Umkämpftes Copyright

Der Streit um das geistige Eigentum

Das geplante internationale Handelsabkommen ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement) hat im vergangenen Jahr weltweit heftigen Widerstand provoziert – sowohl im Netz als auch auf der Straße. Die teilnehmenden Staaten planten damit, global gültige Standards zum Schutz geistigen Eigentums und scharfe Sanktionen im Kampf gegen Urheberrechtsverletzungen zu etablieren. Die Kritiker befürchteten, dass das Abkommen massive Eingriffe in die Privatsphäre und Einschnitte in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger nach sich ziehen würde. Auch wenn das Europäische Parlament das Abkommen schließlich dank der Proteste mit großer Mehrheit ablehnte – der Konflikt um das Urheberrecht in der digitalen Welt ist damit nicht vom Tisch. Im Gegenteil: Anfang Oktober wurde bekannt, dass das geplante Europäisch-Kanadische Handelsabkommen CETA ähnliche Strafen für Copyright-Verletzungen vorsieht wie zuvor ACTA.1 Der Streit um das Urheberrecht geht damit in eine neue Runde. Derzeit ist keine Lösung in Sicht, die den unterschiedlichen Interessensgruppen – Nutzern, Verwertern und Urhebern – gerecht werden könnte. Im Zentrum des Konflikts steht dabei der Begriff des geistigen Eigentums und das Recht des Urhebers.



Die Auseinandersetzung um das Urheberrecht begann jedoch nicht erst mit der Verbreitung des Internet. Vielmehr ist diese spezifische Rechtsform seit der Durchsetzung des geistigen Eigentums Ende des 18. Jahrhunderts hoch umkämpft. Die Konjunkturen der Auseinandersetzung hängen dabei sehr stark von den jeweiligen Entwicklungsschüben bei den Träger- und Transportmedien ab. Im Zentrum steht dabei die Frage: Wie leicht ist es Nutzern technisch möglich, Musik, Filme, Bilder oder Texte in hoher Qualität zu reproduzieren und zu verbreiten?

Gerade mit den jüngsten Informations- und Kommunikationstechnologien hat sich dabei etwas Wesentliches verändert: Denn durch die Digitalisierung geistig-kreativer Schöpfung kann nun beispielsweise ein Musikstück ohne Qualitätsverlust kopiert werden. Aufgrund der weltweiten Vernetzung von Computern und der relativen Erschwinglichkeit von Datenträgern können die Inhalte von immer mehr Menschen beliebig oft reproduziert und weitergegeben werden. Und dies wird auch munter getan. Jedes Jahr veröffentlicht der Bundesverband Musikindustrie Zahlen zu “illegalen Downloads” und beziffert die dadurch entgangenen Umsatzverluste. Ein Beratungsunternehmen für Informations- und Kommunikationsdienstleistungen schätzt, dass die Creative Industries der Europäischen Union bis zum Jahre 2015 “kumulative (Einzelhandels-)Umsatzeinbußen in Höhe von 240 Mrd. Euro verzeichnen”, was bis im Jahre 2015 ein Verlust von 1,2 Mio. Arbeitsplätzen bedeute.2 Auch wenn diese Zahlen interessengeleitet sind und nicht jeder unautorisiert heruntergeladene Song mit Umsatzverlusten gleichzusetzen ist, so zeigt die Praxis dennoch: Die Kreativen und die Rechteverwerter haben die Kontrolle über die Zirkulation ihrer Schöpfungen inzwischen verloren.

Eine zentrale Rolle in diesem Urheberrechtskonflikt spielen die Konsumentinnen und Konsumenten. Sie wollen den aus der Flasche gelassenen Geist nicht wieder einsperren und widersetzen sich vielfältig, laut und netzkompetent jedem Versuch, die unerwartete Offenheit wieder einzuhegen. Auch wenn es “die Nutzer” in dieser Homogenität nicht gibt, so stehen sie doch für eine Bewegung, die sich der uneingeschränkten Übertragung der begrifflichen Vorstellung und rechtlichen Kodifizierung geistigen Eigentums aus der analogen in die digitale Welt erwehrt. Die Entstehung freier Software und ihre Protagonisten können dabei als die Pioniere im Kampf um das sogenannte “Freie Wissen im Informationszeitalter” verstanden werden: Open Source, Open Content, Free Culture, Copyleft, Creative Commons, Open Access – all dies sind Label für die Bewahrung einer offenen Infrastruktur im Netz.

Die Urheberrechtsreformen und der Kampf um die Privatkopie

Wie dieser Kampf ausgetragen wird, zeigte sich in Ansätzen im Jahr 2002 mit den Auseinandersetzungen um die Privatkopie. Die Privatkopie ist nach Paragraph 53 Urheberrechtsgesetz eine erlaubte einzelne Vervielfältigung eines Werkes zum privaten Gebrauch. Sie wurde 1965 zugelassen, weil das Kopieren aufgrund sich ständig neu entwickelnder Technologien einfacher wurde, eine Kontrolle des Kopierverhaltens bis in die Wohnzimmer der Bürgerinnen und Bürger hinein aber nicht möglich war. Die Urheber sollten dafür entschädigt werden und eine Pauschalvergütung erhalten, eingezogen bei den Kopiergeräteherstellen von der “Zentralstelle für private Überspielungsrechte” (ZPÜ) und weitergeleitet an die sogenannten Verwertungsgesellschaften.

Bereits vor einem Jahrzehnt startete die Bürgerinitiative “Rettet die Privatkopie” eine Kampagne gegen das Verbot der Umgehung von technischem Kopierschutz.3 Die Konsumenteninitiativen kritisierten dagegen, dass der Kopierschutz das gesetzlich verbriefte Recht auf eine Privatkopie beschneide. Er schade zudem dem Wissensstandort Deutschland und schränke die Teilhabe aller am kulturellen Leben ein. Die Bundesregierung hingegen argumentierte, dass es kein Recht auf Privatkopie gebe, lediglich eine Erlaubnis; auch im Zeitalter des Internet müssten die Interessen der Urheber und Rechteverwerter gewahrt bleiben. Vom Ergebnis her blieb es dabei: Mit dem Gesetz “Zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft” vom 10. September 2003 (der sogenannte Erste Korb) wurde die Umgehung von Kopierschutzmaßnahmen verboten.

Der Konflikt um die Privatkopie war damit jedoch keineswegs beendet, sondern er dauert bis heute an. Am 1. Januar 2008 trat das “Zweite Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft” (“Zweiter Korb”) in Kraft. Dabei wurde unter anderem der Paragraph zur Privatkopie dahingehend spezifiziert, dass Privatkopien nicht zulässig sind, sofern zur Vervielfältigung “eine offensichtlich rechtswidrig hergestellte oder öffentlich zugänglich gemachte Vorlage” verwendet wird. Die Novelle richtet sich gegen die Praxis von Tauschbörsen und soll das unkontrollierte Filesharing minimieren. Wesentliches Ziel war es auch, ein “Unrechtsbewusstsein” für das unautorisierte Vervielfältigen von Daten zu entwickeln. Bei der nun anstehenden nächsten Etappe der Urheberrechtsreform (“Dritter Korb”) wird abermals eine Spezifizierung dieses Paragraphen diskutiert. Dabei wird unter anderem die Begrenzung der Privatkopie auf Kopien nur vom Original sowie ein Verbot der Herstellung einer Privatkopie durch Dritte erwogen.

Die unterschiedlichen Fronten des Urheberrechtskonflikts

Ein wesentlicher Grund für die Heftigkeit, mit der der Urheberrechtskonflikt ausgefochten wird, liegt in den unterschiedlichen Interessen, die sich in diesem Streit gegenüberstehen. Dabei sind weitaus mehr Interessen berührt, als es auf den ersten Blick scheinen mag.

So befindet sich die Gruppe der Urheber in einer doppelten Frontstellung. Zum einen stehen sie den Nutzern ihrer geistig-kreativen Schöpfung gegenüber. Von diesen wünschen sie sich eine angemessene Bezahlung und Respekt für ihre Leistung.4 Zum anderen schließen sie mit den Rechteverwertern Verträge über die Veröffentlichung und Vermarktung ihrer Werke ab. Urheber artikulieren ihre Interessen in der Regel über Verbände – wie beispielsweise dem Deutschen Schriftstellerverband, dem Verband Deutscher Drehbuchautoren oder dem Bundesverband bildender Künstlerinnen und Künstler – oder sind in Gewerkschaften organisiert. In den letzten Jahren kam es wiederholt zu Auseinandersetzungen zwischen Urheberverbänden, Gewerkschaften und Rechteverwertern bezüglich der Honorierung der geistig-kreativen Leistung. Vor dem Hintergrund der weltweiten digitalen Vernetzung stellen sich natürlich auch hier neue Fragen. So wird beispielsweise darüber gestritten, wie Autoren an der Online-Zweitverwertung ihrer für das Printprodukt verkauften Texte beteiligt werden können.5

Die zweiten gewichtigen Interessensträger sind die Rechteverwerter. Klassischerweise ist vor allem die Musik-, Film- und Verlagsbranche an einer Stärkung des Urheberrechts im Internet interessiert. Vor diesem Hintergrund treten sie unter anderem für eine restriktivere Verfolgung von Urheberrechtsverstößen im Internet, für die Verlängerung von Schutzfristen und die Abschaffung der Privatkopie ein. Je nach Branche fallen dabei die konkreten Forderungen der Rechteverwerter unterschiedlich aus. Ein gemeinsamer Nenner dürfte aber das Interesse an profitabler Verwertung geistig-kreativer Schöpfung sein.

Die Verwertung geistig-kreativer Schöpfung

Auch die Rechteverwerter sehen sich mehreren Kontrahenten gegenüber: auf der einen Seite den Urhebern, die um mehr Honorar kämpfen, und auf der anderen Seite den Nutzern digitaler Medien, die frei von Überwachung und Reglementierung das Internet nutzen möchten.

Eine besondere Rolle in dem Urheberrechtskonflikt spielen die Verwertungsgesellschaften. Sie nehmen die Rechte der Urheber quasi treuhänderisch wahr. Verwertungsgesellschaften erhalten Gelder aus unterschiedlichen Quellen, um sie dann nach einem komplizierten Schlüssel an die Empfangsberechtigten auszuschütten. Nicht nur die bereits erwähnten Hersteller von Vervielfältigungsgeräten und Speichermedien müssen zuvor ausgehandelte Abgaben abführen, auch Theater und Clubs oder Bund und Länder (für öffentliche Bibliotheken) zahlen in den Topf ein. Zur Zeit existiert in Deutschland etwa ein Dutzend Verwertungsgesellschaften, wobei die größte unter ihnen die GEMA ist. Sie nimmt die urheberrechtlichen Nutzungsrechte an Musikwerken für Komponisten, Textdichter und Musikverleger wahr. Daneben gibt es unter anderem die VG Wort, die für Autoren, Journalisten und Buchverleger zuständig ist. Die VG Bild-Kunst vertritt hingegen unter anderem die Urheberrechte der bildenden Künstler, Fotografen und Grafikdesigner.

Den wohl größten Konflikt gibt es hier mit der Geräteindustrie – ein weiterer Stakeholder in der Auseinandersetzung. Die Abgaben für kopierfähige Geräte – zum Beispiel Fotokopierer, Multifunktionsgeräte, Drucker oder Scanner – haben laut Geschäftsbericht der VG Wort im Jahr 2011 knapp 70 Mio. Euro eingebracht. Die Geräteindustrie, vertreten vom Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (BITKOM), ist natürlich bestrebt, diese Abgaben möglichst niedrig zu halten.

Darüber hinaus ist noch eine weitere Unternehmensbranche vom Urheberrechtskonflikt betroffen: die der Internet-Anbieter wie etwa die Telekom oder Alice. Damit steht die Frage im Raum, ob sie für die Inhalte, die ihre Kunden aus dem Netz ziehen oder ins Netz einspeisen, haftungspflichtig gemacht werden können – oder sollen. Hier geht es unter anderem darum, inwiefern Provider die Inhalte, welche die Nutzer durchs Netz leiten, überwachen müssen; ob nach dreimaliger Verwarnung Netzsperren ausgesprochen werden sollen; oder ob es Warnhinweise vor einem Download-Vorgang geben soll, um die Nutzerinnen und Nutzer darauf aufmerksam zu machen, dass sie durch den nächsten Klick möglicherweise urheberrechtlich geschütztes Material unautorisiert herunterladen.

“Geistiges Eigentum” und kapitalistische Produktion

In dieser ziemlich unübersichtlichen Gemengelage plädieren vor allem die Netzaktivisten dafür, den Begriff des “Geistigen Eigentums” nicht zu verwenden. Sie argumentieren, dass es geistiges Eigentum nicht gäbe, da man geistig-kreative Schöpfung nicht im eigentlichen Sinne zum Eigentum haben könne, wie eine Sache. Vielmehr stünden Ideen, Wissen und kreative Schöpfungen in Zeiten des Internet unbegrenzt zur Verfügung und dürften mithin schon allein deshalb nicht künstlich verknappt werden. Mit der Verwendung des Begriffs geistiges Eigentum spiele man dagegen den Rechteverwertern in die Hände, die mit diesem “Kampfbegriff” interessengeleitete Lobbypolitik machten.6

Immaterielle Güter, wie geistig-kreative Werke, unterliegen allerdings genauso der herrschenden Privateigentumsordnung wie materielle Güter – ganz gleich, wie man das Kind nennt. Eines der wesentlichen Kennzeichen dieser Ordnung ist die absolute Verfügungsgewalt über das Eigentum. Im Paragraphen 903 Bürgerliches Gesetzbuch heißt es: “Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen.”

Das Recht des absoluten Ausschlusses ist jedoch keineswegs übernatürlicher Natur, sondern Merkmal kapitalistischer Gesellschaften. Es hat sich erst mit deren historischer Herausbildung seit der Neuzeit entwickelt.7 Die absolute Verfügungsgewalt spielt insbesondere mit Blick auf “Produktionsmittel” eine zentrale Rolle: Boden, Gebäude, Maschinen und Werkzeuge, Rohstoffe – sie alle sind wesentliche Voraussetzungen dafür, dass Güter und Dienstleistungen hergestellt werden, allerdings stets unter Einsatz von Arbeitskraft. In einer kapitalistisch organisierten Gesellschaft ist die Verfügung über diese Produktionsmittel auf relativ wenige Hände konzentriert. Sie werden nicht mit dem Zweck eingesetzt, Bedürfnisse zu befriedigen – dies ist das Mittel ­, sondern mit dem Zweck, durch den Verkauf der hergestellten Güter und Dienstleistungen mehr Kapital einzunehmen, als für die Produktionsmittel (und die Arbeitskraft) vorgeschossen wurde. Das zurückfließende Kapital wird in einen erneuten Produktionsprozess gesteckt, abermals mit dem Zweck, mehr Kapital zu erzielen, als vorher investiert wurde. Und so geht der Kreislauf immer weiter, ohne Maß – als schierer Selbstzweck.

Die absolute Verfügungsgewalt des Privateigentums ist zwar Voraussetzung dieses Kreislaufs, nicht aber seine Garantie: Auch wenn das Privateigentum noch so gut gesichert ist, kann Konkurrenz dem Kapital einen Strich durch die Rechnung machen. Für den erfolgreichen Verkauf der hergestellten Güter bedarf es noch einer wesentlich wichtigeren Bedingung: Die hergestellten Güter und Dienstleistungen müssen Warenform annehmen – das heißt ausschließlich zugänglich sein für das zahlungsfähige Bedürfnis. Existieren neben den Waren die gleichen Produkte auch noch kostenlos, ist die Warenform prekär und die Verwertung gefährdet. Damit aber verlieren alle Menschen, die an der Verwertung dieses spezifischen Gutes “hängen”, ihre Existenzgrundlage: vor allem die Eigentümer der Arbeitskraft – so schlecht diese auch entlohnt sein mag – und die Eigentümer der Produktionsmittel.

Ganz gleichgültig, ob nun in der materiellen oder immateriellen Sphäre, in einer kapitalistisch organisierten Gesellschaft herrscht das Gesetz des Privateigentums: die “künstliche” Verknappung ist generell notwendige Bedingung für Kapitalverwertung. “Künstliche” Verknappung begegnet uns im materiellen Bereich daher mindestens genauso häufig wie in der geistig-kreativen Sphäre – wenn beispielsweise am Eingang eines Konzerts, Public Viewings oder Kinos die Taschen auf mitgebrachte Getränke kontrolliert werden, oder, um ein drastischeres Beispiel zu nehmen, wenn Lebensmittel vernichtet werden, “um den Preis zu halten”, während zeitgleich Menschen hungern. Die “künstliche” Verknappung wird im materiellen Feld zumeist nicht als solche wahrgenommen, bzw. ist hier die Annahme vorherrschend, Materielles sei an sich knapp.8

Die Spezifik geistigen Eigentums

Diese für die Existenz des Kapitalismus zentrale Notwendigkeit der künstlichen Verknappung gerät mit der Digitalisierung ins Wanken – und mit ihr das moderne Urheberrecht. Lange Zeit hinkte die Kommodifizierung der immateriellen Sphäre jener der materiellen innerhalb der kapitalistischen Entwicklung hinterher. Das moderne Urheberrecht hat sich hier erst um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert durchgesetzt. Damit geistig-kreative Schöpfung überhaupt “privateigentumsfähig” sein konnte, brauchte es zuvor die Entstehung des Individuums als “Schöpfer” oder “Autor”, dem das Werk als sein Werk zugeordnet werden konnte. Auch brauchte es die Fähigkeit, den materiellen Träger vom immateriellen Inhalt getrennt zu denken, damit beides voneinander unabhängig als Eigentumsrechtsobjekt gelten kann. Beides mag uns heute als natürlich, quasi als überhistorisch vorkommen, das ist es aber mitnichten. Vielmehr hat sich diese Haltung erst im Laufe von Jahrhunderten herausgebildet. Allerdings ist die geistig-kreative Sphäre inzwischen auf spezifische Weise in die kapitalistische Verwertung “eingemeindet” worden, dafür wurde eigens ein spezifischer Rechtsmodus entwickelt.

Denn immaterielle Güter verbrauchen sich im Gegensatz zu materiellen nicht beim Konsum: Wenn ich einen Apfel esse, verschwindet er. Wenn ich ein Musikstück von einem Tonträger höre, können es andere – können es viele andere – viele Male erneut hören. Soll Nicht-Stoffliches – das ohne Aufwand beliebig oft kopiert werden kann – eine Ware sein, ist die Vergabe von Nutzungsrechten statt einer vollständigen Eigentumsübertragung daher die adäquate Rechtsform. Ein weiterer Grund für die Verrechtlichung liegt darin, dass der Aufwand geistig-kreativer Schöpfung in aller Regel nicht im Verhältnis zum Aufwand für ihre Reproduktion steht. Beispielsweise braucht es mitunter Jahre, bis ein Software-Projekt entwickelt ist, dagegen nur wenige Sekunden, um es zu kopieren.

Der offene Zugang zu Produktionsmitteln

Nun dienen “immaterielle Güter” nicht nur der Konsumtion, sondern auch der Produktion. Kein geistig schaffender Mensch kreiert Neues aus dem Nichts – sei es in der Kunst oder in der Wissenschaft. Gesamtgesellschaftlich gibt es daher ein großes Interesse an niedrigschwelligem Zugang zu geistiger Schöpfung als Voraussetzung für weitere Produktion und für Innovation. Genau aus diesem Grund wird der privat-exklusive Charakter der Eigentumsform im immateriellen Bereich wiederum aufgeweicht, etwa durch Begrenzung der Schutzfristen oder Ausnahmeregelungen.

Es existiert somit eine ständige Spannung zwischen dem Einschluss und der Offenheit von Ideen, Wissen, kultureller Leistung. Diese Spannung nimmt mit der Digitalisierung und dem Internet drastisch zu. Die radikale Änderung der Träger- und Transporttechnologie ist nicht mit einer einfachen Gesetzesänderung zu korrigieren. Mit der Verbreitung von kopierfähigen Geräten sind den Menschen mit einem Schlag Produktionsmittel in die Hände gegeben worden, die bislang im ausschließenden Eigentum der Rechteverwerter waren. Zahllose Menschen können durch die Verbreitung von miteinander vernetzten Computern und mobilen Datenträgern jetzt auf einmal selbst als “Waren” gedachte geistig-kreative Schöpfungreproduzieren und verbreiten. Bei sogenannter freier Musik oder freier Software spitzt sich dies weiter zu: Hier wird nicht nur reproduziert, sondern von vorneherein “produziert” (Musik komponiert, Software entwickelt, etc.) und schließlich im Netz zur Verfügung gestellt. Indem die Nutzer im Zeitalter elektronischer Datenverarbeitung relativ einfach Zugriff auf die “Produktionsmittel” erhalten, können sie die Herstellung dieser speziellen Güter der Kapitalverwertung entziehen. Nicht, weil die Dinge immateriell sind – das waren sie ja schon vorher ­, sondern weil die Träger- und Transportmedien plötzlich vielen Menschen zur Verfügung stehen: für den Bereich der kulturell-kreativen Schöpfung die Kopiermaschine bzw. das Brennwerk und bei Produkten wie freier Software sogar das Arbeitsinstrument selbst – der Computer.

Diese Abweichung von der herrschenden Privateigentumsordnung ist nicht von langer Hand geplant gewesen, sondern eher ein historischer Zufall. Nach wie vor jedoch ist der ganz überwiegende “Rest der Welt” kapitalistisch organisiert, der gesellschaftlich dominierende Verwertungsimperativ lässt keine andere Wahl, als Bedürfnisse mittels Geld zu befriedigen. Wird eine Sphäre isoliert von der im Kapitalismus dominanten gesellschaftlichen Verkehrsform des Ware-Geld-Tauschs der Warenform entzogen, so müssen aus Perspektive des betroffenen Kapitals neue Geschäftsfelder gefunden werden, aus Perspektive der von dieser Sphäre abhängigen und häufig prekär beschäftigten Kreativen neue Einkommensmöglichkeiten, denn, so eine aktuelle Kampagne einer Urheber-Initiative: “Wir machen das aus Liebe, doch leider akzeptieren die Supermärkte keine Liebe, sie wollen Geld.” (“We do this for the love, but unfortunately the supermarket doesn’t accept love, they want money.”)

Tektonische Verschiebung bei der Kapitalverwertung

Mit den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien ist es daher zu einer tektonischen Verschiebung auf dem gesamten Feld der Verwertung geistig-kreativer Schöpfung gekommen – einem Erdbeben gleich, das althergebrachte Industrien, Verwertungsmöglichkeiten, Vertriebswege und individuelle Arbeitsweisen im Kreativbereich untergräbt.

In dieser aporetischen Situation werden unterschiedliche Strategien verfolgt. Die konservativste ist jene, die den Zugang zu den neuen digitalen Produktionsmitteln wieder verschließen möchte. So wird beispielsweise gegenwärtig für den Dritten Korb der Urheberrechtsreform diskutiert, sogenannte intelligente Aufnahmesoftware, mit der gezielt Musiktitel automatisiert aus dem Webradio-Angebot herausgefiltert und aufgenommen werden können, zu verbieten. Zu dieser Strategie gehört auch, mit Hilfe technischer Mittel jede einzelne Datei im Netz identifizierbar zu machen, so dass kontrollierbar ist, wer, was, wann, wo herunter- oder hochgeladen hat. Die radikalsten Vorschläge sehen dabei vor, das Netz umfassend zu überwachen, Datenströme zu kontrollieren und auf Urheberrechtsverstöße mit repressiven juristischen Maßnahmen zu reagieren – Stichwort Abmahnpraxis.

Ein “modernerer” Ansatz hingegen sieht “alternative Geschäftsmodelle” vor. Hier soll der digitale Datenfluss in seinem frei flottierenden Zustand belassen werden. Für die Einnahmequellen der Urheber werden jedoch verschiedene Vorschläge gemacht. Dazu zählen beispielsweise Social Payment – eine freiwillige Abgabe für digitale Inhalte. Prominente Social-Payment Systeme sind beispielsweise “flattr” oder “kachingle”: Mit einem Klick auf den beim jeweils zu belohnenden Inhalt stehenden Button wird der gewünschte Betrag auf das Konto des Empfängers transferiert. Auch können Nutzer für die Verwirklichung von Konzepten spenden. Auf diese Weise werden Urheber in die Lage versetzt, eine Idee dann zu verwirklichen, wenn genügend Spenden zusammengekommen sind. Zugleich setzen mehr und mehr Künstler darauf, nicht mehr mit der geistig-kreativen Leistung an sich Geld zu verdienen, sondern mit “Drum-Herum-Leistungen”: zum Beispiel mit Merchandising, aufwändig gestalteten Booklets oder Produktzugaben. Das Internet dient hier nur noch als Werbemedium, um die Kreativen bekannt zu machen.

Die Rechteverwerter wiederum, so die Kritik der “Modernisierer”, hätten die ganze Entwicklung im Netz verschlafen. Reguläre Paid-Content-Systeme im Musikbereich hat es in der Tat erst lange nach den ersten Tauschbörsen gegeben. Heutzutage funktionieren Angebote wie iTunes jedoch immer besser. Die aktuellsten Statistiken zeigen, dass die Umsätze der bezahlten Musik-Downloads kontinuierlich steigen. Jüngst meldete der Musikverband, dass die digitalen Musikverkäufe inzwischen den Umsatzrückgang bei den physischen Tonträgern kompensieren. Die Herausbildung eines wachsenden “Unrechtsbewusstsein”, in Verbindung mit offensichtlich attraktiven Angeboten im Netz, zeigt, dass die Kapitalverwertung an dieser Stelle partiell nach dem analogen Modell funktioniert.

Dennoch wird es parallel weiterhin die Möglichkeit geben, Netzinhalte unautorisiert jenseits der Warenform zu erhalten. Jede noch so gesicherte technische Schranke wird durchbrochen werden können, und ein nationales Verbot von Kopiertechnologien kann aufgrund der globalen Verbreitung des Internet kaum durchgesetzt werden. Die konservative Strategie wird sich alleine schon deshalb nicht in Reinform durchsetzen lassen. Am Ende wird es auf ein Nebeneinander verschiedener Modelle hinauslaufen.

Offene versus geschlossene Wissensschöpfung

Digitales Eigentum bleibt damit vorerst prekär. Während die ungleich mächtigeren Rechteverwerter teils erfolgreich Lobbyarbeit für die konservative Strategie betreiben und zugleich kommerzielle Content-Angebote vorantreiben, bleibt den Urhebern der oft gehörte Rat, sich doch in den freien Wettbewerb zu stürzen und netzkompetente Selbstvermarktung zu betreiben. Im Internet gibt es bereits solche Portale zur Online-Selbstvermarktung unter Umgehung traditioneller Rechteverwerter – obgleich nicht zwangsläufig mit “freiem Inhalt” verbunden.9

Das Internet führt damit auf dem kulturellen Feld zu einem grundlegenden Wandel in der Art und Weise, wie und welche geistig-kreativen Inhalte produziert und konsumiert werden. Nicht mehr (nur) die großen Vermarkter und Verwerter entscheiden, wer in den Markt gedrückt wird und damit breite Aufmerksamkeit gewinnt, sondern Netz-Communities. Die kulturelle Landschaft könnte dadurch diverser werden, einige Intermediäre möglicherweise überflüssig, einige Künstler bekannter, die es auf “normalem Wege” vielleicht nicht durchs Nadelöhr geschafft hätten. Die neuen Medien führen indes nicht zu einer Aufhebung der Spannung zwischen “offener” und “geschlossener” Wissensschöpfung. Denn auch weiterhin ist künstliche Verknappung die Grundvoraussetzung der warenproduzierenden Gesellschaft. Ein Sektor allein kann hier nicht ausbrechen. Mit anderen Worten: Die grundsätzlichen Konflikte werden bleiben. Das wissen letztlich auch alle Beteiligten an der Debatte um geistiges Eigentum. Sie reden daher zu Recht stets nur von einem “Ausgleich” der Interessen, nicht aber davon, die Interessensgegensätze zu überwinden.

Die Ausweitung kooperativer Räume

All denen, die an einem freien Informationsfluss interessiert sind, bleibt daher nichts anderes übrig, als die Rechte der Urheber zu stärken. Dafür gilt es, das realexistierende Machtungleichgewicht zwischen Urhebern und Rechteverwertern zu verringern. Zum Einen müssten die mächtigen Rechteverwerter in Verhandlungen über höhere und endlich verbindlich einzuhaltende Vergütungssätze gezwungen werden. Zum Anderen wäre das pauschale Abgabesystem zu erweitern: Man könnte beispielsweise, um Downloads im Internet zu legalisieren, eine allgemeine Abgabe auf Breitbandanschlüsse einführen, was in der Tat bereits als “Kulturflatrate” diskutiert wird.10

Es ist allerdings mehr als fraglich, ob dadurch letztlich eine “angemessene Vergütung” verbindlich für alle Urheber erzielt werden kann. Zwar würde eine Kulturflatrate – wie auch immer sie ausgestaltet wäre – die Einkommenssituation der Urheber etwas verbessern. Allerdings würden die Mehrkosten auf die Preise geschlagen und damit auf die “Verbraucher” abgewälzt. Damit würde der Zugang zur digitalen Welt mehr noch als zuvor vom Geldbeutel abhängen.

Wie man es also auch dreht und wendet: Kapitalismus ist keine Win-Win-Veranstaltung. Es gilt daher, endlich wieder grundsätzlichere Fragen zu stellen, als nur jene, wie digitaler Content im Internet frei erhältlich sein kann.

Tatsächlich existieren bereits Alternativen: Denn gerade im Netz gibt es zuhauf selbstorganisierte, freie Projekte, in denen Konsumenten und Produzenten kooperieren – jenseits von Verwertungs- und Marktzwängen. Auf dem Portal keimform.de wird beispielsweise seit Jahren diskutiert, inwiefern die Produktion von freier Software und der sogenannten Commons als Modell für eine gesamtgesellschaftliche Perspektive dienen könnte.

Diese Räume gilt es auszuweiten – ohne dabei ausschließlich um die Frage zu kreisen, wie daraus ein Geschäftsmodell werden kann. Will man die Interessensgegensätze im Streit um das geistige Eigentum überwinden, muss über den engen Fokus der digitalen Welt hinaus gedacht werden. Worum es hierbei geht, sind gesamtgesellschaftliche Fragen. Letztlich sind die Konflikte im Netz nur ein Spiegel der Gesellschaft – folglich müssen sie auch hier, in der materiellen Welt, ausgetragen werden.

Vgl. Offiziell bestätigt: Handelsabkommen CETA sieht ACTA-ähnliche Strafen vor, www.netzpolitik.org, 11.10.2012.

Vgl. TERA Consultants, Aufbau einer digitalen Wirtschaft: Die Bedeutung der Sicherung von Arbeitsplätzen in der Kreativwirtschaft der europäischen Union. Paris 2010, www.musikindustrie.de.

Vgl. Petition "privatkopie", www.privatkopie.net.

Vgl. Ilja Braun, Und der Zukunft zugewandt?, Februar 2010, www.irights.info/index.php?q=node/816.

Vgl. Richard Stallman, Sagten Sie "geistiges Eigentum"? Eine verführerische Illusion, 2004, www.gnu.org/philosophy/not-ipr.

Zu vorkapitalistischen Eigentumsformen vgl. Sabine Nuss, Copyright & Copyriot. Geistiges Eigentum im informationellen Kapitalismus, Münster 2006.

Vgl. Das Dogma von der Nicht-Knappheit digitaler Güter, in: Sabine Nuss, Copyright & Copyriot, a.a.O., S. 205-208.

Im Bereich Musik beispielsweise gibt es Portale für freie Musik, wie Yamendo oder Magnatune, Bücher und ebooks können im Selbstverlag bei Portalen wie Lulu.com oder epubli.de erstellt werden, allerdings ganz traditionell proprietär, nur dass hier die Urheberinnen und Urheber besser gestellt sind.

Vgl. Daniel Leisegang, Kulturflatrate: Der neue Sozialvertrag. Die Zukunft des Urheberrechts, in: Blätter 1/2011, S. 106-111.

Published 4 December 2012
Original in German
First published by Blätter 12/2012

Contributed by Blätter für deutsche und internationale Politik © Sabine Nuss / Blätter für deutsche und internationale Politik / Eurozine

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