Nachrichten aus dem Land der Kerlaken

Erste Meldungen vom Kerlak

Der Kerlak auf dem Fußboden hat den Unflat im Auge, der Baum vor dem Fenster schlägt menschlich die Zweige vor das Gesicht, wischt mit den Blättern über die Augen, Che’s Bild an der Wand blickt in tote Fernen. Vom Papier lügen die Visionen südlichschwarzer Augen.

Kriminelle kämpfen ihre verletzten Kumpane aus Haftkrankenhäusern frei.

Kwaito-Musiker in seinem Auto überfallen, weil er etwas sang, das klang wie “das Verbrechen wird auch deinen Arsch zu fassen kriegen”. Ein paar Verbrecher nahmen sich den seinen vor.

Sie klauten die Räder einer mobilen Polizeistation – Meinungsbekundung gegen Politiker, die versuchen, Stimmen auf kriminelle Weise zu sichern.

Wachmann wurde zur Kunstinstallation, die hielt Hof. Kugeln kreisten an der Stelle, an der einst sein Kopf war. Unterhalt mich mit Freunden aus Soweto drüber, die sagen: “Haha, diesmal ist er an die richtigen Cowboys geraten, ich bin mir sicher, er hat sich mächtig in die Hosen gemacht.” Alles lacht.

Nach den ersten fünf Minuten jeder Unterhaltung, in die ich gerate, dreht sich alles um Aids. Es gibt kein Gespräch, keine Unterhaltung, keinen Klatsch und Tratsch, in dem Aids nicht das Thema ist.

Nach dem Klan, der Weerstandsbeweging, den Neonazis oder der Antwerpen Terror Squad, die mich vor eine Flagge von HIMMLER stellten, sind meine Schwaazn Schwestaan die eiferndsten Gegnerinnen der Rassenmischung. Aber nur, wenn es sich um schwarzen Schwanz & rosa Möse dreht. Anders herum ist es nur Prostitution. Meint Soweto.

“Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass Kunst existiert”, verkündet blau auf rot ein Plakat zu meiner Rechten. Arbeit eines italienischen Künstlers. Hier aber wird Kunst darin sichtbar, wie die Menschen gehen, reden, lachen, weinen. Am häufigsten aber in der Art und Weise, in der sie sterben. Mit anderen Worten, es gibt jeden erdenklichen Grund zu glauben, dass es Kunst gibt, vor allem im Tod. Behauptet Johannesburg. Die Leute eilen, sich Leichen anzusehen, die gewaltsam abgeworfen wurden. Hier. Installationen der Sterblichkeit. Und in den Totenwachen liegt das Leben, rasierklingendünn und wie nebensächlich.

Die Gleichung lautet: Sein heißt Empfängnis, Geburt dann bedeutet Untergang.
Sein heißt “Hallo und bumm-bumm und tschüss dann Stille”, bis letztere wiederum von der Wiederholung der Vorstellung zerschlagen wird.

“Es passiert mir nicht oft, dass ich in meiner Muttersprache gefickt werde”, erzählt mir ein Freund. Er ist holländischer Abstammung. Kein Wunder, denn Südafrika hat auch offizielle Sprachen und noch ein paar mehr, die keinen so hoch angebundenen Status haben und von Millionen Menschen auf den Straßen der schwarzen Metropolen gesprochen werden, in den Schlupfwinkeln der Ländlichkeit, und doch werde ich von den Zeitungen und den meisten elektronischen Medien nach wie vor in gerade mal zwei Sprachen gefickt, in Englisch und Afrikaans. Ein saftloser Witz, ich weiß.

Ich gehöre zur unregierbaren Generation, der im Ausnahmezustand der achtziger Jahre die Augen vom Tränengas geöffnet wurde. Man hat mich dazu erzogen, unregierbar zu sein. Und so wusste ich, als im Februar 2000 unsere Jungs in blau1 mit den blauen Augen meine Tür eintraten und meinen Computer zerschlugen, mein Faxgerät zerschmetterten und sich ein wenig reicher als damals wieder verzogen, als sie mir nur in die Eier traten, dass die ganze Sache wieder von vorn losgeht. Wir haben eine wundervolle Verfassung. Nur ist ihre Umsetzung völlig in den Arsch gegangen.

Das lässt mir deutlich werden, dass wir damals, als wir so außerordentlich geschäftig über Land zogen, um es in Besitz zu nehmen, allem Anschein nach vergessen haben, auch von unseren Köpfen Besitz zu ergreifen. Und so sielt sich meine Generation auf den Bürgersteigen von Yeoville und Hillbrow, das Hirn voll Crack und Klebstoff, und jagt nach ein paar Cents oder leckt und bläst sich durch die oberen Etagen und häuft Wohlstand und psychologische Schandflecken und kein Deut dieser viel beschworenen politischen Macht bringt uns von Station Null an die Stelle, an der wir auf der Weltbühne Fortschritte machen können. In einem weißen Markt sind wir die schwarzen Schafe auf der untersten Stufe geblieben.

Minuten nur noch, bevor ich raus auf die Bühne muss. Eine Veranstaltung mit meinen wortverdrehenden Gegenstücken aus England, Deutschland, Nigeria und Äthiopien. Mandla Langa2, mein großer Bruder, den ich gern habe und schätze, weil er mir den Weg ins Wort wies und das Leben jenseits der Arschkriecherei zeigte, und weil er mir klar machte, dass wir dringend einer Läuterung unserer von der Apartheid dummgevögelten Mentalität bedürfen, tritt zu mir und sagt: “Du weißt, dass ich Künstler bin und nie einem Künstler Vorschriften machen würde, was er zu tun und zu lassen hat, aber tu mir bitte einen Gefallen, kleiner Bruder, und sag nichts gegen GNU…” Ich kenne das Ausmaß des Schmerzes. Das Gnu ist ein hässliches, dreckiges, rücksichtsloses Tier. Regierung der Nationalen Einheit, wahrlich.3

Als ich Kind war und man mich in niedliche Sachen steckte, sagte Großmutter immer: “Oh, du bist so ein hübscher Kaffer, du siehst ganz so aus wie König George.” Inzwischen bin ich erwachsen, und Großmutter ist nicht mehr. Und die Abbilder der Schönheit, mit denen die Medien mich bombardieren, auf dass ich ihnen nacheifere, stammen von König Georges Nachfahren.

Letzte Woche in Johannesburg: ein kalter Gig der Burning Spears. Ein schleimiger Set, die Rhythmen aufgeschäumt wie Milchkaffe, keine politischen Anspielungen, keine gesellschaftskritischen Bezüge. Einer mit Dreadlocks, der mit mir durch die ganja4 -verräucherten Vernunftgründe driftete, meinte: “Sie sind ihm an die Wurzeln gegangen … der Babylon-Scheißstamm hat ihn auf seinem Weg hinein entmannt…”

Bra Ntemi Piliso von den legendären African Jazz Pioneers der fünfziger Jahre war im Krankenhaus und seine Band spielte im BASS LINE, einem Jazzclub in Melville. Man hat mich, den unsicheren Gedichtskantonisten aus der Nachbarschaft, gebeten, die Band anzusagen. Es war erniedrigend, hat mich traurig gemacht und, vor allem, fast wahnsinnig. Weil Bra Ntemi nur mit einem demütigenden “dankie-baas” überhaupt in das Krankenhaus aufgenommen wurde, weil die Schallplattenfirma, die er mit aufgebaut hat, die Krankenhausrechnung nicht übernehmen wollte, weil sich das Land nie in der Lage sah, diesen großen alten Mann unseres Jazz zu ehren, weil man sich gerade erst vergangene Woche einen Spaß aus solchen Ehrungen gemacht und ihm eine Auszeichnung auf einem Fetzen Kopierpapier überreicht hatte. Krankhaft lustig waren sie. Und Bra Willie Kgositsile5 hat bereits vor einiger Zeit in einem Gedicht festgehalten: “Oh Bra Ntemi, hast du nicht all deine Schuldigkeit getan, von Gallo bis heute?”

Und heute wurde Bra Ntemi für tot erklärt. Und das Radio findet ihn heiß, derweil er kalt im Leichenschauhaus liegt. Rund um die Uhr ertönt die Musik seiner Jazz Pioneers, die sie vorher nie auch nur eines Blickes gewürdigt haben. Mir geht’s beschissen. Und sie bestücken die “Schandruhmhalle”.

“Ich bringe die Seelen aus der Höhle”, sagt Eusebius Nawa über sein Werk. Gemälde über Todesfälle in den Bergwerken.

Ein paar von uns sind diesen Weg schon einmal gekrochen.

Es heißt: “der DICHTER schafft den besten Zugang zum ZEITALTER”.
Nichts dagegen zu sagen.

“Um Brot zu ernten

mussten wir Berge zähmen”,

erklärt Seithlamo Motsapi, der Erdgebundene.

Und Khulile Nxumalo6 , der unablässig nach Wegen aus der
Mittelmäßigkeit sucht & forscht, meint:

“und das erwachende Leben fordert

seine Antworten und die fremden

Kinder suchen nach der

entscheidenden Frage”

und wenn sie sie zu guter Letzt finden, dann finden sie das Leben, behaupte ich.

Meldungen vom Kerlak

Phuzekemisi, ein Makanda-Musiker, der auf dieser Seite der Zivilisation große Wertschätzung genießt, reist mit seiner Band nach Dänemark. Am Flughafen nimmt der Veranstalter des Festivals den (weißen) Manager der Band beiseite und fragt ihn: “Sind Sie sicher, dass die nicht Aids haben?” Und einen Augenblick später: “Und sagen Sie denen, dass es verboten ist, während des Festivals Drogen zu verkaufen!”

Die Belgier werfen Lebensmittelpakete in die Ghettotragetaschen der Weihnachtsgutmenschen. Ein paar Kinder der Alexandra-Township werden heute abend einen Teller voll Lumumba bekommen, an den Kongo denken und büßen. Mit freundlicher Unterstützung der belgischen Botschaft.

Haben unsere Blumen ins Gefängnis gesteckt – stellen unsere Pflanzen in lichtlose Zimmer – die Vegetation atmet künstliche Luft – nichts pastoral an Stahl und Metall.

Ich sing nicht dem Kuhdung/Ziegenpfad – der Feuerweg bahnt den Steg
durchs Bewusstsein.

“Wir haben die am besten ausgebildeten Kaffern auf dem ganzen Kontinent.” Hat mal ein burischer Parlamentsabgeordneter gesagt. Darauf spring ich an. Fremdenfeindlichkeit wird zunehmend Gemeingut. Hier unten im Süden.

Die Alphabetisierungsrate ist so niedrig, dass es einem die Gehirnzellen zersprengt. Egal, was der Politiker die Welt glauben machen will. Riesigen Gebieten dieses Landes fehlt es an fließendem Wasser.

Große und vielschichtige Gemeinwesen werden bedeutungslos durch die Ignoranz des Parlaments. Vegetieren unter Bedingungen einer derartigen Verelendung, dass es die Fetten & Mächtigen mit Blindheit schlägt.

Je mehr Spielbanken aus dem bitteren Boden schießen, desto mehr Bildungseinrichtungen gehen ein.

Und während die Macht Armut mit Krankheit gleichsetzt, der Verschleiß an Menschen zum Maß der Lebensfähigkeit des Landes wird, und “Baas” und “Missis” menschliche Pigmente um sich streuen, um eine Pufferzone zu schaffen und sich in Burgen verschanzen, die von Hass bewehrt sind, und Negatives die Feuerlinien bestimmt … versuche ich, meinen Status zu bestimmen … inmitten dieser Leben, die nach Seifenopern geschneidert werden.

“Die Kalten & die Dienstbaren.”

In Restaurants starrt man mich an, man folgt mir durch die Gänge der Supermärkte. Und nicht etwa deshalb, weil ich der Schönste im ganzen Einkaufszentrum bin. Ich erlebe, wie Polizisten schwarze Männer grob behandeln und Personalausweise zu sehen verlangen. Eine neue Phase im lauthals verkündeten Tod der Apartheid. Noch immer wirft man den Hunden schwarzes Fleisch zum Fraß vor. Während Minister dabei erwischt werden, dass sie sich Pornos aus dem Internet herunterladen, die Kinderprostitution Blüten treibt, wird das Blut der Schwachen in dem Ejakulat, mit dem sie die Korridore der Macht wichsen, zum “Crack/Riss” in der Psyche der Nation, die Kugel&Handy-Einheit macht das schon: “Anruf genügt und ne weitere Familie wird besiegt.” Satanismus und Pokémon erschrecken, all das machte die Wahrheitskommission zur Horrorshow.
Willkommen im Potemkinschen Weltdorf.

Sie spult sich ab und hinauf in die Unendlichkeit. Diese Gleichsetzung von Armut und Sterblichkeit. Kein Wettlauf mit der Promiskuität. Und präsidiale Arroganz, Eitelkeit und Machtversessenheit helfen kein bisschen. Noch Erklärungen, die diejenigen demütigen, die es sich nicht leisten können, in Würde zu sterben. Noch unflätige Streitereien darüber, ob ein Virus ein Syndrom auslösen kann oder nicht.
Es ist ein Rückfall in chronische Unterdrückung, ohne einen Augenblick der Klarsicht.

Das Stöhnen dieser Nation hat nichts mit Hormonstößen zu tun. Nicht einmal damit, dass sexueller Selbstausdruck zur Modeerscheinung geworden ist.

Und während sich meine Locken winden und sich ihren Weg in die Höhlungen meines Schädels graben, erwecken sie fürchterliche Gedankenfragen.

Und wenn mein Blut sauber spricht, weil die Ergebnisse meines Killervirustests negativ sind, dann muss das nicht gefeiert werden, weil es unbedeutend ist. Hinterlässt ein hohles Gefühl.

Beim Sex sollte es nicht um den moralischen Schmerz gehen, der die Erde überzieht, sondern um Unschuld.

Wir hier im Süden sind am schwersten betroffen, und dieser Schmerz schlägt tief nach innen durch, dorthin, wo das Blut pulst … auf Todespfaden.

Das Waisen-Syndrom.

Das Wunder des … Leben(s) ist kein Mysterium, das entschleiert wurde, bevor es begann.

Der Dampf im Maschinenraum der Wirtschaft ist Arbeiterschweiß, und sie leben in Ausbeutung. Also, wie Maishe Maponya7 sagte, “müssen wir wieder marschieren”.

WIR STEIGEN NICHT AUF, WIR SCHREIBEN, ODER STEIGEN WIR ETWA SCHREIBEND AUF?

SANDILE DIKENI8 fragt:

Lesego, wie ist es möglich, dass sie aus Worten und Dreadlocks Bomben schmieden?
Ich geh der Sache auf den Grund.

WAS FÜR BOMBEN GEHEN NIEDER?

Planet Hollywood in die Luft gesprengt. Autos vergingen in feurigem Flug, unten in Kapstadt. Ehemalige Scharfschützen der Befreiungsbewegung wurden zu südlichen Auftragsmördern. Die Wach- und Schließgesellschaften werden von allseits bekannten Rechten geleitet und beschäftigen entmachtete, verärgerte, demobilisierte Ex-Guerillas, Banken wurden aufgebrochen mit der Präzision der Stadt-Guerilla, ehemalige Todfeinde sind heute vereint in einem anarchistischen Destabilisierungsprogramm, das so präzis abläuft wie eine gut geölte Maschine. Ein Offizier der Armee forderte, dass das Gesicht des Präsidenten auf den Scheiben in den Schießständen der südafrikanischen Armee abgebildet werde.

Noch ein paar Meldungen vom Kerlak

Es herrscht ein anarchischer Zustand in der Lumpenverkleidung der Demokratie. Eine perverse Verdrehung von Fanons9 Feststellung: “Befreiung ist eine gewaltsame Erfahrung.” Es ist eine rein akademische Frage, ob die Befreiung stattgefunden hat oder an uns vorübergegangen ist. Es sieht so aus, als wäre ein Programm der vollständigen Entordnung an ihre Stelle getreten. Arsch nach oben gereckt & Strukturen zu Boden gestreckt – es herrscht die Zeit der Zerstörung.

Oder so etwa. Das Postkoloniale hat sich als das Anale herausgestellt und dennoch ist die Abtreibung der Vorhaben (hier beziehe ich mich auf die ideologischen Perversionen bei Stalin) nicht das Todesmal der herrschenden Doktrin.

Umgestaltungen sind heutzutage die Umkehrungen des Fortschritts.

Ich betrete das tote Reich & finde Stille vor im Haupt des Verrückten an der Spitze. Die Welt spielt mit meinem Verstand und paukt mir den Mythos ein, dass ich in einem Traum-Land lebe. Die Weltgesellschaft ist entschlossen zu glauben, dass Südafrika ein Wunder darstellt. In einem Interview behauptet ein französischer Gelehrter, dass es das erkaltete Feuer der Jugend sei, dass mich nicht erkennen lässt, dass es eine Zeit der Waffen gibt & eine Zeit ausgehandelter Abmachungen. Das Eis in meinen Adern sagt mir, dass ein Unterschied besteht zwischen Verhandlungen Gleichgestellter an einem Tisch und der Tatsache, dass man auf Knien hereingerutscht kommt, die Lippen spröde, rissig, aufgesprungen, die Zunge wie Gummi, weil man zu lange auf zu vielen Fabelmärchen herumgekaut hat.

Früher hieß es Spot an auf die Vision, heute sind die Spots aus und die Vision … dennoch, es brauchte einen blinden Samson, jene biblischen Säulen zu stürzen. Der Katholik in mir sieht in den geschichtlichen Quellen meines Landes die Knochensammlung derer, die da sagten: “Jeder Einzelne ist eine Nation in Selbst-Wieder-Erfindung.” Erneut kommt mir Frantz Fanon in den Sinn.

Hier, wo wir auf geringe Information bauen, um den großen Abfluss zu garantieren. Sie halten Wissen und Erkenntnisse zurück, um den Wutstrom zu bezähmen.

Beugen zur nächtigen Seite die Kunstszene.
Verborgene Treulosigkeiten, versteckte Ausschweifungen, darum um so abstoßender.
Wir schleppen uns weiter, ohne jegliche Kultur einer Kritik.

Hier nennt man jede Frau, die singt, gleich eine Diva, jeder Idiot, der etwas über die Künste loslässt, wird sofort zum Aktivisten der Kultur erklärt, selbst dann, wenn er den größten Teil seines Lebens an den Titten der Apartheid hing und sich in Strukturen bewegte, die dazu da waren, dem massenmörderischen Mythos des “die rassische Trennlinie ist rechtens” Ewigkeit zu verleihen.
Dennoch, auch meine Klasse ist vom Krebsgeschwür zerfressen, ernährt sich von den Sinnen der Massen und lebt zugleich in so großer Ferne von ihnen, wie der ins Bodenlose gestürzte Rand es erlaubt.

Und wenn ich mich in der letzten Zeit zum Schreiben hinsetzte, entstand nicht etwa ein Gedicht, sondern ein Symptom eines tiefer sitzenden Selbstvertrauensschwindels. Ich quäle mich mit jeder Zeile, um der Lüge der Inspiration Würde zu verleihen.

Und meine Altvorderen, Anreger und Vorbilder, Mitverschwörer, wo einstmals Giftgas war, füllen sie jetzt mit heißer Luft die Leere in meinem Schädel. Ich bin gezwungen, an meinem seelischen Gleichgewicht herumzuregeln, um Schritt halten zu können. Um das Brodeln unter der Oberfläche zu unterdrücken. Den Schorf meines Seins, meine Hülle, das Fleisch & Blut meines Lebens haben sie zu einer Sache der “Gesundheit” erklärt. Sie, die da reden mit skalpellgleicher Genauigkeit. Und dennoch schleicht sich die Krankheit im Verborgenen heran. Meine Krankheit ist kein medizinischer Zustand. Ist nicht organisch. Sie besteht in der künstlichen Existenz meiner aufpolierten-unkenntlich-geschminkten-Scheiß-Klasse.

Die liegt in dieser uralten Neuheit des Seins begründet.

In diesen Schweigegeboten, der Wortgewandtheit dieser Verkommenheit, die sich von hoch oben auf uns ergießt, von da her, wo die Wahlurne die Verlausten & die Dummen aufnahm.

Es gab mal eine Zeit, da ich im geronnenen Blut schier ertrank, da alles darauf ausgerichtet schien, in Samt und Seide zugrunde zu gehen. Trost finden in Gemeinsamkeit. Aber das war es eben: bloße Hülle. Im Innern war es verdreht, abgedreht, impotent.

Jetzt beruhigt mir oftmals die Kälte der Einsamkeit die Sinne, bringt meine Nerven zum Schweigen. Bin weniger von Niedergeschlagenheit erfüllt, lieg weniger falsch, weil ich dies “Blitz-in-the-Glitz”-Getue durchschaue.

Mir scheint, im Sterben liegt kein Gewinn.

Statistiken tragen das Gewicht der Wahrheit: drei Millionen die Zahl der Infizierten in diesem Land, & sie steigt weiter. Löscht die Ansprüche der Buppies10 aus. Es ist das “endgültiger-Schnitt-&-letzte-Naht” im Leichenschauhaus, was dieses Land ausmacht. Diese schlafwandelnden Wunden, die meine Klasse ausmachen, lassen mich erkennen, dass DAS WORT keinen Ersatz für die konkrete, gelebte Wirklichkeit bieten kann.

Hier, wo wir die Toten herausputzen & schminken … ficken wir sie mit Nachrufen.
In Zeitungsartikeln, in Klatschkolumnen, in Gedichten. Liegt hier die Ursache für diesen inneren Willen zu vergessen, für diese Amnesie, die mit Macht über uns gekommen ist?

Abschließende Meldungen vom Kerlak

Aufbauend auf einer nicht-kritischen Tradition, soweit sie die Künste betreffen. Wo Vielfalt Schwarzsein und Weißsein meint, einem Rhythmus innewohnend. Wir leben dort, wo Tiefsinn als Kraftlosigkeit verstanden wird … jenseits des “wenn ich es nicht verstehe, dann muss es Dichtung sein”, wo es ausreicht, Journalist oder Akademiker zu sein, um als Kunstkritiker Gehör zu finden, auf welchem Gebiet auch immer man seine Meriten haben mag. Linton Kwesi Johnson, Mutabaruka, Mzwakhe Mbuli, allesamt Hohepriester der Performance, sie seien angerufen, um Mxolisi Nyezwa vom Podest zu ziehen, ihre Einfachheit, ihr schmuckloser Zorn, mit anderen Worten, ihre alles-dir-genau-ins-bambaelaat-Gesicht-Riddimatics sind Gift fürs performanceunfähige Gesicht. Denn welchem Zweck dient ein schwarzer Dichter, wenn er beim Auftritt vor der Menge nur den Himmel auf Erden herabbeschwört.

Mit der Bitte um Verständnis: der Wort-Beat-Feuer-Rhythmus-Sound ist vielgestaltig. Kann alles sein, besteht auf unzähligen Ebenen, doch … unsere Presse hat diese Stimme unterdrückt, mundtot gemacht. Zugegeben, wer hört schon hin, wenn deine Stimme aus deiner Affenachselhöhle schallt. Aber … wie läßt es sich einfacher & lebensbejahender sagen:
Ich kann nicht von der Erde träumen ohne mich
hinzulegen
Ich kann nicht an Tränen denken, einsame Küsten
und die dritte Welt, ohne den Drang zu weinen oder
mich hinzusetzen.
Es ist ein ermüdender Ort, dieses Leben.

(Voller Hochachtung für Keorapetse Kgositsile)

Blutbäder wurden gesät, um Ruhe zu ernten.
Mancher macht mit beim Blutausverkauf, frei in Bande geschlagen. Die Katholiken sagen, Selbstmord-Zusammenbrüche seien Teufelspakte, stempeln den Kamikaze zum Satan.

& dennoch … der Terror spricht & der Schrecken geht um in den Verhandlungszimmern.

Das Wort lautet: “Sprich im Schweigen über dem Lärm.”

Es braucht Gewalt, sich in Sicherheit zu bringen. Bietet “Boss” aber Sicherheit und “Autorität” zugleich?

Wir fleddern die Toten um des LEBENDIGEN willen.

Wie bei der Josefsbraut Mutterschaft ohne Empfängnis. & sexuelle Aktivität, die auf Fortpflanzung reduziert wird, dient nur der Lustindustrie.

Wir werfen das Netz des Kommerz über den ganzen Wahnsinn und er sickert durch in der immer weiter steigenden Mordrate.

Er treibt dahin wie ein Blatt, das von einem geheimen Ast abgefallen ist.

Dennoch. Ich bleibe standhaft. Das Wort wird zwischen meinen Lippen hervorströmen, die sind nicht mit Briefklammern geheftet noch von Computerchips umfangen, da wo DIE BESTIE der Herrschaft schläft.

Hier im Süden, anders als bei der Durchschnittsnation von Arschleckern & Hakenkreuzanhimmlern, haben wir die Schweinebestien im Stift.

Und kranker als das kann es nicht werden.

“Diese Marathonknechtschaft / das Sharpeville-Massaker / die Flammen in Soweto / bin dort geboren / werde dort sterben.”

Ingoapele Madingoane11 umkreist meine Sinne aus dem Jenseits des Grabes.

Flammen beschrieben den Umkreis meines Seins und verschmolzen dann dieses Schwarzsein wieder mit dem Universum.

Ich muß mit Surfern über mein Schweigen reden, diese Leere birst vor Selbstgerechtigkeit…

Wenn die schokoladenbraungefüllten deutschen Limousinen in fettleibiger Trunkenheit vorbeischlingern, erinnere ich sehr wohl vergangene Versprechen. Von heiligen Ismen, Nahrung & Unterkunft für jedermann, jenseits dieser Obdachlosigkeit, dieses Hungers, des körperlichen wie des geistigen. Ich fühl mich wie der Teufelslehrling, der auf den falschen Himmel gewettet hat. Meine heidnische Braue trägt keine Früchte. Ob nun Himmel oder nicht.

Aus Lehm geformt, könnte mein Schweiß Blut sein. Sich blutend ergießen in die Tröge, aus denen die Schweine des Kommerz fressen. Doch ich pumpe ins Bewusstsein. & entdecke, dass es zurückgeht, zurückwächst zur Genesis … zum Sex ohne Geschlechtsorgane.

Fühl mich als Mann, einsam den Vorstellungen der Nation gegenüber, die alle darauf gerichtet sind, die Idee der Überlegenheit in Plastik abzutöten, und dennoch, sie ist eine Fessel, diese Verletzlichkeit. Doch wenn die Maske der regierenden Selbstüberhebung fällt, dann sieht es darunter aus wie Schlüpfer ohne Gummi.

Sprechen ohne Falschheit in der Stimme. Wir können nur sagen … dass wir keine Gesellschaft haben, der wir anhängen können, Menschlichkeit und nicht eine Rasse, genau wie die Rückgratlosigkeit sagt: “Das Leben ist ein Glücksspiel.” Ich spende dem Psychopathen mit seinem Wissen um die Zeitläufte Beifall, der uns als Hinterlassenschaft verkündet: “Über dem Grab sind keine Seelen zu retten…”

& wir spielen weiter die Wilden.

& während meine Schriftsteller das Sein in die Fiktion schreiblesen, lebe ich es mit Einzelhaft-Stift. Mit der Polizei mischen sich DIE INSTITUTIONEN ein (wie Fanon sie beschrieben hat), in Frieden & mit dem Befehl zu bewahren. Die vollkommene Gewalttätigkeit meines Geistes wird zur allerersten Option. Und indem die Frontlinie die Ufer einer neuen Welt bestimmt (Kraft ihrer Wassersuppe), beschreibt sie meine Niederlage. & Unschuld ist hässlich, die Ästhetik der … Verderbtheit.

Nicht die Bestie, sondern das Herz ist behaart und schwierig. Die Schönheit ist’s, die man kaum findet. & nicht aus Liebe zum gereimten Schleim kommt Frieden mit Chaos. Es ist die Dialektik der … Entbehrung. Wie schwach doch das Herz dieser Nation pocht, wenn der Hammer der Gerechtigkeit schallend niedersaust.

Ich krieche hinaus als die gemeinsamen Gedanken meiner ehemaligen Kameraden, die auf toxischem Pfad wandeln.

Der Kerlak auf dem Fußboden hat den Unflat im Auge, der Baum vor dem Fenster schlägt menschlich die Zweige vor das Gesicht, wischt mit den Blättern über die Augen, Che’s Bild an der Wand blickt in tote Fernen. Vom Papier lügen die Visionen südlichschwarzer Augen…

Gemeint sind die blau gekleideten Überfallkommandos der südafrikanischen Polizei

Mandla Langa, südafrikanischer Schriftsteller und Politiker, geb. 1950 in Durban, Tenderness of Blood, 1987, A Rainbow on a Paper Sky, 1989, The Naked Song and Other Stories, 1996

GNU - Government of National Unity - Regierung der Nationalen Einheit

Ganja - Marihuana

Keorapetse William Kgositsile, südafrikanischer Lyriker und Essayist

Seithlamo Motsapi und Khulile Nxumalo, südafrikanische Lyriker, gingen aus der "76er Generation" hervor

Maishe Maponya, südafrikanischer Dramatiker, geb. 1951 in Johannesburg, The Hungry Earth, 1981, Gangsters and Dirty Work, 1985, Doing Plays for a Change: Five Works, 1994

Sandile Dikeni, südafrikanischer Lyriker, geb. 1966 in Victoria West, Guava Juice, 1992

Frantz Fanon, Theoretiker der antikolonialen Bewegung, 1925-1961, Schwarze Haut - Weiße Masken, 1980, Aspekte der algerischen Revolution, 1969, Für eine afrikanische Revolution, 1972, Die Verdammten dieser Erde, 1966

Buppy - Black Urban Professional People

Ingoapele Madingoane, südafrikanischer Lyriker, 1952-1998, Africa My Beginning, 1979

Published 23 April 2001
Original in English
Translated by Thomas Brückner

Contributed by Wespennest © Wespennest Eurozine

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