Bruno Preisend�rfer
Bruno Preisend�rfer / Le Monde diplomatique (Berlin)
Eurozine
Le Monde diplomatique (Berlin)
2009-04-06
Totschlagen und andere Begabungen
Was von Darwin �brig blieb
Fragt das Schlammerl den Philipp: "Wann haben Sie zum ersten Mal das Sieger-Gen gesp�rt?" Sagt der Philipp zum Schlammerl: "Vom ersten Tag an." Der Philipp hei�t mit Nachnamen Laux und arbeitet als Sportpsychologe f�r einen M�nchner Fu�ballclub. Das Schlammerl hei�t mit Vornamen Elisabeth und arbeitet als Sportjournalistin f�r eine Frankfurter Zeitung. Das mit dem Sieger-Gen bezog sich auf den FC Bayern. Es war damit aber nicht das viele Geld gemeint, das die Manager ausgeben, um Spieler einzukaufen. Schlammerl zum Philipp: "Kann man dieses Sieger-Gen psychologisch erkl�ren?" Philipp zum Schlammerl: "Ja, zum Teil."
Der kuriose Versuch, ein Gen psychologisch zu erkl�ren, wenn auch nur 'zum Teil', stand vor einigen Wochen ausgerechnet in jenem Blatt, das am 7. Juni 2000 mit dem Abdruck einer Teilsequenz des menschlichen Genoms den Beginn des biowissenschaftlichen Jahrhunderts zu markieren meinte. �ber sechs FAZ-Seiten marschierten lange Kolonnen von Gs und As, von Ts und Cs, die Chiffren der Basen Guanin, Adenin, Thymin und Cytosin, aus deren Paarungen die sogenannte 'Strickleiter' der DNA besteht.
Weil die Basen mit Buchstaben abgek�rzt werden, ist h�ufig die Metapher vom 'Buch des Lebens' zu lesen. Molek�le in Zellkernen sind aber keine Buchstaben, chemische Verbindungen keine Leitern und Zellen keine Texte. Man sollte Sachverhalte in der Natur nicht mit den Metaphern verwechseln, mit denen sie je nach historischer Epoche kulturell codiert werden.
Um an die Geschichtlichkeit unserer Vorstellungen am Beispiel des Ged�chtnisses zu erinnern: In der Antike wurde die Gegend hinter der Stirn gern mit einer Wachstafel verglichen, in die ein Griffel seine Spuren ritzt. Mit der Erfindung der Uhr kam es zu einer Epidemie der Uhrwerkmetapher: Von der g�ttlichen Sch�pfung �ber den f�rstlichen Staat bis zur menschlichen Seele schien nun alles wie Uhren zu funktionieren. Nach der Verbindung von Mechanik und Mathematik durch Pascal und Leibniz galten Geist und Ged�chtnis als eine Art h�here Rechenmaschine. Und heute stellen sich die Gehirne der Leute die Gehirne der Leute wie Computer vor oder, n�chste Steigerung in der Metaphernkette, als Netzwerk von Computern. Es wird nicht lange dauern bis man das Ged�chtnis mit virtuellen Speicherwolken vergleicht �hnlich denen beim 'Cloud Computing'.
Das alles sind Sinnbilder, metaphorische Veranschaulichungen, die sich im �ffentlichen Gebrauch zu Phrasen verfestigen. In den Hohlformen der Phrasen bieten die Menschen einander ihre Meinungen �ber unverstandene Sachverhalte an. Dass etwas 'in den Genen liegt', ist ein Beispiel f�r die Gemeinpl�tze meinungsstarker Kenntnisschw�che.
W�hrend die Erbinformationen in der Natur der genetischen Evolution unterliegen, unterliegen die Vorstellungen, die sich die Menschen dar�ber machen, der kulturellen Entwicklung. Man k�nnte die darwinistische Stammbaummetapher auf die darwinistische Metapher vom Stammbaum anwenden. Das soll auch gleich probiert werden -- wenigstens zum Teil.
Es wird sich zeigen, dass die Verwandtschaftsbeziehung zwischen dem neumodischen Genfetischismus und den altmodischen Erblehren der Verwandtschaftsbeziehung zwischen Menschen und Affen nicht un�hnlich ist. Der eine stammt nicht direkt vom anderen ab, aber beide haben gemeinsame Vorfahren. Und da scheint es rezessive Gene beziehungsweise rezessive Gedanken zu geben, die an unerwarteten Stellen wirksam werden.
Jedenfalls erinnert manche seit der angeblichen 'Entzifferung des Genoms' im Jahr 2000 kursierende Phrase an das Veranlagungsgerede vor der tats�chlichen Entdeckung der Doppelhelixstruktur der DNA durch Watson und Crick im Jahr 1953. Und die �ltere Erblehre ruhte wiederum in einer ideologischen Tradition, die vom Vulg�rdarwinismus der kolonialistischen Rassegedanken bis zum Vernichtungsdarwinismus der nationalsozialistischen Rassengesetze f�hrte.
Worin bestehen die Gemeinsamkeiten zwischen dem aktuellen Genfetischismus, der sozialdarwinistischen Vorstellung vom �berleben des St�rksten, der kolonialistischen und schlie�lich der faschistischen Rassentheorien? In der Erkl�rung kultureller durch nat�rliche Unterschiede, in der Rechtfertigung sozialer durch nat�rliche Ungleichheit, in der Verwandlung naturwissenschaftlicher Begriffe in kulturelle Metaphern, die dann in einem ideologischen R�ckkoppelungseffekt wiederum f�r die 'Natur der Sache' gehalten werden.
Eine der beliebtesten und zugleich gef�rchtetsten Phrasen ist die vom 'survival of the fittest'. Die Wendung stammt nicht von Charles Darwin, sondern von dem Philosophen und Soziologen Herbert Spencer. Allerdings hat Darwin sie in eine sp�tere Auflage seines Hauptwerks aufgenommen. Spencer �bertrug Darwins �berlegungen zur nat�rlichen Evolution auf die Entwicklung von Gesellschaften und kann als einer der 'Klassiker' des Sozialdarwinismus gelten. Der ideologischen Wertverschiebung zwischen Darwin und Spencer entspricht eine ideologische Wortverschiebung: von "favoured" zu "fittest". Darwins 1859 erschienenes Hauptwerk hie�: "On the Origin of Species by Means of Natural Selection, or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life". Darwin spricht von "favoured races", was bei den ersten deutschen Ausgaben mit "beg�nstigten Rassen" �bersetzt wurde.
Darwin spricht also nicht vom Erhalt der St�rksten, sondern von dem der Beg�nstigten. Diejenigen Rassen, die von der Natur beg�nstigt sind, erhalten sich in einer bestimmten nat�rlichen Umwelt am besten, jedenfalls so lange, bis sich die Umwelt �ndert und das, was einmal von Vorteil war, unter neuen Bedingungen zum Nachteil wird. Analogisch korrekt aufs Soziale �bertragen, w�rde sich das so anh�ren: Diejenigen Klassen, die von der Gesellschaft beg�nstigt sind, erhalten sich in einer bestimmten sozialen Umwelt am besten, jedenfalls so lange, bis sich die soziale Umwelt �ndert -- zum Beispiel durch eine Revolution -- und das, was einmal von Vorteil war, unter neuen Bedingungen zum Nachteil wird.
Die naturalistische Reduktion -- um wissenschaftlich auszudr�cken, was im politischen Nahkampf als ideologischer Trick funktioniert -- ist eine halbe Sache und vielleicht deshalb ganz erfolgreich. Einerseits wird bei der �bertragung des Selektionsgedankens auf gesellschaftliche Verh�ltnisse die nat�rliche Umwelt durch die soziale ersetzt, andererseits aber die nat�rliche Beg�nstigung gerade nicht durch eine soziale. Vielmehr wird die soziale Beg�nstigung durch (angebliche) nat�rliche St�rke gerechtfertigt. Und daf�r eignet sich Spencers "fittest" besser als Darwins "favoured".
Das 'survival of the fittest' wurde in Deutschland von dem Mediziner und Zoologen Ernst Haeckel bekannt gemacht. Er war der gro�e Popularisierer der Evolutionstheorie in der zweiten H�lfte des 19. Jahrhunderts. Seine Ideen wirken bis heute nach. Beispielsweise die symbolisch beeindruckende, wissenschaftlich naive und ideologisch folgenreiche Vorstellung eines evolution�ren Stammbaums mit Wurzel und Wipfel, mit Hauptstamm, �sten und Zweigen: Symbolisch beeindruckend, weil der Baum der Evolution an den Baum des Paradieses in der Genesis anschlie�t; wissenschaftlich naiv, weil die Evolution kein artiges Aufstreben der Arten ist, sondern ein undurchdringliches Speziengestr�pp -- auch Darwins Handskizze erinnert eher an einen Strauch; ideologisch folgenreich, weil ein Baum-Modell viel klarer als ein Strauch-Modell das Bed�rfnis nach Hierarchien artikuliert, denen zufolge der schwarze Mensch unter dem wei�en steht wie der Hominide unter dem Homo sapiens.
Sozialdarwinismus und Elterngeld
"Die Naturmenschen", schrieb Haeckel, "stehen in psychologischer Hinsicht n�her den S�ugetieren als dem hochzivilisierten Europ�er; daher ist auch ihr individueller Lebenswert ganz verschieden zu beurteilen." Haeckel war Ehrenmitglied der 1905 gegr�ndeten Gesellschaft f�r Rassenhygiene, die laut Satzung "die F�rderung der Theorie und Praxis der Rassenhygiene unter den wei�en V�lkern" bezweckte. Mitglieder dieser Gesellschaft waren auch der Schriftsteller Gerhart Hauptmann und der sozialdemokratische Hygieniker Alfred Grotjahn. Damals ging der Erbfanatismus durch alle politischen Lager, so wie heute der Genfetischismus partei�bergreifend zum Mainstream wird.
Auch die Evolution von Ideen und Ideologien verl�uft eher gestr�ppartig als nach dem Stammbaum-Modell. Dennoch gibt es �ber die Epochen hinweg Entsprechungen zwischen dem Denken in Sieger-Genen. Der englische Publizist Walter Bagehot hat 1872 Darwins 'nat�rliche Zuchtwahl' auf gesellschaftliche Verh�ltnisse �bertragen: "Physics and Politics", lautet der Titel, "or Thoughts on the Application of the Principles of 'Natural Selection' and 'Inheritance' [Vererbung] to Political Society". Darin hei�t es: "Erw�gen wir, worin ein Dorf englischer Kolonisten einem Stamm australischer Eingeborener �berlegen ist. Unzweifelhaft sind die Engl�nder in einer, und zwar der haupts�chlichen Hinsicht �berlegen. Sie k�nnen die Australier im Krieg schlagen, wann immer es ihnen gef�llt; sie k�nnen ihnen alles wegnehmen, was ihnen gef�llt; und sie k�nnen jeden von ihnen t�ten, den sie ausw�hlen."
F�r Bagehot manifestiert sich �berlegenheit nicht nur im Totschlagen, sondern noch in anderen Begabungen. So haben "die Nachkommen kultivierter Eltern durch angeborene Nervenorganisation eine gr��ere Anlage zur Kultivierung als die Nachkommen der Unkultivierten". Auch Darwin glaubte, "dass Erziehung und Umgebung nur eine geringe Wirkung auf den Geist eines jeden aus�ben und dass die meisten unserer Eigenschaften angeboren sind". In seinem zweiten Hauptwerk "Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl" warnte er, "... es d�rfen die F�higsten nicht durch Gesetze oder Gebr�uche daran verhindert werden, den gr��ten Erfolg zu haben und die gr��te Zahl von Nachkommen aufzuziehen."
So gesehen ist die Einf�hrung des staatlichen Elterngelds eine darwinistische Ma�nahme. Es ist nach Einkommen gestaffelt und betr�gt bei Geringverdienern mindestens 300 Euro, bei Gutverdienern h�chstens 1 800 Euro. Je mehr man verdient, desto mehr Elterngeld bekommt man, weil man es mehr verdient. Diese typisch sozialdarwinistische Tautologie dominierte die �ffentliche Diskussion vor der Einf�hrung des Elterngelds. Susanne Gaschke etwa rechtfertigte die H�henunterschiede bis zum Sechsfachen in mehreren Zeit-Artikeln: "Die Einkommensabh�ngigkeit [des Elterngelds] dr�ckt ganz n�chtern das Ziel dieser staatlichen Subventionen aus: Sie soll Nachwuchs auch bei den Gut- und Besserverdienenden f�rdern, denn davon gibt es zu wenig."
Aus der liberalen Mittelschicht, die damals noch nicht genug vor Interventionen des Staates warnen konnte, ert�nte im Kampf ums �berleben und Vermehren der eigenen Begabungsgene die Forderung nach einer staatsinterventionistischen Pr�mie, um "die soziale Spaltung der Fortpflanzung zumindest mildern" zu k�nnen, wie Gaschke seinerzeit schrieb: "Sonst wird Fortpflanzung ein Unterschichtenmerkmal."
Durch Zeilen wie diese raunt die Furcht vor sozialer �berfremdung. Eine Argumentationsschleife, die in Zusammenhang mit Migranten als rassistisch erkannt worden w�re, f�llt im Sozialkampf gegen die eigene Unterschicht als klassistisch nicht einmal auf. Und doch liegt ihr ein durch und durch naturalistisches Begabungsverst�ndnis zugrunde. Die angeblich genetisch �berlegenen d�rfen nicht durch sozialen Ausgleich daran gehindert werden, die gr��te Zahl an Nachkommen zu zeugen. Vielmehr muss der soziale Ausgleich denjenigen zugutekommen, die ihn genetisch verdienen. Im genfetischistischen Gesellschaftsbild kehrt Darwins verstiegene Warnung als Forderung nach Finanzhilfe f�r fortpflanzungsgehemmte Akademiker wieder.
Ein anderes Beispiel f�r die eigent�mliche Renaissance der Erblehre beim Thema Begabung liefert Josef Kraus, ehrenamtlicher Pr�sident des deutschen Lehrerverbands. Im Dezember schrieb er in der von der Bundeszentrale f�r politische Bildung herausgegebenen Zeitschrift Aus Politik und Zeitgeschichte: "Die Forschung hat seit mehreren Jahrzehnten eindeutig nachgewiesen, dass 70 Prozent des kognitiven Potentials durch Erbfaktoren bestimmt sind."
Alles, was 'die Forschung', wer immer die geheimnisvolle Dame sein mag, in dieser Hinsicht 'nachgewiesen' hat, ist ihre Ratlosigkeit dar�ber, was dieses 'kognitive Potential' �berhaupt sein soll. Nicht einmal auf einen gemeinsamen Intelligenzbegriff konnte man sich einigen. Unter intelligenteren Intelligenzforschern kursiert deshalb 'seit mehreren Jahrzehnten' der selbstironische Witz, Intelligenz sei das, was Intelligenzforscher messen.
Man k�nnte �u�erungen wie die hier blo� beispielhaft zitierten auf sich beruhen lassen, h�tten sie keinen Einfluss auf das praktische Leben. Aber Sichtweisen wie die von Susanne Gaschke pr�gen die mittelschichtorientierte Sozialpolitik und Sichtweisen wie die von Josef Kraus die mittelschichtorientierte Schulpolitik.
Schon vor zehn Jahren f�rchtete Noelle Lenoir, damals Ethikberaterin bei der EU-Kommission: "Sogar bei Schulkindern wird man danach suchen, ob schlechte Leistungen genetisch bedingt sind." Im gleichen Jahr tobte in Deutschland eine Z�chtungsdebatte, ausgel�st durch Peter Sloterdijks Menschenparkrede. Sloterdijk wurde vorgeworfen, er wolle Menschen mit verschiedenen Eigenschaften z�chten, so wie einst Gregor Mendel in seinem Klostergarten Erbsen mit verschiedenen Farben gez�chtet hatte.
Vieles, was damals Angst, Schrecken und Vorw�rfe ausl�ste, geh�rt inzwischen zum genfetischistischen Phrasenrepertoire. So bewirbt etwa der Verlag C. H. Beck das Buch "Der Darwin Code" unter anderem mit dieser Frage: "Steht die moderne sexuelle Selbstbestimmung der Frauen im Gegensatz zur Evolution, oder ist sie Teil der biologischen Natur?" Ein h�bsches Beispiel daf�r, dass es nicht nur dumme Antworten, sondern auch dumme Fragen gibt. Die 'moderne sexuelle Selbstbestimmung der Frauen' steht deshalb nicht im Gegensatz zur Evolution, weil sie mit der Evolution �berhaupt nichts zu tun hat. Sie ist aber auch kein 'Teil der biologischen Natur', weil Menschenrechte oder Frauenrechte keine biologischen, sondern ethische, politische, rechtliche, soziale Angelegenheiten sind.
Heiratsneigung und andere Erbeigenschaften
Theorien �ber die genetischen Wurzeln des sozialen Verhaltens sind heute so popul�r wie seit dem sp�ten 19. Jahrhundert nicht mehr. "Fast alles hat irgendeine genetische Basis, Politik eingeschlossen", schrieb der Harvard-Professor James Q. Wilson k�rzlich im amerikanischen City Journal. Nach dieser umwerfend pr�zisen Behauptung wartete Wilson �hnlich wie Josef Kraus mit einer dieser kuriosen Prozentangaben auf, von denen niemand wei�, wie sie eigentlich zustande kommen: "Bei registrierten W�hlern erkl�ren genetische Faktoren 60 Prozent des Unterschieds zwischen denjenigen, die w�hlen gehen, und denjenigen, die das nicht tun."
Jeremy Freese von der US-amerikanischen Northwestern University wiederum stellte eine Liste von 52 Charaktereigenschaften und Neigungen zusammen, die "teilweise erblich" sind, was immer dieses 'teilweise' auch bedeuten mag, das in solchen Kontexten stets herumvagabundiert.
Auf der Freese-Liste stehen zum Beispiel: kognitive F�higkeiten, Aggressivit�t, Heiratsneigung, Alter beim Vollzug des ersten Geschlechtsverkehrs, Bef�rwortung der Todesstrafe.
Die l�cherlich schmale Datenbasis, aufgrund derer solche Aussagen zusammengeschustert werden, stammt aus der Zwillingsforschung. Was den Evolutionsbiologen die Fruchtfliege ist, das sind den Sozialgenetikern die Zwillinge. Diese Vorliebe teilen sie mit den Rassehygienikern. Einer von ihnen war Otmar Freiherr von Verschuer. Er attestierte "Sippenwanderern", vulgo 'Zigeunern', politisch korrekt Sinti und Roma, eine "Unstetigkeit", die eine "psychische Erbeigenschaft" sei, vielleicht �hnlich den 52 Charaktereigenschaften von Jeremy Freese oder dem zum Teil psychologisch erkl�rbaren Sieger-Gen im Sinn der spekulativen Sportgenetik von Schlammerl und Laux.
1935 schrieb Verschuer in der Zeitschrift Der Erbarzt �ber den 'Urvater' aller Rassetheoretiker: "Gobineau hat mit genialem Griff die Rassenlehre auf die Politik angewandt." Comte de Gobineau ver�ffentlichte von 1853 bis 1856 den "Versuch �ber die Ungleichheit der Menschenrassen". Das bizarre Werk avancierte zu einer der ideologischen Inspirationsquellen der nationalsozialistischen Rassen- und Vernichtungspolitik.
In den ideologischen Rahmen der Rasse- und Erblehre wurde auch die Eugenik gespannt. Schon 1930 fragte Hans Luxenburger im Titel einer Schrift: Welche Folgerungen hat die Eugenik aus den Ergebnissen der psychiatrischen Erblichkeitsforschung zu ziehen? Seine Antwort lautet: Die Eugenik ist die Lehre "von der Wohlgezeugtheit des Individuums. Sie will erreichen, dass der ungezeugte Mensch wohlgezeugt sein wird im Sinne gr��tm�glicher biologischer Vollkommenheit."
Drei Generationen sp�ter, genau gesagt am 22. Dezember 2008, meldete dpa: "Eine Frau aus London erwartet das erste Baby Gro�britanniens, das nach einer genetischen Auswahl ohne Brustkrebs-Gen geboren werden soll." Nach einer k�nstlichen Befruchtung waren die entstandenen Embryonen einer Pr�implantationsdiagnostik (PID) unterzogen worden. Von den insgesamt elf in vitro erzeugten Embryonen wurden zwei zur Einpflanzung in die Geb�rmutter ausgew�hlt, denen trotz erblicher Vorbelastung die 'Brustkrebs-Gene' BRCA1 und BRCA2 fehlten. Ein Embryo reifte heran. Der ungezeugte Mensch als wohlgezeugt im Sinne gr��tm�glicher Vollkommenheit?
Die Selektion von Embryonen durch PID im England unserer Tage unterscheidet sich sachlich und ethisch von der Euthanasie behinderter Kinder im Deutschland w�hrend der Hitlerzeit. Die schlimme Last unseres historischen Erbes presst uns Aufmerksamkeit f�r alles ab, was uns am Tun der anderen an die eigenen Untaten erinnert. Reflexemp�rung f�hrt aber dazu, aus lauter Angst vor den rassehygienischen Verbrechen der Vergangenheit die anders gearteten biopolitischen Gefahren der Zukunft zu �bersehen.
So wurde auch in der dpa-Meldung gleich zu Anfang auf die ethische Problematik der in Deutschland verbotenen PID hingewiesen. Aber erst im allerletzten Satz wurde klargestellt, was es mit dem angeblichen 'Brustkrebs-Gen' wirklich auf sich hat: "Es wird davon ausgegangen, dass BRCA 1 und das verwandte BRCA 2 f�r rund f�nf bis zehn Prozent der Brustkrebserkrankungen verantwortlich sind." Anders herum: F�r 90 bis 95 Prozent der Brustkrebsf�lle ist nicht das 'Brustkrebs-Gen' die Ursache.
Das �ndert nichts an der Relevanz der BRCA-Gene f�r Menschen, die damit leben m�ssen. Eine entsprechende Diagnostik nicht schlankweg zu verwerfen, kann ethisch besser sein, als mit leichtfertig gutem Gewissen dem Problem einfach auszuweichen. Die Bedeutung, die solche Gene f�r die betroffenen Menschen haben, rechtfertigt jedoch weder sachlich noch ethisch die Instrumentalisierung dieser Einzelf�lle f�r eine allgemeine Gen-Promotion, die zusehends in Marketing �bergeht. Ihre tats�chliche medizinische Bedeutung wird von der symbolischen Bedeutung f�r das Gesch�ftsmodell Gentechnik weit �bertroffen. Derzeit l�uft bei der britischen Aufsichtsbeh�rde Human Fertilisation and Embryology Authority der Genehmigungsantrag f�r einen standardisierten PID-Test, der f�r 1 800 Euro in vitro erzeugte Embryonen auf genetische Defekte untersuchen soll.
Die Achillesferse des nackten Affen
Also schickt sich der Mensch an, statt der kulturellen Entwicklung, die ihm nach wie vor �ber den Kopf w�chst, die biologische Evolution in die Hand zu nehmen? Beginnt nun das Naschen vom Baum der Erkenntnis Wirkung zu zeigen und die Nachfahren von Eva und Adam zu bef�higen, nicht l�nger nur zu zeugen, sondern auch zu sch�pfen?
Das Schimpansen-Genom unterscheidet sich in der Abfolge der Gs und As, der Ts und Cs von dem unseren um h�chstens zwei Prozent. In Kafkas Bericht f�r eine Akademie erinnert ein zum Menschen umgeschulter Affe die Professoren daran: "Ihr Affentum, meine Herren, soferne Sie etwas Derartiges hinter sich haben, kann Ihnen nicht ferner sein als mir das meine. An der Ferse aber kitzelt es jeden, der hier auf Erden geht: den kleinen Schimpansen wie den gro�en Achilles."
Der Fersenkitzel der Darwinschen Kr�nkung, dass der Mensch zwar nicht 'direkt' vom Affen abstammt, jedoch zum Gestr�pp der Primatenverwandtschaft geh�rt, ist heute nur noch ein Nervenkitzel f�r Leute, die an die Genesis glauben statt an die Genetik. Aber was genau passiert eigentlich bei der Evolution? Ist sie ein -- je nach Sichtweise -- gl�cklicher beziehungsweise ungl�cklicher Zufallsprozess, an dessen Beginn nicht ein wissender und wollender Gott nach menschlichem Bild stand, sondern irgendeine neue Eiwei�verbindung?
So hat es der Evolutionsbiologe Axel Meyer wohltuend n�chtern in der FAZ erkl�rt: "Zuf�llig in den Genen auftretende Mutationen f�hren zu ver�nderten biochemischen Interaktionen von Genen und Proteinen, die schlie�lich manchmal auch in ver�nderten �u�eren Erscheinungsbildern der Organismen zum Ausdruck kommen." Also liegt es nicht 'in den Genen', sondern zwischen Genen und Proteinen, wenn es schon irgendwo liegen muss, dass es durch zuf�llige (!) Mutationen manchmal (!!) auch (!!!) zu Ver�nderungen kommt.
Die Evolution ist ein Prozess ohne Ziel, Sinn und Zweck, vor allem ist sie kein Lernprozess, in dem sich die 'Fitten' der Umwelt anpassen. Es geh�rt zu den Grunddogmen der Evolutionstheorie, dass erlernte F�higkeiten nicht vererbt werden.
Allerdings steht vor dem botanischen Garten in Paris ein Typ auf dem Sockel, der anderer Meinung war. Die Inschrift auf dem Sockel lautet "Begr�nder der Evolutionstheorie", und da sich das Denkmal in Paris befindet, ist damit nicht der Engl�nder Darwin gemeint, sondern der Franzose Jean-Baptiste Lamarque, der drei Generationen vor Dawin �ber die Entstehung der Arten nachdachte. Er vermutete, dass Individuen einer Spezies die Eigenschaften, die sie im Leben nicht brauchen, allm�hlich verlieren, w�hrend sie n�tzliche weiterentwickeln. Die Giraffe, glaubte er, hat deshalb einen langen Hals, weil sie ihn Generation um Generation nach immer h�heren Bl�ttern streckte.
Viele vern�nftige Menschen sprechen wie Darwinisten und denken wie Lamarque. In Tierfilmen werden Pfauenschw�nze und Pavian�rsche damit erkl�rt, dass damit die Weibchen beeindruckt werden sollen. Warum jedoch die Weibchen nicht einfarbige Kavaliershintern vorziehen und weniger eitle, daf�r beweglichere und �berlebensf�higere Radschl�ger, f�llt bei solchen pseudodarwinistischen, in Wahrheit lamarquianischen Deutungen als Problem gar nicht auf. Darwin selbst hat �brigens lange �ber die nicht sehr �berlebensfitte Befiederung des sogenannten starken Geschlechts beim Pfau gegr�belt.
F�r den Fall, dass Tierfilme nicht akzeptiert werden als Beweis f�r das �berleben der Ideen Lamarques im darwinistischen Mainstream, sei der Stern als weiterer Belastungszeuge aufgerufen. Anl�sslich des 200. Geburtstags von Darwin erkundigte er sich bei Axel Meyer in einem Interview: "Evolution geschieht durch Anpassung eines Lebewesens an seine Umwelt. Wie gelangt diese Ver�nderung ins Erbgut?" Axel Meyer antwortete: "So gefragt z�umt man das Pferd von hinten auf. Die Variation muss schon im Erbgut vorhanden sein. Dann wird selektiert." Weniger geduldig reformuliert: Die Gene sind eben keine Speicher, in die im �berlebenskampf erworbene F�higkeiten 'hineingelegt' werden. Erworbenes Verm�gen wird nur in der Gesellschaft vererbt, nicht in der Natur.
Trotzdem tr�sten sich die Menschen, zweckorientiert und sinnbed�rftig wie sie nun einmal sind, �ber die darwinistische Zumutung der Evolution als Zufallsprozess gern mit einem Schuss Zielgerichtetheit hinweg. Es ist, im Wortsinn, verr�ckt: W�hrend die kulturelle Evolution, die wirklich eher mit Lamarque beschreibbar w�re, mit darwinistischen Metaphern begriffen, besser gesagt: betatscht wird, mag man bei der nat�rlichen Evolution, der allein das darwinistische Modell angemessen ist, von lamarquianischen Illusionen nicht lassen. Die zur Diva angeschwollene Prinzessin der genetischen Alltagsweisheit f�hlt sich auf Mendels Erbsen immer noch nicht recht wohl.
"Was wir bergen in den S�rgen,
ist der Erde Kleid.
Doch der Gene Reigen, den die Enkel zeigen,
f�hrt zur Ewigkeit."
Das stand ebenso wie das Schlammerl-Interview und die Genomsequenz in der FAZ: im schwarzen Rahmen einer Todesanzeige.