Christian Schneider
Christian Schneider
Eurozine
Mittelweg 36
Mittelweg 36 1/2009
2009-02-24
Wozu Helden?
Stellen Sie sichDieser Text ist ein Vorabdruck aus: Eckhard Schinkel (Hrsg.), Die Heldenmaschine. Zur Tradition und Aktualität von Heldenbildern. Begleitband zur Tagung des LWL Industriemuseums, September 2008. folgende Szene vor -- sie hat sich tatsächlich ereignet: Ein junger, müde und abgerissen wirkender Mann betritt eine Kneipe. Er ist fremd hier, niemand kennt ihn, aber von seiner Erschöpfung, von seinem Auftritt geht eine gewisse Faszination aus. Desto mehr, als er sich danach erkundigt, ob in dieser Kneipe denn manchmal die Polizei vorbeischaue. Plötzlich hat die Erschöpfung für die anderen Kneipenbesucher eine Erklärung, einen Ursprung, eine Verortung: Der Fremde ist auf der Flucht, er muss sich vor der Polizei hüten. Also hat er ein Verbrechen begangen.
Nun geschieht zweierlei. Zum einen wird dem Fremden bedeutet: Nein, mit der Polizei habe man es hier nicht so, er sei an diesem Ort vor ihr sicher. Zum anderen beginnt eine vorsichtige Recherche, warum er die Polizei denn zu fürchten habe. Es beginnt eine Art Verbrechensquiz: Was er denn wohl auf dem Kerbholz habe?
Nach einer Weile, nachdem er alle möglichen Vorschläge und Nachfragen, was seine verbrecherische Tat denn gewesen sei, zurückgewiesen hat, rückt der Fremde schließlich damit heraus: Er habe seinen Vater erschlagen. Er gesteht das ohne Zwang. Aber er verbindet sein Geständnis mit einer schlichten Erzählung über die Gestalt des Vaters, die in eine Schilderung des Tathergangs mündet. Die Erzählung hat etwas Anrührendes. Sie lässt die Tat in einem Licht erscheinen, in dem sie irgendwie verständlich wird. Obwohl an der Grausigkeit des Verbrechens sich dadurch nichts ändert: Vatermord bleibt schließlich Vatermord.
Und nun geschieht das Erstaunliche. Statt dass die Kneipenbesucher erschreckt von diesem mörderischen Fremden abrücken, geht eine seltsame Woge der Sympathie durch den Raum. Nicht ohne Ambivalenz, aber es verbreitet sich fühlbar das Faszinosum der Gewalttat.
Am Ende dieses Abends engagiert der Kneipenwirt den Vatermörder als Schankhilfe, damit seine Tochter, die manche Nächte völlig allein den Laden schmeißen muss, einen potenten Aufpasser und Wächter hat. Und er tut es durchaus nicht gegen den Willen der Tochter. Denn sie hat sich zu diesem Zeitpunkt bereits in den Vatermörder verliebt. Für sie -- und die anderen -- ist er durch das Geständnis seiner außergewöhnlichen Tat zu einer Art Held geworden. Einer, in dessen Obhut sie sich mit gutem Gefühl begibt, weil sie weiß, dass er zu Außerordentlichem fähig ist. An seiner Seite wird sie keine ängstliche Nacht mehr in der Kneipe verbringen.
So weit zunächst einmal diese Geschichte aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts. Ihr Schauplatz ist Irland. Und sie ist der Beginn einer neuzeitlichen Heldensaga, auf die ich am Ende meiner Bemerkungen zurückkommen werde.
Nehmen wir die Tatsache ernst, dass der junge Verbrecher nach dem Geständnis seiner Tat im Handumdrehen mit der Aura des Helden ausgestattet wird, dann ist er ein Held. Denn das ist zunächst die ebenso triviale wie fundamentale Erkenntnis, von der wir auszugehen haben: Helden entstehen durch den Akt der Zuschreibung, dadurch, dass sie als solche anerkannt werden. Heldentum wird zugesprochen, seine Prädikate können infolgedessen je nach der Instanz, die diese Zuschreibung vornimmt, wechseln. Daraus folgt, wiederum ebenso trivial wie fundamental: Niemand ist aus sich heraus ein Held. Zur Geburt des Helden gehören immer wenigstens drei Dinge: der Handelnde und seine -- außerordentliche -- Tat, ein Zeuge, der darüber berichtet, und ein Publikum, das dem Bericht, das der Erzählung lauscht.
Was ein Held ist, wird letztlich durch das soziale Koordinatensystem bestimmt, das die Tat bewertet und auf diesem Weg Heldentum definiert. So ist ein "Held der Arbeit", wie ihn die sozialistischen Staaten feierten, etwas anderes als ein Drachentöter. Und dieselbe Handlung, die einen hier zum Helden werden lässt, kann ihn dort, in einem anderen Koordinatensystem, zum Verbrecher oder Narren machen.
Gleichwohl ist der Versuch nicht unsinnig, nach Universalien des Helden zu fahnden, die ihm über die Zeiten und Systeme hinweg so etwas wie Identität verleihen. Denn die Grundstruktur des Helden, darüber wird leicht Einigkeit zu erzielen sein, besteht in der Übermenschlichkeit -- eine Qualität, die als Transzendenz des Menschlichen immer auch den Ruch der Un-Menschlichkeit hat. Der Held hebt sich von der Masse ab, weil er Dinge vollbringt, die das Handlungsvermögen "des Normalmenschen" übersteigen.
Nirgends wird das deutlicher ausgesprochen als in der ältesten literarischen Quelle unseres Kulturkreises. Homers Ilias ist der kanonische Grundtext zur Heldenthematik, die Mutter aller Heldenbeschreibung. Sie erfolgt bei Homer stets vor der Kontrastfolie der Masse. Die Masse, die Menge wiegt in der Ilias, gemessen an der Aktion des Helden, wenig. Sie ist, wie Gerhard Nebel es so schön ausdrückt, "leichter als eine Feder. Ein einziger Heros jagt, wenn die Stunde seiner Bewährung, seiner Aristie, geschlagen hat, Hunderte und Tausende vor sich her, die ihm denselben Widerstand leisten wie die Schafherde dem Löwen."Gerhard Nebel, Homer, Stuttgart 1959, S. 59. "Das Volk [...] liefert den wimmelnden Hintergrund, von dem sich der Held abhebt."Ebd., S. 60.
Held ist in diesem Sinne ein Übermensch, der aus dem Normalmenschlichen der Masse heraustritt. Er suspendiert menschliche Maßstäbe. Er übersteigt gewissermaßen das Leben -- und zitiert damit dessen Gegenteil. Mit einem Wort: Wer Held sagt, sagt automatisch Tod. Oder genauer: Mord. Denn die archaischste Schicht des Helden ist, dass er die grundlegende Zivilisationsbedingung, das Tötungsverbot, außer Kraft setzt.
Wie er das tut, mit welchen Motiven und welche begleitenden sekundären Regeln er dabei einhält oder verletzt, entscheidet über alles Weitere. Indes gilt es festzuhalten: Das "Du sollst nicht töten", die späte christliche Rationalisierung eines uralten Kuhhandels zwischen den Menschen, gilt für den Helden nicht. Von ihm wird die Übertretung dieses fundamentalen Gebots geradezu verlangt. Dem Helden wird der Mord nicht etwa vergeben oder nachgesehen, er wird von ihm gefordert. Dies kann -- wie wir nicht nur aus dem Mythos, sondern sehr wohl aus der Geschichte wissen -- in verschiedenartiger Form geschehen und mit verschiedenen Sinngebungen verknüpft sein. Aber der Mord, die intentionale Auslöschung menschlichen Lebens, gehört auf der Tiefenebene seiner Bedeutung so konstitutiv zum Helden wie der Killerinstinkt zum Goalgetter.
Deshalb meine These: Helden werden in ungeheuerlichen, ja menschenwidrigen Taten geboren, die erzählt werden. Ohne Erzählung kein Held.
Das gilt in paradigmatischer Weise für jene Helden, deren Tat oder Untat (denn beides ist bei der heldenhaften Aktion nie ganz trennscharf) zugleich kulturstiftender Ursprung ist. Aus deren Tat eine bestimmte Kausalität folgt, die die Realität folgenreich umgestaltet. Der Held der Helden in dieser Spur ist kein Homerischer Krieger: Kein Achilleus oder Ajax, ja nicht einmal Odysseus. Sondern Ödipus. Auch er ist, wie jener junge irische Mann in der Kneipe, von dem ich eingangs erzählt habe, ein Vatermörder. Wenn auch ein unbewusster.
Dies indes ist die Bedingung der Tragik. Nie ist der tragische Held, dessen Reihe mit Ödipus beginnt, nur intentional Handelnder, immer ist er auch von einer geheimnisvollen vis a tergo bewegt, immer gibt es die Schicksalsbedingung, immer ein von ihm nicht gewolltes Moment seiner Aktion oder deren Umstände, immer eine über seine Person hinausreichende Symbolik, die in seiner Tat kenntlich wird und sie zugleich von Anfang an begleitet. Immer jedoch ist die Notwendigkeit der Tat gegeben.
Beim Homerischen Helden liegt diese Notwendigkeit auf der Hand. Er handelt für die Gemeinschaft, im Krieg gegen andere. Er verteidigt sie, auch wenn das in Form eines Angriffskriegs wie des Trojanischen geschieht. Diese "Gemeinschaftsbindung" seiner Tat ist der nicht hintergehbare Punkt seiner Legitimation. Die Gleichung Handeln für die Gemeinschaft = Legitimität des Handelnden ist unauflöslich.
Und bei Ödipus? Worin liegt die Notwendigkeit seiner Tat? Welche eigenartige Notwendigkeit kann das Verbrechen legitimieren, den eigenen Vater zu töten? Welche Not wird damit gewendet? Die Tat ist aus drei Gründen notwendig, die jeweils unterschiedlichen logischen Sphären angehören.
1.) Um dem Schicksal recht zu geben.
2.) Um das Schicksal zu sabotieren.
3.) Um den Fortschritt zu ermöglichen.
Im Einzelnen:
-- Die Weissagung -- Laios und Iokaste ist bekanntlich von höchster Orakelinstanz prophezeit worden, dass sie einen Sohn gebären werden, der den Vater erschlagen und der Mutter beiwohnen wird -- muss bestätigt werden, weil sonst das Weltbild zusammenbräche.
-- Die eigene Subjektivität eines als übernormal Handelnden muss sich durchsetzen, weil das dramatische Gesetz es verlangt.
-- Dieses jedoch ist nur das Abbild, insofern indes natürlich auch in mancher Hinsicht das Vorbild der Realität des Lebens. Die Subjektivität des Sohnes Ödipus muss sich in dieser deshalb durchsetzen, weil Erneuerung notwendig ist, um das Leben zu erhalten. Seine Tat/Untat ist die individualisierte Überhöhung des Konflikts zwischen biologischem Gattungsfortschritt und der kulturellen Entwicklung.
Die Tat ist also hinsichtlich ihrer Notwendigkeit dreifach kodiert: Notwendig nach dem Gesetz des Mythos, nach dem ästhetischen Gesetz des Dramas und schließlich nach dem Gesetz des Fortschritts, in dem sich Natur und Kultur konfliktuös verbinden: nach dem Gesetz des Erneuerungszyklus der Generationen.
Das heißt: Auch der ödipale, scheinbar asoziale Held leistet Notwendiges für die Gemeinschaft. Er hält sie entwicklungsfähig. Er vertritt rigoros das Neue, in dem er das Alte beseitigt. Er ist der Held des Fortschritts, und seine Tragik gründet zum Teil eben darin, dass er eine Verletzung der Gemeinschaftsnorm verantwortet, die jedoch notwendig ist, um diese Gemeinschaft zu erhalten: sie zu erhalten, indem er sie verändert, transzendiert, ihr neue Entwicklungsmöglichkeiten erschließt. Der ödipale Held ist eine Gestalt des Übergangs: Er repräsentiert, um mit Lévi-Strauss zu reden, die Logik "heißer" Kulturen, als ihr Vorläufer. Als ihr Vorläufer eben notfalls gegen das stationäre Gesetz "kalter Kulturen".
Das Schicksal kalter Kulturen besteht ja darin, dass der Generationswechsel keine qualitative Erweiterung der Gemeinschaft bringt und -- man könnte fragen: deshalb? -- so unmittelbar mit Gewalt verbunden sind, dass sie unlösbar an sie gebunden scheinen. In kalten Kulturen ist die Gewalt des Übergangs institutionalisiert, in Riten eingefroren. Bei genauerer Betrachtung stellt sich heraus, dass dies -- in schwächerer Form -- auch für heiße Kulturen gilt.
Held Ödipus exerziert das Gesetz der Generationsgewalt unter der zugleich milden und tückischen Bedingung, dass er nicht weiß, an wem er die Gewalttat vollbringt. Das verschafft ihm gewissermaßen mildernde Umstände. Deshalb ist er einerseits der Held par excellence -- andererseits eben kein klassischer Heros. Er wirkt in seiner gewalttätigen Handlung innerhalb seines Umfelds und verändert es, während der klassische kriegerische Heros das Innen dieses Umfelds nach außen verteidigt. Der ödipale Held zeigt paradigmatisch die inwendige Gewalt jeden kulturellen Übergangs, das Mörderische im scheinbar biologisch verbürgten Wechsel der Alterskohorten. Er ist der Repräsentant des "Heißen", gleichgültig in welcher Kultur. Er steht damit, anachronistisch und paradox, an der Schwelle von Antike und Moderne -- eine in sich unzeitgemäße Gestalt, die deshalb permanent Wiedergänger zeitigen wird.
Das ist auf der Ebene der Literatur interessant: Im Gegensatz zum Homerischen Kriegshelden, der über die Jahrhunderte und Systeme hinweg immer wieder literarische Erneuerungen erlebt, die als kaum substanziell variierte Wiederholungen der klassischen Vorbilder funktionieren, ist der Held in der Spur des Ödipus ein role model, das sich eigentlich nicht recht zur Reproduktion eignet. Als einer, der zwischen den Zeiten steht wie der Kierkegaardsche Ironiker, muss er über die Jahrhunderte stets neu erfunden, variiert und entdeckt werden: mal als Hamlet, dem die Handlungshemmung den Heldenstatus versaut, mal als Jaromir in Grillparzers "Ahnfrau", mal als ambivalenter Held der Moderne in Gestalt der Freudschen Exegese von Sophokles. Möglicherweise hat der paradigmatische Held des Sophokleischen Dramas heute nicht in der dramatischen Literatur, sondern in einem Theorieentwurf sein bestes Habitat gefunden. Er lebt fort im Ödipus-Komplex und, wenn man Freud folgt, damit höchst praktisch in unser aller Leben.
Es ist also wahrlich nicht leicht mit den Helden. Ihre psychische Substruktur basiert auf etwas, das wir alle teilen. Ihre Performanz ist dagegen etwas Exklusives. Helden bringen das Leben voran -- um den Preis des Todes. Sie repräsentieren die Transzendenz, die Selbstüberschreitung, ohne deren Möglichkeit Leben nicht lohnt. Helden sind im Gegensatz zu Göttern, den Gestalten der Transzendenz, Figuren der Transzendierung. Sie zeigen im Modus des Werdens, was als transzendentes Sein den Gegensatz zum Menschen bildet. Auch das gilt seit Homer. Homers "Herrenmenschentum", so wiederum Gerhard Nebel, gründe darin, dass "der Hörer nicht in den Massenmenschen, sondern in den Heros einsteigt -- nur der Heros bietet die Gelegenheit, das dürftige Jetzt zu verlassen und, sei es in den Anfang, sei es in eine stärkere Zeit, hinüberzuwechseln. Der Blick der Götter streift die Völker nur um des Heros willen."Ebd., S. 61.
Helden sind, auch diese Trivialität gehört ausgesprochen, Identifizierungsgestalten. Sie bieten Identifizierungsmöglichkeiten, und zwar solche, ohne die es kein kollektives Leben, keinen validen Gemeinschaftsentwurf gibt. Denn Gemeinschaften haben zwei wesentliche Bestandsprobleme: 1.) das der Selbsterhaltung und 2.) das der Selbsttranszendierung. Das erste pflegen wir in ökonomischen und politischen Kategorien zu denken, das zweite in sozialen und psychologischen -- was zur Folge hat, dass es in seiner dringlichen Bedeutung meist unterschätzt wird. Alle bekannten menschlichen Gemeinschaften basieren indes darauf, dass sie Möglichkeiten bereithalten, ihre Grenzen, ihr Gesetz zu überschreitenDas ist in der Tönniesschen Konzeption von Gemeinschaft und Gesellschaft impliziert -- und doch meist falsch verstanden worden. Insbesondere in der Zeit nach dem gemeinschaftshubernden Nationalsozialismus wurde der Gemeinschaftsbegriff als vermeintlich archaisierende Konzeption auf den Index soziologischer Begriffe gesetzt.. Gemeinschaften, die keine inwendige Transzendenzstruktur haben, können als solche nicht überleben. Es gibt kein (kollektives) Leben jenseits der Möglichkeit seiner Überwindung, der Erneuerung. Und das heißt: Es gibt kein kollektives Leben ohne exemplarische Gestalten der Transzendierung oder, im hier entworfenen Sprachspiel, ohne Helden.
Zugespitzt bedeutet das die These: Ohne Helden, d. h. ohne die gemeinschaftlich lizenzierte Möglichkeit, durch außergewöhnliche Taten Held zu werden und ohne eine solide Erzählung, die genau dies zum Thema hat, gibt es kein hinreichendes Kohärenzschema für das Zusammenleben von Menschen.
Auch das übrigens ist Gegenstand der Ilias: Sie zeigt die Wurzeln und die grundsätzlichen Gesetze der Freundschaft als Keimform des sozialen Zusammenhalts, der Solidarität. Sie führt uns -- in der Gestalt des Helden -- aber auch ihre affektiven Grenzen vor Augen.
Kommen wir noch einmal auf die von Gerhard Nebel hervorgehobene Aristie, die Aristeia, zurück. Sie ist das Coming-out des Helden, seine wesentliche Performanz. In ihr zeigt sich seine Unwiderstehlichkeit, d.h. sein Transzendierungspotential, das es ihm ermöglicht, sich über das menschliche Maß zu erheben. Wie zweischneidig das ist, erleben wir in der entscheidenden Aristie des Buches, der des Achilleus. Er durchlebt sie bekanntlich nach dem Tod des geliebten Freundes Patroklos -- jedoch in einer bemerkenswerten Doppeldeutigkeit: "Also wütete rings mit dem Speer Achill wie ein Dämon." (XX, 493) Seine Aristeia ist vom Affekt untergraben und verzerrt: Seine Wut, sein Schmerz, seine Trauer sind so groß, dass er unmenschlich wird. Das heißt er gerät in die Ambivalenzfalle der Selbsttranszendenz des Helden: die Überschreitung des menschlichen Maßes als Überschreitung des Humanen. Achilleus jedenfalls verletzt in seinem heldenhaften Rasen die elementaren Gesetze der Menschlichkeit -- mit dem schauerlichen Höhepunkt der Schändung von Hektors Leichnam, d.h. einem basalen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Achilleus begeht seine Heldentaten im Zustand der Raserei, ein Zustand, aus dem er offenbar auch nach vollbrachter Tat nicht mehr herausfindet. Für diesen Zustand gibt es einen Terminus technicus: das Berserkertum. Der altnordische Begriff Berserker bezeichnet "die rasenden Krieger, die in einer götterähnlichen [...] Wut nackt oder ohne Rüstung in die Schlacht zogen."Jonathan Shay, Achill in Vietnam, Kampftrauma und Persönlichkeitsverlust, Hamburg 1998, S. 119.
So altnordisch der Begriff auch sein mag, er hat eine erstaunliche Spätkarriere in der Moderne erlebt. Der New Yorker Psychiater Jonathan Shay benutzt diesen Begriff, um einen psychischen Ausnahmezustand zu beschreiben, den er bei seiner Arbeit mit kriegstraumatisierten Vietnamveteranen studiert hat. Und -- das ist die eminente Pointe -- er hat die Beschreibungen dieser Berserkerwut, die ihm seine Patienten gaben, en détail in der Darstellung der Ilias wiedergefunden. "Der Soldat, der allein und auf eigene Faust den Feind vernichtet, befindet sich zum Zeitpunkt seiner außergewöhnlichen Taten oftmals in einem besonderen Zustande des Geistes und des Körpers und ist aller gesellschaftlichen Beziehung ledig. Solche Männer werden von ihren Kommandeuren häufig für ðdie BestenÐ gehalten und als Helden ausgezeichnet."Ebd.
Wie bei Homers Beschreibung der Aristie Achills befinden sich diese "Helden" in einem psychischen Ausnahmezustand, in dem sie ihre Menschlichkeit verlieren. In den Worten von Shay: "Ein bestialischer Gott und eine göttliche Bestie traten an die Stelle der menschlichen Identität." Shay hat eine Liste der Merkmale des Berserkerstatus zusammengestellt -- und zwar nach den Berichten der Veteranen und der Beschreibung der Ilias. Sie sind identisch.
Wie ein Tier sein -- Heftige Erregung
Wie ein Gott sein -- Keine Unterscheidungsfähigkeit
Soziale Isolation
Verrückt, wahnsinnig, irre; wütend -- Unbekümmertheit, das Gefühl, nicht verwundbar zu sein
Grausam ohne Hemmung oder Unterscheidungsvermögen -- Erregt, berauscht, rasend; kalt, indifferent
Unersättlichkeit -- Kein Schmerzempfinden
Furchtlosigkeit -- Misstrauisch gegenüber Freunden
Keine Rücksichtnahme
auf die eigene Sicherheit
Ich will hier nur in aller gebotenen Kürze auf die ersten beiden Merkmale eingehen: "Wie ein Tier sein", "Wie ein Gott sein". Beides wird in der Ilias -- und eben auch von den Veteranen -- ausführlich beschrieben. Es stellt die beiden basalen Modi dar, in denen das Menschliche verlassen wird: im Tier als Akt der Unterschreitung, im Gott als Überschreitung des Menschlichen.
Der Held steht an der Grenzlinie dieser Transzendierungen. Achilleus, der exemplarische Ur-Held, wird in seiner Aristie zugleich zum Berserker. Er, der im sechsten Gesang ausgerechnet von Andromache, Hektors Frau, für seinen Respekt gegenüber dem Feind und den Toten gerühmt wird, verliert in der Berserker-Aristie seine Menschlichkeit. Man kann deshalb die Ilias, wie Shay, als "die Geschichte der Zerstörung von Achills Charakter"Ebd., S. 62. lesen. Der Ausnahmezustand zerstört seine Tugend, der Berserker tötet den Helden. Die Grenzlinie zwischen beiden, dem Helden und dem Berserker, ist in der Ilias nicht eindeutig. Eindeutig hingegen die "moralische" Verurteilung des zum Berserker pervertierten Helden Achilleus. Des, wie es im 24. Gesang heißt, "argen Achilleus,
Dessen Herz mißachtend nur ist und dessen Gesinnung
Nie sich fügt in der Brust; er denkt wie der Löwe nur Wildes,
Der, gereizt von gewaltiger Kraft und trotziger Kühnheit,
Ein in die Herden der Sterblichen dringt, sich ein Mahl zu
erbeuten -- So hat Achill das Erbarmen verloren; es fehlt
ihm die Achtung." (XXIV, 39f.)
Der zum Berserker pervertierte Held hat mit dem Erbarmen die Menschlichkeit verloren. Der letzte, der 24. Gesang der Ilias dreht sich nur darum, wie sie zurückerlangt werden könne. Wie, so könnte man sagen, aus dem Berserker wieder der Held werden kann. Womit, nebenbei bemerkt, untergründig das Thema des zweiten großen Homerischen Epos anklingt: die Rückkehr des Kriegshelden und seine Beheimatung im zivilen Leben, seine "Wiedereinbürgerung". Das Schicksal des Helden ist immer, dass er sich in eine eigene Sphäre begeben hat, aus der es nur schwer ein Zurück gibt. Er wird das Opfer seiner Selbsttranszendenz.
Jonathan Shay zeigt eindrucksvoll, wie schwierig es ist, den Berserker -- wir sagen modern dazu: den Kriegstraumatisierten -- wieder ins menschliche Maß zurückzuholen; und wie wichtig es ist, das Heldenhafte anzuerkennen: in seiner ganzen Ambivalenz anzuerkennen. Er zeigt detailliert die Verletzungen, die nicht nur die Vietnamkämpfer davongetragen haben, sondern die das kollektive Trauma der amerikanischen Gesellschaft ausmachen, die nicht fähig war, mit den Veteranen eines verlorenen Kriegs umzugehen.
Wir Deutschen kennen dieses Problem in potenzierter Form und sind deshalb gebrannte Kinder in der Frage von Helden und Heldentaten. Denn die "Kriegshelden", die wir in Erinnerung haben, die Soldaten des Zweiten Weltkriegs, sind tief diskreditiert. Spätestens seit der berühmten "Wehrmachtsausstellung" des Hamburger Instituts für Sozialforschung gibt es praktisch keinen "unschuldigen Helden" aus dieser Traditionslinie mehr. Über allen Teilnehmern des "totalen Kriegs" lastet der Verdacht, an Verbrechen beteiligt gewesen zu sein, an denen gemessen Achilleus' Raserei sich wie eine kindliche Trotzhandlung ausnimmt. "Soldat" und "Held" bilden heute eine disjunktive Beziehung, und den Begriff "Krieger" nehmen wir nur ausnahmsweise, vorsichtig und vorzüglich in Wortkombinationen in den Mund: im Falle der Kriegerwitwen etwa oder der Kriegerdenkmäler. Beides lebt von einem unheimlichen Vergangenheitsbezug. Wie können wir zwischen den Kriegern und den Tätern unterscheiden? Welche Rolle könnten in diesem verminten Feld noch Helden spielen? Genau diese Differenzierungsaufgabe steht uns jedoch ins Haus, wenn wir die Vergangenheit als Teil unseres Lebens und unserer generationellen Prägung begreifen wollen. Die Dimension des Täters eröffnet eine neue Perspektive innerhalb des Feldes, für das die Begriffe Held und Berserker stehen.
Schauen wir mit Homer und Shay auf den Ausnahmezustand Krieg, dann kann man eine neue Bedeutungsebene des Helden herauspräparieren: Wir brauchen Helden nicht nur als Kontrastkategorie zu den Berserkern. Wir brauchen sie als Gegentypus zu den Tätern. Denn die Produktion von Berserkern scheint dem Handlungsfeld Krieg immanent, nicht notwendig indes die von Tätern. Wir müssen unterscheiden lernen zwischen dem "Kriegshelden", der nach den Regeln der modernen Kriegführung immer bessere Chancen bekommt, mit dem Berserker zu verschmelzen, und dem Täter, der post factum juristisch als "Kriegsverbrecher " kodifiziert wird. Einiges spricht dafür, dass der neue Typus des Kriegshelden etwas mit Resistenz zu tun hat. Er widersteht Zumutungen -- nicht nur solchen "in der Schlacht". Alexander Mitscherlich hat in zweifellos idealisierender Weise versucht, einen Unterschied zwischen den deutschen und den englischen Soldaten des Zweiten Weltkriegs zu zeichnen, der auf die verschiedenen Autoritätsstrukturen der jeweiligen Gesellschaften zurückgehe. Bei Anordnungen, die gegen Menschenrecht oder auch nur das individuelle Rechtsempfinden verstießen, imputierte er dem englischen Soldaten im Kontrast zum deutschen die Nachfrage: "May I see your orders, Sir?" Dies ist, wie gesagt, aller Wahrscheinlichkeit nach eine haltlose Idealisierung.
Aber auch ein Ideal. Sein Träger wäre ein Held neuen Typs. Der möglicherweise einiges mit dem "zivilen Helden" zu tun hat, dessen antikes role model Ödipus ist. Denn Ödipus, zweifellos ebenfalls ein Mörder und -- weiß man um das Objekt seiner Tat -- scheinbar ein besonders ruchloser, hat die Kraft der Frage, die Reflexion auf seiner Seite. Ödipus ist der Held, der von seiner Tat eingeholt wird, der nachträglich Tat und Bewertung zu trennen lernt. Er ist der erste Vollstrecker einer Gewalttat, der über sie nachdenkt und retrospektiv ein Gefühl mit ihr verknüpft.
Wann etwa haben die Homerischen Helden Gefühle? Wenn ihnen ein Kamerad stirbt oder wenn ihnen ein Unrecht geschieht: eine Trophäe nicht gewährt, ihnen Anerkennung versagt wird. Ihre kriegerischen Bluttaten reflektieren sie nie. Auch der erste Held, der nach dem Krieg Leiden und Irrungen anderer Art zu bestehen hat, Odysseus, mag sein Schicksal bedenken, nicht aber seine Taten. Der Erste, der in seiner Tat eine Untat erkennt, ist Ödipus. Er hat sich an seinem Ursprung vergangen. Insofern sind Quelle und Grund seiner Gewalttat andere als beim Krieger. Alles Töten im Krieg ist typologisch gesehen synchron und exogen: Es geschieht hier und jetzt und richtet sich gegen "die Anderen ".Was dem widerspricht, kompliziert die Lage. Diomedes und Glaukos etwa können, einander im Kampf erkennend, eine Freundschaftsbeziehung ihrer Vorfahren zum Anlass nehmen, mitten im Kampfgeschehen den Totschlag auszusetzen, einen privaten Waffenstillstand zu schaffen. Insofern kann die Tat inhibiert werden, wann immer sie jedoch geschieht, ist sie den Homerischen Helden kein Anlass des NachdenkensEinen Grenzfall stellt Ajax dar, der nicht ohne Grund von Sophokles ins Drama geholt wird. Seine Sinnesverwirrung, die ihn im Wahn die eigenen Leute angreifen und töten lässt, hat das Zeug für die dramatische Reflexion. Freilich ist der von Athene über ihn verhängte Wahn auch zugleich Bild der Lächerlichkeit: Statt der vermeinten Agamemnon und Odysseus hat er, verblendet, eine Herde Schafe gemeuchelt. Er hat sich also mit einer Verwirrung auseinanderzusetzen, mit einem fehlgeleiteten Wollen. Das Drama begleitet nicht seine Tat, sondern seine nachträgliche Pein, seine Scham..
Ödipus' Tat ist die Logik der Diachronie eingeschrieben, der prinzipiellen Nachträglichkeit, die alle Reflexion auszeichnet. Nicht jede Gewalt aber ist der Reflexion fähig. ÖdipusŒ Handlung ist ein Abkömmling jener mörderischen Gewalttat, die Freud in Totem und Tabu in seinem psychoanalytischen Mythos des Urvatermordes durch die Brüderhorde beschrieben hat. Diese Gewalt hat die "Nachträglichkeit" gewissermaßen zum Inhalt. Das Töten im Krieg ist Handwerk. Keiner der einzelnen Totschläge hat eine unmittelbare Konsequenz, nur ihre Summe, der "Sieg". Insofern sind die Taten der Helden individuell überhöhte Kollektivhandlungen. Anders der Urvatermord durch die Brüderhorde. Mag er nur als kollektive Handlung möglich sein, so liegt sein eigentlicher Sinn in der Individuation. Die Brüderhorde ist gewissermaßen die generationelle Ursuppe, aus der die Einzelnen als Subjekte hervorgehen können. Der ödipale Held vollbringt, individuiert und verblendet -- dasjenige, was die Brüder als schändliche und kulturstiftende Tat vormachten -- und zugleich vergessen machen wollten: die Übermacht der Genealogie zu brechen.
Ihre Tat war die Gründungsgewalt par excellence, die deshalb nur in Riten versteckt zur Erinnerung zugelassen wurde. Ödipus' Tat dagegen lässt sich in die Erinnerung einholen, oder besser: Er selbst wird, von ihr eingeholt, zu einem schmerzhaften Prozess der Selbstreflexion gezwungen, an deren Schlusspunkt die Anerkennung der Erkenntnis steht, die ihm der blinde Seher Teiresias vorgehalten hatte: "Der Mörder, den du suchst, bist du."
Ödipus' Heldentat ist die Repräsentanz der unauffälligen, der zu großen Teilen unbewussten Gewalt, die tatsächlich in jedes Generationsverhältnis einfließt. Und sie ist in ihrer Anerkennung zugleich die Repräsentanz der Kultur, deren Aufgabe es ist, die Gewalt zu binden, durch Darstellung zu transformierenDer britische Psychoanalytiker Christopher Bollas fasst diesen Sachverhalt lapidar. "Gewalt zwischen den Generationen ist für die Identität der Generationen notwendig. Und in der Tat können wir nur dann, wenn eine heranwachsende Generation die Ästhetik der vorausgehenden Generation deutlich verletzt, feststellen, dass eine neue Generation heranwächst." Das gilt nicht nur für die Ästhetik der Generationen, sondern für den gesamten Lebensentwurf. Vgl. Christopher Bollas, Genese der Persönlichkeit, Stuttgart 2000, S. 240.). Für die jüngere deutsche Geschichte lässt sich in diesem Kontext ein intergenerationeller Symbolschaden feststellen. Aufgrund der exzessiven Gewalt der Nazis hat die nachfolgende Generation, die der "Achtundsechziger", weder zwischen Helden und Tätern zu trennen vermocht, noch die ödipale Aufgabe des "Vatermords " in angemessen sublimierter Gestalt vollbringen können. Der Ereigniszusammenhang, für den sich die Chiffre "68" eingebürgert hat, muss tatsächlich als psychosoziale Weichenstellung verstanden werden, in der sich das aktuelle Bild des Helden -- inklusive der verbreiteten spontanen Abneigung gegen alles Heldische -- gebildet hat. Diese Abneigung gilt jedoch nur für bestimmte Heldenbilder. Denn 68 selbst hat neue Heroen und Heldengesänge geschaffen: darunter solche, die ganz explizit im Kontext des Vatermords stehen. Psychologisch gesehen gibt es keinen Zweifel daran, dass die mörderische Gewalt der RAF eine verfehlt vatermörderische war; verfehlt, weil sie in brutaler Weise das Gebot der Symbolisierung und Sublimierung unterlief, das uns allen in der Spur des Ödipus-Helden aufgegeben ist.
Das lässt mich, am Ende, auf jenen irischen Ödipus-Nachfolger zurückkommen, von dem ich eingangs erzählte. Der berichtete Fall ereignete sich 1907 -- auf der Theaterbühne. Und löste einen der größten Kunstskandale des 20. Jahrhunderts aus. Das Stück, dessen Anfang ich skizziert habe, heißt The Playboy of the Western World. Nicht ohne Ironie, dass die deutsche Übersetzung Der Held der westlichen Welt lautet. Und nicht ohne Konsequenz. Das wird deutlich, wenn man sich des Fortgangs der Handlung erinnert.
Ich habe jene grundlegende triadische Konstellation angesprochen, die für die Geburt des Helden nötig ist, nämlich der Handelnde, der erzählende Zeuge und das Publikum. Wenn wir die irische Kneipensituation betrachten, dann fällt unschwer auf, dass eine der drei notwendigen Zutaten, nämlich der Zeuge, fehlt. Der junge Vatermörder ist Täter, Zeuge und Erzähler in einem. Seine Tat ist insofern nicht beglaubigt. Und das spielt eine wichtige Rolle für den Fortgang der Geschichte.
Das Leben des gefeierten und bewunderten Kneipen-Helden ändert sich nämlich schlagartig, als ein Mann mit einem dicken, blutigen Kopfverband die Szene betritt. Es ist der Vater, der die mörderische Attacke des Sohnes überlebt hat.
Ohne jetzt die Einzelheiten der sich anschließenden Handlungsketten erzählen zu wollen, möchte ich nur das Wichtigste in aller Kürze skizzieren: Der gefeierte Held, der nach seinem abendlichen Coming-out in der Schenke einen festen Platz als local hero der Gemeinde ergattern konnte, stürzt ab. In den Augen seiner vormaligen Bewunderer ist er nun plötzlich ein Versager. Seinen Ruf kann er nur wiederherstellen, wenn er das Verbrechen tatsächlich zu Ende führt. Und so kommt es im Stück zu einem erneuten, öffentlichen Zweikampf zwischen Vater und Sohn, der mit der Wiederholung der Mordtat coram publico endet.
Ist jetzt wieder, makaber ausgedrückt, "alles im Lot"? Hat der Sohn wieder seinen Heldenstatus zurückgewonnen? Mitnichten. Vielmehr erfährt er jetzt offene Abscheu. Fehlte bei seiner ursprünglichen Kneipenerzählung der beglaubigende Zeuge, so gibt es nun Zeugen zu Hauf -- die Tat geschah ja öffentlich, vor aller Augen. Aber jetzt kommt die Differenz zwischen der Gewalttat und ihrer Erzählung ins Spiel. Der miterlebte Mord ist ein anderer als der erzählte. Und diese Differenz drückt sich im Status der Hauptperson aus. Der "Held", der aus der Erzählung der Tat geboren wurde, ist angesichts der vom Publikum erlebten Tat nichts anderes als ein Verbrecher.
So weit diese bemerkenswerte Inszenierung einer modernen "Heldengeschichte", die glänzend das Konstruktionsschema "des Helden" und unsere ambivalente Sehnsucht nach Heroen aufzeigt. Synges Stück besitzt dann noch einen Schlusspunkt und eine Pointe ganz eigener Art, die ich hier verschweige -- nicht nur, weil damit die Diskussion über den Status des Helden über den Punkt hinausgetrieben würde, den ich anvisiert habe. Die Ausgangsfrage war: Wozu Helden? Meine Schlussantwort ist lapidar: Weil wir sie brauchen. Weil wir sie brauchen, um einen Transzendenzentwurf unserer selbst zu haben; einen Orientierungs- und Projektionspunkt unserer Möglichkeiten -- kollektiv und individuell, im Positiven wie im Negativen. Helden bezeichnen die Grenzregion menschlichen Verhaltens. Und ohne Grenze gibt es keinen Maßstab und keinen Sinn. Ganz ähnlich, wie das Leben sinnlos wäre ohne den Tod.