Der Konflikt um die South Central Farm

Unternehmerische Stadtpolitik und städtische soziale Bewegungen in Los Angeles

Unternehmerische Stadtpolitik hat in den USA eine lange Tradition. Wie Dennis Judd und Todd Swanstrom in ihrem Buch “City Politics” zeigen, haben sich US-amerikanische Städte stets durch ihre unternehmerischen Möglichkeiten ausgezeichnet.1 Doch mit den gesellschaftlichen Umbrüchen vom Fordismus zum Postfordismus und dem Aufstieg des Neoliberalismus hat unternehmerische Stadtpolitik noch einmal erheblich an Bedeutung gewonnen.

© Leopoldo Peña, www.leopoldopena.com

Einen wichtigen Beitrag für dieses Konzept lieferte David Harvey. Er erforschte bereits Ende der 1980er Jahre wie sich Städte unter den Bedingungen der Krise des Sozialstaates, zunehmender Kapitalmobilität und verschärfter Weltmarktkonkurrenz immer stärker wie profitorientierte Unternehmen verhalten. Aktiv konkurrieren sie um Kapitalinvestitionen, Arbeitsplätze und Steuergelder und binden dabei neue Akteure in ihre lokale Standortpolitik ein.2 Doch statt die Herausforderungen des globalen Kapitalismus zu bewältigen, spielt unternehmerische Stadtpolitik eine wichtige Rolle in der Produktion und Reproduktion des Teufelskreises, gegen den sie eigentlich kämpft. Selbst wenn Städte erfolgreich dem Druck des lokalen und globalen Wettbewerbs standhalten, heißt es noch lange nicht, dass sich dies auch bezahlt macht. Zumindest, wenn wir uns die Städte in Hinblick auf die Lebensqualität der Mehrheit ihrer BewohnerInnen ansehen. WissenschaftlerInnen wie Saskia Sassen haben darauf hingewiesen, dass gerade große und “erfolgreiche” Städte besondere lokale Konflikte hervorbringen.3 Viele haben infolge riesiger Wirtschaftssubventionen und in Ermangelung von Steuereinnahmen mit schweren Finanzkrisen zu kämpfen. Sie produzieren ausgeprägte soziale Gegensätze, Segregation und Ungleichheit. Speziell in marginalisierten Vierteln sind sie mit dramatischen sozialen und sozialräumlichen Konflikten konfrontiert. Während sich mittlerweile viele Forschungsarbeiten damit beschäftigen, wie unternehmerische Stadtpolitik funktioniert, wird den lokalen Protesten, Netzwerken und sozialen Bewegungen, die dieser Politik Widerstand leisten und für politische Veränderungen eintreten, weit weniger Aufmerksamkeit geschenkt.4 Die “rebellische Zivilgesellschaft […] bleibt weitgehend unbeachtet”, wie Roger Keil feststellt.5 Vor diesem Hintergrund nehme ich einen lokalen Konflikt in Los Angeles unter die Lupe, mit dem ich mich derzeit im Rahmen meiner Dissertation beschäftige.

Der Kampf um die South Central Farm

Mit einer Größe von rund 5,5 ha sind die South Central Gardens der wahrscheinlich größte Community Garden in den USA. Er liegt an der Alameda Street und der 41. Street, genau an der Grenze zwischen South Central und Vernon.6 Mitte der 1980er Jahre plante die Stadt Los Angeles den Bau mehrerer Müllverbrennungsanlagen, die unter dem Projektnamen LANCER bekannt wurden. Die erste Anlage sollte in South Central entstehen. Auf der Suche nach einem geeigneten Standort stieß die Stadt auf das Gelände an der 41. Straße. Sie enteignete den Besitzer Ralph Horowitz gegen eine Entschädigung in Höhe von 4,7 Mio US-Dollar, doch die Müllverbrennungsanlage wurde nie gebaut. Ende der 1980er Jahre zwangen die massiven Proteste lokaler Bürgerinitiativen und Umweltgruppen den Bürgermeister Tom Bradley das Projekt zurückzuziehen. Das Gelände verwahrloste daraufhin.

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Die Geschichte findet ihre Fortsetzung im Jahr 1992. Nach den so genannten Rodney King Riots7 suchte die Stadtregierung verzweifelt nach Möglichkeiten für soziale Projekte in marginalisierten Vierteln, speziell in South Central. Die Riots hatten “gezeigt, dass das Leben in den ärmsten Vierteln der Stadt unerträglich geworden war”.8 Unter anderem wendete sich die Stadtverwaltung auch an die Regional Foodbank, eine soziale Lebensmittelvergabestelle gegenüber dem Grundstück, auf dem ursprünglich das erste LANCER-Projekt geplant war. Die Foodbank schlug vor, einkommensschwachen Familien die Industriebrache als Ackerland zur Verfügung zu stellen. Die Stadtverwaltung willigte ein und binnen kurzer Zeit lief das Projekt an.

Familien aus South Central und anderen Vierteln begannen den Müll wegzuräumen, teilten das Gelände in Parzellen und begannen mit dem Anbau von Obst und Gemüse. Offiziell wurde das Land von der Foodbank verwaltet, tatsächlich jedoch betrieben die AnwohnerInnen selbst das Projekt. Seit Mitte der 1990er Jahre wird das Grundstück von etwa 350 Familien bewirtschaftet. Mehrheitlich handelt es sich dabei um einkommensschwache MigrantInnen aus Mexiko und anderen lateinamerikanischen Ländern, viele von ihnen haben keinen legalen Aufenthaltsstatus. Die Campesinos können durch die Gärten gut ein Drittel ihres Nahrungsmittelbedarfs decken. Eine Untersuchung aus dem Jahr 2005 zeigte, dass hier über 35 Gemüse- und Obstsorten angebaut werden, die alle einen wichtigen Beitrag für eine gesunde Ernährung liefern. Darüber hinaus finden sich in den Gärten zwischen 100 und 150 weitere Pflanzenarten (Bäume, Sträucher, Kakteen, Kräuter, etc.). An Wochenenden kommen FreundInnen und NachbarInnen vorbei; Gemüse, Obst und Kräuter werden verkauft, getauscht oder verschenkt. In Vierteln wie Vernon oder South Central, wo Familien durchschnittlich über ein Monatseinkommen von rund 1.500 US-Dollar verfügen9, ist diese Form des solidarischen Kleinhandels für alle Beteiligten eine große finanzielle Entlastung.

Allerdings liegen die Gärten am so genannten Alameda Corridor, einem Gebiet, das vorwiegend gewerblich genutzt wird. Seit vielen Jahren stellt der Korridor eine wichtige Verkehrsanbindung an die Häfen von Los Angeles und Long Beach dar. 1997 begann die Stadt hier mit dem Bau einer 32 km langen und 2,4 Mrd US-Dollar teuren Schwerverkehrs- und Gleistrasse, die von den Häfen durch acht Städte bis in die Innenstadt von Los Angeles führt. Dort schafft der Alameda Corridor eine Anbindung an die transkontinentalen Gütergleise und Highways. Es liegt auf der Hand, dass dadurch sämtliche Grundstücke entlang dieses Korridors einen strategischen Wert für Investitionen im Bereich Transport, Handel und Verkehr bekommen haben. Kein Wunder also, dass der ursprüngliche Besitzer des Geländes, auf dem mittlerweile die Gärten liegen, die Stadt unter Druck setzte, ihm das Grundstück zurückzuverkaufen. 2003 kam es zu einer Einigung und die Stadt verkaufte ihm das Grundstück für 5 Mio US-Dollar. Verhandelt wurde hinter verschlossenen Türen, mehrere Abgeordnete der Stadtregierung erhielten großzügige Spenden10 – eine für die neoliberale Privatisierung öffentlicher Güter durchaus typische Geschäftspraxis.

Nur wenige Wochen nach dem Verkauf des Grundstücks im Jahr 2003 brach der Konflikt um die Gärten aus: Die Campesinos erhielten einen Räumungsbescheid, weigerten sich jedoch die Gärten aufzugeben. Stattdessen reichten sie eine gerichtliche Klage gegen die Stadt ein, um Zeit für eine Kampagne zu gewinnen.11 Obwohl sie den Prozess verloren haben, ist es gelungen, ein breites Bündnis zur Verteidigung der Gärten aufzubauen. Im Frühjahr 2006 sind die Campesinos noch immer auf dem Gelände. Dutzende lokale und regionale Basisinitiativen unterstützen den Widerstand gegen den Investor und die Stadt. Mittlerweile hat der Konflikt breite mediale und sogar internationale Aufmerksamkeit erweckt. Zwar könnte es jeden Tag zur angedrohten Räumung kommen, doch würde dies einen enormen öffentlichen Skandal nach sich ziehen.

Der neue progressive Bürgermeister, Antonio Villaraigosa, hat ein starkes Interesse daran, den Konflikt zu lösen. Allerdings wird die Stadt das Land nicht zurückkaufen können, sie hat milliardenhohe Schulden; allein im Haushalt für das Jahr 2006 fehlen 271 Mio US-Dollar.12 Derzeit sieht es eher so aus, als würde der Bürgermeister einen Vertrag zwischen dem Investor Ralph Horowitz und einer unabhängigen Non-Profit-Organisation vermitteln. Im Gespräch ist dabei vor allem der Trust for Public Land.13 Dieser müsste 16 bis 18 Mio US-Dollar auftreiben, um das Grundstück von Horowitz zurückzukaufen, und würde den Bestand der Gärten dann als ökologisches Community-Projekt sichern.

Unternehmerische Stadtpolitik und der Konflikt um die South Central Gardens

Unter den derzeitigen politischen und ökonomischen Bedingungen bleibt US-Städten nicht viel anderes übrig, als private InvestorInnen anzuwerben und sie bei Laune zu halten. In den vergangen 25 Jahren wurden Budgetgelder des Bundes für lokale Stadtverwaltungen stetig zurückgefahren. Die große Wende in der Stadtpolitik kam unter Ronald Reagan: “Insgesamt kürzte Reagan die Unterstützung für lokale Regierungen um 60 Prozent. 1980 trugen Gelder aus dem Bundeshaushalt noch zu 22 Prozent zur Finanzierung der Budgets der großen Städte bei. Als Reagan abtrat waren es nur mehr sechs Prozent.”14.

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Das Aushungern der Städte hat sich unter Bush senior und gegenwärtig unter Bush junior fortgesetzt. “Dank seiner Steuerkürzungen im Ausmaß von 1,3 Billionen Dollar, die hauptsächlich den Reichen zu Gute kommen, machte es Bush unmöglich, die Städte und die Armen mit einem signifikanten Betrag aus dem Bundeshaushalt zu unterstützen.”15

Darüber hinaus haben Deregulierungen lokaler und globaler Märkte, z.B. durch das Freihandelsabkommen NAFTA, zur Folge, dass die Städte einem Wettbewerb auf nationaler und internationaler Ebene ausgesetzt sind. In Los Angeles gingen so in den 1980er und 1990er Jahren hunderttausende Arbeitsplätze in der Industrie verloren. Auch die typische “postfordistische” Aufspaltung des Arbeitsmarktes traf die Stadt schwer: “Noch in den frühen 1980er Jahren waren zwei Drittel der Arbeitsplätze im Bereich Produktion in L.A. gut bezahlt, oft in Betrieben mit Gewerkschaften und in den Sparten Automobil, Reifenherstellung, Elektronik und Luftfahrt. […] Im Jahr 2000 war fast die Hälfte der Beschäftigten im produzierenden Gewerbe im Niedriglohnsektor tätig, beispielsweise in den Sparten Textil, Möbel, Spielzeug und Nahrungsmittelherstellung”.16

Städte wie Los Angeles stehen heute unter einem unglaublichen finanzpolitischen Druck, um mit den Einnahmen die immensen Kosten für Infrastruktur, Sozialprogramme, Verwaltungspersonal, etc. abzudecken. Da Städte einen guten Teil ihrer Kosten über private Kredite finanzieren, müssen sie zusätzlich Milliardenbeträge zur Begleichung der Zinsen aufbringen. In Los Angeles betrugen die Außenstände für kurzfristige Kredite im Jahr 2005 ca. 600 Mio US-Dollar, für langfristige Anleihen rund 10 Mrd US-Dollar. Unternehmerische Stadtpolitik in Los Angeles muss vor diesem Hintergrund diskutiert werden. Los Angeles’ strategische öffentliche Investition in den Alameda Corridor ist eine sehr erfolgreiche politische Strategie mit dem wachsenden ökonomischen Druck umzugehen. Die Stadt sichert sich damit ihre Funktion als Knotenpunkt für den regionalen Handel im gesamten pazifischen Raum. 2001 wurden in Los Angeles Waren im Wert von 270 Mrd US-Dollar umgeschlagen.17 “Der Zollbezirk Los Angeles (LACD) hatte einen Anteil von 54 Prozent am Handelsaufkommen der US-Westküste.” (ebd.)

Die städtischen Investitionen in die lokale Infrastruktur werten den Wirtschaftsstandort L.A. auf, stellen ein günstiges Investitionsklima her und schaffen Arbeitsplätze und Steuereinnahmen. Gleichzeitig führt die Investition in den Alameda Corridor zur Privatisierung und In-Wert-Setzung öffentlicher Räume. Im speziellen Fall der South Central Gardens bedroht sie 350 einkommensschwache Familien mit Migrations-Hintergrund. Eine politische Zwickmühle. Die Wurzeln dieses fundamentalen Gegensatzes lassen sich auf die Logik der kapitalistischen Stadt selbst zurückführen.

Wie auch immer der Konflikt um die Gärten in South Central ausgeht: der einzige Akteur, der sicher nicht verlieren wird, ist der Investor. Entweder werden die Campesinos vertrieben und das Land wird ihm übergeben. Oder er kann das Grundstück an eine Non-Profit-Organisation verkaufen. Im ersten Fall wird der Investor Lagerhallen bauen, die er Dank der öffentlichen Investitionen in den Alameda Corridor zu einem hohen Preis vermieten kann. Im zweiten Fall würde er allein durch die Unterzeichnung des Vertrages etwa 10 Mio US-Dollar verdienen. Die unternehmerische Stadtpolitik führt zu strukturellen Vorteilen für den Investor gegenüber anderen stadtpolitischen AkteurInnen.

Die Campesinos von South Central und das “Recht auf die Stadt”

Angesichts des großen wirtschaftlichen Interesses an dem Gartengrundstück und vor dem Hintergrund des ökonomischen Drucks, unter dem die Stadtregierung steht, stellt sich die Frage, warum die Campesinos ihre Gärten bislang überhaupt derart erfolgreich verteidigen konnten. Immerhin haben sie es geschafft in ihren Gärten zu bleiben, obwohl das Grundstück bereits im Herbst 2003 an den Investor verkauft wurde.

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Ein wichtiger Schritt war sicherlich, sich als Gruppe unter dem Namen South Central Farmers zu konstituieren. Dieser Name ermöglichte es den Campesinos, die Gärten als ein Projekt zu thematisieren, das sich nicht über eine ethnische Identität definiert (im Gegensatz zu einem Latino-Projekt). In der öffentlichen Debatte kann so der Konflikt um die Gärten als ein Kampf gegen Hunger, als umweltpolitische Maßnahme und im Hinblick auf die positiven Auswirkungen auf die Sicherheit im Stadtviertel diskutiert werden. Auf diese Weise ist es den Campesinos gelungen, ihr konkretes Anliegen – die Verteidigung der Gärten – mit einer Vielzahl sozialer Probleme in der Stadt zu verknüpfen. Im Herbst 2005 hatten sie erfolgreich mehr als 50 lokale und regionale Umweltgruppen, StudentInnen-Initiativen, MigrantInnen-Netzwerke und Basisinitiativen mobilisiert und erhielten eine Menge Aufmerksamkeit von regionalen, nationalen und internationalen Medien.

Die meisten Campesinos sind MigrantInnen aus Lateinamerika, die ursprünglich durch die neoliberale Politik aus ihren Heimatländern vertrieben wurden. 1992 begannen sie die Gärten zu nutzen, um ihre existenziellen Bedürfnisse zu befriedigen. Doch seit 2003 haben sich die Gärten zu einem Beispiel für eine – wie es Roger Keil nennt – rebellische Zivilgesellschaft entwickelt. Heute sind die Gärten ein Ort, an dem sich BewohnerInnen aus vielen verschiedenen Vierteln von Los Angeles kollektiv gegen die Privatisierung von öffentlichem Raum organisieren und ein gemeinschaftliches Projekt gegen Geschäftsinteressen verteidigen: mittels Debatten und Diskussionen, organisiertem Protest, durch Lobbyarbeit im Rathaus und durch zivilen Ungehorsam. Seit Juli 2005 halten die South Central Farmers und ihre UnterstützerInnen die Gärten rund um die Uhr besetzt.

Somit können sie als geradezu idealtypisches Beispiel für eine städtische soziale Bewegung gelten: a) Die organisatorische Infrastruktur der South Central Farmers ist auf dem lokalen städtischen Terrain angesiedelt; b) die AktivistInnen der Bewegung nehmen die urbane Arena als einen strategischen Ort wahr, um UnterstützerInnen zu mobilisieren; und c) die Campesinos stellen ihre Forderungen vor allem auf stadtpolitischer Ebene.18 Das regionale Bündnis, das die Campesinos unterstützt, hat starken Netzwerkcharakter, arbeitet mit dezentralen Protestformen und nutzt intensiv elektronische Kommunikationsmittel (E-Mail, Websites, etc.). In diesem Sinne haben die South Central Farmers auch eine sehr moderne und flexible, städtische soziale Bewegung initiiert, die sich durch ein breites Repertoire an UnterstützerInnen, Techniken und Taktiken auszeichnet.19

Viele neue soziale Bewegungen haben mit den negativen Konsequenzen zu kämpfen, die diese Art der flexiblen Netzwerk-Struktur nach sich zieht. Denn Netzwerk-Organisationen leiden oft unter einem geringen inneren Gruppenzusammenhalt und unter mangelnder Kontinuität. Im Vergleich dazu konnten die Campesinos und ihre UnterstützerInnen eine starke kollektive Identität aufbauen und sich immer auf eine große Zahl höchst engagierter AktivistInnen verlassen. Der klare Vorteil der South Central Farmers: Ihr Kampf ist unmittelbar mit einem “realen Ort” verbunden, denn die Gärten bieten einen physischen Raum für Organisation und Mobilisierung, an dem Solidarität und Gegenseitigkeit (im Gegensatz zu Tauschverhältnissen) jeden Tag erfahrbar sind. Der persönliche Kontakt und Austausch ermöglicht intensive Gruppenbildungsprozesse. Symbolisch und materiell stehen die South Central Gardens für einen Ort, an dem autonome Selbstorganisationsprozesse stattfinden, und für ein ökologisch nachhaltiges Projekt.

Einige Beobachtungen und Anmerkungen zu den politischen Perspektiven

Der Kampf um die South Central Gardens in L.A. bietet reichhaltiges empirisches Material für die Auseinandersetzung mit den komplexen Beziehungen zwischen unternehmerischer Stadtpolitik und städtischen sozialen Bewegungen. Die Untersuchung des Konflikts erlaubt es uns, den “real existierenden Neoliberalismus” und seine städtische Konfiguration20 in vielen unterschiedlichen Facetten zu beobachten.

Das stadtpolitische Feld ist in Los Angeles stark durch die neoliberale Haushaltspolitik der Bundesregierung und durch strukturelle Transformationsprozesse auf nationaler und globaler Ebene geprägt. Und das Beispiel von Los Angeles ist keine Ausnahme: Städte sind heute zunehmend mit dem Problem konfrontiert, die nötigen finanziellen Mittel für den Erhalt des Urbanen aufzubringen. Der daraus erwachsende wirtschaftliche Druck ist eine starke strukturelle Kraft, die außerhalb der lokalen Handlungsreichweite liegt, die Implementierung unternehmerischer Stadtpolitik begünstigt und in den lokalen Verwaltungen und Regierungen eine ökonomische Handlungsrationalität einführt.

Doch die Stadtregierung von L.A. ist keinesfalls “machtlos”. Innerhalb der neoliberalen Handlungslogik interveniert sie aktiv, um die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der Stadt zu gestalten. Trotz des neoliberalen Diskurses über den “schlanken Staat”, bleiben die lokalen Verwaltungen und Regierungen ein wichtiger Akteur in der politischen Arena. Der Versuch, die öffentliche Brache, auf der die Farm liegt, zu privatisieren, kann kaum als Rückzug des lokalen Staates oder als Akt der Deregulierung beschrieben werden. Im Gegenteil: Er stellt eine starke politische Intervention dar. In der Tat impliziert das Konzept der unternehmerischen Stadtpolitik, dass die lokalen Regierungen weiterhin eine aktive Rolle in der politischen Arena spielen. Wie das Beispiel South Central zeigt, stößt unternehmerische Stadtpolitik auf sozialen Widerstand, der sich an individuellen und subversiven Alltagspraxen, am Entstehen neuer, progressiver, sozialen Bewegungen, aber auch an konservativen “Not-in-my-Backyard-Mobilisierungen” zeigt. Die städtische Landschaft ist das Ergebnis von sozialen und politischen Konflikten zwischen verschiedenen AkteurInnen, Interessen und Kräften. Eine Auseinandersetzung mit unternehmerischer Stadtpolitik darf daher nicht nur auf die Implementierung neoliberaler Politik fokussieren, stets muss sie auch die widerständischen Reaktionen auf diese Politik ins Blickfeld nehmen.

Im Fall der South Central Farmers hat die neoliberale Politik der Stadtregierung ironischerweise den kollektiven Widerstand und die Mobilisierung auf der lokalen Ebene gestärkt. Die marginalisierte Gruppe migrantischer Campesinos hat sich zu einer mächtigen, kollektiven Akteurin entwickelt und erfolgreich die engen Grenzen ihrer ethnischen Community gesprengt. Die ökologischen Anti-LANCER-Proteste aus den 1980er Jahren haben mit der aktuellen Auseinandersetzung um die Gärten eine wichtige Fortsetzung erfahren. Offensichtlich fördert neoliberale Politik unter bestimmten Umständen den Kampf für lokale Bürgerrechte und fungiert als Katalysator für städtische Politik an der Basis. Für die Zukunft der South Central Farmers wird speziell das Verhalten der lokalen Stadtregierung von Bedeutung sein. Die dringendste Herausforderung ist selbstverständlich die Gärten zu retten. Doch was passiert mit den Gärten, wenn die Campesinos ihren Kampf gewinnen? Ein mögliches Szenario wäre, dass der Trust for Public Land die Gärten kauft und ihren Bestand als ökologisches Community-Projekt sichert. Dann stellt sich die Frage: Wird die Geschichte hier zu Ende sein? Werden die Gärten möglicherweise zu einer Art Dienstleistungs-NGO, die einen Ausgleich für die katastrophale Sozial- und Umweltpolitik der unternehmerischen Stadt schaffen soll? Wird der rebellische Charakter der South Central Farmers dann durch die “routinierte Kooperation mit der lokalen Verwaltung” domestiziert?21 Die Fähigkeit einer neoliberalen Stadt soziale Bewegungen zu vereinnahmen sollte nicht unterschätzt werden.

Oder – ein weiteres Szenario – werden die Gärten ein Ort bleiben, an dem sich die BewohnerInnen von Los Angeles für die politics of space engagieren? Wird der Kampf der Campesinos einen Dominoeffekt haben und eine breite urbane Bewegung auslösen? In den vergangenen drei Jahren haben die South Central Farmers großartige Arbeit geleistet, ihre Gärten verteidigt und ein breites und mächtiges Bündnis an Basisorganisationen geschaffen. Vor diesem Hintergrund betrachtet, stehen die Chancen gut, dass ihre Forderung nach städtischem Ackerland auch den Kampf für das Recht auf die Stadt stärken wird.

Update

Nach Redaktionsschluss überstürzten sich die Ereignisse: In den Morgenstunden des 13. Juni stürmten Angehörige des LAPD und der Feuerwehr gemeinsam mit Sheriffs unter Zuhilfenahme von Bulldozern die Farm. Die Campesinos wehrten sich verzweifelt und konnten die Farm mehrere Stunden halten. Es gab dutzende Verhaftungen. Trotz dieser schweren Niederlage wollen viele nicht aufgeben und versuchen nun mit juristischen und aktionistischen Mitteln die Farm zurückzubekommen. Dabei können sie auf zahlreiche, teils prominente UnterstützerInnen zählen. Aktuelle Informationen im Internet: www.southcentralfarmers.com, http://la.indymedia.org

Dennis R. Judd, Todd Swanstrom, City Politics. Private Power and Public Policy. New York: Addison Wesley, 1994, 3.

David Harvey, "From Managerialism to Entrepreneurialism: The Tranformation in Urban Governance in Late Capitalism". In: Geografiska Annaler, 1, 1989, 3-18.

Saskia Sassen, The Global City, New York, London, Tokyo, Princeton, 1991; Saskia Sassen, "Whose City Is It? Globalization and the Formation of New Claims". In: Sophie Body-Gendrot, Bob Beauregard, The urban moment. Cosmopolitan Essays on the Late 20th Century City. Thousand Oaks, London, New Delhi: Sage Publications, 1999, 99-118.

Margit Mayer, "Urban Social Movements in an Era of Globalization", in: Pierre Hamel, Henri Lustiger-Thaler, Margit Mayer (Hg.), Urban Movements in a Globalizing World, London, New York: Palgrave MacMillan, 2000, 141-157; Justin Beaumont, Walter Nicholls, "Guest Editorial: the Urbanisation of Justice Movements?" In: Space and Polity, 2, 2004, 107-117.

Roger Keil, Los Angeles: Globalization, Urbanization and Social Struggle, Chichester: Wiley-Academy, 1998, 35.

Einen guten Überblick über die Geschichte der Gärten bietet: Dean Kuipers, "Trouble in the Garden". In: Los Angeles CityBeat, 26.01.2006.

Siehe: Mike Davis, "Burning Too Few Illusions". In: Ders., Dead Cities, New York: The New Press, 2002, 227-237.

Gottlieb, Vallianatos, Freer, Dreier, The next Los Angeles. The struggle for a livable city, Berkeley, Los Angeles, London, 2005, 46.

City of Los Angeles Demographics, 2000 Census.

Seit 1999 veröffentlicht die Ethic Commission von Los Angeles alle offiziellen Spenden an Parteien und Amtsträger der Stadt. http://ethics.lacity.org

Aktuelle Informationen zum legalen Status der Gärten und zum Stand des Konflikts finden sich auf der Website der South Central Farmers: www.southcentralfarmers.com

Siehe: "Mayor seeks bleak bugdet scenario", in: Los Angeles Times, 2. März 2006; sowie: "Chick reiterates budget concerns", in: Los Angeles Times, 3. März 2006.

Siehe: "Land Trust seeks to purchase South L.A. Community Garden", in: Los Angeles Times, 15. April 2006.

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Peter Dreier, "George W. Bush and the Cities: The Damage Done and the Struggle Ahead". In: Progressive Planning Magazine, Fall 2004, Download: www.plannersnetwork.org/publications/2004_fall/dreier.htm.

Gottlieb, Vallianatos, Freer, Dreier, The next Los Angeles. The struggle for a livable city, Berkeley, Los Angeles, London, 2005, 85f.; Siehe auch: Allen J. Scott, "Industrial Urbanism in Late-Twentieth-Century Southern California", in: Michael J. Dear (Hg.): From Chicago to L.A. Making Sense of Urban Theory, Thousand Oaks, London, New Delhi: Sage Publications, 2002, 163-179.

Steven P. Erie, Globalizing L.A. Trade, Infrastructure and Regional Development, Stanford, 2004.

Justin Beaumont, Walter Nicholls, "The Urbanisation of Justice Movements? Possibilities and Constraints for the City as a Space of Contentious Struggle". In: Space and Polity, 2, 2004, 121.

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Neil Brenner, Nik Theodore, "Cities and the Geographies of 'Actually Existing Neoliberalism'". In: Antipode, 3, 2002, 349-379.

Margit Mayer, "Urban Social Movements in an Era of Globalization", in: Pierre Hamel, Henri Lustiger-Thaler, Margit Mayer (Hg.), Urban Movements in a Globalizing World, London, New York: Palgrave MacMillan, 2000, 141-157.

Published 9 October 2006
Original in German
First published by dérive 24 (2006)

Contributed by dérive © Henrik Lebuhn/dérive Eurozine

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