Auf Chauvinismus gesetzt

Die schwedischen Wahlen 2002 hinterlassen einen bitteren Geschmack

Kratzt man ein wenig an der Oberfläche, stößt man bald auf einen unbehaglichen Kitt. Die Europafrage im Speziellen und die internationale Solidarität im Allgemeinen haben sich durch ihr totales Fehlen ausgezeichnet, während jene Parteien, die mit Hilfe einer geschickt codierten Sprache ein Gefühl des “wir und die” – Schweden und Einwanderer – verstärkt hatten, reichlich belohnt wurden, schreibt Magnus Linton. Über das, was in den nächsten Wahlen passieren kann, äußert er sich besorgt.

Die schwedischen Wahlen bilden ein kompaktes Ganzes. Kratzt man ein wenig an seinen drei Bestandteilen – Wahlkampf, Wahlresultat, Nachspiel – stößt man bald auf einen unbehaglichen Kitt. Durch alles, angefangen bei der historisch niedrigen Wahlbeteiligung über den großen Erfolg der Mitte bis hin zur Situation im Reichstag (die Sozialdemokraten regieren mit Hilfe der Linken und der Grünen weiter) zieht sich ein roter Faden. Oder besser gesagt ein blaugelber. Es handelt sich um einen national nach innen orientierten Wahlprozess, in dem alle Ansätze und Bemühungen, das Schwedische zu bewahren, von der Wählerschaft großzügig honoriert wurden.

Es ist richtig, dass Schweden keine große Rassistenpartei wie die Parteien von Kjaersgaard oder Le Pen hat, aber wenn es um institutionalisierte Fremdenfeindlichkeit und nationale Selbstzufriedenheit geht, liegt das Land an europäischer Spitze. Die vergangene Wahl und die vorangegangenen Diskussionen bestätigen in eindringlicher Weise, dass die Schweden und ihre politischen Vertreter sich entschieden haben, den schwedischen Wohlfahrtsstaat zu beschützen – aber eben nur den schwedischen. Die Europafrage im Speziellen und die internationale Solidarität im Allgemeinen haben sich durch ihr totales Fehlen ausgezeichnet, während jene Parteien, die mit Hilfe einer geschickt codierten Sprache ein Gefühl des “wir und die” – Schweden und Einwanderer – verstärkt hatten, reichlich belohnt wurden.

Beginnt man rechts außen, sieht man, dass die rassistische Partei der Schwedendemokraten ihre Mandate in den Gemeinden verfünffacht hat – von 8 auf 39. Saßen sie zuvor in acht Gemeinden, sind sie nun in 20 und da oft auf deutlich mehr Sitzen als bloß einem. Natürlich sind die Schwedendemokraten auf Gemeindeebene immer noch eine Witzpartei ohne realen Einfluss, aber die Wahl 2002 zeigt mit beunruhigender Deutlichkeit, dass die Seuche um sich greift.

Die konservativen Moderaten, mit ihrem drastischen Rückgang von 23 auf 15 Prozent die größten Verlierer dieser Wahl, sind eine Partei, die während der letzten Legislaturperiode von einer radikalen Einstellungsänderung zur Frage der Immigration geprägt wurde. Von einer jungen Generation angetrieben, hatte die Partei viel Zeit darauf verwendet, sich als eine von Schwedens engagiertesten Kräften für eine multikulturelle Gesellschaft zu profilieren. Damit hob sie sich deutlich von vielen Kollegen der europäischen Rechten ab. Zwar war diese multikulturelle Gesellschaft eine sozial gestaffelte, aber sieht man einmal von jenem Skandal ab, als sich vor versteckter Kamera ein paar ältere Moderate in eindeutiger Weise rassistisch äußerten, so ist es eine Tatsache, dass die Jüngeren der Partei eine progressive Rolle in der Diskussion um eine zukünftige, multikulturelle Gesellschaft gespielt haben. Am Wahltag wurde die Rechnung präsentiert: ein Drittel der Wähler ist – die große Überraschung dieser Wahl – zur Volkspartei geflüchtet, die sich in die genau entgegengesetzte Richtung bewegt hatte.

Vor den Wahlen 1998 waren Europapolitik und internationale Solidarität ganz klare Bestandteile des Profils der Volkspartei gewesen. Im Fernsehen, auf den Straßen und Plätzen traten vor allem die führenden jungen Frauen der Partei auf und sprachen enthusiastisch von einer föderalistischen Entwicklung innerhalb der EU und allem, was sie mit sich bringen würde: Vitalisierung der Demokratie und konkrete Schritte in Richtung einer realen globalen politischen Ordnung. Die übrigen Parteien mussten sich genau definieren, und die Schaffung und Wahrung des Wohlergehens der anderen war ein wichtiges Thema. Nicht so dieses Mal. Die Europafrage war in der Wahl 2002 genauso inexistent wie die progressiven Frauen der Volkspartei. Gegen Ende des Sommers spielte die Partei statt dessen die rassistische Karte in einer Weise aus, dass dies eigentlich wahre Liberale aufrütteln und Erinnerungen an schreckliche Zeiten hätte wecken müssen. Die Wahlstrategen haben zugegeben (Svenska Dagbladet, 3.9.2002), dass der lancierte Vorschlag eines verbindlichen Sprachtests für eine Staatsbürgerschaft, sowie “mehr Forderungen an Einwanderer” rein taktische Überlegungen waren; und wer die ganzseitigen Anzeigen der Volkspartei gesehen hat, dem kann es nicht schwergefallen sein, den verschlüsselten Flirt mit der Fremdenfeindlichkeit zu entdecken – eine Art Pia Kjaersgaard light. Und der Trick hat funktioniert, klarerweise. Mit einem beinharten Schweigen über die Zukunft der EU und einer ebenso beinharten Rhetorik für die Verteidigung des Schwedischen hat sich die Volkspartei fast verdreifacht und konnte so mit einem breiten Lächeln die Führungsrolle innerhalb des bürgerlichen Blocks einnehmen.

Diese Vorgänge haben einen unangenehmen Nachgeschmack. Jedes Foto, das in den Tagen nach der Wahl vom jubelnden Parteivorsitzenden der Volkspartei gezeigt wurde, wird davon getrübt, dass alle wissen, was für Stimmen ihn in diese Position gehoben haben. Geht es in den Wahlen 2006 wieder heiß her, wird wieder die fremdenfeindliche Karte ausgespielt werden, aber dann vielleicht von den Sozialdemokraten. Der bloße Gedanke eröffnet furchtbare Perspektiven.

Die Sozialdemokraten, die zweiten Sieger dieser Wahl, sind nun weiter an der Macht, mit der Unterstützung von zwei Parteien, die den Austritt aus der Europäischen Union verlangen, eine Forderung, die zudem von der Hälfte aller sozialdemokratischen Wähler geteilt wird. Die EU-Ablehnung in Schweden, die hier einzigartigerweise von den Linken angeführt wird, ist weiterhin massiv, und jene, auf deren politischer Agenda globale Politik und europäische Koordination als vordringlichste Punkte notiert sind, mit dem Ziel, ein funktionierendes Gegengewicht gegen die US-amerikanische weltpolitische Vormachtstellung zu bilden, haben allen Grund, enttäuscht zu sein. Schon wieder. Abgesehen von den chauvinistischen Ideen der roten und grünen Parteien (letztere sind zum Zünglein an der Waage geworden), Schweden zu einem utopischen Satelliten der Erde zu machen, ist es eine Tatsache, dass die Sozialdemokraten, die sich jetzt von 36 auf 40 Prozent verbessert haben, während der letzten beiden Legislaturperioden beinahe jeden einzelnen der in den frühen Neunzigern von der fremdenfeindlichen Neuen Demokratie lancierten asyl- und flüchtlingspolitischen Vorschläge umgesetzt haben. Das ergibt kein schönes Bild. Die Vertreter der Sozialdemokraten haben darüber hinaus die Verschärfungen in der Flüchtlingspolitik mit ausdrücklichen Verweisen auf die fremdenfeindlichen Lager innerhalb der eigenen Partei verteidigt, und die Wahrscheinlichkeit, dass sich dieses Muster demnächst anhand des Vorschlages der Volkspartei, härtere “Forderungen an die Einwanderer” zu stellen wiederholt, ist alles andere als gering.

Dass Göran Persson jetzt den seit Herbst 1999 andauernden Trend des Machtverlustes der sozialdemokratischen Regierungen in zahlreichen europäischen Staaten gebrochen hat, gibt vielen sozialdemokratisch gesinnten Europäern sicher große Hoffnung. Und natürlich stimmt es, dass europäische Rechtsparteien die Macht dank großer Erfolge der ausgeprägt fremdenfeindlichen Regierungsparteien übernehmen konnten, die man in Schweden bislang noch nicht finden kann. Persson hat also “Glück mit den Gegnern” gehabt. Nichtsdestotrotz waren der schwedische Wahlkampf und sein deutlicher, wenngleich insgesamt für die zwei politischen Blöcke relativ bedeutungsloser Ausgang eine Qual vor allem für zwei Gruppen. Insbesondere und verständlicherweise für jene Menschen mit ausländischen Wurzeln, die Tag für Tag von einer verschärften und schablonisierten “wir und die”-Perspektive diskriminiert und erniedrigt wurden, die die politische Elite forcierte. Ali Esbati, der Wortführer des Jugendverbands der Linkspartei, der selbst einen ausländischen Background hat, formulierte es in der Wahlnacht so: “Diese Diskussionen haben die Kluft zwischen so genannten Schweden und uns anderen für lange Zeit vergrößert. Das ist ein harter Schlag.” Misstrauen, Frustration, niedrigere Wahlbeteiligung – das alles steht uns bevor.

Die anderen Verlierer sind die progressiven Internationalisten. Genau zu dem Zeitpunkt, wo eine kosmopolitische Perspektive und eine Errichtung von globalen demokratischen Strukturen wichtiger sind als je zuvor, geht die Frage in einer ungeheuer hochgeputschten Konzentrierung auf nationale Identität, nationale Staatsbürgerschaften und nationale Kultur unter. Die Linke hat jetzt die jüngere Bevölkerung noch fester im Griff – 60 Prozent der schwedischen Erstwähler gaben ihre Stimme den Sozialdemokraten – und internationale Solidarität ist bekanntermaßen ein wichtiges Thema für diese Gruppe. Problematisch ist dabei nur, dass viele aus dieser jungen und immer stärker tonangebenden Linksgeneration die falschen Schlüsse aus ihrer durchaus berechtigten Kritik an einer demokratisch unzulänglichen EU ziehen. Die Wahluntersuchungen zeigen, dass die EU und die Europäische Währungsunion ganz unten auf der Liste der Erstwähler stehen. Und statt ernsthaft mit dem Aufbau von europäischen Parteien und grenzenlosen Gewerkschaften zu beginnen und eine richtige Verfassung für die EU zu fordern, verlangen sie, dass Schweden aus der EU austreten oder gar, dass das ganze Projekt “zerschlagen” werden solle.

Und hier steht nun Göran Persson. Im Schatten der vorangegangenen Legislaturperiode – einer Zeit, wo sein Agieren bereits von einer peinlichen Initiativlosigkeit hinsichtlich der europäischen Zukunft geprägt wurde – soll er erkennen, wohin der Wind bläst. Tut er es, so wird er sehen, dass eines in dieser Wahl klar wurde: die nationale Perspektive hat sich verschärft. Auch in Schweden. Eine alternde Generation zur Rechten fordert härtere Bandagen im Umgang mit einem diffusen Etwas, das sie “Einwanderer” nennen, und die junge Generation zur Linken fordert den Austritt aus der EU. In der Mitte steht ein Regierungschef, der äußerlich hart wirkt, innerlich aber feige ist und der lieber für immer Landesvater sein will, als die Welt zu verändern. Das verheißt nichts Gutes.

Published 1 November 2002
Original in Swedish
Translated by Sandra Nalepka

© eurozine

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