Das Gold und der Regenwald

In Französisch-Guyana wird ein ökologisches Entwicklungsmodell leichtfertig verspielt

Frankreichs Übersee-Departement Guyana ist vor allem wegen des Weltraumbahnhofs Kourou ein Begriff. Die wirtschaftliche Abhängigkeit von Frankreich und eine hohe Arbeitslosigkeit sind in dem dünn besiedelten Land immer wieder Anlass zu Unruhen und Ausschreitungen. Nun verlangt eine Unabhängigkeitsbewegung eine radikale Änderung des Verfassungsstatuts. In ihrem Kampf gegen den geplanten Nationalpark, der etwa ein Viertel des Landes umfassen soll, steht sie nicht allein, denn die dortigen Bodenschätze wecken vielerlei Begehrlichkeiten. Aber der unkontrollierte Raubbau gefährdet nicht nur das wahrscheinlich größte intakte Regenwaldgebiet der Welt, sondern er bedroht zunehmend auch die Lebensgrundlagen der indigenen Bevölkerung.

Unter bleiernem Himmel wälzt sich der Fluss Lawa in weitem Bogen durchs Land. Stromabwärts wird er Maroni heißen. Am gegenüberliegenden Ufer zeichnet sich ein düsterer Urwaldsaum ab: Surinam. Auf dieser Seite liegt, im Schatten der französischen Fahne, der Ort Maripa-Soula. Jeder Politiker, der auf originell machen will, müsste hier auf einen unvermeidlichen Spruch zurückgreifen: “Wir befinden uns in Europas größter Gemeinde.” Es ist der kleinste Flecken, den man sich vorstellen kann, doch um ihn herum dehnt sich eine riesige Fläche. Das unermessliche Amazonasgebiet, das ihn einkesselt, von der Außenwelt abschließt, erdrückt. Hierher gelangt man nur über den Fluss, in der Piroge, oder von Cayenne aus in einem einstündigen Flug.

Das Herz von Maripa-Soula hat einen und nur einen Namen: “Chez Dédée”. Eine Taverne, ein Handelskontor – sicherlich das letzte des seligen französischen Kolonialreichs. Hier ist so ziemlich alles zu haben, nur dass die matronenhafte Guyanerin alles um 20 Prozent teurer als in Cayenne verkauft. Die Gespräche ihrer Stammgäste kreisen um die üblichen Themen. “Wenn es nachts regnet, kann man prima fischen, gießt es dagegen am Tage, ist das Fischen für die Katz.” Die Bonis,1 die hier die meisten Bewohner stellen, unterhalten sich in ihrer Sprache, dem Taki-Taki. Rastas, aus der Kolonialzeit übrig gebliebene Weiße, Indios, Beamte auf Dienstreise, die irgendwie ihre Zeit totschlagen, bis sie wieder ins Flugzeug steigen dürfen, Lehrer aus dem Mutterland, die man in diese unsicheren Gebiete geschickt hat, brasilianische und dominikanische Prostituierte, die nicht allzu aufreizende Blicke werfen (das war nicht immer so, wie die Zimmer im ersten Stock bezeugen würden, wenn sie reden könnten), sitzen inmitten einer Batterie von Bier- und Rumflaschen, den beiden Spezialitäten des Hauses. Die einzigen Lustbarkeiten an diesem Ort.

Es ist früher Nachmittag und relativ ruhig. Verstohlen erscheint ein Brasilianer in Begleitung eines Boni. Es glitzert gelb auf der Ladentheke. Ein paar Klümpchen Gold, auf einer kleinen elektronischen Waage gewogen, wechseln für 280 Franc den Besitzer. Der Zwischenhändler nimmt sich davon 50 und verschwindet auf der Stelle. Der Brasilianer, der kein Wort Französisch spricht, zeigt mit dem Finger, was er trinken will, kauft zwei Stück Seife, Zahncreme und eine Zahnbürste. So unauffällig wie möglich schleicht er wieder hinaus. Als wenn er Angst hätte. Als fürchtete er einen Hinterhalt oder irgendein drohendes Unheil.

Wenn Überfälle an der Tagesordnung sind

So gefährlich ist Maripa-Soula nun auch wieder nicht”, beschwichtigt Bürgermeister Robert Bala, ein Boni, der nicht sehr glücklich ist über den Ruf der Gesetzlosigkeit, den sein Ort genießt. Doch im Eifer der Unterhaltung geht ihm das Herz über: “Es stimmt, vor zehn Jahren gab es noch keine bewaffneten Überfälle, wurde man nicht mit blanker Waffe angegriffen, nicht mit dem Tode bedroht. Heute ist das an der Tagesordnung.”

Über Maripa-Soula brütet eine unheilvolle Atmosphäre. Ein Bewohner nimmt eine imaginäre Nadel zwischen Daumen und Zeigefinger, macht eine Geste, als nähe er sich die Lippen zu. Er hütet sich, das Gesetz des Schweigens zu brechen, und sagt nur: “Es wäre manchmal nicht falsch, amnesty international zu alarmieren. Aber ich bin nicht scharf darauf, am nächsten Morgen eine Kugel im Kopf zu haben.”

Aus den glorreichen Tagen des Goldes (1854-1950) waren im Maripa-Soula des Jahres 1993 nur drei gutmütige Goldwäscher übrig geblieben. Doch dann verschaffte sich ein Boni die Rechte an einem aufgegebenen Gebiet, Dorlin. Wie von Zauberhand ging der so lange versiegte Goldstrom wieder los; der Mann tauchte drei Monate später und eineinhalb Kilo Edelmetall reicher wieder auf. Der verborgene Schatz löste eine Reihe von Streitereien aus, Konflikte zwischen verschiedenen Clans. “Nichts wirklich Gravierendes”, bemerkt ein Kenner der Ereignisse, “Prügeleien, mit Fäusten und mit Knüppeln; einige Verstauchungen, einige gebrochene Arme. Aber dank des Krawalls verbreitet sich die Neuigkeit in Windeseile: Da oben gibt es Gold.”

Einige Bonis (die traditionell eigentlich der Goldgräberei nicht verbunden sind) ziehen in die Wälder, unter ihnen eine Reihe Beamter, die in der Departementverwaltung angestellt sind, “aber sich nicht totarbeiten”. Unzählige “kleine Leute” kaufen sich auf Kredit Pumpen und versuchen ihr Glück. Alle werden später zu Bossen aufsteigen. Brasilianer werden eingeschleust, die angesichts ihrer hungrigen Bäuche weder Moskitos noch Fieber, noch die unmenschliche Arbeit in Quecksilber und Schlamm fürchten. “Und damit sie nicht auf dumme Gedanken kommen, nimmt man ihnen bei der Ankunft die Papiere weg!”

Die Flugzeuge von Surinam Airways, die den Norden Brasiliens (Macapa, Belem) mit Paramaribo verbinden, sind immer voll. Eine inländische Fluglinie entlässt ihre menschliche Fracht am Maroni (auf surinamischer Seite), in Lawatabiki. Ein kurzes Stück mit der Piroge – wir überqueren eine nur symbolische Grenze -, und schon ist man in Frankreich. Der Wald rauscht, man ahnt ihn. Die vier Nachtclubs von Maripa-Soula tauchen auf, man sieht sie. Und 35 Prostituierte – “saisonale Schwankungen nicht eingerechnet”. Der Flecken zählt 1 500 Einwohner.

Das erste alarmierende Warnzeichen in Dorlin kommt im August 1994. Zwei Brüder weigerten sich, zwei für sie arbeitende Brasilianer auszuzahlen, die an Malaria erkrankt waren und verlangt hatten, in Maripa-Soula behandelt zu werden. “Die haben dann die Gewehre ihrer Chefs gestohlen, haben sie umgebracht und sind in die Wälder geflohen.” Großer Aufruhr. Die beiden Ermordeten hatten für die Goldwäsche mit zwei Pumpen gearbeitet, die dem Bürgermeister von Maripa-Soula (damals Antoine Abienso) gehörten; einer der beiden war Verwaltungschef im Departement. “Als die Nachricht den Ort erreicht, kommt es zu schweren Übergriffen und rassistischen Hetzjagden auf die Brasilianer, zu Lynchjustiz.”

Hals über Kopf fliehen die Brasilianer über die Grenze. Doch ohne ihre Arbeitskraft kann kein Gold gewaschen werden. Sechs Monate später werden sie wieder mit offenen Armen empfangen. Die meisten Chefs in den Wäldern verhalten sich korrekt. Aber da ihre technischen und verwalterischen Fähigkeiten nicht berauschend sind, verhalten sie sich häufig nicht ganz korrekt. Nicht immer ist das Geld da, um die Löhne zu zahlen (normalerweise 1 500 Franc pro Monat)! Andererseits, wer sich zum Schaf macht, den fressen die Wölfe. Warum sollte man Arbeiter bezahlen, denen die Hände gebunden sind, weil man ihnen die Papiere weggenommen hat?

Schlägereien, Auseinandersetzungen, Messerstechereien und Schießereien. Die Brasilianer fliehen in den Urwald. Andere schlagen sich nach Maripa-Soula durch, doch in welcher Verfassung! Im Februar 1996 kommt einer mit schweren Brandwunden und barbarischen Folterspuren, ein anderer mit zerschossener Lunge und Blei im Hals, ein weiterer mit einem Loch im Schädel, das von Maden wimmelt. “Es gibt viele Tote, immer wieder. Brasilianer, Guyaner, Surinamer. Sie werden niedergeschossen, mit Steinen um den Hals irgendwo in einer Bucht versenkt. Die Piranhas konnten damals ordentlich Speck ansetzen.”

1996 stoppt die Regierung alle Aktivitäten. Zum großen Ärger der Goldgräber, die daraufhin gezielt ihre Beziehungen spielen lassen. Offiziell ist in Guyana ständig die Rede vom künftigen Nationalpark, den François Mitterrand auf dem Umweltgipfel von Rio angekündigt hatte. In Übereinstimmung mit allen beteiligten Parteien, im Mutterland wie in Guyana, wurde eine Vereinbarung zwischen dem Staat, der Region und dem Departement unterzeichnet. Nun geht es darum, in einem der letzten ursprünglichen, noch intakten Äquatorialgebiete ein Modell ökologischer Entwicklung für Südamerika zu realisieren.

Nach heftigem Streit mit den Wissenschaftlern, die den Park in der (unbewohnten) Nordhälfte des Departements errichtet sehen wollen, fasst der Staat ein Gebiet südlich der Linie Maripa Soula – Camopi (am Fluss Oiapock, der Grenze zu Brasilien) ins Auge, das von Noirs marrons2 und Indios bewohnt wird. Das übrige Gebiet soll frei zugänglich bleiben, auch für Bergbauunternehmen und Forstwirtschaft. Internationale Goldförderfirmen – Guyanor Resources (ein Ableger der kanadischen Golden Star) und KWG (aus Deutschland) – haben starken Druck ausgeübt.

1993 nimmt eine sehr viel kleinere Planungskommission ihre Arbeit auf. “Aus diesem Grund”, erklärt rückblickend Denis Bassargette, der in der Kommission für den Maroni-Sektor zuständig ist, “hat man die Bevölkerung im Landesinneren nicht ausreichend befragt.” Die nicht ausreichend Befragten reagieren ausgesprochen negativ. Viele fürchten, man könnte ihnen ihre angestammten Jagd- und Fischfangrechte entziehen, und verlangen vor allem “das Recht, sich überall frei zu bewegen”, auch in Gegenden, in die sie nie gelangen! 1995 erfährt das Nationalpark-Projekt einhellige Ablehnung.

Ökologisches Gleichgewicht und ökonomische Zwänge

Ein neuer Planungsstab tritt an: Aus jedem betroffenen Dorf wird mindestens eine Person (Noir marron oder Indio) in die Kommission geholt. Das Leitungsgremium wird um die traditionellen Verbände und Institutionen erweitert. Keines der strittigen Themen bleibt ausgeklammert. Ein besonders heikler Punkt: die angestammte Subsistenzwirtschaft – Jagd, Fischfang, Ackerbau auf der Basis von Brandrodung – bleibt uneingeschränkt erlaubt, wenn auch nicht zu kommerziellen Zwecken (von dieser Einschränkung ausgenommen werden Produkte, die für Maripa-Soula bestimmt sind).

“Alle waren sich einig”, erinnert sich Denis Bassargette, “dass auch in zweihundert Jahren noch alles so sein sollte, wie es war. Die Menschen, die Fische in den Flüssen, die Tiere in den Wäldern. Was nicht heißt, dass nichts mehr gejagt oder gefangen werden sollte, aber das ökologische Gleichgewicht sollte nicht zerstört werden, wie man es anderswo erlebt hat.” Mitte 1998 glaubten viele, alles sei unter Dach und Fach.

Doch hatte man die Rechnung ohne die Politik (im engstirnigsten Sinne des Wortes) gemacht. Ende 1998 führten Neuwahlen zu veränderten Mehrheitsverhältnissen im Bezirksrat. Dessen Präsident Antoine Karam (Sozialistische Partei Guyanas; PSG) muss sich seither mit drei Abgeordneten der (die Unabhängigkeit von Frankreich anstrebenden) Bewegung für Entkolonialisierung und soziale Emanzipation (MDES) arrangieren. “Wir sind gegen den Park”, teilt uns Maurice Pindard, Generalsekretär der MDES, im Dezember 2000 mit. “Wir wollen die Kontrolle über dieses Gebiet. Wir sind gegen einen von Paris aufgenötigten Nationalpark, denn wir haben den starken Wunsch, unser Territorium und unsere Reichtümer selbst zu verwalten.”

Der Generalsekretär der (ebenfalls die Unabhängigkeit anstrebenden) Guyanischen Arbeitergewerkschaft (UTG), Christian Ravin, stößt ins gleiche Horn: “Wir sind uns einer Reihe von Notwendigkeiten bewusst – Schutz der Natur, Respektierung von Traditionen und Lebensweisen -, aber man kann auch nicht Ressourcen abschreiben, die geradezu danach schreien, erschlossen zu werden, auch wenn bei der Erschließung Schutzmaßnahmen nötig sind.”

Hatte der Präsident des Bezirksrats, Antoine Karam, noch 1996 den Staat aufgefordert, den Nationalpark umgehend zu realisieren, sperrt er sich heute dagegen: “Es kann nicht sein, dass die wirtschaftliche Entwicklung nur wegen einiger ökologischer Fundamentalisten blockiert wird.”3 Die große Ironie der Geschichte: In der kreolischen Politikerklasse,4 die Paris (oft zu Recht) wegen seines Jakobinismus gescholten hat, betrachtet man das Nationalpark-Projekt als Usurpation seitens des Mutterlandes und zugleich als unerwünschten Zugewinn an Autonomie für den Süden des Departements und seine Bevölkerung.

Das Dekret von 1970, mit dem südlich der Linie Camopi – Maripa-Soula eine Schutzone für die dort lebenden Indiovölker verfügt wurde, hat man hierzulande nie akzeptiert. Hinzu kommt das wachsende Gewicht der Goldlobby, das hinter den Positionskämpfen und nicht zuletzt hinter dem spektakulären Sinneswandel gewisser Politiker sichtbar wird.

Denn drei der Bürgermeister der betroffenen Kommunen (Régina, Camopi, Papaïchton) haben sich offiziell für den Park ausgesprochen. Der Gemeindevorsteher von Saul hat seine Zustimmung signalisiert, aber die nötigen Schritte zu einer offiziellen Beschlussfassung noch nicht eingeleitet. Der Bürgermeister von Maripa-Soula, Robert Bala, der sich (wie er zugibt) dem Druck der Goldgräber und sogar (worüber er nicht spricht) Todesdrohungen ausgesetzt sieht, äußert sich “weder dafür noch dagegen” und verlangt klugerweise zusätzliche Informationen. Der Gran Man Amaypoti, Stammesführer des Indiovolkes der Wayanas, steht dem Projekt wohlwollend gegenüber. In Cayenne reagiert man darauf mit Empörung: “Er hat Geschenke erhalten!” Richtig ist, dass die Park-Kommission mit Entwicklungsprojekten wie der Versorgung mit Trinkwasser begonnen hat. Robert Bassargette meint einigermaßen desillusioniert: “Trinkwasserleitungen in Dörfer zu legen ist ein Gebot der Notwendigkeit und heißt nicht die Bevölkerung bestechen.”

“Und außerdem”, so Pindard von der MDES weiter: “ist der Gran Man der Bonis von Maripa-Soula gegen den Park.” Aus gutem Grund: Der fragliche Gran Man, Joachim Adosini, ist selbst Goldgräber! Der andere Gran Man der Bonis von Papaïchton, Doudou Paul, hat den Park zunächst unterstützt und dies auch schriftlich bestätigt, dann aber einen Brief geschrieben, in dem er seine Zustimmung zurücknimmt. “Den hat er nicht selbst verfasst, das waren Leute vom Bezirksrat, die haben ihm das Papier in die Hand gedrückt und gesagt: Unterschreiben Sie das”, lacht ein Dorfbewohner, der die Szene aus der Nähe verfolgt hat. Ein großer Mythos ist wiedergeboren: Das Gold von Guyana. Eine äußerst kurzsichtige politische Vision: das Gold den Guyanern. Und dahinter sorgfältig kaschierte Interessen, eine gefährliche Utopie.

In einem dem Premierminister am 14. Dezember 2000 vorgelegten Bericht5 hat die Abgeordnete von Guyana, Christiane Taubira-Delanon (Walwari, linkes Bündnis) den Schleier über diesen mit der Goldgewinnung verbundenen Aktivitäten ein wenig gelüftet. Insbesondere über deren ökologische und wirtschaftliche Begleitumstände. Diese “Industrie” hat, indem sie den Wald abholzte und den Urwaldboden zerstörte, indem sie ihr für Tiere und Menschen hochgiftiges Quecksilber und ihre Schlämme über die Wasserläufe entsorgte, massiv in das Ökosystem eingegriffen. Und sie hat im Jahre 1999 über Steuerabgaben lediglich 625 015 Franc an die Kommunen und 150 686 Franc an das Departement abgeführt! Die Abgeordnete versucht zu retten, was zu retten ist: “Dort, wo es keinen anderen Ausweg gibt, wird man den Leuten nicht sagen, verhungert oder holt euch entweder Sozialhilfe oder seht zu, dass ihr euch mit Schwarzarbeit durchschlagt. Aber in dieser Situation muss man sich Gedanken über einen Raumordnungsplan machen, verhindern, dass private Interessen ein gemeinschaftliches Erbe aufs Spiel setzen.”

“Ich habe keine Lust, über politische Probleme zu reden. Im Goldgeschäft gibt es mächtige Bosse, aus Gründen der eigenen Sicherheit vermeidet man es, ihre Namen zu nennen”, sagt ein Franzose aus dem Mutterland. Der Wayana neben ihm nickt zustimmend und beschränkt sich auf ein lakonisches: “Recht hat er.” Die Namen kennt jeder: Adam Abongo, Popo Machine, Michel Poïté, Jean Bena usw. Unumstrittene Nummer eins ist Jean Bena. “Ursprünglich trieb Bena ein wenig Handel mit “Gras” zwischen dem Indiogebiet und Saint Laurent du Maroni. Dann ist er ins Goldgeschäft eingestiegen. Er ist clever, er ist geschickt, bezahlt seine Arbeiter und versteht es zu investieren.” So gut, dass er sich gegenüber von Nasson, in Benzdorf (Surinam), niedergelassen und unter dem Namen “Metal” ein riesiges Goldgewinnungsunternehmen aufgezogen hat. Zu dessen Schutz organisiert er eine Miliz, die Dschungel-Brigaden, in der Söldner dienen, die sich ehemals in den entsetzlichen Rassenkonflikten von Surinam hervorgetan haben.

Ausländische Investoren wittern das Gold

Die Entdeckung der Goldvorkommen von Omaï (Guyana), von las Cristinas (Venezuela) und Gross Rosebel (Surinam) hat das Interesse ausländischer Investoren an Guyana geweckt. Im Gefolge von Guyanor (seit 1993 aktiv) haben dort Dutzende von Bergbaukonzernen in die Erschließung von Lagerstätten investiert (zwischen 1994 und 2000 flossen 450 Millionen Franc in die Ressourcenausbeute). Kann man den einen verwehren, was man den anderen erlaubt? Im gleichen Zeitraum wurden von der Regionaldirektion für Industrie und Forschung (DRIR) 196 Schürflizenzen erteilt.6 Selbst beim Staatssekretariat für die überseeischen Territorien und Départements in Paris schüttelt man den Kopf: “Wenn es irgendwo etwas zu finden gibt, kennt die DRIR kein Halten mehr; man denkt nicht nach, sondern wirft mit Genehmigungen nur so um sich.”

1997 erhalten die Goldgräber zehn Genehmigungen zur Entnahme von Bodenproben nahe Dorlin (am Petit Inini). Eine der zehn in Aussicht genommenen Lagerstätten wird Jean Bena zugewiesen: seine Dschungel-Brigaden sorgen in dem Gebiet für ihre Ordnung. Mit dieser Bürgschaft im Rücken “pokert Bena hoch und nimmt sich, was er will”. Er leistet sich sogar Übergriffe auf die Anlagen der mächtigen Guyanor, die sich nicht dagegen wehren kann. “Wir haben der Verwaltung unsere Beschwerden übermittelt”, bestätigt der Präsident der Firma, Carlos Bortani, “ohne dass der Sache je nachgegangen worden wäre.” Hier geht es nicht darum, gegen einen lokalen Unternehmer und für einen internationalen Konzern Partei zu ergreifen. Man muss aber verstehen lernen, wie gesetzesfreie Zonen entstehen können und auf welche Weise lokalen Potentaten in den Sattel geholfen wird.

Offensichtlich übte das gelbe Gold auf den damaligen Präfekten, Dominique Vian, eine größere Anziehungskraft aus als das grüne Gold. Er machte Bena zu einem seiner engsten Kontaktmänner. Dem überließ man dann konsequenterweise auch die Schmutzarbeit, wenn man die Anwesenheit illegaler Brasilianer in Maraudeur (am Grand Inini) entdeckte. “Seine Leute kommen in Pirogen – nicht wie die Polizei im Hubschrauber, den man schon von weitem hört -, in voller Kriegsmontur. Das ist enorm effektiv. Und kostet den Staat keinen Pfennig.” Außer bei einer Gelegenheit, als einer der Dschungelkämpfer einen Messerstich abbekam. Auf Befehl von Bena schickte die Armee einen Hubschrauber und einen Arzt aus Samu. “Während der ganzen Zeit, die wir dort unten waren, standen mir die Haare zu Berge; irgendwo im Wald brüllte einer wie am Spieß”, erinnert sich dieser Arzt. In den folgenden Tagen fanden zwei oder drei Brasilianer den Tod. Andere wurden gefoltert. Zu Anklagen kam es nie.

Wäre er nicht zu dienstlicher Zurückhaltung verpflichtet, würde ein Polizist es so formulieren: “Ein Tarnanzug macht dich nicht automatisch zum Mitglied einer bewaffneten Miliz. Und nebenbei, wenn wir hier eine Miliz hätten, gäbe es in den Wäldern weniger bewaffnete Überfälle.” Dennoch kommen aus Maripa-Soula unbestreitbare Zeugenaussagen: “Einmal habe ich eine Piroge kommen sehen. Zuerst glaubte ich, die Fremdenlegion vor mir zu haben, wegen ihrer Ausrüstung und ihrer Waffen. Aber es waren die Männer von Jean Bena.” Auch andere greifen zu ähnlichen Mitteln, wenn auch weniger martialisch ausgerüstet. Eine Mafia setzt sich fest. Die neuen Gangsterbosse des Flusses.

Feuergefechte, Strafexpeditionen wie die im Mai 1998, als eine Welle der Gewalt über Maripa-Soula hereinbrach (nach dem Überfall auf einen Boni, wahrscheinlich durch einen Brasilianer). Brasilianische Männer, Frauen und Kinder flüchten sich, die Verfolger auf den Fersen, in die Wälder, verstecken sich in den Sümpfen. Der Präfekt lässt sie von der Polizei gefangen nehmen und dann ausweisen. Er verfügt die Schließung der Bars und Spielhöllen wie auch der Stundenhotels. Danach scheint in der Ortschaft wieder eine gewisse Normalität eingekehrt zu sein.

“Von den jungen Leuten höre ich so manches. Solange es auf französischer Seite geschieht, halten sie sich eher bedeckt, aber wenn es in Surinam passiert, wird freimütig erzählt.” Der kongolesische Arzt Isidore Lusumbvuku in der Ambulanz von Maripa-Soula bestätigt die Frage indirekt: “Ab und zu kommen Verwundete zu mir.” Kurzes Schweigen: “Man bekommt natürlich nur die zu Gesicht, die das Glück hatten, mit einer Verwundung davonzukommen.”

Das Schreckgespenst eines ethnischen Krieges

Der Indio aus Cayodé am Tampok, einem Zufluss des Waki, ist noch jung. Sein Gesicht ist verzerrt vor Angst, echter Angst. “Man hat schon darüber gesprochen, aber irgendwie ist es dann trotzdem passiert. Und dann sind die Probleme aufgetaucht. Alles wird verseucht. Mit Quecksilber. Und mit giftigen Schlämmen. Spannungen gibt es auch. Das ist gar nicht gut.” Noch am 21. Juni 1998 unterschrieb Joachim Adosini, Gran Man der Boni, mit den indianischen Stammesführern die Vereinbarungen von Twenké, die sich gegen eine umweltbelastende Abbautätigkeit richtete. Doch die Versuchung war zu groß, die laxe Einstellung des Staates zu augenfällig. Als die Vorkommen von Dorlin sich zu erschöpfen begannen, brach Adosini, mehr Goldgräber als Vertreter seiner Volksgruppe, sein Wort. Illegalerweise wurden merkwürdige Schürfgenehmigungen für die Schutzzone im Indiogebiet ausgestellt. Die Indios aus Cayodé wurden zu Stammbesuchern der Polizeistelle in Maripa-Soula, wo sie immer wieder protestierten.

Ende 1999 gibt der Präfekt Henry Masse den Goldgräbern drei Monate Zeit, einen neuen Standort ausfindig zu machen, drei Monate, um eine Genehmigung zu erhalten, und weitere drei Monate für den Umzug. Einer der Goldgräber, Popo Machine, hat Pech und macht Bankrott. Angesichts der Drohungen seiner unbezahlten Arbeiter verkauft er seine Mine ausgerechnet an Jean Bena. Der lässt öffentlich verlauten: “Jetzt, da wir einmal Brot mit Butter gegessen haben, lassen wir uns nicht ohne weiteres die Butter wieder vom Brot nehmen.” Und er fackelt nicht lange: Es gelingt ihm, im Indiogebiet Förderanlagen zu errichten. Die Wayanas leisten Widerstand. Gewaltsame Auseinandersetzungen am Fluss, Entführung und Einschüchterung von “Kapitän” Yalali (dem Häuptling der Cayodé) und Drohungen gegen die indianischen Kinder in der Schule von Maripa-Soula.

Am 10. Februar fordern die Goldgräber die Genehmigung zur Erschließung des Gebiets am Waki-Fluss. Volksvertreter aus Cayenne unterstützen ihre “Brüder” in Maripa-Soula. Am 15. Februar erklärt der Vizepräsident des Generalrats, Alain Tien-Long: “Das Gold bedeutet nachhaltige Entwicklung.” Während einer turbulenten Versammlung am 17. Februar in Maripa-Soula, in deren Verlauf der offizielle Übersetzer des Gran Man der Indios bedroht wird, lässt der Präfekt, der den wachsenden Druck spürt, “ein paar Worte fallen” (so einer der Anwesenden). Er gestattet Bena, seine Materialien am Waki-Fluss zu lagern, doch “ohne sie zur Goldförderung einzusetzen”. “Woraufhin sich alle schief lachten”, fügt unser Gewährsmann hinzu.

Seither herrscht auf dem Waki und dem Tampok Hochbetrieb. Nachts verkehren unerlaubt Pirogen. Es hagelt Drohungen gegen bestimmte Indios. In Twenké ist man verzweifelt, fühlt sich vom Staat im Stich gelassen und spricht von Krieg. Denn die Indianer haben vor kurzem durch die Veröffentlichung eines Berichts7 erfahren, dass in ihren vier wichtigsten Dörfern (Cayodé, Twenké, Talwen, Antecum Pata) die Quecksilberbelastung der Bevölkerung weit über den von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) festgesetzten Grenzwerten liegt.8 Und dass einige der ebenfalls stark belasteten Fischarten, von denen sie sich ernähren (aïmara, kulamata, huluwi, paraïe), ihre Gesundheit zusätzlich gefährden. Schon jetzt sind verschiedene Krankheitssymptome zu erkennen, vor allem bei den Kindern: Seh-, Reflex- und Verhaltensstörungen.

“Es handelt sich nicht um ethnische Konflikte”, sagt die Abgeordnete Taubira-Delanon empört: “Man muss die Dinge beim richtigen Namen nennen, wenn man etwas gegen sie unternehmen will. Es geht hier um einen Konflikt um die Nutzungsrechte für bestimmte Gebiete.” Tatsächlich verläuft die Kluft nicht zwischen Bonis und Indios, sondern zwischen Goldgräbern und Nichtgoldgräbern. So waren die Ersten, die sich über die verheerenden Folgen des unkontrollierten Raubbaus beklagt haben, die Bonis aus Papaïchton. Doktor Lusumbvuku in Maripa-Soula macht sich dennoch Sorgen: “Wir müssen aufpassen. In Krisenzeiten kommen doch ab und zu wieder archaische Reflexe zum Vorschein . . .”

“In den Wäldern herrscht das Faustrecht. Einige sind geneigt, dasselbe Recht auch auf Maripa-Soula auszudehnen.” Die Brasilianer in der Ortschaft verkriechen sich, Lehrer verlassen das Dorf. Es kommt zu “tödlichen Zwischenfällen” (eine Indianerin, die einer verirrten, für einen Brasilianer bestimmten Kugel zum Opfer fällt), die Spannung steigt. Sie entlädt sich in der Nacht vom 11. auf den 12. Januar, als hunderte Anhänger von Jean Bena die Polizeistation belagern, um zu erreichen, dass ihr Chef, der bei einer Schlägerei durch einen Faustschlag verletzt worden war, mit einem Hubschrauber ins Krankenhaus von Cayenne ausgeflogen wird.

Von den einen unterstützt, von den anderen geduldet, von vielen für eigene Ziele eingespannt, sind die Goldgräber zu einem Politikum ersten Ranges geworden. Das erklärt den fehlenden Mut aller Beteiligten – den fehlenden politischen Mut, um es genau zu formulieren. Das gilt besonders in einem Jahr, in dem Wahlen anstehen. Doch am Fluss – und im Tauziehen um das blutige Gold – handelt es sich um ein Spiel mit dem Feuer.

Die Boni oder Bushingués sind Nachfahren entflohener afrikanischer Sklaven, die seit Jahrhunderten abgeschieden in den Uferwäldern des Maroni leben. Man unterscheidet vier Ethnien, die die Bevölkerungsmehrheit entlang des Maroni stellen: Alukus, Djukus, Paramakas und Saramakas.

Noirs marrons: ursprünglich "entflohene Sklaven", heute französische Sammelbezeichnung für die Ethnien, die sich seit dem 16. Jahrhundert in den Wäldern des Amazonasbeckens aus entflohenen afrikanischen Sklaven gebildet haben.

Le Monde, 27. März 1999.

Mischlingsbevölkerung, die den "nützlichen" Teil Guyanas (die Küstenregion) bewohnt; die Kreolen monopolisieren den politischen Vertretungsanspruch in all seinen Tendenzen.

"LOr en Guyane. Eclats et artifices" [Das Gold von Guyana. Glanz und Tücken].

Zwischen 1975 und 1995 wurden seitens der guyanischen Bergbaubehörde, der späteren Behörde für geologische und bergbauliche Forschung, 280 Millionen Franc investiert.

Nadine Fréry, Michel Jouan, Evelyne Maillot, Michèle Deheeger, "Expositions au mercure de la population amérindienne Wayana. Enquête alimentaire" ["Die Gefährdung der indianischen Wayana-Bevölkerung durch quecksilberbelastete Lebensmittel"], Institut national de veille sanitaire (INVS) und Institut national de la santé et de la recherche médicale (Inserm), 1. September 1999.

12 Mikron pro Gramm Haar; der Mittelwert weltweit liegt bei 2 Mikron.

Published 6 March 2001
Original in French
Translated by Christian Hansen
First published by Le Monde diplomatique (Berlin)

Contributed by Le Monde diplomatique (Berlin) © Maurice Lémoine / Christian Hansen / Le Monde diplomatique (Berlin) / Contrapress media GmbH / Eurozine

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