Die Wirtschaft der amerikanischen Vettern

Die Freiheiten im neuen Irak-Business sind bedroht

Die Lage der US-Regierung im Irak wird immer komplizierter. Durch Aufstände, Anschläge und Überfälle auf In- und Ausländer ist die Sicherheitslage katastrophal. Die Misshandlung von Gefangenen macht die behauptete “Mission für Demokratie” zu einer Farce. Und noch ist völlig offen, wie viel Macht einer irakischen Zivilregierung am 1. Juli 2004 übertragen werden kann. Die allgemeine Unsicherheit untergräbt aber auch das ökonomische Kalkül. Die von der Bush-Regierung bevorzugten US-Konzerne beginnen sich zu sorgen, was die politische Krise für ihre Geschäfte bedeutet. Dabei können ausländische Unternehmen im Irak viel unkontrollierter wirtschaften als selbst in den Vereinigten Staaten oder Großbritannien.

Als “kapitalistischen Traum” beschrieb das britische Wirtschaftsblatt The Economist im September 2003 die neuen Wirtschaftsstrukturen, die die Übergangsregierung im Irak aufbaue.1 Kurz zuvor hatte US-Prokonsul Paul Bremer das irakische Wirtschaftssystem durch eine Reihe von Direktiven von Grund auf umgekrempelt. Die Steuern wurden auf maximal 15 Prozent begrenzt, die Einfuhrzölle abgeschafft und durch eine 5-prozentige Wiederaufbauabgabe ersetzt, der Geld- und Finanzmarkt umgemodelt und knapp 200 Unternehmen zur Privatisierung freigegeben. Mit einem Wort: Nach rund 40 Jahren Dirigismus schien sich das Land in eine einzige große Freihandelszone zu verwandeln. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld rechtfertigte die Schocktherapie nach seiner simplen binären Logik: Beim “Wiederaufbau” des Irak werde man “marktwirtschaftliche Verhältnisse favorisieren und nicht stalinistische Kommandowirtschaft”.2

Die umstrittenste Reform bezieht sich auf die Regulierung – oder vielmehr Nichtregulierung – ausländischer Investitionen. Der Erlass 39 vom 19. September hat mit Ausnahme des Rohstoffsektors die gesamte Wirtschaft des Landes für Auslandsinvestoren geöffnet. Wer ein Geschäft im Land etablieren will, braucht dazu weder eine behördliche Genehmigung noch örtliche Partner. Auch entfällt die Verpflichtung, die Gewinne im Land zu reinvestieren. Damit führte der Erlass, der weder Kontrollmechanismen noch eine Aufsichtsbehörde für ausländische Investitionen vorsieht, im Irak noch liberalere Regeln ein, als sie in den Vereinigten Staaten oder in Großbritannien gelten, wo die Medien, die Rüstungsbranche und viele andere Wirtschaftssektoren für die ausländische Konkurrenz verschlossen sind. Und was die ungehinderte Rückführung von im Land erwirtschafteten Gewinnen betrifft, so geht der Erlass noch weit über die Empfehlungen der Weltbank hinaus.

Die Herren der Multis hatten also fast alles erreicht, was ihr Herz begehrte. Nur einigen wenigen Nörglern gingen die Reformen immer noch nicht weit genug. So hat etwa der berühmte Harvard-Ökonom Robert Barro die im “Privatrecht und Privateigentum” verankerten Reformen als “großzügiges” Gesetzeswerk begrüßt, aber doch bedauert, dass die Ölvorkommen als “gemeinschaftlicher Reichtum” gelten und dem Zugriff der Investoren entzogen bleiben.3 In dieselbe Kerbe schlug eine große Anwaltskanzlei, als sie die Bestimmung beklagte, dass die “Buchhaltung der irakischen Unternehmen in arabischer Sprache abzufassen ist”.4

Trotz solcher Vorbehalte herrschte in Geschäftskreisen allgemeine Euphorie. Von Aufträgen in kolossaler Höhe war die Rede, vom gigantischen Wirtschaftspotenzial des zweitgrößten Erdölproduzenten der Welt. Man sprach von Jahrhundertverträgen, von einem neuen Goldrausch, einem Eldorado des freien Unternehmertums. Der Irak werde sich zum ersten “Tiger” der islamischen Welt entwickeln und den übrigen muslimischen Ländern mit leuchtendem Beispiel vorangehen.

Unklar ist jedoch nach wie vor, ob solche Reformen überhaupt rechtmäßig sind, und auch, ob der Irak sie nach Wiedererlangung seiner Souveränität überhaupt beibehalten wird. Zahlreiche Experten machten unter Verweis auf die Haager Landkriegsordnung von 1907 und die Genfer Konvention von 1949 geltend, eine Besatzungsmacht habe nicht das Recht, derartig weitreichende “Reformen”5 zu erlassen. Die US-Führung ließ sich von derlei Einwänden freilich nicht beirren. Auf die Frage eines Journalisten, wie sich solche Entscheidungen mit dem internationalen Recht vereinbaren ließen, antwortete US-Präsident Bush mürrisch: “Das internationale Recht? Da muss ich wohl meinen Anwalt rufen!”6

Anderswo werden solche Fragen ernster genommen. In die britische Presse zum Beispiel sickerte durch, Generalstaatsanwalt Lord Goldsmith habe Premierminister Tony Blair bereits am 26. März 2003 darauf hingewiesen, dass die “Verordnung größerer Strukturreformen gegen internationales Recht verstößt”7. Der oberste Rechtsberater der britischen Regierung bezog sich dabei auf Artikel 43 der Haager Landkriegsordnung: “Nachdem die gesetzmäßige Gewalt tatsächlich in die Hände des Besetzenden übergegangen ist, hat dieser alle von ihm abhängenden Vorkehrungen zu treffen, um nach Möglichkeit die öffentliche Ordnung und das öffentliche Leben wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten, und zwar, soweit kein zwingendes Hindernis besteht, unter Beachtung der Landesgesetze.”

Genau das Gegenteil lässt sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Irak beobachten. Weit entfernt, die öffentliche Ordnung zu garantieren, unternahm die Übergangsregierung nichts, um Plünderungen zu verhindern. Ihre gesetzgeberische Energie konzentrierte sie darauf, das Landesrecht von Grund auf umzumodeln. Obwohl die Pläne zur wirtschaftlichen Zukunft des Irak dann überhastet und schlampig umgesetzt wurden, waren sie von langer Hand vorbereitet. Nach Angaben des ehemaligen US-Finanzministers Paul O’Neill wurden innerhalb der US-Administration bereits kurz nach dem Amtsantritt von George W. Bush, also mehrere Monate vor den Anschlägen des 11. September 2001, Pläne zur Übernahme der irakischen Erdölquellen erörtert.8

Führende Mitglieder der Regierung, darunter der Präsident selbst, Vizepräsident Richard Cheney und Chefberaterin Condoleezza Rice, hatten schon damals ein Auge auf die Ressourcen des potenziell reichen Landes geworfen, das aber nach Jahren der Diktatur und der internationalen Sanktionen und durch drei Kriege ausgeblutet darniederlag. In diesem Kreis stand außer Zweifel, dass die irakische Bevölkerung ihre “Befreier” mit Blumen empfangen würde.

Doch nach der Eroberung erwies sich, dass die Befriedung des Irak weitaus schwieriger war als angenommen. Im Herbst 2003 hatte es dann den Anschein, als suchten die Vereinigten Staaten nach zweijährigem Alleingang erneut die Zustimmung der internationalen Gemeinschaft. So verabschiedete der UN-Sicherheitsrat am 16. Oktober 2003 einstimmig die Resolution 1511, mit der die Präsenz der Koalitionstruppen im Irak für rechtmäßig erklärt wurde. Wenige Tage später, am 23. und 24. Oktober, trat auf Initiative der Vereinigten Staaten, aber unter Schirmherrschaft der Vereinten Nationen, die Madrider Geberkonferenz zusammen, zu der Vertreter aus 73 Ländern sowie Repräsentanten von 20 internationalen Organisationen und 13 Nichtregierungsorganisationen anreisten.

Am Ende der Konferenz, die von Washington als “enormer Erfolg” bezeichnet wurde, waren insgesamt 33 Milliarden Dollar eingesammelt. Dabei handelte es sich freilich um eine Mischung aus Darlehen und Geschenken, aus Hilfen, die vielfach an Aufträge für die eigene Industrie gekoppelt waren, sowie aus bi- und multilateralen Zuschüssen. Bei Letzteren machten zudem mehrere Geberländer zur Bedingung, dass Ruhe und Ordnung wieder herrschen und ein Zeitplan für den Übergang zu irakischer Souveränität festgelegt ist. Überdies blieb die Summe weit unter jenen 56 Milliarden, die die Weltbank für den Wiederaufbau in den nächsten vier Jahren für nötig hielt. Dennoch konnten sich die USA jetzt damit schmücken, die Unterstützung der “internationalen Gemeinschaft” zu genießen.

Einige Tage später bewilligte der US-Kongress 87 Milliarden Dollar zur Finanzierung des Kriegs im Irak und in Afghanistan. Allein 18,6 Milliarden Dollar wurden dabei für Rüstungs- und Wiederaufbauverträge im Irak eingeplant. Ein Änderungsvorschlag, der im Fall von Betrügereien im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe harte Strafen vorsah, wurde auf Drängen des Weißen Hauses abgeschmettert. Unter Verweis auf die “sehr guten politischen Kontakte” der Unternehmen, die den Großteil der Verträge absahnten, zeigte sich Richard Durbin, demokratischer Senator von Illinois, höchst verwundert. “Ich verstehe nicht, weshalb man dagegen sein sollte, diejenigen, die die Regierung und den Steuerzahler in Kriegszeiten betrügen, gerichtlich zu verfolgen.”

Am 5. Dezember 2003 verkündete Präsident Bush, dass James Baker, der Außenminister seines Vaters, auf einer Rundreise durch mehrere europäische Hauptstädte, darunter Paris, Berlin und Moskau, über eine Ermäßigung der irakischen Außenschulden verhandeln werde. In der Tat könnte der offiziell auf 130 Milliarden Dollar geschätzte Schuldenberg jede Wiederaufbauanstrengung im Keim ersticken. Da die Kredite jedoch größtenteils von einem Tyrannen aufgenommen wurden, könnte man sie als “anstößige Schulden” betrachten, die dem irakischen Volks ungerechterweise auferlegt wurde. Dass mit Baker nun ein Multilateralist in die Hauptstädte des “Friedenslagers” geschickt wurde, deuteten Beobachter als Zeichen dafür, dass die Neokonservativen keine Rückendeckung mehr hatten.

Doch der Gegenangriff ließ nicht lange auf sich warten. Noch am Tag der Ankündigung von Bakers Mission unterzeichnete Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz ein Rundschreiben, das eine Reihe von Ländern – darunter Frankreich, Deutschland, Russland und Kanada – von den wichtigsten Wiederaufbauaufträgen ausschloss. 26 Verträge mit einem Gesamtvolumen von 15 Milliarden Euro – für die Ausrüstung der irakischen Armee, die Instandsetzung der Ölförderanlagen, der Kommunikationsnetze sowie der Strom- und Wasserversorgung – blieben Firmen aus den 63 Ländern der “Koalition der Willigen” vorbehalten, die die militärischen Offensive gegen den Irak mitgemacht oder unterstützt hatten. Allem Anschein nach wollte der Vordenker der Neokonservativen und Hauptarchitekt des irakischen Abenteuers die “Gemäßigten” erneut vor vollendete Tatsachen stellen.

Wolfowitz behauptete in seinem Zirkular, diese Maßnahmen dienten den “wesentlichen Sicherheitsinteressen der Vereinigten Staaten” und zielten auf eine bessere “internationale Zusammenarbeit bei den künftigen Bemühungen” zur Stabilisierung des Irak. Die Entscheidung löste erwartungsgemäß Proteste aus. Die Europäische Union machte geltend, dass die US-Restriktionen gegen das WTO-Abkommen zum öffentlichen Auftragswesen verstoße. Denn dieses Regelwerk verbiete eine Unterscheidung zwischen nationalen und ausländischen Lieferanten bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Selbst im Kongress wurde Kritik laut. Der demokratische Senator Joseph Biden geißelte die “haltlose Großsprecherei”, die “in keiner Weise zum Schutz unserer Sicherheitsinteressen beiträgt, aber alles tut, uns die Länder zu entfremden, die wir im Irak brauchen”.

Das Präsidialamt machte sich den Vorstoß von Wolfowitz gleichwohl zu Eigen und riss damit die schlecht verheilten Wunden wieder auf. Hatte US-Außenminister Colin Powell nicht ein Jahr zuvor gewarnt, wer sich dem Kriegskurs Washingtons widersetze, müsse mit “Konsequenzen” rechnen? Jetzt war die Zeit der Abrechnung gekommen. So meinte der Sprecher des Weißen Hauses, Scott McClellan: “Es ist normal und vernünftig, dass die wichtigsten Verträge dem irakischen Volk und jenen Ländern zugute kommen, die mit den Vereinigten Staaten die schwierige Aufgabe übernehmen, einen freien, demokratischen und prosperierenden Irak aufzubauen.”

Das US-Außenministerium beeilte sich hinzuzufügen, die Entscheidung ziele nicht auf Ausgrenzung, sondern auf Einbeziehung, da die Verträge nicht US-Unternehmen vorbehalten blieben, sondern auch 62 anderen Ländern offen stünden, darunter Großbritannien, Italien, Spanien und Polen, aber auch Ruanda, Palau und Tonga. Und das Pentagon präzisierte generös, die Liste der Koalitionspartner sei weiterhin offen und wer sich zum Mitmachen entschließe, könne künftig dieselbe Vorzugsbehandlung genießen.9

Der US-Handelsbeauftragte Robert Zoellick wiederum wies alle Vorwürfe von Protektionismus zurück und teilte mit, dass “die auf Rechnung der Übergangsregierung (CPA) abgeschlossenen Verträge nicht den vertraglichen Verpflichtungen in Sachen internationale Ausschreibungen unterliegen, weil die CPA nicht in den Geltungsbereich dieser Verpflichtungen fällt”. Auch dies ist ein schönes Beispiel für die selektive Auslegung des internationalen Rechts durch die Vereinigten Staaten.

Am deutlichsten freilich brachte US-Präsident Bush selbst die Position seiner Regierung auf den Punkt: “Die Ausgabe amerikanischer Dollars spiegeln die Tatsache wider, dass amerikanische und andere Truppen ihr Leben riskierten. Die Sache ist ganz einfach: Die unsrigen haben ihre Leben riskiert, die der befreundeten Koalition haben ihr Leben riskiert, und deshalb spiegeln die Verträge diesen Sachverhalt wider. Und genau das erwartet im Übrigen der Steuerzahler.” Lange Zeit hatte die US-Administration die kommerziellen Aspekte des Irakkriegs verschwiegen und nur von Massenvernichtungswaffen und der Befreiung des irakischen Volks gesprochen.10 Nun aber machte der Präsident keinen Hehl mehr daraus, dass die größten Aufträge gerechterweise als Kriegsbeute anzusehen seien.

Doch selbst in den USA kommt die Kontroverse über die Wiederaufbauaufträge nicht zur Ruhe. Kein Tag vergeht ohne Enthüllungen über verschwendete oder veruntreute Gelder, über Interessenkonflikte und Vertrauensmissbrauch, überhöhte Rechnungen und Pfusch am Bau. Einige wenige US-Unternehmen mit engen Kontakten zur Bush-Administration greifen das Gros der Beute ab. Sogar die treuen Briten sind enttäuscht. Sie müssen sich bei den Aufträgen mit Hungerrationen begnügen, weshalb sich die britische Regierung genötigt sah, beim amerikanischen Partner diskret eine Art “positive Diskriminierung”11 anzumahnen.

Nach einem Bericht des Center for Public Integrity haben die 71 Unternehmer, die im Irak und Afghanistan Wiederaufbauaufträge erhielten, über eine halbe Million Dollar in Bushs Wahlkämpfe investiert – mehr als sie in den letzten zwölf Jahren irgendeinem anderen Politiker gespendet haben. “In neun der zehn wichtigsten Branchen”, so der Bericht weiter, “dominieren nun Unternehmen, die ehemalige Regierungsmitglieder beschäftigen oder deren Führungspersonal enge Kontakte zu Kongressmitgliedern oder den für die Auftragsverteilung zuständigen Behörden unterhält.” Charles Lewis, der Leiter des Zentrums, erklärte: “Keine Bundesbehörde hat die Auftragsvergabe beaufsichtigt und kontrolliert, ein deutliches Zeichen, wie sehr dieses System Verschwendung, Betrug und Vetternwirtschaft begünstigt.”
12

Trotz der versprochenen Transparenz wurden die lukrativsten Aufträge nicht öffentlich ausgeschrieben. Der einträgliche Wiederaufbau des Irak liegt fast ausschließlich in den Händen von US-Unternehmen. Am dicksten im Geschäft sind dabei Halliburton mit seiner Filiale Kellog Brown & Root (KBR) und der Hoch- und Tiefbau-Konzern Bechtel, die beide über enge Kontakten zu den Falken in Washington verfügen. Beide Unternehmen verfügen im Irak schon über einige Erfahrung. Der Bechtel-Konzern baute 1983 eine Pipeline, wobei der Auftrag vom heutigen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld mit Saddam Hussein ausgehandelt wurde. Halliburton wiederum, dem zwischen 1995 und 2000 der derzeitige US-Vizepräsident Richard Cheney vorstand, durfte seine Aktivitäten im Irak mit Genehmigung der US-Regierung auch zur Zeit des Wirtschaftsembargos fortführen.

Die Botschaft des Präsidenten: Bereichert euch!

Als Symbol amerikanischer Vetternwirtschaft ist Halliburton inzwischen zu trauriger Berühmtheit gelangt. Wie der Abgeordnete Henry Waxman, Demokrat aus Kalifornien, enthüllte, erhielt die Halliburton-Tochter KBR vom Ingenieurskorps der US-Army den Auftrag, die Ölförderanlagen im Irak instand zu setzen. Der Vertrag, der wie so oft ohne öffentliche Ausschreibung zustande kam, umfasst auch die anschließende Verwaltung der Anlagen und die Vermarktung des geförderten Öls. Mit anderen Worten: Halliburton hat eine Konzession auf einen Teil der irakischen Ölreserven in der Tasche.

Laut Waxman stammten außerdem die Gelder zur Finanzierung dieses Vertrags aus dem UN-Fonds “Öl für Lebensmittel”, der rechtzeitig in “Irak-Entwicklungsfonds” umgetauft wurde. Zahlreiche Gesetze und Verordnungen sind offenbar speziell zum Schutz solcher Investitionen verabschiedet worden. So unterzeichnete Bush am 22. Mai 2003 den Erlass 13303, der die gesamte Erdölindustrie des Irak gegen “alle Verordnungen, Urteile, Erlässe, Verfügungen, Beschlagnahmungen und jede sonstige juristische Maßnahme” schützt. Nach Ansicht von Tom Devine, dem Leiter des Government Accountability Project, einer Art unabhängigem Rechnungshof, “steht die Ölindustrie damit über dem Gesetz, dem US-amerikanischen ebenso wie dem internationalen”13.

Doch Halliburton und KBR sind nicht nur gegen alle juristischen, sondern auch gegen alle finanziellen Risiken abgesichert. Die Verträge wurden auf der Grundlage des Prinzips “indefinite quantity, indefinite delivery” abgeschlossen, also über unbefristete Lieferungen in unbestimmter Höhe. Diese Regelung ermöglicht es dem Unternehmen, der Regierung sämtliche Kosten in Rechnung zu stellen und eine Gewinnmarge zwischen 1 und 7 Prozent draufzuschlagen.14Solche Verfahren laden zu Missbrauch ein, Interessenkonflikten sind vorprogrammiert.

Kellog, Brown & Root (KBR) wurden schon zweimal in flagranti ertappt. Das erste Mal hatte die Halliburton-Tochter den Preis für in den Irak importiertes Benzin um 60 Prozent aufgepumpt. Sie kaufte die Gallone (etwas über dreieinhalb Liter) für 70 US-Cent in Kuweit ein und für 1,59 Dollar an die US-Armee weiter, was einen Aufpreis von 61 Millionen Dollar bedeutete. KBR verwies auf die Transportkosten (vom nahen Kuweit!) und das hohe Risiko. Einige Wochen später wurde das Unternehmen beschuldigt, für Proviantlieferungen an die US-Armee 16 Millionen Dollar zu viel berechnet zu haben. Ein Pentagon-Bericht über die Leistungsqualität von KBR (und Bechtel) spricht überdies von schlampiger Arbeit, und das soll nur die Spitze des Eisbergs sein.15

Gleichwohl ließ es die US-Regierung dabei bewenden, Untersuchungskommissionen einzusetzen, neue Kontrollstrukturen zu schaffen und mehr Transparenz zu versprechen. Unterdessen zog KBR einen Auftrag nach dem anderen an Land und bereicherte sich zu Lasten des amerikanischen Steuerzahlers und des irakischen Volks. Auch Vizepräsident Cheney gehört zu den Nutznießern dieses Geldsegens. Während seiner ersten beiden Jahre im Weißen Haus bezog er von Halliburton weiterhin eine “Aufwandsentschädigung” von insgesamt 310 000 Dollar. Und nach wie vor besitzt er 433 000 Aktien des Unternehmens, deren Wert natürlich vom Geschäftsverlauf abhängt.16

Die Grenze zwischen Politik und Wirtschaft verschwimmt zusehends. Die irakischen Aufträge gelten nur mehr als Mittel, um zum schnellen Dollar zu kommen. Auch Richard Perle wusste die Verquickung von Regierungsamt und Vorstandsposten profitabel zu nutzen. In seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Beratungsausschusses im Pentagon machte er sich wie kein anderer für eine Ausweitung des Kriegs auf den Irak (und andere Länder) stark. Als Privatmann gründete er die Trireme International, eine Risikokapitalgesellschaft, die darauf angelegt ist, Profit aus den derzeitigen militärischen Konflikten zu schlagen.17 Joe Allbaugh wiederum, der George W. Bushs Wahlkampf im Jahr 2000 leitete, gründete die New Bridge Strategies, die Interessenten hilft, an Irakaufträge zu kommen. Derselben Aufgabe widmet sich die alte Firma des Neokonservativen Douglas Feith, der im Pentagon für die Überwachung des irakischen Wiederaufbaus zuständig ist.

Zweifellos ließe sich diese Art von “Politisierung” auch bei den irakischen Unternehmen feststellen. Laut Übergangsregierung lagen 25 der insgesamt 115 Projekte Ende 2003 in der Verantwortung irakischer Unternehmen. Angesichts der derzeitigen Situation im Irak kann man davon ausgehen, dass Aufträge nur solche irakische Geschäftsleute mit guten Beziehungen zu den Besatzungstruppen und zum irakischen Übergangsrat erhalten, dessen 25 Mitglieder von den Amerikanern ernannt wurden.

Und das irakische Volk? Glaubt man den offiziellen Verlautbarungen, so kommt die neue Ordnung letztendlich den Menschen zugute. Die Führung der Vereinigten Staaten wird nicht müde, die Iraker zu ermuntern, das Klima wirtschaftlicher “Freiheit” zu nutzen. So äußerte sich der US-Handelsminister bei seiner Stippvisite im Irak begeistert über “den phänomenalen Fortschritt” überall im Land und begrüßte den Unternehmungsgeist, den er unmittelbar erlebt habe. Um das Erlebte zu illustrieren, erzählte er einem CNN-Starjournalisten, der stets auf das bereitwilligste die Regierungspropaganda verbreitet, eine erbauliche Geschichte: “Ich hielt am Straßenrand an und kaufte bei einem Jungen, einem jungen Unternehmer, eine Coca-Cola.”18

Der durchschnittliche Iraker kann sich noch nicht so recht darüber freuen, dass sich sein Land in ein Eldorado des Freihandels verwandelt hat. Die Injektion erheblicher Summen in eine kranke Ökonomie und die andauernden wirtschaftlichen Schwierigkeiten – Inflation, Rationierung, Benzinknappheit und vor allem Arbeitslosigkeit – verschärfen das herrschende Chaos wie auch die gravierenden Sicherheitsprobleme im Land. Die “Verschlankung” der öffentlichen Verwaltung und die Abwicklung der Armee lassen das Heer der Beschäftigungssuchenden anwachsen. Zugleich erlauben ultraliberale Gesetze den Unternehmen, nach Belieben Arbeitskräfte zu importieren.

Mag offiziell auch verlauten, die “Störungen” seien das Werk von “ausländischen Kräften”, ein Vertrauen hat sich zwischen der irakischen Bevölkerung und den mit dem Wiederbau betrauten Unternehmen noch nicht hergestellt. Kellog, Brown & Root, für die Verpflegung der US-Truppen zuständig, greift auf saudische Subunternehmen zurück, und ihre Arbeitskräfte stammen zumeist aus Indien und Bangladesch. Die Iraker bleiben ausgeschlossen. Der Grund: Sie könnten versuchen, die Soldaten zu vergiften.19

"Let's all go to the yard sale", The Economist, London, 25. 9. 2003.

Daphne Eviatar, "Free Market Iraq? Not so fast", The New York Times, 10. 1. 2004.

Robert J. Barro, "A step in the right direction for Iraq", Business Week, New York, 5.4.2004. Vier Jahre zuvor befand Barro in derselben Wochenzeitung, dass "niemand so sehr die Überlegenheit der Marktwirtschaft demonstriert hat wie Pinochet und seine Berater".

Pillsbury Winthrop LLP, "Reconstruction of Iraq", International Trade News Brief, 23. 9. 2003.

Siehe Alan Audi, "Iraq's new investment law and the and the standard of civilization", Georgetown Law Journal, vol. 93, No.1, 2004.

"Boomerang diplomacy", Washington Post, 12. 12. 03.

John Kampfner, "Blair was told it would be illegal to occupy Iraq", New Statesman, London, 26. 5. 2003.

Ron Suskind, "The prize of loyalty: George W. Bush, the White House and the education of Paul O'Neill", New York (Simon and Schuster) 2004, S. 96.

The Washington Post, 10. 12. 2003.

Siehe Ibrahim Warde, "L'ordre américain, coûte que coûte", Le Monde diplomatique, Paris, April 2004.

Terry Macalistair, "Leak reveals ministers' fears over Iraqi contracts: campaign to stop British firms being cut out by US", The Guardian, London, 13. 2. 2004.

George Anders, Susan Warren, "For Halliburton, Uncle Sam brings lumps, steady profits", Wall Street Journal, 19. 1. 2004.

Paul Krugman, "Patriots and profits", New York Times, 16. 12. 2003.

Die Halliburton-Aktie hatte im September 2000 mit 54,69 Dollar ihren Höchstpreis erreicht, im Juli 2002 fiel sie auf den Tiefststand von 9,10 Dollar; derzeit liegt der Wert der Aktie bei 30 Dollar.

Nachdem Perles Geschäfte nach und nach publik geworden sind, verließ er zunächst den Vorstand der Trireme International und erklärte kürzlich seinen Rücktritt.

M. Don Evans, im Interview mit Wolf Blitzer, CNN, 19. 10. 2003

"Jobs for the boys - and for foreigners", The Economist, London, 9. 10. 2003

Published 19 May 2004
Original in French
Translated by Bodo Schulze

Contributed by Le monde diplomatique © Eurozine Le monde diplomatique

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