterei noch alles treibt. Er habe damit begonnen, sich als DJ einen Namen zu machen, dröhnt es wichtig zwischen den Möpsen hervor. Am häufigsten lege der ehemalige Stahlkocher im Essener “Fink” auf (Danke für die Warnung!). Auf die Frage, warum so viele Profikicker auf Pur, Pavarotti oder Phil Collins stehen, antwortete Hopp: “Weil sie keine Jugend hatten. Die waren so früh auf Fußball fixiert, daß sie kaum ausgegangen sind. Und deshalb wissen sie schon Jahren nicht mehr, was läuft. Als ich am Hochofen gearbeitet habe, bin ich regelmäßig abends unterwegs gewesen. So habe ich mich musikalisch weiterentwickelt.” Kurz: Der Pott popt.

Präsentiert wurde außerdem u. a. der Pop-Art-Künstler Mel Ramos. Er malte die angeblich “laszive Seite der Weltmeisterschaft”: eine nackende Blondine auf ‘nem Ball. Doch Ramos ist nicht nur ein talentierter, nein, er ist auch ein schön blöder Künstler: “Feminismus setzt er gleich mit Kommunismus: eine schlechte Idee, deren Zeit abgelaufen ist.”

Ein weiterer Beitrag zur Fußballphilosophie stammt aus der Feder von Tony Parsons. Die “neue weibliche Fußballverrücktheit” hält er für genauso schlimm wie “die alte weibliche Fußballignoranz”. Er trauert den guten, freilich nunmehr verlorenen Tagen nach, als er an der Hand des Vaters im Stadion stand, erzählt ungeniert, wie schön es doch früher ohne die Weiber war, undsoweiterundsoweiter, und jetzt alles von den bösen Frauen kaputt gemacht wird. “Der Fußball heutzutage”, so Herr Parsons, “ist etwa so männlich dominiert wie der Sommerschlußverkauf”. Er, Tony, habe noch nie ein Weib mit ins Stadion genommen: “Ich bin halt ein altmodischer Kerl”, sagt das Arschloch: “Mann trifft Frau, Mann verliebt sich in Frau, Mann streitet sich mit Frau über Qualifikationsspiel. So wollte es der liebe Gott.” Amen. Wirklich schön war aber dann doch noch was: ein Gedicht von Berti “Wir dürfen nicht deutsch, wir müssen intelligent spielen” Vogts. Es trägt den Titel “Für meinen kleinen Sohn Justin” und geht so:

“Dein Gesicht strahlt
soviel Ehrlichkeit aus –
ich streichle dich –
unendlich zart
ist deine Haut.
Dein Stupsnäschen liebe
ich besonders an dir,
ich kann’s noch
nicht glauben –
dieser Mensch gehört mir!
In meiner liegt
deine weiche Hand
und verbindet uns
wie ein fester Band.
Ich versprech’ dir,
ich lasse dich niemals los –
schlaf gut, träum süß,
meine Liebe ist groß
zu dir, mein Schatz,
mein Sausewind,
schlaf gut, träum süß,
mein braves Kind.”

So liebevoll geschmacklos bedichtete der ehemalige Bundestrainer seinen “Sausewind”. Mögen Vogts Nachfolger für reichlich Nachwuchs sorgen. Er selbst mußte sich nach der vergeigten WM 1998 in Frankreich nicht mehr mit der deutschen Nationalmannschaft rumärgern. Das sollten von da an andere besorgen.

5. Horst Hrubesch: Der “Schmucklose Exekutor” neben “Versager” Ribbeck

Kaum war Fußball-Bundestrainer Uli Stielike kurz vor der Euro 2000 gegangen worden, schon tauchte ein Mann mit dem Beinamen “Kopfball-Ungeheuer” im Bug der übel schwankenden Ribbeck-Galeere auf: Horst Hrubesch. Bei der WM 1982 in Spanien erlöste er Stielike schon einmal von seinen Leiden. Im Elfmeterschießen gegen Frankreich war Stielike mitsamt seinem Seehundschnäuzer weinend in die Knie gegangen, weil er versemmelt hatte. Torwart Schumacher hielt noch zwei Schüsse, und dann kam der “schmucklose Exekutor” (Norbert Seitz) vom Hamburger SV. Keinem anderen Schützen sah man an diesem Tag diese Entschlossenheit an, mit der Hrubesch zum Punkt eilte, den Ball nicht einmal mehr zurechtlegte, sondern straightin die Maschen drosch.

So einfach und vorhersehbar gestrickt funktionierte der gelernte Dachdecker Hrubesch schon immer, auch in seiner Medienversiertheit: “Manni Bananenflanke, ich Kopf, Tor”, beschrieb der heute 49-Jährige gebürtige Hammer, Westfale, einmal einen seiner Kopfball-Hämmer. Nach diesem Muster erzielte er in den Achtzigern 96 Tore für den HSV und muß dort wohl oder übel in einem Atemzug mit Uwe Seeler genannt werden. Keiner eröffnet wie er Gespräche heute so perfekt und oft mit der Fußballerfloskel “Ja, gut…”, bevor sich ein verbales Vakuum über den geduldig harrenden, weil zwangsverpflichtet Zuhörenden, ergießt. Der große Blonde mit dem harten Kopf besticht durch kristallinkarge Satzstruktur und dürfte wohl nicht so schnell beim Gerippepfleger Ribbeck anecken. Bis heute ist nicht abschließend festzustellen, was in seinem Schädel vorgeht, wenn er ihn mal nicht hinhält. Nur vermuten läßt es eine Bemerkung, die der Autor Andreas Golm einmal treffsicher formulierte: “Bei jedem Kopfball sterben 1052 Gehirnzellen. Jeder wußte, was das für Horst bedeutete.” Aber was sollte Hrubesch auch noch groß sagen, vorschlagen, anregen? Als er am 26. Mai zum Matthäus-Abschiedsspiel seinen Dienst als DFB-Assistenztrainer antrat, waren es nur noch 18 Tage bis zum ersten Auftritt des deutschen Nationalteams bei der Euro 2000 in den Niederlanden und Belgien.

Der ungelenke Hrubesch ist eine Galionsfigur der legendären deutschen Tugenden, die dem DFB-Team, laut Günter Netzer, in der Vorbereitung zur großen “Schande” (BILD) so fehlten. Erlernt hat er sie, wie so viele Deutsche, von einem Österreicher, nämlich dem Schleifer Ernst Happel: “Man kann von ihm lernen, wie man knallhart einen Kurs konsequent durchzieht, ohne sich von irgend etwas irritieren zu lassen.” Während Uli Stielike mit zu viel eigenen taktischen Vorstellungen aneckte, konnte Hrubesch einfach unbeschwert auf der Bank Platz nehmen und beobachten, was das Zeug hält. Seine Taktik ist schließlich schlicht und deshalb jedem bekannt, niemand würde ihr je widersprechen: “Wenn wir alle schlagen, können wir es schaffen.” Hrubesch, der als Coach der künstlich beatmeten A2-Nationalmannschaft keinen einzigen Sieg feiern konnte, war bereit, das Gewicht auf der wackligen Bank wieder auszugleichen, obwohl sein Vorgänger Stielike ihm erklärte: “Wer will diesen Job denn noch machen? Als Bundestrainer bist du doch nur der Fußabtreter der Nation”.

Mit Erich Ribbeck ist nach dem Ausscheiden der deutschen Elf auch sein Knappe Horst wieder in den grauen Alltag zurückgekehrt und gibt seine gewonnenen Erfahrungen wieder als unbeachteter DFB-Fußballlehrer weiter. Irgendwann aber wird Hottes Stunde wieder schlagen und jemand wird ihn auf die Trainerbank eines großen Clubs transferieren. Wie das baumlange Nordlicht mit dem Gunter-Gabriel-Antlitz auf eine weitere Beförderung reagieren würde, ist bekannt: “Ich sage nur ein Wort: Vielen Dank.”

“Fußball mag ein durchaus passendes Spiel
für harte Mädchen sein,
als Spiel für feinsinnige Knaben
ist er wohl kaum geeignet.”
Oscar Wilde

6. Im Fußballschuh des Unparteiischen

Die Unparteiischen genügen oftmals als Sündenböcke. Auch Horst Hrubesch ging mitunter nicht zimperlich mit ihnen um. “Schieber”, “Pfeifenheinis”, “schwarze Säue” – Fußballschiedsrichter gelangen vor allem in Schlagzeilen und Fanpoesie, wenn sie jemanden verpfiffen haben und ran-Rhabarberer nach dem dritten ansehen der Super-Slowmotion zur Steinigung aufrüsten. Im Kreis der aktiven Balltreter gelten sie oftmals als verhinderte Fußballer, die sich im zweiten Leben als ungeliebte Referees an ihnen rächen, weil die Trainerzunft sie seit der C-Jugend nicht mehr in ihren Aufstellungen berücksichtigt hat.

Wie könnte aber eine Liebe zu den Rasensheriffs aussehen, die mit so viel Hingabe an die Beschimpfung in sado-masochistischer Manier “Befriedigung im Abstrafen” (Rainer Moritz) finden und doch so unvermeidlich für das Spiel sind? Geschaffen für die Rolle des perfekten Schiedsrichters könnte der “telling name” Gotthard Dikty die Erfindung eines Romanautors sein. Doch es gibt ihn wirklich und sein Buch hat er mit dem Namen des schon vor zwei Jahrzehnten abgenudelten “Schiri: Telefon!” getauft.

Dort offenbart sich seine fragwürdige “Liebe zu den Schiedsrichtern”, die der rheinische Referee-Jäger Gotthard Dikty entdeckte, nachdem er aus gesundheitlichen Gründen Abschied vom aktiven Fußballsport und der Pfeiferei nehmen mußte. Im Extremfall äußert sich diese seltene Passion als liebenswürdige “Turnhosenschnüffelei” (Wiglaf Droste), wenn er “mächtig stolz” darauf ist, daß Schiris ihm Trikots, Hosen, Stutzen und Schuhe als Souvenirs im Geschenkpaket schicken. Dikty zieht sogar ein Gerichtsurteil heran, um die längst vorliegende Gesetzmäßigkeit seiner Überzeugung zu untermauern. Denn einst verfügte ein Jurist, daß ohne Kickrichter “Mannschaftsspiele, Sportveranstaltungen überhaupt und das Zusammenleben der Menschen im übrigen nicht zu regeln” wären. Das hat gesessen und nun will der kartengläubige Dikty nicht mehr nur als wandelndes Schiri-Lexikon über die Spielfelder hotten. Laut DFB-Präsident Egidius Braun möchte er dazu beitragen, daß “viele Fußballinteressierte ihr bisheriges Bild” vom ehemaligen Schwarzkittel korrigieren. Für diese ehrenvolle Aufgabe konnte Dikty eine Reihe namhafter Pfeifenträger gewinnen, die in Interviews ihre erinnerungswürdigsten Erlebnisse schildern und in eigenen Beiträgen ihr Freud und Leid im Spielleitermilieu nachzeichnen. Von Flaschenwürfen, Ball vor die Birne, einer Rolle rückwärts mit Zahnverlust, Morddrohungen bis zur Sauforgie in Dneprpetrowsk ist alles dabei.

Georg Dardenne z. B. pfiff einst ein Spiel auf den Faröer Inseln. Dieses Unternehmen geriet regelrecht zum Inselhopping, weil sich Flughafen, Hotel und Stadion jeweils auf drei verschiedenen Eiländern befanden. Auch der Verschleiß des runden Spielgeräts war groß, “weil bei starken Schüssen der Ball in den Atlantik flog und dort zum Spielball der Wellen wurde.”
Zwar behalten die Referees den Besenstiel im steifgemachten Kreuz und verweilen oftmals in preußischer Spielberichtssprache, genügen aber, um “den Schiedsrichter als Mensch herauszustellen”. Dabei erfahren die Lesenden, daß der Kaiserslauterner Markus Merk entgegen der christlich-demokratischen Rüttgers-Kampagne “Kinder statt Inder”, eher Zähne für Inder fordert und deshalb auch schon mal aufopfernd einen Urlaub hergibt, um bis zu 2000 schmerzverzerrte Münder von ihrem Zahnleiden zu befreien. Sehr rühmlich, trotzdem darf niemand jemals auf die Idee kommen, mit einer Hörbuchfassung von “Schiri: Telefon!”, gelesen vom stets stimmbruchgefiepsten Herrn Merk, die Fachwelt zu martern. Auch die steigenden Spielergehälter und den gnadenlosen Kommerz kritisieren die Schiedsrichter. Ihre Arbeit wird dabei besonders seit Ende der 1980er durch viele verdeckte Fouls und Schwalben erschwert. “Die Rücksichtslosigkeit hat Hochkonjunktur”, sagt Manfred Amerell – und Eugen Strigel, mittlerweile Vorsitzender des DFB-Schiedsrichter-Lehrstabs, ergänzt zum Videobeweis: “Wer die absolute Gerechtigkeit will, kann nicht Fußball spielen.”

Strigel verantwortet auch die Schiri-Rhetorikkurse, die seinen Kollegen bei der zunehmenden Konfrontation mit Live-Interviews helfen sollen. Was dabei herauskommt, zeigt wiederum Pfeifenkopp Amerell: “Diesen Schwachsinn mit dem Fingerspitzengefühl kann ich nicht mehr hören. Fingerspitzengefühl brauche ich nur bei meiner Frau.” Wolf-Dieter Ahlenfelder hing der DFB einen zu tiefen Blick in die Flasche an und versagte ihm die Teilnahme an FIFA-Turnieren, obwohl Fachleute in ihm einen der Besten sahen. Als er die Pfeife an den abgedroschenen Nagel hing, zeigte sich “der bunte Vogel” nicht um eine Antwort verlegen: “Diese Erbsenzähler vom DFB haben mir das schönste Hobby vermiest.”

Im Buchladenregal lassen die Geschichten von Schiedsrichtern den ersten Blick vielleicht schnell weiterschweifen. Doch Gotthard Dikty hat mit “Schiri: Telefon!” einen erweiternden Fundus von Fußballerfahrungen offengelegt. Der fällt zwar nicht den prominentenfixierten TV-Kameras mit ihren Nachweisen von Ottmar Hitzfelds Kragenschmalz und Lothar Matthäus’ Kleiderschrank anheim, offenbart aber eine bislang noch nicht gekannte Verbeugung vor der Autorität der richtenden Pfeifen. Dem legendenumrankten Reichs- und Bundestrainer Sepp Herberger wäre so was nicht zuzutrauen gewesen, den er war davon überzeugt, “daß niemand in Deutschland so viel vom Fußball ersteht wie ich.”

“Kurzum: Der Sport, einst aus wirklichen Spielen
des Volkes hervorgegangen, vom Volk geschaffen,
kehrt nun – analog zur folk music – zum Volk zurück in Gestalt
des fürs Volk geschaffenen Spektakels.”
Pierre Bourdieu

7. Herberger meets Postmoderne

Jedem Fußballfan fällt auf Anhieb mindestens ein Spruch von Sepp Herberger ein, wenn gerade ein begnadetes Urteil gesucht wird. Stets tauchen seine tautologischen Formeln in aktuellen Zustandsbeschreibungen auf , denn immerwährend ist nach dem Spiel vor dem Spiel, weil das nächste Spiel immer das schwerste ist und neunzig Minuten dauert. Kurz: “Fußball wird bleiben, so wie er ist” (Josef Herberger). Die Sprüche des Mannes, der zeitlebens unter der bayerischen Koseform “Sepp” zu leiden hatte, obwohl er auf dem mannheimerischen “Seppl” bestand, gelten noch heute als erste Medienfibel trainerischer ABC-Schützen. In Stein gemeißelt wirken Modernisierungen da eher schief: “Der Ball ist rund. Wäre er eckig, wäre er ja ein Würfel” (Trainer Gyula Lorant). Und auch die Zitatflut der heutigen dpa-Ticker und “Sat.1”-Häscher kann das kryptische Urwerk des in vier Jahrzehnten wirkenden Trainers irgendwie nicht überschatten. Klarer Fall: Herberger war vielleicht der erste deutsche Trainerpopstar. Sicher, es gab in den Fünfzigern auch andere Fußballehrer, die wie Herrmann Lindemann mit Sprüchen à la “Umögliches wird sofort erledigt, Wunder dauern etwas länger” oder “Erst das Fundament, dann die Spezialitäten” glänzten. Historischer Tribut gezollt wird aber vor allem dem Herberger, der als “der liebe Gott” (Franz Beckenbauer, “Kaiser”) die fußballerische Transzendenz komplettiert. So sehr die Weisheiten zu dieser Zeit auch im Raume umhergeisterten und von vielen Trainerkollegen praktiziert wurden, brachte Herberger sie für viele am wirksamsten auf den Punkt. Die situativ meistens funktionierenden “Argumente” lassen in der nackten Aufzählung den großen Seppl als Phrasenschüttler dastehen, der sich prä-breitnerisch auch aus anderen als der DFB-Bücherei bediente: “Mao hat ein Buch über Taktik geschrieben, das hat natürlich nichts mit meiner politischen Einstellung zu tun, wenn ich Mao lese.”

So gern in Analysen schlechtwisserischer TV-Moderatoren lückenbüßerisch verwandt und auch unwissenderen Fußballflaneuren verständlich, entziehen sich Seppls Weisheiten zur Rolle der Frau und seine Pauschalisierungen zu ausländischen Fußballern dieser Unbeschwertheit. Ganz im Gegenteil werfen sie ihn schnell wieder auf seine mitläuferische Verortung und die gesellschaftliche Adaption seiner Zeiten zurück.

Lob sei denjenigen zugesprochen, die nicht immer wieder das überhöhen, was mittlerweile wirklich zur Genüge ausgetreten wurde: die Schaumschlägerei über den WM-Sieg der DFB-Elf in Bern 1954. Unsäglicherweise holen einlullende Zeitzeugen und DFB-schuhleckende Chronisten immer wieder die Geschichten von “Aus dem Hintergrund müßte Rahn schießen” und “Toni – du bist ein Fußballgott” aus der Mottenkiste, bei denen sich rechtskonservative Populisten und sozialromantische Altlinke scheinbar ideologieübergreifend die Hand reichen. Damals nicht existente Zweifler werden mit den Kanon gewordenen Worten zurückgedrängt: “Ihr könnt ja nicht wirklich mitreden, ihr wart nicht dabei.”

Schwammige Literarisierungen bringen den Trainer in Verbindung mit der Philosophie Nietzsches und Heideggers. Vereinnahmend verharmlost auch der Herberger-Biograph Jürgen Leinemann seinen Schützling: “Im Grunde war Herberger schon, was heute postmodern heißt.” Allein daß Herberger über ein “historisches Arsenal” von Versatzstücken aus Personen, Szenen, Zitaten und Anekdoten verfügte, “die er zum persönlichen Gebrauch so inszenierte, wie es ihm paßte”, soll ihn laut Leinemann zur Galionsfigur der Postmoderne hobeln. Aber Schluß jetzt, denn eines ist klar: Herberger wären all diese Diskurse ziemlich egal gewesen. “Wenn ich den Spielern wissenschaftlich-theoretisch gekommen wäre, dann hätten sie auf dem Spielfeld garantiert das meiste falsch gemacht.” Er war eben “ein richtiger Guck-in-die-Welt” (der Herberger Seppl über sich selbst) und hätte deshalb nur anti-intellektuell abgewunken: “Vor der Wissenschaft ziehe ich meinen schlampigen Hut.”

Literatur

Bott, Dieter/Chlada, Marvin/Dembowski, Gerd: Ball & Birne. Zur Kritik der herrschenden Fußballkultur. Hamburg 1998.
Chlada, Marvin: Also sprach Sepp Herberger. Eine Fußballfibel. Adelshofen 1999.

Debord, Guy: Die Gesellschaft des Spektakels. Hamburg 1978.

Dikty, Gotthard: Schiri: Telefon! St. Augustin 1999.

Eisenberg, Christiane (Hrsg.): Fußball, soccer, calcio. Ein englischer Sport auf seinem Weg um die Welt. München 1997.

Fromm, Erich: Die autoritäre Persönlichkeit. In: Deutsche Universitätszeitung, 9 (1957).

Heitmeyer, Wilhelm/Peter, Jörg Ingo: Jugendliche Fußballfans. Weinheim u. München 1988.

Hornby, Nick: Ballfieber. Die Geschichte eines Fans. Hamburg 1996.

Leinemann, Jürgen: Sepp Herberger – ein Leben, eine Legende. Berlin 1997.

Theweleit, Klaus.: Das Land, das Ausland heißt. München 1995.

Published 8 January 2000
Original in German
First published by Kulturbuch quadratur

Contributed by Kulturbuch quadratur © Marvin Chlada / Gerd Dembowski / FKO Verlag GbR (Duisburg/Köln)

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