Erich Klein
Wespennest
Eurozine
Wespennest
2004-07-07
Unsichtbare Denkmäler
Es gibt nichts auf der Welt, was so unsichtbar wäre wie Denkmäler. Sie werden doch zweifellos aufgestellt, um gesehen zu werden, ja geradezu, um die Aufmerksamkeit zu erregen; aber gleichzeitig sind sie durch irgendetwas gegen Aufmerksamkeit imprägniert, und diese rinnt Wassertropfen-auf-Ölbezug-artig an ihnen ab ... (...) Man muß ihnen täglich ausweichen oder kann ihren Sockel als Schutzinsel benützen, man bedient sich ihrer als Kompaß oder Distanzmesser, wenn man ihrem wohlbekannten Platz zustrebt, man empfindet sie wie einen Baum als Teil der Straßenkulisse und würde augenblicklich verwirrt stehen bleiben, wenn sie eines Morgens fehlen sollten ... (...) Sie verscheuchen geradezu das, was sie anziehen sollten. Man kann nicht sagen, wir bemerken sie nicht; man müßte sagen: sie entmerken uns, sie entziehen sich unseren Sinnen.
(Robert Musil, Denkmale)
Wenn es kein Denkmal der Kultur gibt, das nicht zugleich auch eines der Barbarei ist, so gilt auch die Umkehrung: kein Denkmal der Barbarei, das nicht auch eines der Kultur. Auf drastische Weise trifft das auf jene Denkmäler zu, die den Zeitraum 1938-1945, vom "Anschluss", der Eingliederung ins Dritte Reich, die Jahre österreichischer Nicht-Existenz als Staat bis zur Befreiung, zum Gegenstand haben. Wie schwierig eine nur symbolische Re-Integration des Zivilisationsbruches, als der Auschwitz bezeichnet wurde, in Österreich fiel, wird schon an der Zahl der Denkmäler deutlich, die im Zentrum von Wien, der ehemaligen Hauptstadt eines 54-Millionenreiches mit all ihren imperialen Zeichen, nach 1945 entstanden. Praktisch jedes Nachkriegsjahrzehnt brachte ein zentrales, ästhetisch der jeweils vorherrschenden politischen Ikonographie entsprechendes, und jedes Mal neu definiertes Holocaust-Denkmal hervor: das von den Sowjets schon im August 1945 errichtete Befreiungsdenkmal am Schwarzenbergplatz, das abwechselnd als Siegesdenkmal oder "Russendenkmal" bezeichnet wurde und dessen Existenz allein durch den Staatsvertrag garantiert wird; das Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus am Morzinplatz (vorwiegend der politischen Gegner), dem ehemaligen Standort der durch Kriegshandlungen zerstörten Gestapo-Zentrale; Alfred Hrdlickas umstrittenes "Mahnmal gegen Krieg und Faschismus", das schließlich durch ein - nicht weniger diskutiertes - Denkmal für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus im Jahr 2000 ergänzt wurde. Keines dieser Denkmäler vermochte das grundlegende Bild von Wien als ehemaliger Metropole der K. u. K. Monarchie in all ihrer imperialen Pracht abzulösen: Erzherzog Leopold, Prinz Eugen oder Maria Theresia dominieren den zentralen Platz der Stadt, den Heldenplatz, Sisi oder Johann Strauss deren Parkanlagen. Ein den nationalsozialistischen Verbrechen adäquates Ornament, das den Namen Dekonstruktion verdiente, wurde bislang nicht geschaffen, auch wenn Wien einst als die Welthauptstadt des therapeutischen Nihilismus angesehen wurde.
Die Erste Republik wurde am 12. November 1918 auf den Trümmern der ehemaligen K. u. K. Monarchie gegründet, der Name "Deutsch-Österreich" im Friedensvertrag von Saint-Germain zusammen mit dem beabsichtigten Anschluss an Deutschland untersagt. Schwere innenpolitische Konflikte zwischen rechtsextremer Heimwehr und austromarxistischem Schutzbund spalten das ab 1920 von der christlich-sozialen Partei allein regierte Land: Dem "schwarzen" Bund steht das sozialdemokratische "Rote Wien" der Hauptstadt gegenüber. Nach der dramatischen Auseinandersetzung des Jahres 1927, bei dem Regierungstruppen Demonstranten niederschießen - der Justizpalast wird dabei in Brand gesteckt -, kulminiert der Konflikt schließlich im Februar 1934 in einem Bürgerkrieg mit mehreren Hundert Toten. Im Juli 1934 wird Bundeskanzler Engelbert Dollfuß bei einem nationalsozialistischen Putschversuch ermordet. Vier Jahre später endet die "austrofaschistische" Diktatur des Ständestaates (Sozialdemokraten und Kommunisten sind ab 1934, die Nationalsozialisten ab 1933 verboten) unter dem außenpolitischen Druck Deutschlands. Damit auch die erst ansatzweise erfolgte ästhetische Neugestaltung einer katholisch-ständestaatlichen Gesellschaft, deren austriazistische Wurzeln für die spätere Zweite Republik und ihren neuen Patriotismus mit allen Mitteln nicht ohne Bedeutung sein werden. Am 13. März 1938 wird Österreich, nach dem Rücktritt des Bundeskanzlers Kurt Schuschnigg, der Ernennung des österreichischen Nationalsozialisten Arthur Seyß-Inquart (der beim Nürnberg Prozess zum Tod verurteilt und hingerichtet wurde) zum Bundeskanzler und nach dem Einmarsch deutscher Truppen ins Dritte Reich eingegliedert. Die im Spannungsfeld von progressiver sozialdemokratischer Anschlussromantik, rückwärts gewandtem, katholisch überhöhtem Ständestaat, kommunistischem Internationalismus und Nationalsozialismus untergegangene Erste Republik wird am 27. April 1945 als Zweite Republik wieder geboren. Der Anschluss war tot, wie es später Bundespräsident Schärf formulierte. Zwischen 1938 und 1945 wurden 65.000 österreichische Juden ermordet, 120.000 aus dem Land vertrieben, die Zahl der Opfer politischer Verfolgung und Ziviltoten betrug 60.000, 250.000 Österreicher sind im Krieg gefallen.
Die bis heute vielfach beschworene Verdrängung der nationalsozialistischen Vergangenheit, die auch eine Unterdrückung und Verfolgung von Österreichern durch Österreicher bedeutet, ist strukturell tief in der österreichischen Identität verwurzelt. Einerseits geschah das schon durch den Akt der Unabhängigkeitserklärung, den die von den Sowjets am 27. April 1945 eingesetzte Provisorische Regierung unter der Führung des Sozialdemokraten Karl Renner vollzog. Dort heißt es: "Angesichts der Tatsache, dass die nationalsozialistische Reichsregierung Adolf Hitlers kraft dieser völligen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Annexion des Landes das macht- und willenlos gemachte Volk Österreichs in einen sinn- und aussichtslosen Eroberungskrieg geführt hat, den kein Österreicher je gewollt hat, jemals vorauszusetzen oder gutzuheißen instand gesetzt war, zur Bekriegung von Völkern, gegen die kein wahrer Österreicher jemals Gefühle der Feindschaft oder des Hasses gehegt hat" wird "die Unabhängigkeit Österreichs proklamiert" und der Anschluss für "null und nichtig" erklärt. Ein zweites Moment der durchaus gebotenen Entsorgung der Vergangenheit des Nationalsozialismus stellt die extensive Interpretation der "Moskauer Deklaration" der Alliierten aus dem Jahr 1943 dar, in der Österreich als "erstes Opfer Hitlerscher Aggression" bezeichnet worden war. Dass diese Deklaration als Aufforderung zum (wie sich herausstellte, zahlenmäßig nicht sehr großen) Widerstand gemeint war, steht auf einem anderen Blatt; und schließlich wurde die Kultivierung des österreichischen Opferbewusstseins durch den so genannten "Lagerstraßenkonsens" noch überhöht. Gemeint ist damit die Überwindung jener ideologischen Gegensätze aus der Zeit des Bürgerkriegs, die von den Vertretern der politischen Eliten in den Konzentrationslagern der Nazis vollzogen wurde. Nur nebenbei sei darauf hingewiesen: Dass es sich beim Konzentrationslager Mauthausen ursprünglich um einen Steinbruch im Besitz der Stadt Wien gehandelt hatte, wurde nach '45 diskret vergessen, weil die Verbindung von Zwangsarbeit mit einem realen Ort samt realen Lebens- und Todesbedingungen ein ungünstiges Licht auf die (bei aller Verschiedenheit) weiter bestehenden Verhältnisse hätte werfen können: diesseits der üblichen Dämonisierung der Naziverbrechen. Es ist kein Zufall, dass Christoph Ransmayr in seinem großen Österreich-Roman Morbus Kitahara das ehemalige KZ zum Schauplatz seiner aus dem Geist eines surrealen Katholizismus erwachsenden Vergeltungsaktion gewählt hat.
Der Neubeginn, Österreichs Konstruktion als Nation, findet in Orten der Erinnerung und in Denkmälern auf recht bezeichnende Weise Ausdruck: Eines der diesbezüglich wichtigen Monumente, Alfred Hrdlickas "Mahnmal gegen Krieg und Faschismus" auf dem Platz vor der Albertina ist ein schon spätes Beispiel aus den 1980er Jahren: Dessen vielfach kritisierte Österreich-Apologie (die provisorische Unabhängigkeitserklärung aus dem April 1945 in einen monumentalen Block aus Mauthausner Granit gemeiselt) verstellt leider den Blick auf den in diesem Denkmal unternommenen Versuch, von den Opfern her eine neue ästhetische Lösung der Frage nach einem staatstragenden Denkmal zu erreichen. Wie berechtigt der Einwand ist, dass es sich bei der zentralen Figur des Straße waschenden Juden - von Hrdlicka einerseits als kritischer Hinweis auf die Mittäterschaft der Österreicher im Nationalsozialismus gemeint und andererseits als ästhetisches Maximum der Darstellbarkeit der Verbrechen verstanden - um eine Verewigung der Erniedrigung der Juden handelt, sei dahingestellt, die Komplexität des Problems wird dabei jedenfalls drastisch vor Augen geführt. Da ein Freiheitsdenkmal in der "Stunde Null" des Jahre 1945 nicht möglich war und das Russendenkmal aus unterschiedlichsten Gründen nicht geeignet schien, erfolgte die Darstellung der Freiheit auf höchst traditionelle Weise. Im symbolisch markanten Bereich des Parlaments trifft man auf eine Reihe von Denkmälern für Präsidenten, Kanzler und Bürgermeister: von Karl Renner und Julius Raab über Theodor Körner und Adolf Schärf bis hin zu Leopold Figl. Auf ästhetisch gemäßigt moderne Weise erfolgte die Einschreibung dieser "großen Österreicher" in das Stilgemisch der Ringstraße und in die traditionelle Herrschaftsdarstellung von Männern, die Geschichte machen. Warum diese Schöpfer eines neuen Österreich trotz aller Monumentalisierung weitgehend dem Vergessen anheim gefallen sind, hat mit einem anderen Umstand zu tun. Selbst ihre Erbauer scheinen nicht mehr so genau zu wissen, was der gebotene Umgang damit sei. Dem Gesetz über die Entnazifizierung entsprechend wurde im Jahr 1947 die beträchtliche Anzahl von 700.000 ehemaligen Parteimitgliedern registriert, 8 Prozent der Bevölkerung war das Wahlrecht entzogen; 40.000 so genannte Ehemalige wurden von Volksgerichtshöfen verurteilt, wobei auch 40 Todesurteile ausgesprochen und vollzogen wurden. Da sich die politischen österreichischen Eliten ihrerseits als Opfer der Nationalsozialisten legitimiert sahen, die neue österreichische Identität zu schaffen, gingen sie aus machtpolitisch-pragmatischen Gründen daran, die Vergangenheit aller Österreicher weißzuwaschen - um Wählerstimmen zu bekommen. Im Bewusstsein, Recht zu haben - die Parteien waren eine frühere Gründung als der neue Staat - wurde hier der Grundstein für jene "Schlitzigkeit der österreichischen Nachkriegsgeschichte" (Gerhard Jagschitz) gelegt, deren Zynismus Unsäglichkeiten wie die Bemerkung des sozialdemokratischen Innenministers Helmer über die Wiedergutmachung zu Tage förderten: "Ich bin dafür, die Sache in die Länge zu ziehen." Dass dies, wie der Schriftsteller Bernhard Schlink schreibt, eine "Fortsetzung der Schuld durch mangelnde rechtliche Verfolgung der nationalsozialistischen Verbrechen" (die von Österreichern in unglaublichem Maß begangen wurden) bedeutet, hat nicht nur die österreichische Zeitgeschichte unter Beweis gestellt. Die Diskussion um "Geschichtslüge" und "Lüge von der Geschichtslüge" der Republik ist bis heute unentschieden. Eine folgenreiche Verzerrung hat die mangelnde rechtlich-moralische Aufarbeitung der Vergangenheit auf jeden Fall bewirkt: Sie wirft ihre Schatten bis in die Tagespolitik. Dass die Geschichte auch über einen ästhetischen Aspekt verfügt, würde nur jemand für einen vernachlässigbaren Umstand halten, der Denkmäler als ein bloß sekundäres Überbau-Phänomen ansieht.
Denkmäler sind stumme Objekte, Orte der Erinnerung können als solche auch wieder verschwinden und - wie die im Fall der "Gründerväter" - in Vergessenheit geraten. Erst durch lebendigen Kontext beginnen sie zu sprechen. Ein solches Beispiel für den mehrdeutigen österreichischen Umgang mit dem Nationalsozialismus stellt die alljährliche Kranzniederlegung durch Bundeskanzler und Vertreter der Bundesregierung am 26. Oktober, dem Nationalfeiertag, beim Grabmal des unbekannten Soldaten im Äußeren Burgtor dar. Zwar ist der staatstragende Akt - wenn man den Fernsehbildern glaubt - nur eine routineartige Erfüllung eines Rituals in einem austrofaschistischen Ambiente. Als Geste ist er aber, bedenkt man, dass sich im selben Bauwerk die zentrale Gedenkstätte des österreichischen Widerstandes und des Freiheitskampfes befindet (die sich vor allem dadurch auszeichnet, dass sie niemand kennt), mehr als bezeichnend. Der sozusagen unbekannte Widerstandskämpfer bleibt tatsächlich ein namenloser - obschon 2700 Österreicher als aktive Widerständler von den Nationalsozialisten hingerichtet wurden. Insgesamt fielen 16.000 Menschen dem nationalsozialistische Terror aus politischen Gründen zum Opfer, den zahlenmäßig größten Anteil haben dabei mit 6300 Festgenommenen die Kommunisten. Die Kranzniederlegung am Grab des unbekannten Soldaten ist in Anbetracht der Nachbarschaft zum Heldenplatz und der Bilder von Hitlers Ansprache vom Balkon der Neuen Hofburg, in der er am 13. März 1938 den Anschluss "meiner Heimat an das Deutsche Reich" "vermeldete" und dabei von einer jubelnden, 300.000-köpfigen Menge von Wienern begrüßt wurde, von nicht geringer Bedeutung. Gedenken ist - ebenso wenig wie Denkmäler - nicht ortlos, vielmehr kann umgekehrt behauptet werden, dass erst die Denkmäler es sind, die Orte schaffen. Durch die Verbeugung vor dem Denkmal des unbekannten Soldaten wird dem gänzlich sinnlosen Tod im Zweiten Weltkrieg ein Rest an Sinn zuerkannt. Auf merkwürdige Weise entspricht dabei das formalisierte Ritual (das sakral überhöht wird, die Heldengedenkstätte ist zugleich eine Kapelle) der vielfach beschworenen Unfähigkeit zu trauern: Mit diesem Schlagwort war ja nicht die Unfähigkeit gemeint, Traurigkeit oder Betroffenheit zu zeigen, sondern die Unmöglichkeit, aufgrund der raschen Abwendung von der Geschichte des Krieges die Trauer über den Verlust des zuvor bewunderten Führers zu zeigen. Tatsächlich war keiner der 1,2 Millionen eingezogenen Österreicher ein Opfer für Österreich oder dessen Unabhängigkeit. Der Ausdruck "Verdrängung von Vergangenheit" macht gerade im Bezug auf die Teilnehmer des Krieges Sinn. Der Umstand, dass jeder Soldat, wie sehr er auch Wehrpflicht unterliegen und Befehlen unterstehen mag, mit der Tötung eines Gegners in jedem Fall Schuld auf sich lädt, mit der Fähigkeit aber, diese Schuld zu bekennen, seine Humanität unter Beweis stellt, (eine Grundfigur europäischer Kultur seit "König Ödipus"), gehört zu den in Österreich nur sehr selten geäußerten Wahrheiten. Dass etwa das Denkmal des Wiener Bürgermeisters und späteren Bundespräsidenten Theodor Körner vor dem Rathaus mit der Unterschrift versehen wurde, in seine Ära sei die Heimkehr Tausender Kriegsgefangener gefallen, mag diesen ehren, weist aber eigentlich auch nur darauf hin, dass für die Errichter des Denkmals 500.000 Kriegsgefangene ein gewichtiges Wählerpotenzial darstellten. Die Benennung eines Gemeindebaus nach dem Brigittenauer Feldwebel Anton Schmidt, der wegen seiner Rettung unzähliger Juden im Ghetto von den Nazis hingerichtet wurde und in Yad Vashem den Titel eines "Gerechten der Völker" bekam, ist ein Beispiel aus jüngster Zeit und stellt einen wichtigen Schritt in der Entwicklung der Gedenkkultur und des Umganges mit der Vergangenheit dar - vorausgesetzt, man hält Straßennamen und Platzbezeichnungen für bedeutsame Momente der Kultur des Erinnerns.
Der Würdigung individueller Verantwortung sei ein anderes Beispiel aus der Anfangszeit der Republik zur Seite gestellt, in dem Insubordination geradezu staatstragende Bedeutung erhielt: das neben dem Heidentor des Stephansdomes angebrachte Zeichen der Widerstandsbewegung O5 (eine Chiffre für "Österreich"; O und 5 für "E" als fünfter Buchstabe des Alphabets). Der Versuch von Offizieren der Wehrmacht, Vertretern dieser Widerstandsgruppe, im April 1945 Wien der angreifenden Roten Armee kampflos zu übergeben, wurde aufgedeckt: Major Biedermann, Hauptmann Huth und Oberleutnant Raschke wurden am 8. April 1945 auf Befehl des österreichischen SS-Sturmbannführers Otto Skorzeny öffentlich gehenkt. Während der Akt des Widerstandes zweifellos Hochachtung verdient, wurde das "O5"-Zeichen zusammen mit dessen Träger, dem in Trümmern liegenden Dom, dessen Wiedererrichtung ohnedies ein Symbol nationalen Wiederaufbaus darstellte, in der populären Geschichtsdarstellung zu nationaler Ehrenrettung und monumentaler Größe hochstilisiert. Damit konnte sich auch die Katholische Kirche identifizieren, die sich wie alle Teilbereiche der österreichischen Gesellschaft im Nationalsozialismus diskreditiert hatte: Durch das "Grüß Gott und Heil Hitler" des Wiener Erzbischofs Kardinal Innitzer, und vor allem durch die übermäßige Loyalität dem Regime gegenüber aus Gründen des Antibolschewismus, der sich scheinbar mit der Gegnerschaft der Kirche zum atheistischen Kommunismus überdeckte. Dass es daneben auch eine "beachtliche Märtyrerbilanz" (Ernst Hanisch) gab, ist weithin vergessen: 800 Priester wurden in Gefängnissen und Konzentrationslagern inhaftiert, 27 davon kamen ums Leben, 15 Priester wurden hingerichtet, über 1500 erhielten Predigtverbot. Die Statue des enthaupteten Kaplans Heinrich Meier in der Kirche St. Leopold in einem Wiener Außenbezirk ist ein Beispiel geradezu surrealer Denkmalkultur; das Barbarakreuz im Stephansdom, in dessen Sockel eine Urne mit Asche aus Auschwitz sowie Erde aus Mauthausen eingearbeitet sind, eines der eindringlichsten Formen des Gedenkens der Opfer des Nationalsozialismus in Österreich. Die Sakralisierung des von nationalsozialistischen Putschisten ermordeten Bundeskanzlers Schuschnigg zum "Märtyrerkanzler", wie man sie in der Minoritenkirche findet, wirkt heute bestenfalls befremdlich.
Der Holocaust, die Ermordung von 6 Millionen europäischen Juden stellt nicht nur das Zentrum nationalsozialistischer Herrschaft dar, dessen unmittelbar Österreich betreffender Teil, die Ermordung von 65.000 österreichischen Juden, weist auch eine Besonderheit auf. Sieht man einmal von österreichischen "Beiträgen" wie Karl Lueger, Hitlers "Lehrer" in politischem Antisemitismus als Massenbewegung, diesem selbst und der großen Anzahl von Österreichern in der Funktion von KZ-Leitern ab, stellt vor allem der Anschlusspogrom von 1938 in Wien eine drastische "Ouvertüre" des Folgenden dar. Selbst die nationalsozialistischen Besatzer verfolgten die rabiaten Exzesse der Wiener Antisemiten mit einem gewissen Erstaunen. "Ich war doch bis 38 in Österreich, und was ich da an Spießbürgergemeinheit und -niedertracht erlebt habe, ist schlechterdings unentschuldbar", schrieb der Schriftsteller Hermann Broch noch verhältnismäßig zurückhaltend über die Ereignisse. In der "Kristallnacht", dem Pogrom am 10. November 1938 wurden 27 Juden ermordet, es erfolgten unzählige Verhaftungen, 42 Synagogen wurden verwüstet und in Brand gesteckt. Unter den Erinnerungszeichen, die nach dem Krieg vor allem von der Israelitischen Kultusgemeinde an den Orten ehemaliger Synagogen angebracht wurden, sticht ganz besonders das in den 1990ern entstandene "Denkmal" des Leopoldstädter Tempels des Architekten Kohlbauer hervor: Mittels monumentaler Stahlsäulen erfolgt eine wuchtige Symbolisierung. Das entspricht dem Geist zur Abstraktion und gleichzeitiger konkreter Verortung, was gegenüber früherer Symbolisierung als ideale Form des Denkmales angesehen wird.
Für das Problem der Darstellung des "komplexen Vernichtungszusammenhanges" (Jürgen Habermas), das keine rein akademische Übung ist, sondern ein zentrales Problem des Begreifens und Vermittelns des Holocaust darstellt, wurden zahlreiche Formulierungen gefunden. Der auf Adolf Eichmann bezogene Ausdruck "Banalität des Bösen" - Eichmann als Inbegriff des teilnahmslosen, bürokratischen Organisators des Massenmordes - hat traurige und umstrittene Berühmtheit erlangt. Das von Eichmann in der "Stelle für Jüdische Auswanderung" entworfene "Wiener Modell" der Deportation der österreichischen Juden wurde in Wien erstmals angewandt. Eichmanns Stab befand sich in der Prinz-Eugen-Straße im heute nicht mehr vorhandenen, "arisierten" Palais Rothschild, das Zentrum der Ghettoisierung war ein Teil des zweiten Bezirks, der Leopoldstadt. Dorthin wurden - perfiderweise in "Zusammenarbeit" mit der dazu gezwungenen Kultusgemeinde - in rund um den Augarten gelegene Schulgebäude wie jenes in der Castellezgasse, der Sperlgasse, Karajangasse oder Miesbachgasse die Wiener Juden verbracht. Von diesen "Abwanderungs- und Sammellagern" aus erfolgte der Transport per Lastwagen vorwiegend zum Aspangbahnhof im 3. Bezirk. Nach einer ersten Deportation 1939 fuhren von hier ab Frühjahr 1941 hunderte Züge in polnische Kleinstädte zur weiteren Ghettoisierung oder direkt in Ghettos wie das von Lodz. Von dort erfolgte der Transport in Vernichtungslager wie Belzec, Sobibor oder Treblinka. Weitere Orte der Ermordung der österreichischen Juden sind die lettische Hauptstadt Riga und das weißrussische Minsk.
Der ästhetischen Darstellung des industrialisierten Massenmordes, der Symbolisierung durch Kunstwerke - wozu auch Denkmäler gehören - sind Grenzen gesetzt. Es gebe allzu viele "Gräber in den Lüften", bemerkte der Holocaustforscher Raul Hilberg einmal. Dass die Fotos einer vor einer Passstelle um Ausreiseerlaubnis angestellten Menschenschlange, die Bilder der Pogrome und vor allem jene von der Verladung von Wiener Juden in der Castellezgasse wohl die eindringlichsten "Denkmäler" darstellen, ist unbestreitbar. Dass aber auch in der immer breiter werdenden, explizit mit künstlerischen Mitteln arbeitenden Gedenkkultur Zurückhaltung angebracht ist, wie sie jene simplen Gedenktafeln etwa in der Castellezgasse oder der Gedenkstein am ehemaligen Aspangbahnhof darstellen, hat nicht zuletzt die Diskussion um das im Jahr 2000 eröffnete Denkmal von Rachel Whiteread am Judenplatz deutlich gemacht. Auch wenn in diesem Fall der Umstand, dass erst mehr als 50 Jahre nach Kriegsende und nach dem erstmaligen Hinweis eines österreichischen Bundeskanzlers auf österreichische Mitschuld eine zentrale Gedenkstätte für jüdische Opfer errichtete wurde, vorrangig ist - die Diskussionen über ästhetische Qualität, das Problem der Popularisierung des Holocaust birgt immer die Gefahr, dass eine rasch übersättigte Kulturindustrie die "Schlussstrichdebatte" führt. Dass es zugleich Fortschritte in der Erinnerungskultur gibt, zeigen die in den letzten Jahren auf Privatinitiative hin angebrachten Gedenktafeln, die an frühere Bewohner entweder "arisierter" Wohnungen oder an Vertriebene und Deportierte erinnern. Offizielles Gedenken, das immer Gefahr läuft, zum Ritual zu erstarren, wurde "privatisiert". Dass diese Form privater Vergangenheitsbewältigung jedoch nicht die Frage nach einer öffentlichen, großen Form der Repräsentation des Holocaust ersetzen kann, sollte dabei nicht vergessen werden. Ein diesbezüglich bezeichnendes Beispiel ist die vom britischen Stararchitekten Norman Foster geplante Verbauung der so genannten Aspanggründe. Ein Teil dieser künftigen Verbauungsfläche trägt seit Mitte der 1990er die Bezeichnung "Platz der Opfer der Deportation", es gibt auch einen - vermutlich in der unmittelbaren Nachkriegszeit von jenen Eisenbahnern, die die Deporation der Wiener Juden durchführten, gesetzten - Gedenkstein. Dass sich im Verbauungsplan nicht der geringste Hinweis darauf findet, legt zumindest den Schluss nahe, dass Denkmäler in vielen Fällen tatsächlich nur der politisch opportunen Außendarstellung dienen.
Abschließend sei auch auf ein paradoxes Grundproblem der konventionellen Denkmal- und Gedenkkultur hingewiesen: "Funktionieren" kann individuelles Gedenken eigentlich nur, wenn die Alltagswahrnehmung gleichsam zufällig und absichtslos beim Anblick einer Gedenktafel durchbrochen wird, und nicht durch das Vorzeichnen eines Weges für die Erinnerung. Gedenken hat persönlichen, immer auch fiktiven Charakter. Wie eine Ethik der Erinnerung unter Zuhilfenahme einer Gedenktafel und zugleich moderner elektronischer Medien beschaffen sein kann, zeigt der Fall von Kurt Mezei. 120 bis 140 aus "rassischen" Gründen verfolgte Personen haben den Nationalsozialismus im Untergrund als so genannte U-Boote in Wien überlebt. Kurt Mezei wurde mit sieben anderen wenige Stunden vor der Befreiung am 13. April 1945 verraten und von der SS in der Förstergasse erschossen. Daran erinnnert eine Gedenktafel. Mezeis Name findet man auf einem Grabstein am Neuen Israelitischen Friedhof, auf der Website des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes befindet sich sein Foto. Eine derartige Minimalbiografie ist zugleich Minimalbedingung des Gedenkens. Beim Versuch, den namenlosen Opfern Individualität zurückzugeben, wie dies zum Beispiel in der groß angelegten Aktion "A letter to the stars" im Jahr 2003 geschah, bei der Schulkinder ihren Brief an ein Opfer des Holocaust schrieben und mittels Luftballon in den Himmel steigen ließen, muss aber auch bedacht werden, dass Vergangenheitsbewältigung immer auch "die Sehnsucht nach dem Unmöglichen" bedeutet, das Vergangene so in Ordnung zu bringen, dass seine Erinnerung nicht mehr auf der Gegenwart lastet" (Bernhard Schlink). Jede neue Form der Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus muss sich dieser gewichtigen Tatsache bewusst sein.
Denkmäler laufen immer Gefahr, bloßes Alibi für eine vergessene Vergangenheit zu sein, museal zu werden. "In Erfüllung seiner Traditionspflicht verwechselte Wien Museumshaftigkeit mit Kultur und wurde zum Museum seiner selbst", schrieb Hermann Broch über das Wien der Welt um 1900. Museal bedeutet in diesem Zusammenhang nichts anderes als - aus jedem Lebenszusammenhang herausgelöst. Tatsächlich scheint aber gerade das der Normalfall zu sein, wenn sich jenseits tagespolitischer Polemik (und der ernüchternden Einsicht, dass - wenn überhaupt - gerade aus den Denkmälern am wenigsten moralische Handlungsanleitungen abzuleiten sind) herausstellt, dass es ein bestimmtes Denkmal zwar gibt, dieses aber niemand kennt. Während das Belvedere durch Unterzeichnung des Staatsvertrages zu einer säkularen Ikone der Zweiten Republik wurde, hat die an der Rückseite des Gebäudes im Schweizer Garten befindliche Stele kaum jemand gesehen. Die seit der Unterzeichnung entsorgte "Mitschuldklausel", die kritischerweise immer schon auf die Mitschuld Österreichs am Nationalsozialismus hinwies, ist dort in voller Länge in Marmor verewigt. Ihre Betrachter sind allerdings höchstens jene, die auf die Abfahrt der Autobusse warten, die vom angrenzenden Südbahnhof Richtung Balkan abfahren.