Business Bullshit

Ein junger Mann, der einen Smoking trägt, geht durch einen Ballsaal. Um ihn herum sieht man Spuren eines Fests, die ihre Schuldigkeit getan haben: Ballons, leere Gläser, Konfetti. Am ersten Januar 1984 erschien dieses Bild überall in den USA. Darunter standen die Worte: «The Party’s Over». Dies war eine Anzeige von AT&T, dem damals größten Telekommunikationskonzern in den USA. An diesem Neujahrstag war AT&T entflochten worden. Alle seine Tochterunternehmen sahen sich einer neuen Welt gegenüber: Eine angenehme Monopolstellung wurde durch die Härten des Wettbewerbs ersetzt.

Eines der Tochterunternehmen war Pacific Bell, das praktisch ein Monopol auf Kaliforniens Telefoninfrastruktur besaß. Das Managementteam stand unter dem Druck, den Konzern neu zu organisieren. Die Führungskräfte entschieden, dass nicht nur die Bilanz eine Überholung benötigte, sondern auch die gesamte Belegschaft. Dafür stellte das Unternehmen einen bekannten Experten für Organisationsentwicklung namens Charles Krone ein. Er machte sich daran, ein Managementtrainingsprogramm zu entwerfen, das versprach, die Art zu verändern, wie Menschen dachten, handelten und sprachen. Indem sie diesen Kurs durchliefen, würden ihre Untergebenen, so hoffte die Konzernleitung, auf neue Bewusstseinsebenen gehoben werden, und ihr Unternehmen würde Kräfte freisetzen, um unter den neuen Bedingungen konkurrieren zu können.

Krones Trainingsprogramm enthielt viele der überkommenen Standards, die man erwarten durfte. Aber dieses Null-Acht-Fünfzehn-Managementtraining wurde in einer ziemlich bizarren Verpackung präsentiert, nämlich den Gedanken eines russischen Mystikers des 20. Jahrhunderts namens George Gurdjieff.

Gurdjieff zufolge leben die meisten von uns in einem Zustand, der einem «Wachschlaf» gleicht. Wir reagieren automatisch und erlangen nicht «höhere Bewusstseinszustände». Um sich aus der Erstarrung zu lösen, müssen wir uns auf das einlassen, was er «die innere Arbeit» nannte. Der Fokus dieser «Arbeit» ist das eigene Ich. Durch die Selbstarbeit, die tiefsitzenden Denkgewohnheiten zu unterminieren, so Gurdjieff, sei es möglich, die eigenen inneren Potenziale zu befreien und tiefgründige Wahrheiten zu erkennen.

Ursprünglich faszinierten Gurdjieffs Ideen Künstler, Intellektuelle und Freidenker. Menschen wie die Schriftstellerin Katherine Mansfield, der Architekt Frank Lloyd Wright und der Psychonaut Timothy Leary waren von seinen Ideen beeinflusst. Zu Beginn der 1980er-Jahre hatten Gurdjieffs mystische Ideen Resonanz in der eher seltsamen Umgebung eines großen kalifornischen Versorgungsunternehmens gefunden. Alle 70 000 Angestellten der Pacific Bell brachen mit Hilfe des Managementtrainings, das von Gurdjieffs Ideen geprägt war, zu einem höheren Bewusstseinszustand auf.

In einem Programm, das als «Kroning» bekannt wurde, nahmen Angestellte an zehn zweitägigen Sitzungen teil, wo etwa siebzig Menschen zusammenkamen, um über neue Konzepte unterrichtet zu werden. Danach hatten sie ein beeindruckendes neues Vokabular, das «Kronese» hieß. Sie redeten nun über «Justierung», «Endzustandsvisionen», «Wege nach vorn», «Zielstrebigkeit» und «Intentionalität». Dieses neue Vokabular sollte Mitarbeiter aus ihrem bürokratischen Halbschlaf wachrütteln und ihnen die Augen für eine höhere Bewusstseinsstufe öffnen.

Allerdings hatte Kroning unerfreuliche Nebenwirkungen. So war es für Außenstehende fast unmöglich zu verstehen, was in dem Unternehmen vor sich ging. Eine frühere Angestellte erklärte, dass sie sich «erinnern konnte, regelmäßig Außenstehende in einer Besprechung zu haben, und sie konnten der Besprechung absolut nicht folgen». Die neue Sprache «führte zu weitaus mehr Besprechungen. Alles dauerte doppelt so lange». Ein Mitarbeiter mutmaßte, «wenn die Energie, die in das Kroning hineingesteckt wurde, für die anstehende Sache verwendet worden wäre, hätten wir alle viel mehr geschafft».

Auch wenn Kroning in einer New-Age-Sprache psychischer Befreiung verpackt war, wurde es von all den Drohungen eines autoritären Führungsstils begleitet. Viele Angestellte spürten einen übermäßigen Druck, an Kroning glauben zu müssen. Zum Beispiel wurde eine Managerin in das Büro ihres Vorgesetzten bestellt, nachdem ein Teammitglied eine Kroning-Sitzung vorzeitig verlassen hatte. Man forderte sie auf, den rebellischen Mitarbeiter «rauszudrängen oder in Rente zu schicken». Ein anderer Angestellter erzählte davon, wie «es klargemacht wurde, dass sich jede Opposition gegen das Training oder irgendwelche Beschwerden auf die Zukunft des Betreffenden auswirken würden. Wenn du nicht mitzogst, wurdest du lächerlich gemacht oder bedroht». Du musstest bereit sein, andernfalls …!

Kroning kam nicht billig. Das Programm kostete 1987 allein 40 Millionen Dollar. Dieser hohe Preis, dazu die öffentliche Besorgnis über die autoritäre Ausrichtung des Programms und der befremdliche New-Age-Ton gaben California’s Public Utility Commission [eine Regulierungsbehörde des Bundesstaates Kalifornien] Anlass, das Programm der Führungskräfteentwicklung näher zu untersuchen. Sie kamen zu dem Schluss, dass es viele gute Merkmale hatte, aber zu teuer war. Daher beendete Pacific Bell Kroning und führte wieder traditionellere Techniken der Managerentwicklung ein.

Man kann Kroning für eines der zahlreichen Beispiele teurer und schlecht kalkulierter Missgeschicke halten, die im Geschäftsleben so üblich sind. Auch wenn es weitgehend vergessen zu sein scheint, lebt sein Erbe heute in Büros auf der ganzen Welt weiter. Wenn wir die Art von Sprache betrachten, die den Mitarbeitern bei Pacific Bell so merkwürdig vorkam, fällt auf, dass sie heute allzu vertraut klingt. «Justierung», «Wege nach vorn», «Endzustandsvisionen» und «Zielstrebigkeit» waren 1987 der allerneueste Geschäftsjargon. Kroning klingt fast vernünftig, vergleicht man es mit heutigem Unternehmenskauderwelsch wie «Ideation», «Imagineering», «Issue Management», «Inboxing» und «Impactfulness». Mag Kroning auch abgeschafft worden sein, der Managementjargon lebt weiter.

Aber eine zweite verborgene Hinterlassenschaft von Kroning lässt sich in Büros weltweit finden. Wenn man näher in die pastellfarbenen Arbeitsnischen oder auf die tristen Anschlagbretter irgendeines Arbeitsplatzes schaut, findet man ziemlich sicher etwas, das eine Erinnerung an die tiefen psychischen Wunden des Kronings ist. Zwischen den vergilbenden Sicherheitshinweisen und veralteten Werbeplakaten für Fundraising hängt oft ein Cartoon mit dem leicht verwahrlosten Ingenieur namens Dilbert und seinem bösen Boss namens Dogbert. Vermutlich an einem Bürocomputer während sinnloser Arbeitsstunden gezeichnet, fangen diese Cartoons in kurzen Szenen die immer wiederkehrenden Tragödien des Bürolebens ein – leere Schlagworte, vergebliche Umstrukturierungsmaßnahmen, wiederholtes Outsourcing und endemische Unsicherheit. Das Universum, das Scott Adams, der Erfinder des Cartoons, schildert, könnte überall sein – die (Nicht)-Handlung spielt an einem nicht identifizierbaren (Nicht)-Ort am Rande eines Büroparks in Nirgendwostadt. Diese Szenen existenziellen Ekels im Büro haben sich als weltweit äußerst beliebt erwiesen. Sie sagen einiges über das gegenwärtige Büroleben und seine endlose Leere aus, die kein Managementbuch erfassen kann. Woher kam diese düstere Vision des Arbeitsplatzes? Was brachte Adams dazu, ein so trauriges Universum zu zeichnen? Die Antwort lautet: natürlich das Büroleben selbst. Adams erlebte die Arbeit in Großraumbüros hautnah. Er arbeitete als Programmierer für Pacific Bell, als dort Kroning voll in Schwung war. Er verließ das Unternehmen erst 1995.

Pacific Bell und sein Kroning-Programm mögen schon 1987 merkwürdig erschienen sein. Heutzutage sind Organisationen auf der ganzen Welt mit derartiger Managementsprache überschwemmt. Viele Millionen benutzen bereitwillig diese Phrasen, um über alles zu reden – von der Kindererziehung bis zum Betreiben eines Atomkraftwerks. Dieser Jargon ist so etwas wie eine organisatorische Lingua franca geworden. Die ständig neuen Begriffe werden zwischen den mittleren Führungskräften ausgetauscht, so wie Freimaurer geheime Handzeichen benutzten, um Mitgliedschaft und Status anzuzeigen. Die nicht so geheime Managersprache schallt durch die Landschaft der Arbeitszellen. Sie bildet den Hintergrund für das moderne Büroleben und scheint überall zu sein und sich auf alles zu beziehen. Und doch hat sie keinen Ursprung, keine Geschichte, keinen Urheber und keine wirklichen Anhänger.

Hier ein paar Beispiele: «Rolling out bleeding edge innovation»; «going forward by getting granular»; «taking a helicopter view to doing some blue sky thinking»; «circling back before close of play»; «proactively pushing the envelope»; «reaching out to get on the radar»; «taking a bio-break to avoid boiling the ocean»; «doing the no-brainer by picking those low hanging fruit»; «synergising some sunsetting»; «having a cold eyed review of core competencies»; «diarizing some drilling down»; «thought leaders touching base in town hall meetings»; «having your human capital do some horizon scanning»; «benchmarking best practice». Unverständlich für die Uneingeweihten, aber allzu vertraut denjenigen, die unglücklicherweise diesem Blödsinn an jedem Tag ihres Arbeitslebens ausgesetzt sind. Das ist Business Bullshit.

Bullshit ist nicht das Gleiche wie eine Lüge. Um zu lügen, muss man einen gewissen Respekt vor der Wahrheit haben. Wenn man lügt, versucht man, etwas zu vertuschen. Lügner wissen, dass sie vielleicht erwischt werden. Sie wissen, dass es eine Wahrheit gibt und dass sie auf der falschen Seite sind. Bullshit ist eine ganz andere Sache. Harry Frankfurt, Philosoph an der Universität Princeton, zufolge spielt für den Bullshitter «der Wahrheitswert seiner Behauptung keine besondere Rolle», und «es ist ihm gleichgültig, ob seine Behauptungen die Realität korrekt beschreiben».1 Bullshitter lügen nicht. Sie versuchen nicht, die Kluft zwischen dem, was sie sagen und wie die Dinge wirklich sind, zu verbergen. Es beunruhigt sie nicht, dass ihre großspurigen Behauptungen unlogisch, unverständlich und völlig verwirrend sein können. Sie interessiert allein, ob Leute ihnen zuhören.

Während sich Lügner beim Vertuschen beträchtliche Mühen machen, breitet der Bullshitter seine Ansichten und Behauptungen aus, damit alle sie sehen. Mehr noch, Bullshitter halten ihr Tun für eine Kunstform. Wie jeder gute Künstler gieren sie nach einem dankbaren Publikum. Die versierteren Bullshit-Künstler erwarten Applaus, Auszeichnungen und angemessene Belohnung für ihre Meisterwerke.

Angesichts geringer Wachstumsaussichten haben viele westliche Volkswirtschaften Bullshit in eine Quelle der Prosperität verwandelt. Schon eine oberflächliche Analyse der Wachstumssektoren im Westen legt nahe, dass die Gebiete, die den größten Spielraum für Bullshit haben, auch diejenigen gewesen sind, die am schnellsten wuchsen. Eine Studie fand heraus, dass die «Ökonomie der Überredung» (ein freundlicheres Wort für die Bullshit-Ökonomie) fünfundzwanzig Prozent der US-Wirtschaft ausmacht.2Eine neuere Aktualisierung durch das australische Finanzministerium korrigierte die Zahl auf dreißig Prozent nach oben.3

Nun, wer genau sind all diese Bullshitter? Es gibt zweifellos Sektoren, von denen ein überwältigender Gestank ausgeht. In ihrer Analyse der Flut von Bullshit in der heutigen Zeit identifiziert Laura Penny einige Sektoren, die besonders bullshitintensiv4 sind. An erster Stelle steht die Politik. Hier sind die Fähigkeiten, allem auszuweichen, das auch nur beiläufig einen Bezug zur Wahrheit hat, außerordentlich gut entwickelt. «Politiker gehören zu den Ersten, die einem sagen, dass Politiker nur Scheiße labern», schreibt Penny, «und niemand scheint mehr Freude daran zu haben, in allen Einzelheiten zu beschreiben, wie korrupt die Regierung ist, als jemand, der gerade dafür kandidiert oder ein gewähltes Mitglied in ihr ist».5 Angesichts dieser Tatsache scheinen sich Politiker ermutigt zu fühlen, unaufhörlich Bullshit zu produzieren. Eine Auswahl neuerer Schlagworte mag einen Eindruck davon geben: «Unternehmenskultur», «der dritte Weg», «The Big Society», «offene Demokratie» oder «Nudging». All diese Konzepte waren zu ihrer Zeit stark umkämpft und heiß begehrt. Aber alle landeten bald auf dem Müllhaufen der Geschichte, um dann nur von anderen ähnlich klingenden Begriffen ersetzt zu werden. Während der letzten Jahre hat die Bullshitproduktion in der Politik eine beträchtliche Veränderung durchgemacht. Zu den bekannten Beispielen gehören Silvio Berlusconis Markenzeichen des leeren Geredes, Wladimir Putins geschickter Umbau der russischen Medien in einen «Spiegelsaal», offensichtlich falsche Behauptungen derjenigen, die den Wahlkampf für den Austritt Großbritanniens aus der EU führten, und Donald Trumps bizarre Tweets.6Viele Kommentatoren haben dieses Verhalten postfaktische Politik genannt.7 Dies ist eine Politik, die an das Gefühl appelliert und Evidenz und Vernunft verachtet. Laurie Penny zufolge ist Bullshit ein zentraler Aspekt der postfaktischen Politik.8

Dann sind da die Werbe- und PR-Agenturen, die ein Milliardengeschäft aus dem gemacht haben, was Penny als «Scheiße erfinden» beschreibt. Tatsächlich bestätigen Insider bereitwillig, dass ihr Gebiet voll von Bullshit ist. Ein paar Beispiele aus der Bullshitproduktion der Werbung: «Open happiness» (Coke), «i’m lovin it« (McDonalds), «travel should take you places» (Hilton), «live your life» (American Eagle Outfitters), «what can brown do for you» (UPS), «Because I’m worth it» (L’Oréal) oder «Believe in Better» (Sky). Diese Unternehmensslogans sind meisterhafte Kreationen von Bullshit-Künstlern.

Natürlich gibt es viele Gebiete, in denen Bullshit vorherrscht: Das sind die Medien mit ihren Pseudo-Promis und leerem Geschwätz. Das ist der Sport mit seinen nichtssagenden, weitschweifigen Kommentaren und dem ununterbrochenen Strom sinnloser Statistiken. Da ist die Welt der Technologie mit ihrem Faible, von der geringsten Innovation, und sei sie noch so idiotisch, zu behaupten, sie «verändere alles». Aber wenn es einen Sektor gibt, der heutzutage massenhaft die beeindruckendsten Beispiele für Bullshit produziert, dann ist es wohl das Management.

Zuerst einmal muss man feststellen, dass nicht alles in dem gewaltigen Rede- und Text-Strom, der aus Organisationen hervorquillt, Bullshit ist. Manche Verlautbarungen beschreiben einfach, was Sache ist: Einzelheiten von Kundenbestellungen, Besprechungszeiten, eine neue Erwerbung oder Veräußerung, Mittelkürzungen, ein kleiner Erfolg. Diese Informationsfragmente mögen langweilig, äußerst ärgerlich oder uninteressant sein, aber sie sind kein Bullshit. Gelegentlich gibt es auch wohldurchdachte Worte, die Leute verwenden, um darüber zu sprechen, was gewesen ist (zum Beispiel, warum sich ein Produkt nicht verkauft hat) oder was sein könnte (etwa ein vielversprechender Vorschlag, welchen Markt das Unternehmen als nächsten erschließen sollte). Leider sind solche Worte im Geschäftsleben selten. Und natürlich gibt es noch eine dritte Klasse von Worten, die den meisten von uns allzu vertraut sind. Das sind Worte, die keinerlei Bezug zur Realität haben und denen die grundlegenden Merkmale der Logik fehlen. Stattdessen scheinen sie eine Reihe willkürlich verbundener vager Begriffe zu sein, die sich unmöglich in Beziehung zur Realität bringen lassen. Solche irrealen und vernunftlosen Worte sind Bullshit. Sie versuchen nicht, die Wahrheit zu verbergen oder zu verschleiern. Sie haben vielmehr, wie Harry Frankfurt ausführt, bewusst keine Beziehung zur Wahrheit.9

Wie alles in der Business-Welt wird auch Bullshit aktiv gehandelt. Während der Bullshit-Künstler eher die Bar bevorzugt, kann der Bullshit-Händler lukrative Geschäfte in jeder großen Organisation finden. Sie sind gigantische Maschinen für die Herstellung, Verbreitung und den Konsum von Bullshit. Für jedes Glied der Kette finden sich Spezialisten – leitende Angestellte und ihre verschiedenen Berater kreieren ihn, das mittlere Management verbringt seine Zeit damit, ihn zu verbreiten, und der Rest der Organisation muss ihn dann schlucken. Erhebliche Anstrengungen werden in diesen ganzen Prozess gesteckt – Tage, Monate, Jahre, Lebenszeiten werden im Geschäft mit Bullshit verbracht.

In vormodernen Organisationen waren die Rückmeldungen über die Beziehung zwischen dem, was man sagte, und dem, was man tat, schnell, schlüssig und brutal. Da die Menschen eng mit dem Produktionsprozess verbunden waren, konnten sie sehen, wenn Worte sich von der Realität entfernten. An jedem Arbeitsplatz gab es eine eindeutige Sprache, die als Tradition weitergegeben wurde. Mit dem Aufstieg moderner Produktionsmethoden und großer bürokratischer Systeme verkümmerte diese traditionelle Sprache der Arbeit. Sie wurde vom Jargon der Experten wie etwa der Ingenieure ersetzt. Ihre Rede hatte kaum noch etwas mit der rauen Sprache der Fabrikhalle zu tun, war aber oft noch mit den Realitäten der Arbeit und einer gewissen Logik verbunden.

Als Fabriken, die Güter produzierten, im Westen schrittweise demontiert und ausgelagert oder durch Automation ersetzt wurden, blieb großen Teilen der westlichen Ökonomien nicht viel zu tun übrig. Manche Soziologen prophezeiten, dies würde zu einer Welt führen, in der die Menschen kaum noch Arbeit hätten.10Wir würden nur noch ein paar Stunden am Tag arbeiten und dann etwas finden müssen, was wir mit der restlichen Zeit tun. Die große Tragödie für viele besteht darin, dass genau das Gegenteil einzutreten scheint: An dem Punkt, da die Arbeit verschwindet, greift die Idee um sich, dass Arbeit der Weg zum guten Leben ist.11 Um ein guter Bürger zu sein, muss man ein produktiver Bürger sein. Es gibt allerdings ein Problem – nur noch wenig muss durch uns produziert werden. Die große Rätselfrage lautet: Wie gehen wir mit all den arbeitsbesessenen Menschen um, wenn wir nur wenige echte Möglichkeiten zu arbeiten haben? Die Antwort ist bekannt: Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Aber David Graeber wies darauf hin, dass es ein Programm mit einem Haken ist.12 Anstatt Jobs zu schaffen, die einen gewissen Sinn und Zweck haben, kam es zu der Schaffung eines riesigen Bestands von sogenannten «bullshit jobs» (D. Graeber). Dies sind Jobs, die die Menschen, die in ihnen arbeiten, als «absolut sinnlos und nichts zur Welt beitragend» erleben und die ihrer Ansicht nach «nicht existieren sollten».

Menschen, die in Bullshit- Jobs arbeiten, müssen etwas tun. Und dieses Etwas ist gewöhnlich die Produktion, Distribution und Konsumtion von Bullshit. Diese Bullshit-Arbeiter verbringen ihre Tage mit mehr oder weniger Enthusiasmus damit, dass sie die oben genannte Art von Management-Bullshit ausarbeiten, weitertragen und oft genug selbst schlucken. Man schaue sich nur den Tag einer durchschnittlichen Büroangestellten an, und man beginnt zu verstehen, wie tief sie im Bullshit steckt. Kurz nach dem Aufwachen checkt sie ihr Mobiltelefon (das erste von hundertfünfzig Mal, die die Benutzer durchschnittlich pro Tag ihre Smartphones checken). Dann wird sie vielleicht ein paar E-Mails von schlaflosen Kollegen sichten. Anschließend geht sie duschen. Sofort schweifen ihre Gedanken zu einer anstehenden Strategiesitzung ab und wie sie am besten ein Argument formuliert. Auf dem Weg ins Büro liest sie vielleicht einen Bericht. Sobald sie auf der Arbeit ist, wartet eine endlose Reihe von Besprechungen auf sie, unterbrochen von hektischen Momenten, E-Mails abzurufen, einem Mittagessen mit Kollegen und verstohlenen Blicken ins Internet. An Montagnachmittagen – eine der Stoßzeiten für diese Aktivität – macht sie häufig Onlineshopping. Am späten Nachmittag muss sie vielleicht an einer Trainingssitzung zu einer neuen Managementtechnik teilnehmen. Wenn sie Glück hat, findet sie eine Stunde, um an einem Dokument zu arbeiten. Auf dem Heimweg checkt sie noch mal ihre E- Mails. Dann Abendessen, fernsehen, ohne die sozialen Medien aus den Augen zu verlieren, und zum Abschluss vor dem Zubettgehen ein letzter Blick auf ihre E-Mails. So sind die Tage, die viele Bürobewohner leben. Sie haben das Gefühl, wenig oder nichts getan zu haben. Und in gewisser Hinsicht haben sie recht. Alles, was sie tun, ist vor allem, Bullshit aufzubereiten, zu verteilen und zu konsumieren. Sie spüren, dass sie wirklich produktiv waren, wenn sie es wunderbarerweise geschafft haben, ein bisschen Zeit herauszuschinden, um tatsächlich selbst etwas Bullshit zu produzieren (zum Beispiel einen Bericht, eine PowerPoint-Präsentation oder eines der vielen sinnlosen Produkte des gegenwärtigen Arbeitslebens fertigstellen). Abgesehen von ein paar eindeutig verblendeten Individuen weiß jeder in der Bürowelt, dass die Worte, mit denen sie tagtäglich arbeiten, letztlich bedeutungslos sind. Schließlich sind eine wachsende Zahl von Bürobewohnern gut ausgebildete Menschen, die das Einmaleins des klaren Denkens gelernt haben. Aber sie sind auch schlau genug, um zu wissen, dass der Bullshit, mit dem sie arbeiten, seine positiven Seiten hat. Indem sie sich als Leitungsrohre in dem großen kommerziellen Kanalisationsnetz anbieten, kaufen sie sich einen Job. Er gibt ihnen ein Einkommen, eine gesellschaftliche Stellung, ein soziales Netzwerk und ein vages Gefühl, etwas mit ihrem Leben anzufangen. Wer sich geradewegs weigert, mit dem Bullshit zu arbeiten, findet sich schnell von der Arbeit befreit, aber auch in materieller Not, sozial geschmäht und der Freunde (zumindest der bisherigen) und der Sinnhaftigkeit des Alltags beraubt.

Aber sie ergeben sich diesem Scheiß nicht einfach aus egoistischen Gründen. Was den Bullshit angeht, können sie auch altruistisch sein. Der häufige Gebrauch von Bullshit kann dabei helfen, in oft äußerst ungesicherten organisatorischen Zusammenhängen zumindest einen Anschein von Gewissheit zu kreieren. Indem sie beeindruckend klingende Worte benutzen, können Bullshitter sich einbilden, etwas Kontrolle zu haben. Bullshit macht es möglich, all die großen angstbesetzten Fragen beiseitezuschieben. Er erlaubt den Menschen, sich auf bequeme, doch letztlich inhaltsleere Lösungen zu konzentrieren. Viele mögen nicht wirklich wissen, was sie tun. Bullshit kann ihnen so etwas wie eine Ersatz-Gewissheit verschaffen, dass das, was sie tun, richtig ist – selbst wenn das nicht der Fall ist.

Die großzügige Verwendung von Bullshit kann Organisationen auch dabei helfen, in den Augen anderer gut auszusehen. Durch den Gebrauch leerer Schlagwörter kann der Bullshitter anderen einreden, dass sie das Richtige tun. Wenn zum Beispiel jeder in deinem Industriezweig über Big Data redet und du nicht (wenn auch aus guten Gründen), dann wirst du wahrscheinlich für jemanden gehalten, der «nicht mehr mitkommt». Für das Unternehmen kann das böse enden. In einer Studie zur Einführung von umfassenden Qualitätsmanagement-Techniken fanden Barry Staw und Lisa Epstein heraus, dass Firmen, die diese Techniken übernahmen, nicht mehr leisten als solche, die darauf verzichteten.13

Jedoch wurden sie häufiger auf andere Weise belohnt – sie wurden von anderen in der Industrie mehr bewundert und für innovativer gehalten. Die Konkurrenten glaubten, sie hätten ein besseres Qualitätsmanagement. Eine wirtschaftliche Folge hatte dieser Imagegewinn ganz sicher: Die Bezüge der Vorstände stiegen.

Da die bloße Menge an Zeit und Ressourcen anwächst, die für die Produktion, Zirkulation und den Konsum des Bullshits aufgebracht werden, bleibt in einer Organisation wenig Raum für anderes. Mitglieder solcher Organisationen neigen dazu, diese fast tragische Situation auf zwei Arten auszugleichen. Eine Taktik besteht in dem Versuch, Zeit in anderen Bereichen ihres Lebens zu finden, wo sie den Teil ihres Jobs tun können, von dem sie glauben, er mache ihre Arbeit sinnvoll. Das führt oft zu der beunruhigenden Situation, dass die Mitarbeiter ihre Abende und Wochenenden mit der «echten Arbeit» verbringen. So kann es zu einer Form der Selbstausbeutung kommen, bei der sich Angestellte frei nehmen, um einen guten Job machen zu können. Sie tun das nicht, weil sie dazu gezwungen werden, sondern weil ihnen ihre Arbeit am Herzen liegt.14

Eine zweite Reaktion, die ein wenig gesünder und zugleich verstörender erscheint, ist geprägt von Zynismus. Anstatt verzweifelt zu versuchen, Zeit für «wirkliche Arbeit» zu finden, geben viele Menschen einfach auf und nehmen hin, dass ihr Job völlig sinnlos ist. Alles, was sie auf der Arbeit tun, ist einfach nur Bullshit. Solche Resignation hat ihre Vorteile: Sie kann Einzelnen helfen zurechtzukommen; sie gewinnen Zeit, in der sie vielleicht in der Lage sind, so etwas wie Sinn zu finden; es bedeutet auch, dass sie nicht immer in einem endlosen Krieg mit Bullshit gefangen sind, den sie nicht gewinnen können. Aber diese psychologischen Gewinne haben tiefgreifende kollektive Auswirkungen. Da immer mehr Menschen es aufgeben, Orte und Zeiten zu finden, um die Arbeit zu machen, die ihrer Ansicht nach wichtig und sinnvoll ist, werden genau diese Aufgaben nicht mehr erledigt.

Da Bullshitarbeit überhandnimmt und die Kernaufgaben einer Organisation immer häufiger ungetan bleiben, wird die Organisation allmählich ausgehöhlt. Das kann dazu führen, dass Kunden und andere Anspruchsberechtigte allmählich erkennen, dass die Organisation ihre zentrale Aufgabe überhaupt nicht mehr oder zumindest unzureichend erledigt. Die Konsequenz: Menschen verlieren das Vertrauen.

Konsumenten gehen nicht zu einer Bank, einem Restaurant oder einem Arzt, um mit einer großen Portion Bullshit abgespeist zu werden. Sie wollen ein anständiges Qualitätsprodukt oder einen Service zu einem angemessenen Preis. Angestellte gehen nicht zur Arbeit, um mit den neuesten Management- Phrasen herumzuspielen. Sie wollen ihre Fähigkeiten und Talente nutzen, um auf irgendeine Weise etwas zur Gesellschaft beitragen und dafür belohnt zu werden. Investoren geben nicht ihr Geld an Unternehmen, um in endlose Strategieplanungen zu investieren. Sie hoffen vielmehr, dass ihr Geld die Organisation produktiver macht und sie dadurch eine entsprechende Rendite bekommen. Die Bürger erwarten nicht, dass Organisationen mit den neuesten Moden und Marotten aufwarten, um sie zu beeindrucken. Woran sie wirklich interessiert sind, ist die Frage, ob diese Organisation etwas zur Gesellschaft beiträgt, indem sie Jobs schafft, Steuern bezahlt und nützliche Produkte oder Dienste anbietet. Leider hindert das Wachstum des Business Bullshit einige der besten Organisationen daran zu verstehen, warum sie überhaupt existieren.

 

This text is an excerpt from: André Spicer, Business Bullshit. London: Routledge 2017.

 

Harry Frankfurt, Bullshit. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2014, S. 41.

Donald McCloskey/Arjo Klamer, «One quarter of GDP is persuasion», The American Economic Review 85, 2 (1995), S. 191ff.

Gerry Antioch, «Persuasion is now 30 per cent of US GDP», Economics Round-up, 1 (2013).

Laura Penny, Your call is important to us: The truth about bullshit. New York: Crown 2010.

Ebd.

Joris Luyendijk, On Trump, Brexit and Bullshit. London: Profile 2012.

Peter Pomerantsev, «Why we’re post fact», Granta (20. Juli 2016).

Laurie Penny, «Why in the post-truth age, the bullshitters are winning», New Statesman (6. Januar 2017).

Vgl. Harry Frankfurt, Bullshit, a.a.O.

André Gorz, Wege ins Paradies: Thesen zur Krise, Automation und Zukunft der Arbeit. Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer. Berlin: Rotbuch 1983.

Peter Fleming, The Mythology of Work. London: Pluto 2015.

David Graeber, «On the phenomenon of bullshit jobs», Strike! Magazine (2013).

Barry M. Staw/Lisa D. Epstein, «What bandwagons bring: Effects of popular management techniques on corporate performance, reputation, and CEO pay», Administrative Science Quarterly 45, 3 (2000), S. 523ff.

Stuart J. Bunderson/Jeffery A. Thompson, «The call of the wild: Zookeepers, callings, and the double-edged sword of deeply meaningful work», Administrative Science Quarterly 54, 1 (2009), S. 32ff.

Published 23 May 2018
Original in English
Translated by Norbert Hofmann
First published by Wespennest 174 (2018) (German version)

© André Spicer / Wespennest / Eurozine

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