OsteuropaOsteuropa2013-01-03Heftbeschreibung Osteuropa 9/2012Daniel Ursprung
Machtkampf in Rumänien
Die Regierung, der Präsident und die Justiz
Rumänien stürzte im Sommer 2012 in eine Staatskrise. Ein Machtkampf zwischen der neuen Regierung und dem Präsidenten lähmte die Institutionen. Bei dem Versuch, den umstrittenen Präsidenten Basescu abzusetzen, verletzte die Regierung mehrfach rechtsstaatliche Prinzipien. Hinter der Auseinandersetzung steckt ein Kampf um die Unabhängigkeit der Justiz. Diese hat jedoch dem Druck standgehalten und könnte aus der Krise gestärkt hervorgehen.Anneli Ute Gabanyi
Politisches Lehrstück
Die Staatskrise in Rumänien
Gegen den Versuch, Präsident Traian Basescu seines Amtes zu entheben, protestierten die EU-Kommission und westliche Regierungen. Viele witterten einen Staatsstreich durch Ministerpräsident Victor Ponta, den das rumänische Verfassungsgericht in letzter Minute verhindern konnte. Diese Krise war die Zuspitzung eines langwierigen Konflikts zwischen Regierung und Staatspräsident. Dabei geht es um persönliche Macht und politischen Einfluss. Institutionen wie das Verfassungsgericht sind politisiert und werden instrumentalisiert. Das Vertrauen der Rumänen in die Politik ist erschüttert, Rumäniens Ruf in der Welt beschädigt.Mykola Rjabcuk
Prekäre Autokratie
Stillstand und Wandel in der Ukraine
Auf Viktor Janukovycs Sieg bei den Präsidentschaftswahlen im Februar 2010 folgten nicht die angekündigten Reformen, sondern eine Rückkehr zum Autoritarismus. Der Präsident und seine Partei der Regionen haben seither dramatisch an Zustimmung verloren. Die Opposition profitierte davon jedoch wenig. Im Parlament spielt sie heute kaum noch eine Rolle, bei den Kommunalwahlen 2010 hat sie schlecht abgeschnitten. Die Zersplitterung der politischen Kräfte spielt den Machthabern in die Hände und wird aktiv von ihnen gefördert. Dennoch wird Janukovyc nach den Parlamentswahlen im Oktober wohl einen Kompromiss mit der Opposition suchen müssen -- sofern er nicht auf ein "Lukasenka-Szenario" setzt.Valeryj Karbalevic
Faust in der Tasche
Wahlsisulation in Belarus
Bei den Parlamentswahlen in Belarus Ende September wurden die 110 Abgeordneten des Repräsentantenhauses neu bestimmt. Alle Sitze gingen an die Kandidaten des Regimes. Laut OSZE war die Wahl weder frei noch fair. Bereits die Angabe der offiziellen Wahlbeteiligung von knapp 75 Prozent ist deutlich überhöht. Viele Menschen sind den Urnen fern geblieben und haben damit ihr Misstrauen gegenüber dem Regime bekundet. Die schweigende Unterstützung für Lukasenka bröckelt, doch die zerstrittene Opposition vermag daraus bislang keinen Nutzen zu ziehen.Ignac Romsics
Trianon und der Holocaust
Die ungarischen Traumata des 20. Jahrhunderts
Juden, die schon im 10. Jh. im Karpatenbecken gelebt hatten, trieben im 19. Jh. die ungarische Nationsbildung voran. Sie identifizierten sich mit dem ungarischen Staatsgedanken und trugen entscheidend zur wirtschaftlichen Modernisierung und kulturellen Erneuerung Ungarns bei. Doch infolge von Modernisierungskrisen und sozialen Verwerfungen kam um 1870 der politische Antisemitismus auf. Mit dem Ersten Weltkrieg schlugen antisemitische Gesellschaftsinterpretationen Wurzeln. Die nationalliberale Idee der rechtlichen Gleichstellung und Integration erodierte. Der Friedensvertrag von Trianon 1920 und der Holocaust 1944 sind die schicksalhaften Ereignisse der ungarischen Geschichte des 20. Jh. Beide sind eng verflochten und bewirkten, dass die Nationsbildung und der Staatsaufbau in Ungarn tragisch gescheitert sind.Ferenc Laczo
Verwirrte Fäden, blinde Flecken
Die ungarischen Juden in der Horthy-Ära
Die Geschichte der Juden im Ungarn der Zwischenkriegszeit wird oft von ihrem fatalen Ende her interpretiert. Diese teleologische Sicht wird der Horthy-Ära (1919--1944) nicht gerecht. Viele ungarische Juden hielten trotz der schrittweisen Entrechtung und des Antisemitismus bis 1944 am ungarischen Staat fest, weil dieser eine gewisse Sicherheit zu bieten schien, während der Völkermord an vielen anderen Orten Europas bereits im Gange war. Erst die Erkenntnis, dass das Horthy-Regime nicht, wie es die antifaschistische Interpretation will, faschistisch war, führt zu der brisanten Frage, wie es zur Verstrickung der zwischen Konkurrenz und Kollaboration mit den Antisemiten lavierenden ungarischen Konservativen in den Holocaust kommen konnte.Laurynas Katkus
Komische Agonie
Das Groteske in der spätsozialistischen Literatur
Das Groteske als Mittel zur Darstellung starker gesellschaftlicher Spannungen und Widersprüche und als Werkzeug der ästhetischen Subversion spielte in der sowjetischen Literatur von Anfang an eine wichtige Rolle. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte das Genre im gesamten Ostblock eine Blüte. Dass es bis in die achtziger Jahre länderübergreifend aktuell blieb, zeigt der Vergleich zwischen einem russischen, einem polnischen und einem litauischen Roman der Epoche: Die phantasmagorischen Romane von Venedikt Erofeev (Moskva -- Petuski), Tadeusz Konwicki (Mala Apokalipsa) und Ricardas Gavelis (Vilniaus Pokeris) bedienen sich virtuos der grotesken Traditionen. Sie zeigen die spätsozialistische Welt als absurde Gegenwart, die ihren Untergang bereits in sich trägt.Rüdiger Ritter
Produktive Missverständnisse
Jazz im Ostblock
Während des Ost-West-Konflikts strahlte Voice of America die Jazz-Sendung von Willis Conover aus. Sie begeisterte Millionen Menschen in den sozialistischen Staaten. Die Sendung war ein Instrument der public diplomacy, eine Propagandawaffe gegen den ideologischen Gegner. Conover schuf über den Eisernen Vorhang eine Fangemeinde, trug zur Förderung des Jazz im sowjetischen Machtbereich sowie zum West-Ost-Austausch bei und eröffnete den Menschen im kommunistischen Machtbereich individuelle Freiheitsräume. Doch anders als beabsichtigt wirkten Conovers Aktivitäten letztlich systemstabilisierend.Roland Götz
Aussterbende Gattung
Deutschlands Russlandökonomen
Um die deutsche sozialwissenschaftliche Russland-Expertise ist es schlecht bestellt. Dies gilt besonders für die Wirtschaftswissenschaften. Der Grund scheint klar: Es gibt keine Nachfrage mehr. Denn wozu bedarf es einer spezifischen Russland-Ökonomik für ein normales kapitalistisches Land? An dieser Sicht ist zweierlei falsch. Zum einen werden statistische Daten sowie Gesetze, Verordnungen und staatliche Programme meist nur auf Russisch veröffentlicht. Zum anderen kann es ohne Kenntnis der von Russlands Ökonomen geführten Debatte keinen wissenschaftlichen Dialog geben. Länder wie Polen, Finnland, Norwegen, Schweden oder Estland haben das verstanden. In Deutschland steht diese Erkenntnis noch aus.Marlis Prinzing
Adieu, KISS
Neue Wege der Osteuropa-Berichterstattung
Die Berichterstattung deutscher Zeitungen und Medien über Russland und Osteuropa steht in der Kritik. Diese sei oberflächlich, fehlerhaft, klischeebeladen, negativ und unterfinanziert. Tatsächlich handelt es sich hierbei um strukturelle Probleme der Auslandsberichterstattung. Doch es genügt nicht, nur zu klagen. Um die Arbeit der Korrespondenten zu verbessern, müssen neue Wege eingeschlagen werden. Dazu braucht auch die Journalismus-Forschung einen größeren Praxisbezug.Andreas Umland
Weißer Fleck
Die Ukraine in der deutschen Öffentlichkeit
Die Ukraine ist das größte Land Europas. Doch sie genießt in Deutschland nur geringe Aufmerksamkeit. Zwar ist das diplomatische und kulturpolitische Engagement Deutschlands in der Ukraine recht groß. Doch in den Medien und in der politischen Debatte ist die Ukraine ein Randthema. Dies wird der strategischen Bedeutung der Ukraine nicht gerecht.