Frauen an der Front: Krieg in der Ostukraine

Obwohl offiziell das Friedensabkommen in Kraft ist, herrscht immer noch Krieg in der Ostukraine. 50.000 der Soldaten sind weiblich. Wie gehen sie mit dem Stress und der Lebensgefahr um? Ein Besuch an der Front.

“Women on the front. War in Eastern Ukraine” There are currently around 50,000 women soldiers operating on the front in eastern Ukraine. Katja Garmasch speaks to several about their survival strategies, and how they handle the stress of continuously being in mortal danger.

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Kurz vor Mitternacht, eine Straße an der Ostukrainischen Front, voller Schlaglöcher und Granatentrichter. Alle paar Sekunden springt der alte Minivan hoch, beladen mit unzähligen Paketen für die Soldaten an der Front.

Plötzlich tauchen Lichter in der Ferne auf. “Schneller”, flüstert Diana Makarova, die von allen liebevoll “Lady Di” gerufen wird.Etwas ungeschickt hält sie die schwere Waffe mit ihren manikürt gepflegten Händen fest.

“Können Sie schießen?”
“Natürlich nicht, aber wenn sie uns nahe kommen, kann ich auf Abzug drücken! Meine Oma hat es mir beigebracht: Wenn’s in der Nacht an der Tür klopft, erstmal schießen und dann fragen… Das macht man nicht, aber nachts zu fahren war eine schlechte Idee. Das macht man nicht an der Front – nachts fahren.”

Trotz der vereinbarten Waffenruhe wird an der Front weiterhin geschossen. Meistens nach Einbruch der Dunkelheit, immer nach 18 Uhr, weil um diese Zeit die OSZE-Beobachter nach Hause gehen. Mindestens sieben ukrainische Soldaten sterben pro Tag, es ist gefährlicher als sonst, weil unvorhersehbar.

Diana Makarova hat mit Beginn des Krieges privat einen Fond zur Hilfe der Ukrainischen Armee gegründet. Foto: Deutschlandradio/Katja Garmasch.

Die ehemalige Redakteurin Diana Makarova hat mit Beginn des Krieges privat einen Fond zur Hilfe der Ukrainischen Armee gegründet. Zusammen mit ihren drei erwachsenen Kindern und vielen freiwilligen Helfern sammelt sie Geld, kauft ein und bringt alles an die Front. Dianas Fond ist eine der größten und renommiertesten von zahlreichen solchen Initiativen in der Ukraine. Während der letzten zwei Jahre war sie mindestens einmal pro Woche an der Front.

Die Lichter stellen sich als ein liegengebliebener russischer Panzer heraus. Die Soldaten sind zu beschäftigt, um uns Zivilisten Ärger zu machen. Hätte aber auch schiefgehen können.

“Volontäre waren immer eine begehrte Beute. Obwohl ich nicht verstehe warum: Keiner zahlt viel Geld, um sie aus der Gefangenschaft zu holen, plus: sie sind relativ harmlos.”

Tausende Ukrainer helfen täglich an der Front. Es fehlt hier an allem – angefangen von Armeestiefeln bis hin zu Rettungsfahrzeugen. All das wurde und wird von Freiwilligen herangeschafft – unter ihnen größtenteils Frauen. Während die Männer Geld verdienen oder selbst kämpfen, versorgen die Frauen die Armee, erzählt Diana Makarova.

“Die Jungs fragen uns oft: Habt ihr keine Angst zu fahren? Wir sagen: Natürlich haben wir Angst, aber ihr habt doch auch Angst hier an der Front zu sein?! Und außerdem, wenn uns was passieren sollte, werdet ihr uns doch beschützen! Bei uns in der Organisation gibt es kaum Männer. Also müssen wir fahren. Nicht um zu zeigen: Guckt mal, wie mutig und stark wir Frauen sind! Sondern weil es keine Alternative gibt.”

Das Leben als Volontär ist hart: Lebensgefahr, Stress, kaum Schlaf, keinen Urlaub und kaum Geld.

“Eine Frau weiß sehr gut, was das Wort ‘Muss’ bedeutet, was es heißt gebraucht zu werden. Dieser abgenutzter Slogan: ‘Wer wenn nicht wir?’ Ich denke, wenn eine Gesellschaft nach solchen Lebensprinzipien lebt wie: ‘Wir müssen!’ ‘Das ist unser Schmerz!’ ‘Das ist unser Land!’, ist sie auf dem richtigen Weg. Diese Sprüche kann man vielleicht nicht mehr hören, aber die sind gut und sinnvoll!”

Die nächste Übergabe findet am Straßenrand statt. Dort wartet Eduard – wegen der Sicherheit der Familien werden an der Front keine Nachnamen benutzt. Er ist Kommandeur einer nahe stationierten Artillerie-Einheit.

“Heute kriegt er einen Jackpot! Ein Geschenk aus Deutschland! Deutsche Werkzeuge! Der Traum eines jeden Mannes hier! Das kommt aus unserer deutschen Filiale!”

Einzige Frau unter 20 Männern

Der über 50-jährigen Ukrainerin sieht man nicht an, dass sie an der Front unterwegs ist: kurzer, enger Rock, lange Haare, tiefes Dekolleté, hohe Absätze.

“Die Soldaten sehen, dass sie Besuch von einer Dame bekommen. Ich bin geschminkt, ich bin gut angezogen, alles extra für sie, ein Zeichen des Respekts, und dafür bekommen wir Respekt zurück.”
“Wissen Sie, als wir in Debalzewe eingekesselt waren, da kamen keine Feldbäder zu uns, da haben wir uns eineinhalb Monate nur mit Feuchttüchern abgewischt. Für uns ist Hygiene Luxus. Und auf einmal kommt so eine Frau zu uns. Das ist doch ein Fest fürs Auge!”

In der Basis eines Aufklärungstrupps in der Nähe des Dorfes Popasna. Elena ist hier die einzige Frau unter 20 Männern – und eine von 50.000 Soldatinnen, die momentan in der ukrainischen Armee oder in den freiwilligen Bataillons dienen.

Die 45-jährige ist geboren und aufgewachsen auf der Krim, wo ihre Eltern immer noch leben. Würde herauskommen, dass sie für die Ukraine kämpft, wären sie dort womöglich nicht mehr sicher. Sie will nicht mehr zurück, nicht solange die Krim russisch ist. Nach der Annektierung hat sie ihren Anwaltsjob beim Wirtschaftsgericht gekündigt, ihre Sachen gepackt und ihren Mann verlassen. Sie wollte helfen, er – sich das Ganze vom Sofa aus angucken. Als sie als Freiwillige bei der Armee ausgeholfen hat, lernte sie diese zwanzig Jungs – wie sie sie nennt – kennen. Tag und Nacht alleine unter Männern zu sein sei kein Problem

“Solange eine Frau nicht selber will, wird keiner sie anfassen. … Und ich verstehe nicht, wie einige in dieser Situation etwas wollen können! Aber einige Frauen kommen extra, um Männer kennenzulernen. Weil es da im Frieden kaum anständige Männer gibt, die Arbeit haben. Und hier kann man die Männer sogar wechseln. Es gibt auch alleinstehende Mütter, die brauchen Geld und gehen deswegen in die Armee. Und dann gibt es einfach Verrückte, Asoziale.”

Die 45-jährige Elena ist eine von 50.000 Soldatinnen, die momentan in der ukrainischen Armee oder in den freiwilligen Bataillons dienen. Sie selbst bleibt bei den Einsätzen an der Basis, macht Kartografie, Kommunikation, Buchhaltung. Foto: Deutschlandradio/Katja Garmasch

Dafür leistet sie psychologische Hilfe: Hört zu, löst Probleme, telefoniert mit den Frauen der Soldaten. Gut, dass sie wie viele Ukrainerinnen zwei Diplome hat: in Jura und Psychologie. Die richtigen psychologischen Probleme, sagt sie, fangen aber oft erst an, wenn ein Soldat zurück nach Hause kommt

“In der normalen Welt musst du selbst Entscheidungen treffen und Probleme lösen, da gibt es keinen Kommandeur, der dir sagt, in welche Schule du deine Kinder bringen sollst, oder wie du deiner Frau neue Stiefel kaufen kannst.”

Elena schaut auf ihre eigenen riesigen Männerstiefel, Frauenstiefel gibt es in der ukrainischen Armee nicht, genauso wenig wie Frauenuniformen. Dafür gibt es 250 Euro Soldatengehalt – als Frau bekommt man in der Ukraine sonst nicht so viel Geld. Im Unterschied zu ihren männlichen Kollegen kriegt Elena aber keine Kampfzulage. Denn kämpfen dürfen die Frauen offiziell noch nicht. Bis vor kurzem, denn noch vor fünf Monaten hat das Verteidigungsministerium 50 Kampfberufe für Frauen zugelassen.

Wer kämpft, bekommt eine Zulage

Zu verdanken ist das Maria Berlinska. Die 30-jährige Frauenrechtlerin diente selbst im ersten Kriegsjahr als Aufklärungs-Offizierin in einem Freiwilligen-Bataillon, ohne dass sie im Soldatenausweis als solche eingetragen war.

“Wenn man an den Kämpfen teilnimmt, bekommt man Kampfzulage. Eine Köchin kann de facto nicht am Kampf teilnehmen. Von welchen Orden oder Verdiensten, von welchen Prämien, Anerkennung oder Karriere kann dann die Rede sein? Genauso mit Invalidenrente und sonstigem: Hat es dir als Köchin ein Bein abgerissen, so kann es nur in der Küche passiert sein und ist dein eigenes Verschulden!”

Mehr als 500 Berufe in Metro, Kohleminen oder eben Armee waren für Frauen verboten. Von der Stalinzeit bis heute – festgehalten in der Verfassung.

“Das hat der Staat so vorgeschrieben: Du bist eine Mutter, du musst gebären. Artikel 43 lautet: “Gesundheitsschädliche oder lebensgefährliche Arbeit ist für Minderjährige und Frauen verboten”. Die Frauen werden da mit den Minderjährigen gleichgestellt!”

Dass dieser Artikel so schnell geändert wurde, hat Berlinska gefreut. Dafür liebt sie ihr Land, auch wenn sie es manchmal verflucht.

“Auf der einen Seite gibt es immer noch die sowjetischen, verkrusteten Strukturen und diese Mentalität – Chauvinismus ist an der Tagesordnung. Andererseits ist Ukraine ein Land, das sich gerade super schnell verändert. Wofür andere Länder viele Jahre brauchen, das erreicht die Ukraine innerhalb weniger Monate.”

Für viele kam die Gesetzesänderung allerdings zu spät – so wie für diese zwei ehemalige Soldatinnen, die sich aus Sicherheitsgründen nur mit ihren Rufnamen von der Front zu erkennen geben: Walküre und Belka. Sie haben in dem Freiwilligen-Bataillon “Aidar” gekämpft: Walküre als Panzerkommandeurin, Belka als Scharfschützin.

“Natürlich sind wir sauer: Weil die Jungs jetzt prämiert werden, Jungs, die nichts gemacht haben, bekommen Geld, Boden, Wohnungen. Und wir kriegen nichts. (….) Außer irgendwelchen Volontären kümmert sich keiner um ums.”

“Dem Staat wäre es lieber, wir würden gar nicht zurückkommen. Da sind sich Russland und Ukraine gleich.”

“Da höre ich auf zu zittern”

Walküre ist russische Staatsbürgerin und ukrainische Patriotin. Aber ohne ukrainischen Pass stehen ihr keine Hilfen zu. Sie lebt von dem Kindergeld ihrer einjährigen Tochter Miroslawa – die “Friedliche” – ein Mitbringsel von der Front.

Belka hat “Diagnose Nummer 17”, was das genau bedeutet, wisse sie nicht mehr, ihr Gedächtnis ist beeinträchtigt. Das Schlimmste sei das Händezittern – schlecht für eine Scharfschützin. Belka war als Telefonistin gemeldet. In den Kämpfen wurde sie zwei Mal verletzt und sechs Mal geprellt – jede Prellung kann irreversible Gehirnschäden verursachen: Sehkraft- oder Hörverlust, Lähmungen, Händezittern. Doch bei einer Telefonistin, die im Stab sitzt, ist die Diagnose Nummer 17 nicht vorgesehen. Deswegen keine Anerkennung, keine Rente, keine Therapie. Auch in ihren alten Beruf als Modedesignerin kann Belka nicht mehr zurück.

“Ich kann nicht mehr einschlafen. Nur mit Alkohol oder Schlafmitteln. Und beim permanent laufenden Fernsehen. Mit Antidepressiva war es besser, aber jetzt habe ich kein Geld für die Medizin. Wie kann ich wieder malen oder nähen? Dabei: wenn ich an der Front bin, ich weiß nicht, ob das Adrenalin ist oder was, aber da höre ich auf zu zittern.”

Elenas Maskottchen gegen den Krieg ist ein Schutzengel. Foto: Deutschlandradio/Katja Garmasch.

Während die 35-jährige Belka resigniert wirkt, ist die 20-jährige Walküre energisch und wütend. Noch vor ein paar Jahren war sie eine russische Nationalistin. Als es während des Euromaidans im russischen Fernsehen hieß, die faschistische Junta will die Russen in der Ukraine vernichten, ist Walküre aus dem Südrussischen Pjatigorsk auf den Maidan gekommen, um sich selbst eine Meinung zu bilden. Sie sah friedliche Menschen, die für ihre Freiheit kämpften. Und lernte Belka kennen, seitdem sind sie Freundinnen.

Jetzt leben sie zusammen mit Miroslava in einer kleinen Plattenbauwohnung am Rande von Kiew. Kein heldenhaftes Leben, eher Überleben.

“Wir lachen hier trotzdem die ganze Zeit, vielleicht weil wir geprellt sind. Aber was sollen wir jetzt machen? Uns umbringen, heulen, in Depression verfallen?”
“Das ist eine Abwehrreaktion!”
“Denkt ihr, dass die Frauen besser mit so was fertig werden.”
“Ja. Verglichen mit den Männern ja. Wir hatten ein paar Jungs, die sind weggelaufen oder waren hysterisch, haben geweint, gesoffen.”
“Wir hatten einen, der hat sich erhängt. An seiner Hose. Oder einer hat sich erschossen. Und da war er nicht mal an der Front.”
“Ja, die ganzen Selbstmorde an der Front sind von Männern.”
“Keine Ahnung, sie verkraften es nicht, einige können sogar den Gedanken nicht ertragen, dass sie dahin fahren.”
“Belka ist ohne die nachträgliche Anerkennung als Scharfschützin de facto eine Serienmörderin. Und doch will sie zurück an die Front.”

“Wenn du da raus kommst, aus diesen Erdlöchern, und siehst dieses friedliche Leben, kommst du nicht klar. Da sind alle Brüder, da sind alle ehrlich. Und hier ist alles zynisch. Ich komme in den Spital, um meine Prellung checken zu lassen, und die fragen mich, wo hast du das überhaupt zugezogen, wir haben doch kein Krieg! Leute in unserem Land! Ich hatte noch Glück, dass es mir keine Körperteile abgerissen hat. Das könnte ich nicht ertragen. Ich wollte einfach sterben, beerdigt werden, beweint und Schluss. Und nicht, dass meine Eltern ihre Hunger-Rente noch für meine Prothesen zurücklegen!”

Echte Probleme kommen, wenn der Krieg vorbei ist

Die ukrainischen Frauen kämpfen gerade an allen Fronten: Im Krieg und dafür, dass er überhaupt als solcher anerkannt wird. Für das Geld, das ihnen zusteht, gegen die Untätigkeit der Regierung und die Heuchelei der Gesellschaft.

Sie wissen: Das Ende des Krieges ist nicht in Sicht, die echten Probleme kommen, wenn der Krieg vorbei ist. Da ist es nicht leicht, immer schön und stark zu bleiben:

“Das Einzige, was mich aufrecht hält, ist mein Kind. Und der Mensch, den ich liebe.”
“Ich habe weder das eine noch das andere.”
“Du hast mich!”
“Du schaffst es auch ohne mich!”
“Geh doch zum Teufel!”

Published 26 December 2016
Original in German
First published by Deutschlandradio Kultur, 6 December 2016

Contributed by Katja Garmasch © Katja Garmasch / Deutschlandradio Kultur / Eurozine

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