Abstracts Osteuropa 1-2/2006

Regine Dehnel
Die Täter, die Opfer und die Kunst. Rückblick auf den nationalsozialistischen Raubzug

Zwischen 1933 und 1945 wurden zunächst in Deutschland, dann in ganz Europa Kunstwerke, Bücher und Archivalien aus privatem wie öffentlichem Besitz abgepreßt, “arisiert”, “sichergestellt”, geraubt. Spezielle Ämter und Organisationen waren damit befaßt. Zu den Opfern der Raubzüge zählten politische Gegner: Gewerkschafter, Sozialisten, Freimaurer, Kirchen. Besonders brutal wurde die jüdische Bevölkerung ausgeraubt. Mit dem Überfall auf Polen und dem Einmarsch in die Sowjetunion begann die Beraubung der als “rassisch minderwertig” eingestuften osteuropäischen Völker. Die nationalsozialistischen Kulturgutraubzüge sind nicht nur Gegenstand historischer Forschung, sie belasten die europäische Verständigung bis heute.

Gabriele Freitag
Angriff auf Athene. NS-Kulturraub im Zweiten Weltkrieg

Bei dem nationalsozialistischen Kulturraub in den von Wehrmacht und deutscher Zivilverwaltung besetzten Gebieten handelte es sich um einen umfassenden Zugriff militärischer und ziviler Dienststellen auf das eroberte Kulturgut. Die NS-Besatzungspolitik unterschied sich in West- und Osteuropa erheblich. Frankreich, Belgien und die Niederlande verzeichneten nach ihrer Befreiung vornehmlich den Verlust privater Kunstsammlungen, häufig aus jüdischem Besitz. In Osteuropa plünderten die unterschiedlichen deutschen Dienststellen wie das Sonderkommando Linz, der Kunstschutz, das Sonderkommando Künsberg, der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg und das Ahnenerbe auch Kirchen, Museen, Kunstgalerien und Bibliotheken und schafften das Raubgut zum Teil nach Deutschland.

Isabel von Klitzing & Lucian J. Simmons
Die Zerstörung einer Kultur. Von Sammlern, Mäzenen und Räubern

Kriege und gewaltsame Regimewechsel sind oft mit der Umverteilung von Kulturgütern und Kunstwerken verbunden. Seit der Antike werden in Kriegszeiten öffentliche und private Kunstschätze entwendet. Ein Umstand allerdings zeichnet die Zeit zwischen 1933 bis 1948 besonders aus: die Gründlichkeit, mit der Angriffe auf private Kunstsammlungen erfolgten und die zielgerichtete Zerstörung der Kultur des Mäzenatentums und der Expertise, die zwischen 1890 und 1930 aufgeblüht waren. Die Wertschätzung des Sammelns in den 50 Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg bot die Grundlage für die nachfolgenden Plünderungen und bietet viele Hinweise, die eine Rekonstruktion der verschiedenen Eigentümer eines Kunstwerkes ermöglichen.

Waltraud Bayer
Der legitimierte Raub. Der Umgang mit Kunstschätzen in der Sowjetunion, 1917-1938

Die Oktoberrevolution löste im Kulturbereich die weltweit umfangreichsten Enteignungen aus. Die Verstaatlichungen betrafen primär den Hof, den Adel, das Bürgertum und die Kirche. Armee, Miliz und Museumsexperten beschlagnahmten privaten Besitz: Kunst, Antiquitäten, Juwelen, Interieur. Die Bol¹seviki legitimierten die Requisition, die den Museen und den Staatsfinanzen zugute kam, mit der ökonomischen und kulturellen Relevanz für den Aufbau der neuen Gesellschaft. Das seit Ende der 1980er Jahre zugängliche Archivmaterial dokumentiert, daß die ideologische Komponente, die Abrechnung mit dem “Klassenfeind”, von zentraler Bedeutung war. Die Einnahmen aus dem Export der Kulturgüter waren gering. Heute ist Rußland bemüht, den kulturellen Aderlaß partiell zu kompensieren: Wertvolles nationales Kulturgut wird zurückgekauft.

Freundschaft ja, Dürer nein. Wolfgang Eichwede über die Abgründe des Beutekunststreits zwischen Rußland und Deutschland

Die Forschungsstelle Osteuropa in Bremen hat Grundlagenwerke über den NS-Kunstraub in der UdSSR erarbeitet. Der Leiter des Instituts, Wolfgang Eichwede, bemüht sich seit fünfzehn Jahren um die Rückgabe der Baldin-Sammlung aus Rußland an die Bremer Kunsthalle und war an Verhandlungen zwischen Deutschland und Rußland beteiligt. Aus den gewonnenen Einblicken kritisiert er die Bundesregierung, die in den 1990er Jahren durch mangelnde Flexibilität Chancen verpaßt hat, die Beutekunstfrage zu regeln. Nun läßt die innenpolitische Verhärtung in Rußland eine Lösung kaum mehr zu. Erforderlich sind eine Politik der kleinen Schritte zur Vertrauensbildung, unkonventionelle Ideen und die Lektüre von Lessings Ringparabel.

Anja Heuß
Verstreut nach West und Ost. Die drei Geschichten der Hatvany-Sammlung

Der Ungar Ferenc von Hatvany sammelte französische und ungarische Gemälde des 19. Jahrhunderts. Nach dem Zweiten Weltkrieg war seine Sammlung verschwunden. 1958 verlangten die Erben von der Bundesrepublik Deutschland Entschädigung. Ihr Anwalt, Hans Deutsch, wurde wegen versuchten Betruges verhaftet. Daraus entwickelte sich der “Fall Deutsch”, der den Fall der Hatvany-Sammlung überlagerte. Spekulationen kreisten um die Frage, ob deutsche oder sowjetische Truppen die Sammlung geraubt hatten. Heute ist klar, daß ein Teil von SS-Verbänden mitgenommen wurde. Spitzenwerke blieben zuerst unentdeckt in Bankdepots und wurden dann von sowjetischen Dienststellen beschlagnahmt. Einige Bilder wanderten auf den Schwarzmarkt, andere wurden in die UdSSR gebracht. Bis heute befinden sich Werke aus Hatvanys Sammlung in Rußland.

Christian Hufen
Sixtina auf Reisen. Die Rückgabe der Beutekunst an die DDR

Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden vermuten noch eine fünfstellige Zahl eigener Werke in Rußland. Sie sind Teil jener Beutekunst, die Trophäenkommissionen 1945 mit in die UdSSR genommen hatten. Unter den Gemälden alter Meister war auch Raffaels weltberühmte Sixtinische Madonna. Nur ein Jahrzehnt später gab die UdSSR einen Teil der Beutekunst an die DDR zurück, darunter wiederum die Sixtina. Neue Archivfunde zeigen, daß die Rückgabe nicht nur ein deutschlandpolitischer Zug Moskaus war, sondern eine Reaktion auf Drängen aus der DDR. Die Initiative zu diesem Coup ergriff ein Berliner Museumsleiter, er versicherte sich politischer Rückendeckung durch DDR-Obere und setzte eine unerwartete Dynamik in Gang. Die Rückgabe könnte für Deutschland und Rußland heute ein Lehrstück sein.

Tim Schröder
Rasender Stillstand. Das Schicksal des Rathenau-Archivs

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs galt das Archiv des ehemaligen deutschen Außenministers Walther Rathenau als verschollen. 1992 wurde es in einem Moskauer Archiv wiederentdeckt. Seitdem bemüht sich die Bundesregierung um seine Rückführung nach Deutschland. Bis heute ist es nicht gelungen, Rußland zu einer Rückgabe des Archivs zu bewegen. Auch die Verhandlungen um eine Rückgabe der sonstigen sogenannten Beutekunst treten seit längerer Zeit auf der Stelle. Zumindest eine der Ursachen für diesen Stillstand ist darin zu suchen, daß sich die deutsche Seite weigert, realpolitisch mit Rußland zu verhandeln und statt dessen auf Prinzipien beharrt.

Sabine Rudolph
Von Nazis enteignet, bis heute in Rußland. Victor von Klemperers Inkunabelsammlung

Während ihrer Herrschaft entzogen die Nationalsozialisten jüdischen Sammlern zahlreiche Kunstgegenstände. Viele von ihnen wurden zu niedrigen Preisen oder unentgeltlich Museen übertragen, die an ihnen Interesse bekundet hatten. Dazu gehörte auch die Inkunabelsammlung von Victor von Klemperer. Kunstgegenstände, die in eine Sammlung in der späteren sowjetischen Besatzungszone gelangten, wechselten nach Kriegsende noch einmal ihren Besitzer. Als Teil des Museumsbestandes wurden sie von den sowjetischen Trophäenkommissionen beschlagnahmt und in die Sowjetunion abtransportiert. Bis heute befindet sich die von-Klemperer-Sammlung in Rußland – im offenen Widerspruch zur rußländischen Gesetzgebung.

Monika Tatzkow & Hans-Joachim Hinz
Bürger, Opfer und die historische Gerechtigkeit. Das Schicksal jüdischer Kunstsammler in Breslau

In Breslau entstand im frühen 20. Jahrhundert eine Kunstsammlerszene, zu der viele Juden zählten. International geschätzt waren Carl Sachs und Max Silberberg mit ihren bedeutsamen Kollektionen. Beide sind typisch für die Bedeutung jüdischer Persönlichkeiten im Breslauer Kunstleben. Ihre Schicksale spiegeln zugleich die Zerstörung dieser Elite in der Nazizeit wider, zu der auch der Verlust ihrer Sammlungen gehörte. Carl Sachs konnte durch Emigration sein Leben retten. Max Silberberg kam im Konzentrationslager zu Tode. Ihre Erben machen, ermutigt durch internationale Vereinbarungen, Ansprüche auf bisher nicht zurückgegebene Kunstwerke geltend.

Monika Tatzkow
Odyssee der Kunst. Die Restitution der Sammlung Steinthal

Max Steinthal war einer der führenden Männer der Deutschen Bank. Als Kunstfreund sammelte er Altmeister und moderne Kunst. Als Jude verlor er in der NS-Zeit sein gesamtes Vermögen. Seine Kinder flohen ins Ausland, eines starb im KZ. Der Bankier geriet in Vergessenheit. Die Kunstsammlung gelangte von Berlin nach Dresden. 1952 griff die DDR auf sie zu. Über 50 Jahre lag sie im Depot der Staatlichen Kunstsammlungen. Max Steinthals Enkel hatten die Suche nach ihr nie aufgegeben. 2004 erhielten sie die Sammlung ihres Großvaters zurück. Über 60 Kunstwerke hatten die Bombardements auf Berlin und das Inferno von Dresden überstanden und konnten der Öffentlichkeit wieder präsentiert werden.

Nout van Woudenberg
Die Koenigs-Sammlung. Bangen und Hoffen in einem niederländisch-rußländischen Restitutionsfall

Auf der politischen Agenda der niederländisch-rußländischen Beziehungen steht seit langem ein Restitutionsfall: die Koenigs-Sammlung. Über 500 der mehr als 2500 Zeichnungen Alter Meister, die der Bankier Franz Koenigs in den 1920er Jahren erworben hatte, erwarb Hitlers Beauftragter für das Führermuseum, Hans Posse, 1940 in einem illegalen Transfer. Diesen Teil der Sammlung verbrachte 1945 die Rote Armee nahezu komplett aus Dresden in die UdSSR. Während die DDR die 33 auf ihrem Territorium verbliebenen Zeichnungen 1987 an die Niederlande restituierte und die Ukraine die nach Kiev gelangten Stücke 2004 zurückgab, verzögerte Rußland bislang die Restitution. Zwar haben die Niederlande das Völkerrecht auf ihrer Seite, doch Rußland beharrt darauf, nach Maßgabe der eigenen Restitutionsgesetzgebung über den Fall zu entscheiden.

Von Büchern und Menschen. Chancen und Grenzen in der Beutekunstdebatte

Die Direktorin der Moskauer Bibliothek für fremdsprachige Literatur, Ekaterina Genieva, sieht Chancen, aus dem Schatten des Zweiten Weltkrieges herauszutreten, demonstriert in und mit dem eigenen Haus, was trotz unvollkommener Gesetze machbar ist, erinnert daran, daß Mut und Freiheit zusammengehören, verrät, daß es besser ist, Minister mitunter nicht zu fragen, bemitleidet Tomsker Damen, die bei einer Rückgabe von Büchern ohne gotische Majuskeln leben müßten, erregt sich über dicke Schichten Heuchelei in der Restitutionsdebatte und unterstreicht, daß das A und O im Umgang mit verlagerten Kulturgütern freier Zugang, Nutzung, Information und internationale Kooperation sind.

Bénédicte Savoy
Krieg, Wissenschaft und Recht. Napoleons Kunstraub in der Erinnerung um 1915

Die aktuelle Debatte um Raub- und Beutekunst zeichnet sich durch eine Schärfe aus, die sie unmittelbar nach 1945 nicht hatte. Statt Linderung hat die Zeit Verhärtung und Verbitterung gebracht. Schon im 19. und dem beginnenden 20. Jahrhundert war in Deutschland eine Raubkunstdebatte geführt worden, die sich durchaus in die Gegenwart übertragen läßt. Es ging damals um den größten Kunstraub der Neuzeit: den napoleonischen Beutezug. Seine Aufarbeitung während des Ersten Weltkrieges führte zu einer heillosen Verstrickung traumatischer Erinnerungen, nationaler Mythen und wissenschaftlicher Erwartungen.

Andreas Hüneke
Verhöhnt – verkauft – vernichtet. Die “Entartete Kunst” und die Radikalisierung der NS-Kunstpolitik

Nach anfänglichen Unklarheiten bezüglich der Richtung der NS-Kunstpolitik, die aus dem Machtkampf der Führungskräfte resultierten und manche illusorische Hoffnung aufkeimen ließen, verschärfte sich der Kurs seit 1936 zu einer radikalen Ablehnung aller modernen Strömungen. Den propagandistischen Höhepunkt bildete die Ausstellung “Entartete Kunst” in München 1937. Weit folgenreicher waren jedoch Beschlagnahme, Verkauf und teilweise Vernichtung von fast 20 000 Kunstwerken in den folgenden Jahren.

Eva Blimlinger
Die Mittäter in der Opferrolle. Die Restitution von Kunst in Österreich

Seit 1945 bemühte sich die Republik Österreich mehrfach, Vermögen zurückzugeben, das während des Nationalsozialismus entzogen worden war. Vielfach waren diese Versuche jedoch halbherzig, schlecht vorbereitet und eine bürokratische Zumutung. Erst 1999 trug das Kunstrückgabegesetz dem Umstand Rechnung, daß Österreich in den 1940er und 1950er Jahren Kunstwerke von Überlebenden oder Nachkommen von Ermordeten gewissermaßen erpreßt hatte, indem trotz erfolgreichen Restitutionsbeschlusses die Ausfuhr der Werke verboten blieb. Der international diskutierte Fall Bloch-Bauer, die Rückgabe von fünf Bildern von Gustav Klimt, ist ein Beispiel.

Mecislav Borák
Verspätete Gerechtigkeit. Die Restitution von enteignetem Kulturgut in Tschechien

Das Gebiet der heutigen Tschechischen Republik war im Zweiten Weltkrieg weit weniger von nationalsozialistischem Kunstraub betroffen als die meisten anderen besetzten Gebiete. Die größten Verluste gehen auf das Konto der Gestapo, die jüdisches Eigentum beschlagnahmte. Nur ein Teil dieser Schätze wurde nach Kriegsende restituiert. Auch nach dem Umbruch 1989 hielt sich der tschechische Staat mit der Rückgabe enteigneter Kunst zurück. 1998 richtete die Regierung dann aber eine Arbeitskommission ein, im Jahr 2000 verabschiedete das Parlament ein Entschädigungsgesetz, und Ende 2001 nahm ein Dokumentations- und Forschungszentrum seine Arbeit auf. All dies machte etwa die Restitution eines Rembrandt-Gemäldes aus der Sammlung Schloss sowie wertvoller Handschriften aus dem Jüdisch-Theologischen Seminar in Breslau möglich.

Nawojka Cieslinska-Lobkowicz
Gründe, Abgründe, Ansprüche. Restitutionspolitik in Polen

Das Ende des Ost-West-Konflikts schien Polen Chancen zu eröffnen, seine Restitutionsfragen zu regeln. Das hat sich als Illusion erwiesen. Meßbare Ergebnisse sind rar. Das gilt für Rückgabeforderungen an die Ukraine und Rußland sowie für den Streit um Dürer-Zeichnungen aus dem Ossolineum. Die deutsch-polnischen Verhandlungen sind ergebnislos. Die Beziehungen sind von einer bizarren Paradoxie charakterisiert. Trotz der gewaltigen polnischen Verluste durch Krieg und deutsche Besatzung sind Deutschlands konkrete Forderungen an Polen quantitativ und qualitativ höher als die polnischen an Deutschland. Beide Seiten beharren auf gegensätzlichen Rechtspositionen. Hinzu kommt: Restitutionspolitik mangelt es an Transparenz und Informationsfluß. Dies schränkt die öffentliche Kontrolle des Verwaltungshandelns ein. Das erleichtert es nicht, zu Lösungen zu kommen.

Serhij Kot
Kiever Knoten. Restitution zwischen der Ukraine, Deutschland, Rußland und Polen

Die Rückführung von Kulturgütern ist für die Ukraine vielschichtiger als für die meisten Staaten Europas. Deutschland fordert von der Ukraine die Rückgabe sowjetischer Beutekunst. Polen möchte kriegsbedingt verlagerte Kulturgüter restituiert sehen und verlangt zahlreiche Kulturgüter aus jenen ukrainischen Gebieten, die früher zu Polen gehörten. Die Ukraine teilt mit Rußland den Standpunkt, daß Deutschland nicht nur fordern dürfe, sondern für die unermeßlichen Zerstörungen während des Krieges auch Wiedergutmachung zu leisten habe. Gleichzeitig streitet Kiev mit Moskau über die Rückführung von Kulturgütern, die der Ukraine unter deutscher Besatzung geraubt worden waren und an die UdSSR restituiert wurden, aber nach Rußland statt in die Ukraine gelangten.

Svetlana Nekrasova
Kooperation und ihre Grenzen. Restitution zwischen Rußland und der Ukraine

Als Nachfolgestaaten der Sowjetunion müssen Rußland und die Ukraine die Suche nach Kulturgütern und deren Rückgabe koordinieren. Kunstschätze, die von den Nationalsozialisten geraubt worden waren und nach dem Krieg in die UdSSR zurückkehrten, gerieten mitunter in die andere Sowjetrepublik. Der Streit um die Eigentumsrechte dauert bis heute an. Eine Restitution scheitert oft an der Trägheit der beteiligten Apparate und an unzureichendem Informationsaustausch. Dennoch gibt es Fälle, in denen dank der Kooperation nationale Kulturgüter aufgefunden und zurückgegeben werden konnten.

“Unsere Regierungen waren nicht begeistert”. Kathinka Dittrich über die Anfänge des Beutekunstdialogs

Kathinka Dittrich war die erste Leiterin des Goethe-Instituts in Moskau. Mit Ekaterina Genieva startete sie den Dialog zwischen Deutschland und Rußland über den Umgang mit verlagerten Büchern und Kunstwerken. Sie erinnert an heftige Tagungen, kooperative Stimmung und große Hoffnungen, beklagt fehlende Empathie und verpaßte Chancen auf deutscher Seite und plädiert für mehr Pragmatismus.

Avenir Ovsjanov
Transitstation Königsberg. Die Suche nach Kulturgütern in Kaliningrad

Nach dem Überfall auf die Sowjetunion 1941 begannen die Deutschen geplünderte Kunstgegenstände aus der UdSSR nach Königsberg zu bringen. Die Spuren der deutschen und sowjetischen Kulturgüter verloren sich in den Wirren des Kriegsendes. Der Verbleib zahlreicher Exponate ist bis heute ungeklärt. Forscher fanden Gemälde, Folianten, Porzellan und Ziergegenstände. Da sie sich jedoch nicht austauschten und die Suche im militärischen Sperrgebiet Kaliningrad besonders schwierig war, liegen keine systematischen Bestandslisten vor. Seit 1991 verzeichnet eine neue Forschungsstelle Erfolge. Sie entdeckte Teile des Königsberger Archivs und Exponate des Prussia-Museums.

Margarita Zinic
Zwischen den Zonen. Restitution von Kulturgut an Rußland

Das Kulturgut, das Rußland im Krieg gegen NS-Deutschland verloren hatte, war in großen Teilen unersetzlich. Eine Kompensation sollte die sowjetischen Restitutionsansprüche teilweise befriedigen. Experten erstellten Äquivalenzlisten mit deutschen Kunstwerken als Ersatz für verlorene rußländische Werke. Um Kulturgut aus Deutschland zurückzuerhalten, war die UdSSR auf die Kooperation mit den anderen Alliierten angewiesen. Nach Kriegsende wurden Erfolge beim Austausch zwischen den Besatzungszonen erzielt. Mit der Verschärfung des Kalten Krieges wurde auch die Zusammenarbeit in Restitutionsfragen schwieriger.

Maarit Hakkarainen & Tiina Koivulahti
Raubkunst im dunkeln. Die Mühen der Provenienzforschung in Finnland

Finnland bemüht sich bislang nur sehr zurückhaltend, das Schicksal verschollener nationalsozialistischer Raubkunst aufzuklären. Dies hat etwas mit dem offiziellen finnischen Geschichtsverständnis zu tun, die dem Land keine besondere Verantwortung zuweist, da Finnland in den Jahren 1941-1944 nicht an der Seite des nationalsozialistischen Deutschland gekämpft, sondern einen separaten Krieg gegen die Sowjetunion geführt habe. Nur langsam setzt sich dank akribischer Provenienzforschung die Erkenntnis durch, daß widerrechtlich enteignete Kunst auch in das an der Peripherie des internationalen Kunstmarkts gelegene Land gelangt sein könnte.

Teresa Giovannini, Marc-André Renold, Carolyn Olsburgh, & Friederike Ringe
Raubkunst und die Schweiz. Aufarbeitung, Regelung, Ausblick

Die Schweiz spielte während des Zweiten Weltkrieges eine Rolle als Umschlagplatz von NS-Raubkunst. Kurz nach Kriegsende wurde eine Spezialgesetzgebung zur Restitution von Raubkunst erlassen. Überdies enthält das Schweizer Zivilrecht allgemein zwingende Regeln zur Restitution gestohlener Gegenstände. In jüngerer Zeit haben Historiker und Experten die Vergangenheit der Schweiz untersucht. Die größeren Museen haben sich verpflichtet, unter bestimmten Umständen die Herkunft ihrer Kunstwerke abzuklären und Zugang zu ihren Archiven zu gewähren. Beim Bundesamt für Kultur wurde die “Anlaufstelle Raubkunst” eingerichtet. Ein weiterer, wünschenswerter Schritt wäre eine Gesetzgebung, um die Europaratsresolution von 1999 umzusetzen.

Massimo Baistrocchi
Auf der Suche nach der verlorenen Kunst. Italien, die Restitution und Kulturgüter in Rußland

Noch während des Zweiten Weltkriegs wurden in Italien erste Organisationen gegründet, um illegal verlagerte Kulturwerke wiederzubeschaffen. Aus Deutschland wurden Hunderttausende Kunstwerke restituiert. Bis heute fehlen Kunstwerke, die bis zum Ende des Dritten Reiches in der italienischen Botschaft in Berlin waren. Eine Vermutung lautet, daß sie von der Roten Armee abtransportiert wurden und sich nun in Rußland befinden. Doch die Suche gestaltet sich schwierig. Rußland läßt es an Transparenz und der Bereitschaft zu Kooperation mangeln.

Christoff Jenschke
In Kriegen erbeutet. Zur Rückgabe geraubter Kulturgüter im Völkerrecht

Kulturgüter waren seit jeher gefragte Beute in Kriegen. Die Einsicht, daß Kulturgüter nicht geeignet sind, Kriegszielen zu dienen, ließ die Staatengemeinschaft die Wegnahme von Kulturgütern verbieten. Ein entsprechendes Völkergewohnheitsrecht entwickelte sich bis zum Wiener Kongreß 1815. Von diesem Verbot, mit dem auch das Verbot einherging, Kulturgüter als Reparationsobjekte heranzuziehen, wurden nur wenige Ausnahmen gemacht. Dazu zählen Fälle der restitution in kind, auf die sich Rußland im Beutekunststreit mit Deutschland beruft. Eine der völkerrechtlich maßgebenden Voraussetzungen der restitution in kind ist allerdings, daß die Parteien in einem bilateralen Übereinkommen die zu übergebenden Kunstwerke auswählen.

Harald König
Grundlagen der Rückerstattung. Das deutsche Wiedergutmachungsrecht

Um das nationalsozialistische Unrecht wiedergutzumachen, wurden in der Bundesrepublik Deutschland von Beginn an umfangreiche gesetzliche Regelungen getroffen. Grundlage waren die Alliierten Rückerstattungsgesetze. Darauf bauten insbesondere das Bundesrückerstattungsgesetz und das Bundesentschädigungsgesetz auf. Der Beitrag rekonstruiert die Rechtsgrundlagen und Rechtspraxis, diskutiert die Entwicklungslinien auch nach der deutschen Einheit und erörtert das Problem, wie in Individualfällen Gerechtigkeit zu schaffen ist, obwohl Ansprüche nicht mehr geltend gemacht werden können, da die formal vorgesehenen Anmeldefristen abgelaufen sind.

Claudia von Selle & Ulrich Zschunke
Ein Weg, wo kein Wille ist? Soft law-Vereinbarungen als nichtstaatliche Konfliktlösung in Restitutionsfällen

Der Rechtscharakter und die rechtlichen Konsequenzen der sogenannten Soft law-Vereinbarungen sind nach wie vor unklar. Daß es sich bei diesen Vereinbarungen nicht um juristischen Surrealismus handelt, beweist die Praxis. Im Wirtschaftsvölkerrecht haben sich Soft law-Vereinbarungen ebenso etabliert wie Schiedsgerichte. Auch in Restitutionsfällen erweisen sich beide als geeignete Form, Konflikte jenseits der Politik, Presse und Justiz zu lösen.

Rochelle Roca-Hachem
Internationale Bühne. Die Rolle der UNESCO auf dem Feld der Restitution

Die UNESCO hat eine einzigartige Position, um Probleme zu lösen, die mit der Rückgabe widerrechtlich verlagerter Kulturgüter zusammenhängen. Wichtige Instrumente sind die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten von 1954 und die Konvention zum Verbot des illegalen Handels mit Kulturgut von 1970. Seit 1978 fördert ein zwischenstaatliches Komitee für Restitutionsfragen den Informationsaustausch und schlichtet Streitigkeiten. Ziel ist es, eine Grundsatzerklärung zu beschließen, wie mit Kulturgut umzugehen ist, das im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg widerrechtlich in andere Staaten verbracht wurde.

Michael Franz & Uwe Hartmann
Raub- und Beutekunst: nationale und internationale Dimensionen. Die Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste

Die Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste dokumentiert national und international Such- und Fundmeldungen zur NS-Raubkunst und zur Beutekunst. Ziel ist es, Transparenz herzustellen, Suchende und Findende zusammenzuführen und Restitution zu ermöglichen. Die Koordinierungsstelle erfüllt den politischen Willen des Bundes und der Länder. Im deutsch-rußländischen Konflikt um die sogenannte “Beutekunst” konnten auf politischer Ebene seit 1998 kaum Fortschritte erzielt werden. Die unveränderte rußländische Position hat Auswirkungen auf die praktische Arbeit der Koordinierungsstelle. Gleichwohl eröffnete die Koordinierungsstelle durch ihre Datenbank die Möglichkeit, ein Gemälde an Rußland zurückzugeben, und trägt dazu bei zu verhindern, daß Beutekunst illegal gehandelt wird.

Evelien Campfens, Annemarie Marck, & Eelke Muller
Recht auf Umwegen. Die niederländische Restitutionskommission

Seit 2002 beurteilte die unabhängige Restitutionskommission in den Niederlanden 22 Ansprüche auf mehr als 400 Kunstgegenstände, die als “Raubkunst” bezeichnet werden können. In diesem Artikel wird zunächst auf die Entstehungsgeschichte und Aufgabenstellung der Restitutionskommission eingegangen. Schließlich werden die von der Kommission verwendeten Kriterien am Beispiel von vier Verfahren veranschaulicht, die von der Kommission untersucht wurden und in denen sie in den vergangenen Jahren eine Empfehlung aussprach.

Corinne Hershkovitch
Offene Rechnungen. Die Restitution von Kunstwerken in Frankreich

Die französische Debatte über Raubkunst dreht sich in erster Linie um die Rückgabe von Kunstwerken aus jüdischem Privatbesitz, die unter NS-Besatzung und Vichy-Regime beschlagnahmt wurden und heute in nationalen Sammlungen sind. Viele der geraubten Objekte waren nach 1945 in Deutschland sichergestellt worden und wurden an Frankreich restituiert. Sie gelangten in die Bestände der Nationalmuseen. Im Streit zwischen Museen und den Erben der Opfer ist die französische Regierung aufgefordert, sich der Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels der französischen Geschichte zu stellen und den rechtlichen Status der umkämpften Kunstwerke zu klären.

Andrea F. G. Raschèr
Kollektiv handeln, statt individuell verdrängen. Die Schweiz und der Umgang mit Raubkunst

Die wachsende Zahl öffentlich diskutierter und identifizierter Raubkunst zeigt, daß das Thema nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat. Kunstwerke haben einen emotionalen Wert. Diesem Aspekt ist in Zukunft vermehrt Rechnung zu tragen. Alle Beteiligten müssen sich bewußt sein, daß Kunstwerke eine Geschichte mit sich tragen, die früher oder später offenbar werden wird – ob man will oder nicht. Die moralische Verpflichtung an der Wiedergutmachung begangenen Unrechts ist das Mindeste, was wir den Opfern des Holocaust schuldig sind.

Kristiane Janeke
(Ko-)Operation Kunst-Räume. Plädoyer für ein virtuelles “Beutekunst”-Museum

Das Problem der “kriegsbedingt verlagerten Kulturgüter” belastet die Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland. Dabei bietet sich eine bisher nicht beachtete Lösung des Konflikts an: die Einrichtung eines virtuellen “Beutekunst”-Museums. Der virtuelle Raum ermöglicht eine Zusammenführung der Objekte in ihren ursprünglichen Sammlungskontexten. Die Einbindung weiterführender Informationen macht den historischen Kontext greifbar und das virtuelle Museum zu einem Informationsraum des gemeinsamen kollektiven Gedächtnisses.

Published 14 March 2006
Original in German

Contributed by Osteuropa © Osteuropa

PDF/PRINT

Read in: EN / DE

Published in

Share article

Newsletter

Subscribe to know what’s worth thinking about.

Discussion