Ulrich Schmid

(b.1965) is a professor of Russian culture and society at the Universität St. Gallen.

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Nicht-Literatur ohne Moral

Warum Varlam Schalamov nicht gelesen wurde

Varlam Schalamov (1907-1982) ist zweifellos einer der wichtigsten Schriftsteller, die den Gulag literarisch verarbeitet haben. Im Gegensatz zu Aleksandr Solzenicyn konnte er aber weder in Rußland noch im Westen eine Breitenwirkung entfalten. Die Gründe für dieses Zurückstehen sind vielfältig: Seine anspruchsvolle Poetik, sein moralischer Nihilismus, seine provozierende Revision des russischen Literaturkanons und sein politisches Verhalten nach der Rehabilitierung waren nicht mit dem Erwartungshorizont seiner Leser kompatibel. Erst in den letzten Jahren wird Schalamov als Autor erkennbar, der in seinen Texten avantgardistische und realistische Darstellungstechniken zu einer anspruchsvollen und widersprüchlichen literarischen Einheit gefügt hat.

Der Osten im Westen

Importe der Populärkultur

Zahlreiche Produkte der westlichen Populärkultur sind aus Osteuropa importiert. Dies wird oft übersehen, bestimmt doch die bereits von der Kritischen Theorie angestimmte Klage über die “McDonaldisierung” der europäischen Kultur bis heute die Debatte. Wertfreie Einzelstudien beschränken sich bei der Analyse der Populärkultur hingegen in der Regel auf einen bestimmten nationalen Kontext. Verfolgt man aber die Importwege prominenter Erscheinungen in der westlichen Populärkultur, so zeigt sich, daß osteuropäische Traditionen und Prägungen auf ganz unterschiedliche Weise präsent sind: Sie können sich unter einer sorgfältigen Camouflage verbergen, durch kulturelle Transformation an den Publikumsgeschmack angepaßt werden oder auch als plakative Exotik auftreten.

Nasi - Die Putin-Jugend

Sowjettradition und politische Konzeptkunst

Seit Jahren ist die Putin-Administration bemüht, ihrer politischen Jugendarbeit ein modernes Image zu verpassen. Langfristiges Ziel ist die Schaffung einer patriotischen, regierungstreuen Jugendorganisation, die in der Gesellschaft für ein loyales politisches Klima sorgen soll. Nach den Mißerfolgen einer traditionellen Jugendpartei und der skandalträchtigen Bewegung Gemeinsamer Weg [Iduscie vmeste] wurde 2005 mit beträchtlichen finanziellen Mitteln die streng hierarchische Jugendorganisation der Unsrigen [Nasi] ins Leben gerufen. Diese vereinigt Strukturen des sowjetischen Komsomol mit Aktivitäten, die deutlich von der dissidenten konzeptualistischen Kunst der 1970er und 1980er Jahre inspiriert sind.

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