Island: Wunderland ist abgebrannt

Die Griechenlandkrise hat für eine Weile verdrängt, dass zuvor bereits andere Länder zu Opfern der globalen Finanzkrise wurden. Dies gilt vor allem für Island. Seit Ausbruch der Krise befindet sich die Wirtschaft der Vulkaninsel am Rand des Polarkreises im freien Fall – und ist damit, unter geradezu labortechnischen Bedingungen, ein Beispiel für die Auswirkungen der großen Zockerei im globalen Finanzkasino.

Ähnlich wie Irland oder die baltischen Staaten erlebte Island in den letzten Jahrzehnten einen sprunghaften wirtschaftlichen Aufschwung, der maßgeblich auf Spekulationsgeschäften beruhte. Jahrzehntelang machten die drei isländischen Großbanken Landsbanki (mit dem mittlerweile berühmten Tochterunternehmen Icesave), Glitnir und Kaupthing gute Geschäfte mit ausländischen Anlegern, deren Kapital sie hoch verzinsten. Für diese Einlagen und die weiteren internationalen Investitionen der isländischen Banken lag aber keine ausreichende Absicherung vor. Der Bankensektor des kleinen Inselstaats agierte vielmehr wie ein Global Player, für den es ökonomisch keine Grenzen gibt. Mit über 400.000 Einlegern hatte etwa allein Icesave mehr internationale Kunden als Island Einwohner (310.000).

Implosion eines “Modells”

Mit Beginn der internationalen Finanzkrise 2007 gerieten die Bankhäuser ins Wanken, im Herbst des Folgejahres kam es dann zum Absturz. Die damalige Regierung unter dem konservativen Ministerpräsidenten Geir Haarde sah sich zu schnellem Handeln gezwungen und entschied sich für einen sogenannten Bail-Out, sprich: die Rettung der Banken durch staatliche Bürgschaften. So wurde am 9. Oktober 2008 die größte Bank des Landes, das Kredithaus Kaupthing, aufgrund einer rasch dafür geschaffenen rechtlichen Grundlage verstaatlicht. Der Staat bürgte damit für finanzielle Verpflichtungen mit Krediten, falls die AG Kaupthing Bank diesen nicht mehr nachkommen konnte – was sich umgehend bestätigte. Von diesem Eingreifen versprach sich die Politik, Schaden für die gesamte isländische Wirtschaft abwenden zu können. Dies erwies sich jedoch als eine voreilige Hoffnung, die sich letztlich nicht erfüllte. Vielmehr wurde der Staatshaushalt massiv belastet. Das löste einen Dominoeffekt aus: die beschleunigt betriebene Abwertung der isländischen Krone und die De-facto-Zahlungsunfähigkeit des Landes, das die übernommenen Verbindlichkeiten nicht begleichen konnte.

Die Folgen waren dramatisch: Eine stabile parlamentarische Demokratie, die jahrzehntelang ein steigendes Wirtschaftswachstum aufgewiesen und noch im November 2007 Norwegen vom ersten Platz des Human Development Index verdrängt hatte, schien unter den ungläubigen Blicken aller auseinanderzubrechen. Und weder die Isländer selbst, noch die Europäische Union, die Zentralbanken oder Finanzaufsichtsbehörden waren dafür gewappnet. Die durchgeführten Maßnahmen erwiesen sich vielmehr als wirtschaftlich kurzsichtig und sozial ungerecht.

Das zur Rettung der Kaupthing-Bank eingesetzte Verwaltungskomitee vollzog bereits im Oktober 2008 die ersten Schritte für die Aufteilung in eine Old Kaupthing und eine New Kaupthing Bank, wobei letztere die Sicherheit des inländischen Zahlungsverkehrs gewährleisten sollte. Deswegen wurden die ausländischen Angelegenheiten und die noch ungeklärten Verpflichtungen – die auch von der neuen isländischen Regierung formal anerkannt wurden – in die Old Kaupthing Bank ausgelagert. Diese formale Zweiteilung, säuberlich getrennt in neu und alt, good und bad, machte den Weg frei für einen Neuanfang für die Banken und den isländischen Staat – allerdings unter sehr unterschiedlichen Voraussetzungen.

Heute unterstehen die Banken nur noch teilweise staatlicher Kontrolle. Mit neuem Namen versehen, wurde etwa die New Kaupthing Bank umgehend reprivatisiert. Die Schuldbriefe der Vorgängerbank, beispielsweise die privaten Kredite für den Hausbau, wanderten für die Hälfte ihres Wertes in die Tresore der neuen Banken und bilden nun einen stabilen Grundstock für deren Wiedereinstieg ins internationale Finanzgeschäft.

Die Altlasten verblieben dagegen beim Staat, der weiterhin die Old Kaupthing Bank hält. Dass dieser Wertverlust sich in irgendeiner Form positiv für die kleinen Schuldner auswirkt, ist mehr als unwahrscheinlich. Deren Kredite und Zinssätze sind nämlich bei weitem nicht in diesem Umfang verhandelbar. Viele Isländer haben – wie es auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern die Regel ist – in (vermeintlich) wirtschaftlich stabilen Zeiten Kredite aufgenommen, um sich etwa den Traum vom eigenen Heim zu erfüllen. Die Darlehen haben oft einen variablen Zinssatz, der sich am Index der isländischen Konsumgüter orientiert. Diese haben sich jedoch durch den Wertverlust der Krone und die Inflation immens verteuert. Andere Sparer nahmen eine Anleihe in einer ausländischen Währung auf und profitierten dabei von der Überbewertung der isländischen Krone. Dies bedeutete einen niedrigen Zinssatz bis zum Herbst 2008 und danach derartig explodierende Kosten, so dass viele Isländer seither nicht einmal mehr die Zinsen für ihre Kredite bedienen können.

Der private Konsum fiel infolgedessen in den letzten zwölf Monaten um rund 15 Prozent, die realen Einkommen sanken sogar noch stärker, und die Bruttoinvestitionen gingen um die Hälfte zurück. Dagegen stiegen die Kosten für fast alle Güter, Arbeits- und Dienstleistungen, was die privaten und staatlichen Haushalte zusätzlich massiv belastet.1 Im Ergebnis ist die Zahl der verschuldeten Haushalte und Unternehmen dramatisch gestiegen, ebenso wuchsen Arbeitslosigkeit und Inflation.

Auf dem Weg in die EU

Immerhin wurde von den Isländern durch wochenlange Proteste eine Neuwahl erzwungen. Diese konnte eine links-grüne Koalition unter Führung von Jóhanna Sigurdardóttir gewinnen. Die neue Regierung reichte umgehend einen Antrag zur Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen ein. Davon erhofft sich die Regierungskoalition eine langfristig spürbare wirtschaftliche Verbesserung. Auch böte die Aufnahme in die EU die Möglichkeit, sich von der krisengeschüttelten isländischen Krone zu verabschieden.

Die Europäische Union steht dem Beitrittsgesuch aus Reykjavik wohlwollend gegenüber. So heißt es in einem Kommentar des Europäischen Parlaments vom 26. November 2009, dass Island “angesichts seiner hohen Anpassung an das EU-Recht in nicht allzu ferner Zukunft den Status eines Kandidatenlandes erhalten wird.” Nachdem das isländische Parlament mit knapper Mehrheit für den EU-Beitritt gestimmt hatte, erteilte im Februar d. J. auch die Europäische Kommission den Beitrittsgesprächen ihre Zustimmung.

Dessen ungeachtet gibt es berechtigte Zweifel, ob dies der richtige Weg aus der Krise ist. Mit dem Beitrittsgesuch erhalten die Forderungen Großbritanniens und der Niederlande größeres Gewicht, wonach der isländische Staat für die Verluste aufkommen soll, die den (nicht zuletzt holländischen und britischen) Anlegern durch die Misswirtschaft privater isländischer Kreditinstitute entstanden sind.

Dagegen richtete sich das erfolgreiche Referendum gegen das Icesave-Abkommen am 6. März d. J. Stolze 93,3 Prozent (!) votierten gegen diese Kreditvereinbarung ihrer Regierung mit London und Den Haag. Das Abkommen hätte Island dazu verpflichtet, den beiden Staaten eine Summe von rund 3,9 Mrd. Euro zu ersetzen, mit denen diese wiederum britische und niederländische Kunden der im Herbst 2008 zusammengebrochenen isländischen Bank Icesave entschädigt haben. Auch wenn diese Volksabstimmung rechtlich nicht bindend ist, machte sie eindeutig klar, dass die Isländer nicht bereit sind, sich auf Jahrzehnte hinaus zu verschulden, um die Zeche für den implodierten privaten Finanzmarkt zu zahlen. Denn, wie Ministerpräsidentin Sigurdardóttir es formulierte: “Die Isländer sind nicht für die globale Bankenkrise verantwortlich.”2

Neben Großbritannien und den Niederlanden, denen die jeweiligen Anlieger im Nacken sitzen, hat dies vor allem bei führenden Vertretern des Internationalen Währungsfonds (IWF) für Verstimmung gesorgt, der daraufhin seine Hilfsmaßnahmen prompt in Frage stellte. “Ich habe immer gesagt, dass Icesave keine Bedingung für den IWF darstellt, aber dass wir eine Mehrheit benötigen. Wenn wir die Icesave-Fragen gelöst haben, bin ich sicher, dass wir diese Mehrheit erreichen werden”, erklärte IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn süffisant.3

Die “Strafe” für die isländische Unbotmäßigkeit folgte denn auch auf den Fuß: Von den zugesicherten 2,1 Mrd. US-Dollar, die als Hilfspaket bereits fest vereinbart waren, hat bislang nur knapp die Hälfte den Weg nach Island gefunden. Die Auszahlung des restlichen Betrags wird von einer Übereinkunft mit den Niederlanden und Großbritannien abhängig gemacht. Auch die skandinavischen Nachbarn halten die von ihnen bereits zugesagte Unterstützung so lange zurück, bis eine Form der Einigung erzielt wird. Lediglich Norwegen interessiert sich wenig für die im Raum schwebende internationale Vorgabe und hat seine Hilfszahlungen bereits angewiesen.

Island stehen somit weitere harte Verhandlungen mit den Vertretern nationaler Gläubiger und dem IWF ins Haus. Auf große Unterstützung seitens der EU kann der Beitrittsaspirant dabei nicht hoffen. Im Gegenteil: Wie Baron Münchhausen bleibt es dem Inselstaat selbst überlassen, sich am eigenen Schopf aus dem Schlamassel zu ziehen – und er kann froh sein, wenn er dabei nicht mit weiteren Gewichten beschwert wird. Schließlich zeigt das Beispiel Griechenlands, dass selbst ein Mitglied der Europäischen Union und der Eurozone mit seinen ökonomischen Problemen am Ende recht allein dastehen kann.

Vgl. Economic Development in the Nordic Countries: 2009 Report, März 2010.

Zit. nach "die tageszeitung", 17.8.2009.

Zit. nach www.bloomberg.com, 30.3.2010. (aus: Blätter 5/2010, Seite 18-21)

Published 12 May 2010
Original in German
First published by Blätter für deutsche und internationale Politik 5/2010

Contributed by Blätter für deutsche und internationale Politik © Sarah Ernst / Blätter für deutsche und internationale Politik / Eurozine

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