Söldner ohne Uniform

Private Sicherheitsdienste in Israel

Die Nachfrage nach den Leistungen privater Sicherheitsfirmen ist seit
den Neunzigerjahren unaufhaltsam gewachsen. In Israel bieten hundertevon kleinen und mittleren Firmen ihre Dienste an. Ihr Wachpersonal,
das zumeist aus dem Militär stammt, wird vor allem zum Schutz der
Siedler angeheuert. Seit dem Beginn der zweiten Intifada hat dieser
Wirtschaftszweig einen rapiden Aufschwung genommen. Die Erfahrungen,
über die diese Dienste verfügen, machen sie zu einem
interessanten Exportprodukt – und zu einer der wenigen israelischen
Boombranchen. Erst jüngst hat sich der dänische Sicherheitsriese
“Group 4 Falck” bei Haschmira, einer der größten
Sicherheitsfirmen Israels, eingekauft.

Schon vor dem 11. September prognostizierte man den Produkten und
Dienstleistungen der Sicherheitsindustrie auf dem Weltmarkt eine
jährliche Wachstumsrate von fast 9 Prozent. Bis 2010 sollte der
Umsatz dieser vormals relativ insularen und zersplitterten Branche,
die in den 1990er-Jahren einen Konsolidierungsprozess durchgemacht
hatte, auf knapp 200 Milliarden Dollar anwachsen. Nach der Tragödie
des 11. September wandelt sie sich offenbar zu einem unentbehrlichen
Seitenzweig der globalen Ökonomie. “Sicherheit ist heutzutage eine
Notwendigkeit, ein zwingendes Attribut der Geschäftsabwicklung”,
meint Jonathan Tal, vormals Präsident des Weltverbandes der
Privatdetektive, also des weltweit größten Berufsverbands für
die Beschäftigten der Sicherheitsbranche.

Die israelische Sicherheitsindustrie – aus der Tal hervorgegangen ist
– hofft, sich einen Gutteil der Aufträge sichern zu können. Dabei
setzt man auf das vorzügliche Image des jüdischen Staates in
puncto Sicherheit. “Die Leute haben die Vorstellung, dass wir alles
können, was der Mossad kann”, meint Tal, “ich glaube, wir können
im Moment das Markenzeichen Israel nutzen.”

Neben Südafrika und den USA hat Israel weltweit die höchste
Dichte an Sicherheitspersonal: fast ein Beschäftigter auf hundert
jüdische Bürger. Hunderte von kleinen und mittelgroßen Firmen
bieten ihre Dienste an. Die nationalen Marktführer Haschmira und
Modi’in Ezrachi haben mehrere tausend Beschäftigte. Die meisten
Firmen werden von ehemaligen Angehörigen des israelischen
Militärs und der staatlichen Sicherheitsagenturen betrieben, deren
professionelle Kompetenz das Land bereits zu einem anerkannten
Sicherheitsexporteur gemacht hat.

Ihren Nimbus hat sich die Branche auf einem der letzten
Kolonialgebiete erworben. In den 1970er-Jahren begann die israelische
Regierung, zum Schutz der Siedler in den seit 1967 besetzten Gebieten
des Westjordanlands und des Gaza-Streifens private Sicherheitsdienste
zu finanzieren -eine der zentralen Maßnahmen, denen die
Siedlerbewegung ihren Aufschwung verdankte. Initiator war Ariel
Scharon, der den Siedlern die nötigen Geldmittel aus den ihm in den
Achtziger- und Neunzigerjahren unterstehenden Ministerien zuschanzte,
wie Chaim Oron, ehemaliger Knesset-Abgeordneter der linken
Meretz-Partei, berichtet.

Mittlerweile ist diese Politik fester Bestandteil staatlichen
Handelns. Fast alle Siedlungen im Westjordanland haben inzwischen
private Wachdienste angeheuert, und während der Intifada-Jahre ist
die Zahl der Beschäftigten sprunghaft gestiegen. Jehudit Tajar,
Sprecherin für die Dachorganisation aller Siedlergruppen,
bestätigt, dass die meisten Gruppen zusätzliches Wachpersonal
beschäftigen. In Ma’ale Adumin, einer Siedlung bei Jerusalem,
zahlen die Bewohner eine zusätzliche Gemeindeabgabe, um die Kosten
abzudecken.

Mit der Zeit sind die privaten Sicherheitsdienste zu einem integralen
– wenn auch relativ kleinen und unauffälligen – Bestandteil der
israelischen Machtstruktur in den besetzten Gebieten geworden. Das
dürfte einen Teil ihrer Attraktivität ausmachen, meint Eitan
Knafo, der in Ma’ale Adumin wohnt und für Modi’in Ezrachi arbeitet:
“Ich denke, es ist besser, statt Soldaten ziviles Personal
einzusetzen.”

Für die arabischen Bewohner verschwimmt dieser Unterschied
zusehends. Mitte der 1990er-Jahre berichteten UN-Beobachter, dass
sich privates Wachpersonal sogar an der Räumung arabischer Häuser
in Ostjerusalem beteiligt habe. Nach Aussage Knafos operiert seine
Firma strikt im Rahmen der Gesetze: “So weit ich weiß, waren diese
Häuser alle legal erworben. Vielleicht war es anrüchig, aber es
war legal.”

Nach Informationen des israelischen Anwalts Daniel Seideman haben die
Sicherheitsfirmen in Ostjerusalem zwar eine staatliche Lizenz,
außerhalb aber operieren sie “in einem völlig ungeregelten
Umfeld”. Genau darin sieht Oron das Problem: “Es geht hier nicht um
ehrbare Wachposten vor Theatern oder Schulen. Wir wissen, dass die
Siedler die Konflikte in den besetzten Gebieten wesentlich
mitverantworten. In dieser angespannten Situation kann man schwer
unterscheiden, wann es sich um Selbstverteidigung, wann um aktive und
wann um äußerst aktive Verteidigung handelt. Ich akzeptiere
keinen Terror, aber ich akzeptiere auch nicht, dass eine private
Polizeitruppe Politik macht. Man weiß doch, was dabei herauskommt.”

Nur wenige Israelis teilen die Bedenken Orons, und auch die Presse
steht der Aufstandsbekämpfungspolitik der Regierung weitgehend
unkritisch gegenüber. Wie die israelische
Menschenrechtsorganisation “Alternatives Informationszentrum”
berichtet, haben das Militär und die juristischen Instanzen Israels
sich in der Vergangenheit bei der Festnahme, Anklage und Verurteilung
von Siedlern deutlich zurückgehalten. Infolgedessen können
Siedler die palästinensische Bevölkerung praktisch ungehindert
einschüchtern, deren Besitz zerstören, sie körperlich angreifen
oder sogar töten.

Im Lauf der Intifada hat sich die Nachfrage für Unternehmen wie
Haschmira und Modi’in Ezrachi um 20 bis 30 Prozent erhöht, vor
allem von staatlichen Institutionen und privaten Unternehmen
innerhalb Israels, aber auch aus den Siedlungen. Wie deren Sprecherin
Jehudit Tajar feststellt, organisiert jede Siedlung heute in
Absprache mit den israelischen Militärbefehlshabern ihre eigenen
Sicherheitspatrouillen. Das Wachpersonal besteht aus angestellten und
freiwilligen Helfern.

Neta Golan, die für eine israelische Organisation
Menschenrechtsverstöße dokumentiert, berichtet aus dem
palästinensischen Dorf Hares, wo sie gearbeitet hat, dass an den
Attacken von Siedlern auf dieses Dorf auch Jeeps mit der Aufschrift
“Security” beteiligt waren. Nach einem dieser Angriffe in den ersten
Monaten der Intifada, bei denen mindestens drei Dorfbewohner
getötet wurden, hat die israelische Armee nachdrücklich
bestritten, für die tödlichen Schüsse verantwortlich zu sein.

Neta Golan zufolge ist es zumeist unmöglich, zwischen Siedlern und
Armeeangehörigen zu unterscheiden, geschweige denn zwischen
bezahlten und freiwilligen Wachposten. Während die Siedler häufig
eine Armeeuniform tragen, haben die Leute von den Sicherheitsfirmen
oft weder Uniformen noch Erkennungsabzeichen. “Es gibt keine klaren
Trennlinien”, meint Neta. Die palästinensische , eine örtliche NGO, ist beunruhigt:
“Sicherheitspatrouillen von Privatfirmen untergraben die elementare
Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten, auf der
das humanitäre Völkerrecht basiert.”

Sicherheit als Exportschlager

Das Erfolgsgeheimnis der israelischen Sicherheitsbranche bestand von
jeher darin, dass Personal und Know-how aus dem Bereich des
Militärs in die privaten Sicherheitsfirmen zurückfließen. Doch
seit dem Ausbruch der Intifada haben sich die Grenzen zwischen dem
Militärapparat und der Privatindustrie weiter verwischt. Eitan
Knafo erklärt, seine Firma biete ihrem Personal nur ein geringes
Zusatztraining. “Die meisten haben durch die Armee bereits eine
professionelle Ausbildung, und wir müssen diese nur noch auf uns
abstimmen, auf unsere Vorstellungen, auf unsere Waffentypen.”

Die Sprache, der sich Haschmira-Chef Jigal Schermeister in den
Firmen-Rundbriefen bedient, entstammt der kolonialen
Aufstandsbekämpfung. So unterscheidet er scharf zwischen den Kunden
seines Unternehmens und den Palästinensern in den besetzten
Gebieten: “In normalen Zeiten hat unsere Sicherheitsabteilung in
erster Linie mit dem Schutz von Personen und Sachwerten zu tun. Und
dann mussten sie auf einmal Aufträge erfüllen, für die
normalerweise die Polizei und die Grenzpolizei zuständig sind. Wir
mussten dafür hoch qualifiziertes Personal rekrutieren und diese
Leute in sehr kurzer Zeit an Distanzwaffen ausbilden. Denn sie hatten
es ja mit neuartigen Risikofaktoren zu tun – mit einer feindlichen
Bevölkerung, die über Schusswaffen verfügt.”

In dieser Darstellung vermischen sich beruflicher Stolz und selektive
politische Wahrnehmung: Kaum ein Wort über die palästinensische
Zivilbevölkerung oder darüber, ob nicht die Siedlungen der Grund
für die Spannungen sein könnten. Unverblümt äußert der
frühere Firmenchef Kadisch Schermeister, dass für ihn das
Wachstum seines Unternehmens “schon immer an die Expansion des
israelischen Staates gebunden” war. Er erinnert sich: “Nach der
Unabhängigkeit, als die Araber aktiv wurden, zu schießen und zu
rauben begannen und so weiter, mussten wir zunehmend
Sicherheitspersonal aufbieten. In dem Maße, in dem der israelische
Staat expandierte, wuchs unser Geschäft: Nach jedem Krieg
expandierten wir.”

Für Schermeister senior hängt die Vertrauenswürdigkeit der
Firma heute entscheidend davon ab, dass sie bereit ist, ihre
Dienstleistungen überall anzubieten, egal wie hoch das Risiko ist.
Überall – aber nicht für jedermann. Im Rundbrief der Firma kann
man nachlesen, dass viele Mitarbeiter in Galiläa eingesetzt sind,
wo auch die Mehrheit der israelischen Araber leben. Als in den ersten
Monaten der zweiten Intifada diese israelischen Araber ihre
Solidarität mit den Palästinensern der besetzten Gebiete
demonstrierten und gegen ihre Marginalisierung innerhalb der
israelischen Gesellschaft protestierten, kam es zu Zusammenstößen
mit aufgebrachten jüdischen Massen und der israelischen Polizei,
die am 1. Oktober 2000 dreizehn Demonstranten erschoss. Auf die
Frage, ob seine Firma auch für die Sicherheit israelischer Araber
arbeite, antwortet Kadisch Schermeister erstaunt: “Für die Araber?
Nein, wir sind doch gegen die Araber.”

Viele israelische Firmen hoffen neuerdings, ihre professionellen
Dienstleistungen auf größeren Märkten anzubieten. Modi’in
Ezrachi Haschmira und andere israelische Sicherheitsdienste wollen,
so heißt es, bei der Ausschreibung der gigantischen
Sicherheitsaufträge für die Olympischen Spiele von 2004 in Athen
mitbieten. Interessiert zeigt sich auch der staatliche
Rüstungskonzern, der die Waffensysteme für das israelische
Militär produziert. Bei diesem Unternehmen macht heute der Bereich
Sicherheitstechnik und -dienstleistungen 60 Prozent des
Exportvolumens aus, was auch mit der jahrzehntelangen Flaute auf dem
globalen Rüstungsmarkt zusammenhängt. Bei dem sportlichen
Großereignis, bei dem die griechische Regierung 600 Millionen
Dollar für Sicherheitsmaßnahmen investieren will, sind die
israelischen Firmen aussichtsreiche Bewerber, meint Dani Bloch vom
israelischen Exportinstitut in Tel Aviv.

Wichtiger noch ist, dass für israelische Sicherheitsfirmen
strategische Allianzen mit ausländischen Unternehmen immer
wichtiger werden. So hat Haschmira im Januar 2001 eine 50-prozentige
Kontrollmehrheit seines Unternehmens an den transnationalen Konzern
“Group 4 Falck” mit Sitz in Dänemark verkauft. Dieser
zweitgrößte Sicherheitskonzern der Welt mit einem
prognostizierten Jahresumsatz für 2002 von über 4 Milliarden
Dollar hat weltweit 230 000 Beschäftigte und ist in mehr als 80
Ländern präsent. Als einer der größten Betreiber von
privatisierten Gefängnissen in Großbritannien, den USA,
Australien und Südafrika hat sich der Konzern ein knallhartes Image
erworben, das vor allem auf seine ehrgeizige globale
Expansionsstrategie zurückgeht. In Dänemark haben Berichte, die
Anfang September in der Tageszeitung Politiken über die
Aktivitäten von Haschmira erschienen, bei Menschenrechtsexperten
und Parlamentsmitgliedern große Empörung ausgelöst. Dabei wurde
geltend gemacht, dass die Aktivitäten von Haschmira in den
besetzten Gebieten die Falck-Gruppe rechtlich gesehen zum Komplizen
bei schwerwiegenden Verstößen gegen das Völkerrecht machen
könnten. Nach dem Statut des neuen Internationalen
Strafgerichtshofs (ICC), werden Verletzungen des Artikels 49 der
Vierten Genfer Konvention, der die Ansiedlung ziviler Bevölkerung
in militärisch besetzten Territorien verbietet, als
Kriegsverbrechen angesehen. Im Europarat wird bereits eine Debatte
über den Export von Rüstungsgütern an Israel geführt, die in
den palästinensischen Autonomiegebieten eingesetzt werden
könnten. Und Deutschland und Großbritannien haben ihre
Rüstungslieferungen daraufhin schon eingeschränkt.

Doch obwohl die Expansion der Siedlungen in den besetzten Gebieten
noch immer weitergeht, fürchtet Daniel Bloch vom israelischen
Exportinstitut nicht um das Ansehen der israelischen
Sicherheitsbranche. Er hat im Gegenteil das Gefühl, dass sich ihre
Leistungen nach den in der Intifada erworbenen Erfahrungen noch
besser vermarkten lassen. In einer globalisierten, aber unsicheren
Welt gibt es für professionelle Dienste eben keine Grenzen.

Published 23 October 2002
Original in English
Translated by Niels Kadritzke

Contributed by Le Monde diplomatique (Berlin) © Contrapress media GmbH / Le Monde diplomatique (Berlin) / Eurozine

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