Osteuropa
Osteuropa
2008-12-05
Heftbeschreibung Osteuropa 11/2008
Egbert Jahn
Neue Fronten nach dem Krieg
Russland, der Westen und die Zukunft im Südkaukasus
Der Krieg zwischen Georgien und Russland im August 2008 hat die Lage im Kaukasus drastisch verändert und die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen belastet. Russlands militärischer Erfolg könnte sich als Pyrrhussieg erweisen. Georgiens Westorientierung dürfte endgültig sein. Durch die neue strategische Lage ist Armenien geopolitisch isoliert. Es muss sich außenpolitisch neu orientieren. Dies bringt Bewegung in den Konflikt um Bergkarabach. Sollte Georgien in die NATO aufgenommen werden und der Westen auf der territorialen Integrität Georgiens beharren, müsste von einer rechtswidrigen Präsenz russischer Truppen auf NATO-Gebiet gesprochen werden. Eine Entschärfung der Lage ist nur dadurch zu erreichen, dass Russland die Unabhängigkeit des Kosovo und der Westen jene Südossetiens und Abchasiens anerkennen.
Angelika Nußberger
Der "Fünf-Tage-Krieg" vor Gericht
Russland, Georgien und das Völkerrecht
Der "Fünf-Tage-Krieg" zwischen Russland und Georgien ist Gegenstand einer Vielzahl von Verfahren vor internationalen Gerichten, die sich allerdings nur mit Einzelfragen wie Menschenrechtsverletzungen oder Verstößen gegen das Rassendiskriminierungsverbot befassen können. Die dem Konflikt zugrunde liegenden völkerrechtlichen Probleme sind sehr komplex und lassen keine eindimensionalen Antworten auf die Fragen nach Schuld und Verantwortung zu.
Mira Sovakar
Kein Frieden ohne Demokratie
Stimmen aus Georgien
Georgiens Öffentlichkeit ist in der Bewertung des Südossetien-Krieges vom August 2008 gespalten. Einige Stimmen stellen die Position der Regierung in Frage, der Militäreinsatz sei notwendig gewesen, um eine Invasion Russlands zu verhindern. Die Ereignisse werden von den Menschen in Südossetien, im georgischen Kerngebiet und in Abchasien unterschiedlich bewertet. Hier wie dort sehen vor allem zivilgesellschaftliche Akteure ihre Zukunft -- ob gemeinsam oder getrennt -- im Aufbau stabiler demokratischer Strukturen. Ohne diese ist es unmöglich, langfristige Stabilität und Frieden in der Region zu schaffen.
Aser Babajew
Weiterungen des Georgienkrieges
Bewegung im Konflikt um Bergkarabach
Der Südossetienkrieg hat ein Zeitfenster für die friedliche Lösung des Bergkarabach-Konflikts aufgestoßen. Armenien, der einzige Staat der Region, der die Unabhängigkeitsbestrebungen Bergkarabachs unterstützt, bleibt nach der Augustkrise isoliert und geschwächt zurück. Aserbaidschan, das die Integration Bergkarabachs in sein Staatsgebiet fordert, erklärt sich bereit, den Bergkarabach-Armeniern weitgehende Autonomie zu gewähren. Im Unterschied zur EU räumen die USA und Russland der territorialen Integrität Aserbaidschans seit dem Konflikt mehr Gewicht ein als zuvor.
Lilija Sevcova
Ende einer Epoche
Russlands Bruch mit dem Westen
Der Krieg um Südossetien hat das Ende einer Epoche in der postsowjetischen Geschichte Russlands besiegelt. Gorbacev hatte den Ost-West-Konflikt beendet und demokratische Reformen initiiert. Unter Putin und Medvedev sucht Moskau wieder die Konfrontation mit dem Westen. Alle Hoffnungen auf eine Integration Russlands in die Gemeinschaft der liberal-demokratischen Staaten müssen bis auf weiteres begraben werden. Erst nach dem unvermeidlichen Zusammenbruch des heutigen Regimes wird ein Neuanfang möglich sein.
Boris Dubin
Fernsehkrieg und echter Krieg
Russland: Der Kaukasus-Konflikt in den Köpfen
Die Mehrheit der Bevölkerung Russlands bezieht ihre Informationen über politische Ereignisse aus dem Fernsehen. Trotz weitverbreiteten Misstrauens gegen die staatlich kontrollierten Medien haben diese einen entscheidenden Einfluss auf die Haltung der Bürger zu den Nachbarn im Kaukasus. Im jüngsten Konflikt mit Georgien ließ sich so das sowjetische Modell der Mobilisierung gegen den äußeren Feind leicht aktivieren. Die Mehrheit der Menschen unterstützt das Vorgehen des Kreml. Allerdings plädiert über die Hälfte der Befragten für die Einschaltung internationaler Vermittler zur Konfliktlösung. Die Parallelen zu den Tschetschenienkriegen sehen dagegen nur wenige.
Gemma Pörzgen
Deutungskonflikt
Der Georgien-Krieg in deutschen Printmedien
Der Vorwurf einer einseitig, auf Russland-Kritik konzentrierten Berichterstattung deutscher Medien ist weit verbreitet und wurde jüngst während der Georgien-Krise im Sommer 2008 wieder erhoben. Doch wie eine Analyse von Bild, Spiegel, Frankfurter Allgemeine Zeitung und Süddeutsche Zeitung zeigt, war die journalistische Arbeit allein schon dieser vier Printmedien sehr unterschiedlich. Einen einheitlichen Tenor gab es nicht.
Otto Luchterhandt
Gescheiterte Gemeinschaft
Zur Geschichte Georgiens und Südossetiens
Nach der militärischen Niederlage im August 2008 hat Georgien die abtrünnigen Gebiete Südossetien und Abchasien wohl endgültig verloren. Dabei sprachen im Falle Südossetiens die naturräumlichen Bedingungen, die ethnische Siedlungsstruktur, die sozioökonomischen Verhältnisse sowie die Verwaltungsgeschichte gegen eine solche Entwicklung. Ein machtpolitischer Ausgleich zwischen Osseten und Georgiern auf der Grundlage einer konstitutionell verankerten Territorialautonomie wäre möglich gewesen. Diese Chance wurde verspielt.
Hella Engerer
Russlands Energieexporte
Potentiale, Strategien, Perspektiven
Russlands Erdöl- und Erdgasexporte sind von großer Bedeutung für die Energieversorgung Europas. Die künftige Höhe und Richtung der Lieferungen wird neben den Exportstrategien von der Energiepolitik Russlands abhängen. Die in Prognosen genannten Exportmengen können nur erreicht werden, wenn die Energieeffizienz in Russland steigt, Erdgas in Russland durch Kohle ersetzt wird, Preisregulierungen abgeschafft und erhebliche Investitionen im Energiesektor getätigt werden. Angesichts des Investitionsklimas in Russland und der Auswirkungen der Finanzkrise sind Zweifel angebracht.
Karlheinz Kasper
Megalopolis versus Provinz
Russlands Gegensätze im Roman
Provinzstädte, seit Mitte des 19. Jahrhunderts ein konstanter Topos der russischen Literatur, standen immer in einem Spannungsverhältnis zu den beiden Hauptstädten Moskau und St. Petersburg. Sie spiegelten die bürokratischen Hierarchien der Zentren, erschienen als Fluchtpunkt für Existenzen, die in der Großstadt gescheitert waren, oder als Hort erschreckender geistiger Beschränktheit. In jüngster Zeit nahmen einige Romane die Spannungen zwischen der Megalopolis Moskau und realen oder fiktiven Provinzorten in den Blick und legten eine kritische Gesellschaftsanalyse vor. Dazu gehören Sergeev i gorodok von Oleg Zajonckovskij, Matiss von Aleksandr Ilicevskij und Bluda i MUDO von Aleksej Ivanov.