Öl für Tennis und Fußball

Katar möchte positive Schlagzeilen - nicht nur bei Al-Dschasira

Der Emir von Katar gilt als frankophil und setzt auf Demokratisierung.
Aber der Einfluss Frankreichs könnte größer sein. Ein Zweckbündnis mit
den USA soll das Land vor seinen Nachbarn schützen.

Der Fernsehsender Al-Dscha-sira1 ist vermutlich bekannter als das Land,
in dem er gegründet wurde. Bislang hat Katar wenig Schlagzeilen gemacht.
Das kleine Emirat am Arabischen Golf zählt 820 000 Einwohner – von denen
nur knapp ein Drittel die Staatsbürgerschaft besitzt. In der Hauptstadt
ad-Dawha (Doha) fand im November 2001 die Ministerkonferenz der
Welthandelsorganisation (WTO) statt, nach Ansicht mancher Beobachter nur
deshalb, weil man hier sicher sein konnte, dass nicht wie zuvor in
Seattle an der Westküste der USA tausende Globalisierungskritiker
auftreten würden.

Vor kurzem wurde der US-Generalstab für die Kriegführung im Irak
(Centcom) in das Emirat verlegt. Und: Katar taucht in den
Sportnachrichten auf, seit eine Reihe alternder Fußballstars sich durch
hohe Gagen an den Golf locken ließen. Soll man daraus schließen, dass
Katar ein Polizeistaat ist, der Ausländer nur bedingt einlässt, eine mit
Washington verbündete Golfmonarchie, deren Führer Unsummen für ihre
Sportbegeisterung ausgeben?

Es wäre ein falsches Bild, das sich aus solchen Klischees ergibt. Denn
die politische Entwicklung in Katar ist auf Modernisierung, ja sogar auf
Demokratisierung gerichtet. Emir Scheich Hamad Bin Chalifa al-Thani2
bemüht sich um allmähliche politische Öffnung, seit er 1995 seinen Vater
gewaltlos absetzte, der in großem Umfang Staatsgelder veruntreut haben
soll. Die strenge Zensur wurde abgeschafft, und mit der Einrichtung des
Senders al-Dschasira (“Die Halbinsel”) geschah etwas in der arabischen
Welt Unerhörtes: Bis auf Kommentare zur Innenpolitik war den Redakteuren
alles erlaubt; in der Berichterstattung konnten sie völlig neue Töne
anschlagen.

Eine 2003 durch Volksentscheid bestätigte neue Verfassung sieht die
Einrichtung eines Konsultativrates mit 45 Mitgliedern vor, die zu einem
Drittel vom Emir ernannt, zu zwei Dritteln durch allgemeine Wahlen
bestimmt werden. Außerdem soll eine unabhängige Justiz entstehen,
Religions- und Organisationsfreiheit sind Verfassungsrechte. Begonnen hat
die Reform des Strafrechts, um es an europäische Normen anzupassen. Für
die Rechte der Frauen setzt sich der Emir ganz besonders ein –
unterstützt von seiner Gattin, die erfolgreich im Hintergrund wirkt. Seit
Mai 2003 gibt es in Katar eine Ministerin und eine
Universitätspräsidentin.

Das strategische Bündnis mit den USA ist nicht zu leugnen – es
einzugehen war von den Machtverhältnissen diktiert. Denn Katar ist reich,
aber zugleich klein und schwach. Das Emirat liegt in einer äußerst
gefahrvollen Zone: umgeben von Saudi-Arabien, dem Iran und dem Irak. Auch
nur ein einziger Raketeneinschlag hätte fatale Folgen für das Vertrauen
in die wirtschaftliche Stabilität und das günstige Investitionsklima.
2001 konnten mit Saudi-Arabien alte Grenzstreitigkeiten beigelegt werden.
Doch weiterhin werden Übergriffe des mächtigen Nachbarn gefürchtet – und
dass bei al-Dschasira kritische Beiträge über die saudische Monarchie
gesendet wurden, brachte die Beziehungen zwischen den beiden Staaten auf
einen Tiefpunkt.

Den Sturz des Saddam-Regimes nahm die katarische Führung mit
Befriedigung zu Kenntnis. Man sah darin eine Reduzierung der
strategischen Bedrohungen, war sich aber bewusst, dass es sich nur um
einen Etappensieg handelt. Noch hat Washington den Kampf nicht gewonnen.
Andererseits weiß der Emir, dass die USA auf lange Zeit in der Region
bleiben werden und unter den gegebenen Umständen eine Kooperation
unvermeidlich ist. Die Einmischung der US-Regierung im Nahen Osten
erscheint ihm aber weder unparteiisch noch Erfolg versprechend. Schon
nach dem 11. September 2001 hatte Katar dafür plädiert, im Krieg gegen
den Terrorismus nicht nur die Folgen, sondern auch die Ursachen zu
bedenken – vor allem den ungelösten israelisch-palästinensischen
Konflikt.

Doch an eine Machtprobe mit den USA ist nicht zu denken, denn das Land
braucht den Schutz durch das amerikanische Militär. Außerdem hofft man
auf US-Unterstützung im Bereich von Bildung und Technologie. Gegen die
Segnungen der amerikanischen Konsumgesellschaft hat die katarische Elite
keine Vorbehalte; Sorgen bereiten ihr nur die strategischen
Fehlentscheidungen der USA, vor allem ihre alles niederwalzende
Außenpolitik.

Katar hatte schon lange vor dem neuen Irakkrieg um die Stationierung
amerikanischer Truppen gebeten, um sich vor dem übermächtigen Nachbarn
Irak wirksam zu schützen. So waren die Umstände günstig für die
Einrichtung von Centcom: Die USA wünschten ihre Präsenz in Saudi-Arabien
zu reduzieren, ihre militärische Rolle am Golf dagegen zu bekräftigen.
Seither scheint der Einfluss Washingtons im Emirat übermächtig – und
dies, obwohl der Emir als frankophil gilt, den Kronprinzen frankophon
erziehen ließ, sich häufig privat in Paris aufhält und enge persönliche
Beziehungen zu Staatspräsident Chirac pflegt.

Die USA verfolgen im Emirat nicht nur ihre militärischen und
strategischen Interessen. Sie sind auch auf andere Weise präsent.
Politiker reisen an; Mitte Januar tauchte Expräsident Clinton bei einer
Konferenz auf. Geschäftsleute besuchen das Land, noch vor zwei Jahren
hielten sich amerikanische und französische Investitionen die Waage,
jetzt steht es fünf zu eins für die USA. Wissenschaftler lassen sich in
Katar nieder; vier US-Universitäten haben bereits Quartier auf dem neuen
Campus bezogen, den die Katarische Stiftung für Erziehung, Wissenschaft
und Entwicklung bauen ließ. Und auch Berater sind präsent; die Gruppe
Rand Consulting aus New York hat ein Büro eröffnet und arbeitet bereits
für einige Ministerien. Frankreich bemüht sich, dagegenzuhalten, seit die
amerikanischen Aktivitäten alte Pfründen gefährden – noch liefern
französische Firmen 80 Prozent der Ausrüstung der katarischen
Streitkräfte.

Der Emir versucht, eine allzu exklusive strategische Bindung an die USA
zu vermeiden. Die Allianz mit Frankreich erscheint ihm als notwendiges
Gegengewicht. Allerdings haben die Debatten um das Schleierverbot dem
französischen Image geschadet. 2002 konnte Frankreich im Geschäft mit
Katar einen Handelsüberschuss von mehr als 628 Millionen Euro verbuchen.
Qatar Airways bestellte gegen massiven Druck aus Washington beim
Airbus-Konsortium Flugzeuge des neuen Typs A 380 im Auftragswert von 5
Milliarden Dollar – dennoch fand der Boss des europäischen Unternehmens
bislang nicht die Zeit für einen Besuch in Doha.3Weil das französische
Außenministerium sparen muss, hat die französische Botschaft in Doha
keinen Pressereferenten. Im Land von al-Dschasira macht das keinen guten
Eindruck.

Nach einer Rezession im Jahr 2002 sorgten die Einkünfte aus Erdöl und
Erdgas 2003 wieder für eine Wachstumsrate von 7,5 Prozent. Das jährliche
Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner liegt nach Kaufkraft bei 20 000 Dollar
(Frankreich: 24 000, Deutschland: 25 000 Dollar). Katar verfügt nach
Russland und dem Iran über die drittgrößten Erdgasreserven der Welt; nach
Schätzungen lassen sich diese Vorkommen noch über 200 Jahre lang
ausbeuten. Die erheblichen Investitionen in diesen Sektor haben sich
bereits weitgehend amortisiert.

Vorbild für die anderen Golfstaaten

Katar könnte am Golf ein Vorbild für die soziale Entwicklung abgeben,
wie einst Japan das wirtschaftliche Vorbild für die asiatischen Länder
war. Angesichts der immensen Bodenschätze und der geringen
Bevölkerungszahl sind kühne Vorhaben denkbar. Das Herrscherhaus will kein
Risiko eingehen, versucht aber, eine Vorreiterrolle einzunehmen und die
Gesellschaft zu bewegen. Ein dunkles Kapitel bleibt der soziale und
menschliche Umgang mit den Arbeitsimmigranten, die zwei Drittel der
Bevölkerung Katars ausmachen. Ihnen bieten sich keine Möglichkeiten der
Integration, sie besitzen keine gewerkschaftlichen oder politischen und
nur wenig soziale Rechte.

Seine erheblichen Haushaltsüberschüsse sollen dem Emirat nicht nur für
die privaten Konsumwünsche dienen, sondern auch dazu, das Land
international bekannt zu machen. Man setzt auf Sportveranstaltungen.
Katar richtet ein Tennisturnier aus, das den Saisonauftakt darstellt und
sich der Aufmerksamkeit der Medien sicher sein kann. Ein Radrennen im
Februar ist beliebt, weil es wegen der klimatischen Bedingungen für die
Teams als ideale Vorbereitung auf die europäischen Wettkämpfe gilt. Bei
den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Paris im August 2003 konnte
Katar sogar eine Goldmedaille gewinnen. Der Sieger war allerdings ein
naturalisierter Kenianer: Der 3000-Meter-Hindernisläufer Stephen Cherono
hatte sich für ein Gehalt auf Lebenszeit verpflichtet und den Namen Saif
Schaid Schahin angenommen. Und die britische Hochseeseglerin Tracy
Edwards strich 55 Millionen Euro dafür ein, dass sie ihren Katamaran
“Qatar 2006” (!) nannte. Fußballern, die nicht ins nationale Aufgebot
ihrer Heimat berufen wurden, bot das Emirat Verträge und die
Staatsbürgerschaft an, um die Qualifikation zur Weltmeisterschaft 2006 zu
schaffen – der internationale Fußballverband Fifa unterband jedoch
dieses Vorhaben.4

Überhaupt der Fußball: Um die Spiele um die nationale Meisterschaft
aufzuwerten, waren vierzig Millionen Euro nicht zu viel. Altstars wie
Batistuta, Effenberg, Leboeuf und Guardiola verdienen bei den Vereinen
100 000 bis 200 000 Euro im Monat; das Monatsgehalt des Hindernisläufers
Schahin beträgt übrigens nur 1 000 Euro. 2006 wird Katar die Asienspiele
ausrichten, nach den Olympischen Spielen und der
Fußball-Weltmeisterschaft das drittgrößte Sportereignis weltweit. Noch
nie hat eine dieser Veranstaltungen in einem arabischen Land
stattgefunden.

Katars Herrscher, Scheich Hamad al-Thani, ist der Ansicht, es sei
wichtiger, dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) anzugehören als
den Vereinten Nationen: “Die Entscheidungen des IOC werden überall
respektiert.” Eigentlich geht es aber darum, in die Nachrichten zu
kommen. Inzwischen ist von Katar in der Sportpresse tatsächlich immer
wieder die Rede. Abdulla al-Mulla, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit,
fasst die Vorstellungen der Staatsführung zusammen: “Sport ist für ein
Land das beste Mittel, um sich zu präsentieren und voranzukommen. Heute
denkt jeder gleich an Terroristen, wenn er den Begriff ,Naher Osten’
hört. Unserer Staatsführung geht es darum, Katar einen guten Ruf zu
verschaffen.”5

Auch wenn im Augenblick der Sport im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit
steht: Die größten Anstrengungen unternimmt Katar im Bildungsbereich. Mit
250 Millionen Dollar ist ein Universitätsgelände entstanden, das den
höchsten Ansprüchen genügt. Hier sollen Studenten aus den Golfstaaten
ausgebildet werden. Doch anders als die Universitäten aus den USA zeigt
Frankreich bislang kein Interesse an den Angeboten aus Katar – obwohl es
hier viel zu gewinnen gibt.

David Hirst "Eine freie Stimme in der arabischen Welt", Le Monde diplomatique, August 2000.

Françoise Sellier, "Katar, nach allen Seiten offen", Le Monde diplomatique, November 1997.

Challenges (Paris), 22. Januar 2004.

L'Equipe (Paris), 9. März 2004.

Le Journal du Dimanche (Paris), 15. Februar 2004.

Published 22 June 2004
Original in French
Translated by Edgar Peinelt

© Le monde diplomatique Eurozine

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