Wolfgang Kraushaar
Mittelweg 36
Mittelweg 36
2001-03-06
Gitarrenzertrümmerung
Gustav Metzger, die Idee des autodestruktiven Kunstwerks und deren Folgen in der Rockmusik
Ein Konflikt beim Monterey-Festival (1967)
18. Juni 1967, Monterey, Kalifornien. Hinter den Kulissen des ersten großen Open-Air-Konzertes bricht ein erbitterter Streit zwischen zwei Rockbands aus. Es geht um die Reihenfolge ihres Auftritts. Die Who wollen nicht nach der Jimi Hendrix Experience auftreten und diese nicht nach den Who Pete Townshend und Jimi Hendrix, die beiden Bandleader, stehen sich unversöhnlich gegenüber. Daß keiner dem anderen den Vortritt überlassen will, liegt keineswegs nur an Eitelkeit, sondern hat einen ganz handfesten Grund. Als Höhepunkt und Abschluß ihres Auftritts haben beide Bands einen an Dramatik kaum zu überbietenden Showeffekt vorgesehen: Sie wollen mit den eigenen Instrumenten ihre Musikanlage in Trümmer legen. Es ist klar, daß sich ein solches Schauspiel nicht vor ein und demselben Publikum wiederholen läßt. Um einen Ausweg zu finden, greift John Philips von The Mamas & the Papas schließlich zu einer Münze. Als Hendrix verliert, kündigt er trotzig an, daß er nun "alle Register" ziehen werde. Auf diese Weise kommt es zu einem der bizarrsten und aufsehenerregendsten Auftritte in der Geschichte der Rockmusik.
Zunächst ziehen die Who ihre Show ab und lassen - wie geplant - ihre Anlage als Trümmerhaufen zurück. Die Zuschauer sind völlig aus dem Häuschen. Sie wissen allerdings nicht, was sie noch erwartet.
Dann betritt Jimi Hendrix - von Brian Jones, dem Gitarristen der Rolling Stones, angekündigt - in roter Samthose, einem rüschenverzierten Pluderhemd, einer Federboa und hochgestecktem Haarschopf aufgedonnert wie eine Diva die Bühne. Die meisten Festivalbesucher stammen aus Haight Ashbury, der Hippie-Szene San Franciscos. Hendrix zieht ein wahres Feuerwerk ab. Noch virtuoser als sonst spielt er "Hey Joe", "Foxy Lady", "Can You See Me?" und das elegische "The Wind Cries Mary".Das Publikum ist in seinen Bann gezogen. Mama Cass und Janis Joplin sind völlig verzückt. Schließlich streift Hendrix seine Federboa ab und kommt zu "Wild Thing", seinem letzten Stück. Er bearbeitet seine Fender Stratocaster mit dem Arm, den Zähnen und der Zunge, er spielt auf dem Rücken und unter den Knien, er reitet auf seiner Gitarre herum und schlägt Purzelbäume mit ihr. Dann drischt er auf die Verstärkeranlage ein. Seine Körperbewegung ist äußerst gewalttätig, zugleich simuliert sie einen Geschlechtsakt. Schließlich rammt er den Gitarrenhals in eine der Boxen, zieht ihn wieder heraus und wirft das lädierte Instrument auf die Bühne. Seine beiden Begleitmusiker, Noel Redding am Baß und Mitch Mitchell am Schlagzeug, spielen immer noch weiter. Dann kniet Hendrix vor seiner Gitarre nieder, versprüht aus einer Ampulle Feuerzeugbenzin und zündet es an. Flammen schießen empor. Hendrix ergreift den Gitarrenhals und zertrümmert das noch brennende Instrument auf dem Boden. Reste davon wirft er - während das zur Klangcollage zerfallene Musikstück erstirbt - in die Menge.
Das Publikum ist schockiert. Die anfängliche Begeisterung ist in Entsetzen umgeschlagen. Die meisten starren wie gelähmt nach vorne - als könnten sie nicht begreifen, was geschehen ist. Erst dann kommt zögernd Beifall auf. Als die Band die Bühne verläßt, spielen sich tumultartige Szenen ab. Nico, die aus Deutschland stammende Sängerin der Velvet Underground, stürmt auf Hendrix zu und küßt ihn ab. Aus dem Gewühl der Organisatoren, Techniker, Presseleute, Musiker und Fans sind immer wieder einzelne zustimmende Kommentare zu hören.
Keiner ahnt, daß dieser Auftritt zugleich eine Allegorie auf den kometenhaften Aufstieg und Absturz eines Megastars ist. Mit Jimi Hendrix hat die Rockmusik eine einzigartige Kultfigur bekommen und ist zugleich in ihre heroisierend selbstdestruktive Phase eingetreten. Die Los Angeles Times schreibt am Tag darauf, als der schwarze Sänger und Gitarrist in Monterey die Bühne verlassen habe, sei ein Gerücht zur Legende geworden.
Langsam beginnt man zu begreifen, daß die traumhafte Virtuosität des Gitarrenspiels, die ans Artistische grenzenden Körperbewegungen, die mit Nachhall- und Rückkoppelungseffekten verfremdeten Klangmuster und die bis zur Selbstaufgabe inszenierte Destruktionsorgie eine Attacke auf die süßlich-harmonische Popmusik darstellen, wie sie in Kalifornien vor allem vom Chorgesang der Beach Boys verkörpert wird.
Der aus den USA stammende Hendrix ist erst auf dem Umweg über die innovative Londoner Musikszene zu dem außergewöhnlichen Musiker geworden, dem es auf ganz neuartige Weise gelang, Blues-, Rock- und Jazzelemente zu verschmelzen. Von dem Ex-Yardbird Chas Chandler in New York entdeckt, hatte er binnen weniger Wochen einen eigenen Stil entwickelt und mit seinen furiosen Riffs die talentiertesten britischen Rockgitarristen wie Jeff Beck, Eric Clapton und Pete Townshend auf sich aufmerksam gemacht. Den meisten von ihnen erging es wie Mike Bloomfield, einem jungen aufstrebenden amerikanischen Gitarristen, der seinen ersten Besuch eines Hendrix-Konzerts wie die Begegnung mit einem extragalaktischen Wesen erlebt hat: "Wasserstoffbomben explodierten, ferngesteuerte Raketen logen durch die Luft - ich kann den Sound gar nicht beschreiben, den er aus seinem Instrument herausholte ... Dieser Schlag traf mich mitten ins Gesicht, und ich wollte danach ein Jahr lang keine Gitarre mehr anfassen." Harry Shapiro / Caesar Glebbeek, Jimi Hendrix - Electric Gipsy, Köln 1993, S. 119. Kein Zweifel, die Unzulänglichkeit der Metaphern deutet an, wie gewalttätig, explosiv und bedrohlich der Hendrix-Sound nicht nur auf das Publikum, sondern insbesondere auch auf viele seiner Kollegen wirkte.
Als Hendrix im August 1969 in Woodstock mit "The Star Spangled Banner" die amerikanische Nationalhymne wie eine gegenkulturelle Klage mit unüberhörbaren elegisch-melancholischen Untertönen destruierte, griff er das Zerstörungsmotiv ein weiteres Mal auf und integrierte es in sein wohl aufsehenerregendstes Instrumentalstück. Diesmal wurde nicht mehr die Gitarre zerschmettert, sondern - als unmißverständliche Anklage gegen den Vietnamkrieg - das wichtigste nationale Emblem zerfetzt.
Trotz aller zur Schau gestellten Virtuosität bleibt der Name Hendrix in der Rockmusik untrennbar mit der Lust an der Zerstörung verknüpft. Der audiovisuelle Schockauftritt von Monterey, um dessen Wiederholung er immer wieder - nicht selten vergeblich - gebeten wurde, hat sich in den Köpfen als sensationslüsternes Bild vom Rock-Idol festgesetzt. Seine "Smash Hits", so der Titel einer seiner LPs, wurden mit dem Bild eines Gitarristen assoziiert, das die Klischees eines Verständnisses von Rockmusik bediente, das von Effekthascherei, Zerstörungsorgien und Vandalismus dominiert war.
Es war jedoch nicht Jimi Hendrix, der die Gitarrenzerstörung in die Rockmusik einführte, sondern sein Rivale um den Erstauftritt in Monterey.
Townshends Inspiration
Wie nicht wenige andere der herausragenden britischen Rockmusiker hatte auch Pete Townshend vor Beginn seiner Karriere mit dem Studium an einer Kunstakademie begonnen.Vgl. Jonathan Jones, Schools of Thought, in: The Guardian vom 19. März 2000. Darin
werden die britischen Kunsthochschulen als "engines of our counterculture" bezeichnet. Ihn interessierten insbesondere Werke der avantgardistischen Kunst. Insofern war es alles andere als Zufall, daß er im Dezember 1962 einen Vortrag an der Ealing School of Art, einer Kunsthochschule in London, besuchte, bei dem es um das Verhältnis zwischen autodestruktiver und autokreativer Kunst gehen sollte. Das genaue Thema der mit einer Diapräsentation verbundenen Rede lautete:"Auto-Destructive Art, Auto-Creative Art: The Struggle or the Machine Arts of the Future". Referent war ein nur in kleinen Zirkeln bekannter Künstler.
Insgesamt 50 Dias wurden an dem Abend gezeigt und erläutert. Eins beeindruckte den jungen Kunststudenten nachhaltig. Es zeigte die Aktion eines japanischen Künstlers. Zu sehen war, wie Saburo Murakami, Mitglied der 1954 in Osaka gegründeten Gutai-Gruppe, mit senkrecht ausgestrecktem Arm und geballter Faust durch eine Papierbahn springt.
Diese Pose hatte es Townshend besonders angetan. Später verging kaum ein Auftritt der Who, ohne daß er mit in die Höhe gerecktem Arm auf die Bühne sprang. Die dramatische Selbstinszenierung des Gitarristen wurde rasch zu einem der Markenzeichen der exzentrischen, aus der Mod-Szene stammenden Band.
Auf welchem Wege es dann zur Steigerung des Bühnenauftritts gekommen ist, der Zertrümmerung der Instrumente bis hin zur gesamten Anlage, darüber existieren zahlreiche Legenden. In einer dieser Erzählungen wird behauptet: "Während eines Auftritts im Marquee brach Townshends Gitarrenhals bei einem Luftsprung an der niedrigen Decke. Da dem Publikum dies egal zu sein schien, bekam er einen Wutanfall und zerschmetterte das ramponierte Instrument auf der Bühne in viele kleine Teile. Davon animiert, trat Keith Moon sein Schlagzeug um und begann es zu meucheln. Das gefiel den Anwesenden nun schon viel besser. Die Reaktion war überwältigend, und die berüchtigte Bühnenshow der Who war geboren."Jonathan Buckley /Mark Ellingham (Hrsg.):Rock - Rough Guide, Stuttgart /Weimar 1998, S. 876. Ganz anders schildert Townshend den Ursprung selbst.
In einem Gespräch bezieht er sich auf den Vortrag in der Ealing School of Art und erklärt: "I was doing my first gig with The Who and took it as an excuse to smash my new Rickenbaker that I had just hocked myself to the eyebrows to buy. I really believed it was my responsibility to start a rock band that would last only three months, an auto-destructive group. The Who would have been the first punk band except that we had a hit."Zit. nach: Jonathan Jones, a. a. O. Danach war nicht Destruktion, sondern Autodestruktion das vorherrschende Motiv. Die Who waren als eine Band konzipiert, die eine Art eingebautes Verfallsdatum hätte tragen sollen. Ihre Existenz war nur für eine befristete Dauer geplant. In dieser Vorstellung drückt sich aus, wie stark der Eindruck von einem autodestruktiven Kunstwerk seinerzeit auf Townshend gewesen sein muß. Eine solche Idee schien ihm exemplarisch für eine genuine Rockband seiner Zeit zu sein.
Metzgers Idee der autodestruktiven Kunst
Der Inspirator für Townshends Destruktionsszenarien war der damals 36jährige Künstler Gustav Metzger, ein deutsch-jüdischer Emigrant, der die meisten seiner Angehörigen in Auschwitz und anderen Konzentrationslagern verloren hat. Metzger, den der Gitarrist der Who wiederholt als seinen "teacher" bezeichnete,Vgl. Miles Interviews Pete Townshend, in: International Times (IT) vom 13. Februar 1967. hatte sich vor allem einen Namen mit mehreren Manifesten der autodestruktiven Kunst gemacht. Heute gilt er nicht nur in Großbritannien als Begründer dieser paradox anmutenden Richtung.
In seinem ersten, am 4. November 1959 veröffentlichten Manifest "Autodestruktive Kunst" heißt es: "Autodestruktive Malerei, Skulptur und Konstruktion bestehen in einer vollkommenen Einheit von Idee, Ort, Form, Farbe, Steuerung und Zeit des Zerfallsprozesses ... Autodestruktive Bilder, Skulpturen und Konstruktionen haben eine Lebensdauer, die zwischen ein paar Augenblicken und zwanzig Jahren schwankt. Wenn sich der Zerfallsprozeß vollendet hat, wird das Werk entfernt und vernichtet."Gustav Metzger: Autodestruktive Kunst, in: ders., Manifeste, Schriften, Konzepte, München 1997, S. 15. Metzger legt großen Wert darauf, solche Kunstwerke im öffentlichen Raum, nach Möglichkeit sogar im Freien zeigen zu können. Die von einem isoliert vor sich hin arbeitenden Künstler geschaffene Atelierskunst ist ihm dagegen ein Greuel. Der Betrachter solle Zugang zu seinen Kunstwerken haben können, ohne dafür zahlen zu müssen. Das Kunstwerk dürfe kein Objekt des Marktes werden, weder sei es käuflich noch verkäuflich.
Der 4. November 1959, hat er später immer wieder betont, sei für ihn ein point of no return gewesen, seitdem habe er nicht mehr aufgehört, über die Idee der autodestruktiven Kunst nachzudenken.
Nur wenige Monate später präsentiert er sein zweites Manifest. In dem am 10. März 1960 veröffentlichten "Manifest der autodestruktiven Kunst" stellt er einen expliziten Bezug zu Raketen und Nuklearwaffen her. "Autodestruktive Kunst", heißt es, "läßt die Lust an der Zerstörung wiederaufleben, den Trieb, dem der einzelne und die Massen ausgeliefert sind. Autodestruktive Kunst offenbart die Macht des Menschen, Auflösungsvorgänge der Natur zu beschleunigen und zu steuern. Autodestruktive Kunst spiegelt den zwanghaften Perfektionismus der Waffenherstellung - Polieren bis zur Zerstörung. Autodestruktive Kunst ist die Umwandlung von Technik in Kunst für den öffentlichen Raum ... Autodestruktive Kunst ist Kunst, die ein Element in sich trägt, das innerhalb eines Zeitraums von nicht mehr als 20 Jahren automatisch zu ihrer Zerstörung führt."Gustav Metzger: Manifest Autodestruktive Kunst, in: ders., a. a. O., S. 16. Am Ende seines Manifests führt er eine Liste der Materialien und Techniken auf, die bei der Produktion autodestruktiver Kunstwerke zu verwenden seien.
Fünf Tage später veröffentlicht der Daily Express Metzgers erstes Modell von einer autodestruktiven Skulptur. Am 22. Juni 1960 führt er in der Londoner Temple Gallery seine erste Präsentation durch. Mit einem Pinsel bestreicht er eine Stoffbahn aus Nylon, die sich in kurzer Zeit vor den Augen des Publikums auflöst. Seinen autodestruktiven Kunstakt bezeichnet er als eine "Ästhetik des Ekels".
Seine wohl publikumswirksamste Demonstration zeigt er am 3. Juli 1961 an der Londoner South Bank. Mit einer Gasmaske geschützt sprüht er Salzsäure auf drei Nylon-Leinwände in den Farben Schwarz, Rot und Weiß, die an einer Konstruktion von Metallrohren aufgespannt sind. Stück für Stück löst sich der Stoff auf, fällt in Fetzen herunter, bevor er sich vollständig zersetzt hat. Die gesamte Aktion dauert nicht einmal eine halbe Stunde.
Wenige Tage zuvor hat Metzger unter dem Titel "Autodestruktive Kunst, Maschinenkunst, autokreative Kunst" sein drittes Manifest veröffentlicht. Darin stellt er, wie der Titel bereits signalisiert, erstmals explizit ein Verhältnis zwischen autodestruktiver und autokreativer Kunst her. Ziel sei es, Kunstwerke mit Hilfe von Computern zu schaffen, deren Bewegung programmierbar sei und insofern Selbststeuerung einschließe. Zum Schluß formuliert er sein politisches Credo: "Autodestruktive Kunst ist ein Angriff auf kapitalistische Werte und den Trieb zu nuklearer Vernichtung."Gustav Metzger: Autodestruktive Kunst, Maschinenkunst, Autokreative Kunst, in: ders., a. a. O., S. 17.
Ein viertes Manifest stellt er während der Kuba-Krise am 7. Oktober 1962 vor. Es trägt den Titel "Manifest-Welt" und beginnt in düster-apokalyptischer Stimmung mit den Worten: "alles alles alles alles Eine Welt am Rande der Zerstörung. Objekte werden wertvoll und Materie verehrungswürdig. Das ist eine Kunstform für Künstler. Die Masse der Menschen würdigt moderne Kunst 50 Jahre nach ihrer Entstehung. Diese Kunstform wird keiner solchen Verzögerung unterliegen, da es unwahrscheinlich ist, daß es in 50 Jahren noch eine Welt geben wird, in der man sie ausüben könnte."Gustav Metzger: Manifest-Welt, in: ders., a. a. O., S. 19. Ein fünftes Manifest über "Material und Zufall", in dem er die Rolle der Zufallsaktivität im autodestruktiven Prozeß genauer zu bestimmen versucht, folgt am 30. Juli 1964.Gustav Metzger: Über Zufallsaktivität in material / transformierenden Kunstwerken, in: ders., a. a. O., S. 21. Es ist das letzte in Metzgers Serie.
Der historische Kontext: Metzgers Biographie
Wer sich näher mit dem Mann befaßt, der zu Beginn der 60er Jahre in so radikaler Weise das Kunstverständnis in Frage gestellt hat, dem wird rasch klar, in welch zugespitzter Form in seinem Fall Biographie und Werk miteinander verknüpft sind.Zur Biographie Gustav Metzgers vor allem: Astrid Bowron: Ein Schnitt entlang der Zeit - Versuch einer Biographie, in: Kunsthalle Nürnberg (Hrsg.):Gustav Metzger - Ein Schnitt entlang der Zeit, Nürnberg 1999, S. 47 -63. Seine Anstrengungen, dem Kunstwerk seine historische Legitimität zurückzugewinnen, gründen in der Frage, ob es nach Auschwitz und Hiroshima noch eine Möglichkeit gibt, ästhetische Objekte zu schaffen, deren Form nicht bereits durch den Gang der Geschichte dementiert worden ist. In der Paradoxie, Kunstwerke produzieren zu wollen, die sich selbst zerstören, kommt die Tragweite seines Unternehmens zum Vorschein - das Destruktionspotential der Moderne in das zu gestaltende Objekt zu integrieren, um so einen Prozeß in Gang zu setzen, der den Gegenstand sukzessive auflöst und auf diese Weise die Zeitlichkeit seiner Existenz demonstriert. In der Auslöschung des ästhetischen Objekts spiegelt sich die existentielle Bedrohung eines Künstlers, der Auschwitz zwar überlebt hat, in seinem "Nachleben" jedoch niemals davon frei wurde, die Erfahrung der eigenen Vernichtungsdrohung, in der er zugleich eine der Gattung zu erkennen glaubte, abzuschütteln. Wie unter einem Wiederholungszwang scheint er in der ästhetischen Sphäre auszuagieren, was ihm in seinem eigenen Leben auf den Leib gebrannt worden ist.
Sein Überleben verdankt Gustav Metzger einer Rettungsaktion des Refugee-Children-Movements, durch die er zusammen mit seinem älteren Bruder Max im Januar 1939 nach England gebracht wurde. Metzger wurde 1926 in Nürnberg als fünftes Kind einer orthodox-jüdischen Familie geboren, er war der jüngste Sohn eines Lebensmittelhändlers, der 1918 zusammen mit seiner Frau aus Polen nach Deutschland gekommen war. Die Flucht der beiden Brüder aus der Stadt der NSDAP-Parteitage glückte im letzten Moment. Der Vater und zwei Schwestern waren bereits drei Wochen vor dem Pogrom vom 9./10. November 1938 nach Polen deportiert worden. Die meisten Familienangehörigen, darunter auch die Mutter, die ihrem Mann 1939 folgte, werden in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern umgebracht.
Zusammen mit seinem Bruder Max kommt Gustav zunächst in einem Heim für Flüchtlingskinder in London unter. Im September 1941 beginnt er eine Lehre als Möbelschreiner in Leeds. Diese Ausbildung muß jedoch wegen der Kriegseinwirkungen nach einem Jahr abgebrochen werden. Vorübergehend arbeitet er als Tischler, Gärtner und Bauer. Sein wirkliches Interesse gehört in dieser Zeit jedoch bereits der modernen Kunst. Mit zunehmender Neugier besucht er Ausstellungen mit Werken von Henry Moore, Graham Sutherland, Paul Nash u. a. Eine seiner wichtigsten Erfahrungen sammelt er 1944 in Bristol. Während er auf Bauernhöfen in der Umgebung arbeitet, wohnt er in einer Art politischer Kommune. Seine Mitbewohner sind Trotzkisten und Anarchisten. In dieser Zeit, in der er auch Bekanntschaft mit Texten des wegen seiner Theorie der sexuellen Befreiung umstrittenen Psychoanalytikers Wilhelm Reich macht, beginnt er damit, erste kleinere Objekte anzufertigen. Als er sich bei Henry Moore um eine Assistentenstelle bemüht, empfiehlt ihm dieser den Besuch einer Kunstschule. Dieser Rat erweist sich schon bald als biographische Weichenstellung.
Zusammen mit seinem Bruder, der zuvor bereits in Leeds mit einem Kunststudium begonnen hat, belegt er im Januar 1945 für ein halbes Jahr Zeichenkurse an der Cambridge School of Art, im Herbst ziehen sie nach London um, besuchen das Sir-John-Cass-Institute in Aldgate und die Abendklasse am Borough Polytechnicum. 1946 erhalten beide ein Stipendium, das es ihnen ermöglicht, ihre Ausbildung in Maltechnik, Bildhauerei und Kunstgeschichte gezielter fortzusetzen. 1948 beteiligt sich Gustav Metzger erstmals an Ausstellungen in der Ben Uri Art Gallery und der Londoner Academy Hall. Seine Arbeiten sind in dieser Phase noch stark von David Bomberg beeinflußt, einem am Kubismus orientierten Künstler. Im selben Jahr macht er, mit dem Paß für einen Staatenlosen ausgestattet, eine dreimonatige Studienreise durch die Niederlande, Belgien und Frankreich. Nachdem er ein Stipendium der Jüdischen Gemeinde von Antwerpen erhalten hat, besucht er drei Semester lang die dortige Akademie der Schönen Künste.
Metzgers zwischen Kunstausbildung und Studienreisen hin- und herpendelnde Entwicklung setzt sich über mehrere Jahre hinweg fort. 1953 beteiligt er sich dann an der Gründung der Borough-Bottega-Gruppe und organisiert deren erste Ausstellung in den Londoner Berkeley Galleries. Im selben Jahr zieht er nach King's Lynn in Norfolk um. Dort öffnet er sich zunehmend politischen Fragen. Besonders beunruhigend findet er den Rüstungswettlauf zwischen Ost und West sowie die auch von der britischen Regierung durchgeführten Atomwaffentests. Metzger gründet 1957 zusammen mit anderen Rüstungsgegnern das King's-Lynn-Committee for Nuclear Disarmament und beteiligt sich im Dezember 1958 an zwei Märschen zur Besetzung der Raketenbasen in North Pickenham.
Als er ein halbes Jahr später nach London zurückkehrt, sind seine Aktivitäten doppelt bestimmt, seine künstlerischen Interessen sind zu einem erheblichen Teil eine Fusion mit seinen politischen eingegangen. Während er seine Manifeste zur autodestruktiven Kunst verfaßt, beteiligt er sich weiter an den Protesten der Antiatombewegung. I'm Herbst 1960 gründet er das prominente Committee of 100 mit, zu dem auch der Nobelpreisträger Bertrand Russell gehört. Im September 1961 wird er wegen der Teilnahme an einer Demonstration festgenommen und muß einen Monat in Staffordshire im Gefängnis verbringen. Es ist sicher alles andere als Zufall, daß die Grundideen zum autodestruktiven Kunstwerk unter dem Eindruck wachsender nuklearer Bedrohung und im Kontext eigener politischer Aktivitäten im Rahmen der britischen Friedensbewegung geboren worden sind.
Das "Destruction in Art Symposium" in London (1966)
Metzger ist zweifelsohne ein Einzelgänger, als Person wie als Künstler. In gewisser Weise ist er ein moderner Nomade, umtriebig, ideenreich und agil. Er ist der erste, der sein künstlerisches Schaffen mit einer kaum zu überbietenden Rigorosität auf das Destruktionsmotiv hin ausgerichtet hat. Er ist jedoch keineswegs der einzige.
In den Avantgardebewegungen der 60er Jahre spielt die Destruktionskunst eine bemerkenswerte, zum Teil sogar spektakuläre Rolle. Am wichtigsten unter ihnen sicher der Schweizer Jean Tinguely, der im März 1960 im Skulpturengarten des New Yorker Museum of Modern Art unter dem Titel "Hommage to New York" eine große, sich selbst zerstörende Maschine in Gang setzt. Daneben gibt es die zerschnittenen Leinwände von Lucio Fontana, die Feuermalerei von Yves Klein, die "Carcrash"-Gemälde von Andy Warhol, die Schießaktionen von Niki de Saint Phalle, Yoko Onos Zerschneidung ihrer Wäsche am eigenen Körper, die Happenings von Wolf Vostell, die Selbstverletzungsrituale von Günter Brus sowie die überaus ambivalenten Zerfleischungsaktionen von Wolfgang Nitsch und den anderen Wiener Aktionisten.
Metzger hat diese parallelen, zum Teil miteinander konkurrierenden Strömungen mit Distanz und Sympathie, immer aber mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Als ihm die 1965 im Rowohlt Verlag erschienene Dokumentation "Happenings, Fluxus, Pop Art, Nouveau Réalisme "Jürgen Becker /Wolf Vostell (Hrsg.):Happenings, Fluxus, Pop Art, Nouveau Réalisme, Reinbek 1965. in die Hände fällt, kommt ihm der Gedanke, eine internationale Konferenz zur Destruktionskunst zu organisieren. Er ergreift die Initiative, gründet ein Komitee, wird dessen Sekretär und beginnt mit der praktischen Vorbereitung im Frühjahr 1966. Die Namen der meisten Teilnehmer holt er sich aus dem Band. Im Herbst 1966 ist es soweit.
Am 9. September wird in London in dem in der King Street gelegenen Africa Center das "Destruction in Art Symposium" eröffnet. Es dauert drei Tage. Zwischen 120 und 150 Personen nehmen daran teil. Nach einer Einführung Gustav Metzgers referieren am ersten Tag Ivor Davies, Dom Sylvester Houédard und Jean-Jacques Lebel über verschiedene Aspekte autodestruktiver Kunst. Auf Flugblättern wird unter dem Titel "U.S. Surpasses all Nazi Genocide Records!" ein von George Maciunas verfaßtes Pamphlet gegen die Kriegführung der Vereinigten Staaten in Vietnam verteilt.George Macunias: U. S. Surpasses all Nazi Genocide Records! ,in: Jon Hendricks (Hrsg.): Fluxus etc. - The Gilbert and Lila Silverman Collection, Katalog der Cranbook Academy of Art Museums, Bloomfield Hills/Michigan 1981, S.390. Anhand von Statistiken gelangt Maciunas zu dem Schluß, daß die US-Army mit ihren Einsätzen in Südostasien die zerstörerischen Auswirkungen der deutschen Wehrmacht während des Zweiten Weltkriegs noch übertreffe. Auch der zweite Tag beginnt mit einer Ansprache Metzgers. Er referiert über "The Scientific Destruction of Science and Technology". Es folgen Vorträge von John Latham, Garry A. Jones und Anthony Scott sowie eine Grußbotschaft von Simon Vinkenoog im Namen der niederländischen Provo-Bewegung. Die von Lebel geleitete Abendveranstaltung wird ausschließlich von den Wiener Aktionisten bestritten, die zum ersten Mal im Ausland auftreten. Der Kunstkritiker Peter Weibel spricht über "Film, Division of Labour and Art", bevor Otto Mühl und Günter Brus - sich über die Absprache hinwegsetzend, lediglich Texte zu verlesen - verschiedene phonetische Aktionen durchführen. Der Auftritt der Gruppe, die ihre größte Aufmerksamkeit bei der Aufführung mehrerer Filme von Kurt Kren über Aktionen Otto Mühls gewinnt, wird von Hermann Nitsch beendet. Am dritten und letzten Tag referieren der Aktionskünstler Ralph Ortiz und der zum Kreis von Ronald D. Laing zählende Psychologe Joseph Berke, bevor Juan Hidalgo und Robin Page zusammen mit Ortiz eine Debatte über "To kill or not to kill" führen. Die von Ivor Davies geleitete Schlußveranstaltung wird mit einem Vortrag von Guy Pro-Diaz eröffnet, der durch seine Experimente mit Explosivstoffen Aufsehen erregt hat. Danach liest die japanische Aktionskünstlerin Yoko Ono zusammen mit ihrem ersten Ehemann Anthony Cox Auszüge aus ihrem Buch "Lecture in the Dark", die Tänzerin Barbara Gladstone spricht über destruktive Aspekte im Ballettanz und Biff Stevens erläutert das von ihm im Battersea Park errichtete Pneumatic Environment. Den Abschluß bildet eine Rückbetrachtung auf die gesamte Veranstaltung durch John Sharkey.
Das Symposium findet, wohl nicht zuletzt deshalb, weil die Proteste gegen den ständig weiter eskalierenden Vietnamkrieg eine Hintergrundfolie bilden, ein starkes Echo in der nationalen und der internationalen Presse. Ein unangenehmes Nachspiel hat allerdings noch eine Aktion von Hermann Nitsch. Die Veranstalter des Symposiums werden beschuldigt, mit der Planung und Durchführung einer "obszönen Zurschaustellung" das allgemeine Rechtsempfinden verletzt zu haben. Im Juli 1967 wird Metzger deshalb zu einer Geldstrafe von 100 £ verurteilt, sein Mitorganisator Sharkey unter Auflagen freigesprochen.
Die Destruktionskunst, genauer das Motiv der Gitarrenzerstörung, spielt zur selben Zeit in einem Film des italienischen Regisseurs Michelangelo Antonioni eine gewisse Rolle. Der im Sommer 1966 in London gedrehte und am 18. Dezember in New York uraufgeführte Streifen "Blow Up" wird rasch zum Kultfilm und im Mai 1967 bei den Filmfestspielen in Cannes mit dem Großen Preis ausgezeichnet. In ihm wird die Geschichte eines jungen Fotografen, des von David Hemmings gespielten Thomas, erzählt, der in zufälligen Aufnahmen, die er in einem Park gemacht hat, Spuren zu einem Mord zu entdecken glaubt, dessen Hintergründe sich ihm jedoch um so mehr entziehen, je stärker er ihnen nachzugehen versucht. Der Film, der in den grellen Bonbonfarben der Pop-Kultur aufgenommen ist, spiegelt wie kaum ein zweiter das Lebensgefühl des "Swinging London". Als Thomas in einer Szene durch die City zieht, wird er beim Gang durch Hinterhöfe und Passagen von einer Geräuschkulisse magisch angezogen. Als er das Tor zu einer Halle öffnet, stößt er auf ein Konzertpublikum, das wie in Trance dem Auftritt einer Rockband lauscht, den Yardbirds, die als Talentschmiede der britischen Rockmusik gelten. Eric Clapton, Jeff Beck und Jimmy Page, der spätere Leadgitarrist von Led Zeppelin, haben dort gespielt. Am Ende des Stücks "Stroll on" zerschlägt der Bassist ohne irgendeinen Anlaß seine Gitarre. Während dieses Aktes äußerster Aggression werden die Zuhörer wach und beginnen, sich um die Überreste des Instruments zu prügeln. Am schnellsten ist jedoch Thomas, der sich den Torso schnappt, ihn gegenüber den Zugriffsversuchen anderer verteidigt und damit wegläuft. Doch kurz darauf scheint er sein Interesse an dem Fetisch verloren zu haben und schleudert ihn in einer Passage mit ostentativer Verachtung von sich.
Auch in dem nächsten Film Antonionis, dem im Februar 1970 in NewYork uraufgeführten "Zabriskie Point ", spielt das Destruktionsmotiv eine herausragende Rolle. Vor dem Hintergrund der Campus-Revolten in Kalifornien, der Aktivitäten der Black Panthers und der Proteste gegen den Vietnamkrieg erzählt er von der Flucht eines jungen Mannes, Mark, und einer jungen Frau, Daria, die sie durch die Wüste führt, bis sie sich schließlich in Death Valley begegnen. Zabriskie Point ist der Name eines Aussichtspunktes, von dem aus sich das gesamte Death Valley überblicken läßt. In der Schlußsequenz - Mark ist inzwischen von der Polizei auf dem Flughafen von Los Angeles erschossen worden - explodiert vor Darias Augen eine auf einem Felsen am Rande der Wüste gelegene Villa. In immer wieder neuen Kameraeinstellungen wird zur Musik von Pink Floyd in Zeitlupe gezeigt, wie das Gebäude, das Mobiliar, verschiedenste Einrichtungsgegenstände, Kühlschränke, Fernsehapparate, Bücher, Flaschen, Gläser, Dosen, Lebensmittel - die gesamte Konsumwelt in einen azurblauen Himmel hochgeschleudert wird und in Myriaden von Splittern herniederregnet. Die wie ein einzigartiger Bilder- und Klangrausch wirkende Explosion scheint nichts anderes zu sein als ein orchestraler Schlußakkord zur hybriden Geschichte der modernen Zivilisation. Die alltägliche Gewalt, die sich in jener Zeit in den riots der amerikanischen Vorstädte entlädt, verwandelt sich unter dem Blick Antonionis in eine Destruktionsorgie gigantischen Ausmaßes.
Das autodestruktive Kunstwerk
Der Kunsthistoriker Justin Hoffmann, der die wohl wichtigste Monographie zum Thema Destruktionskunst im deutschsprachigen Raum vorgelegt hat,Justin Hoffmann: Destruktionskunst - Der Mythos der Zerstörung in der Kunst der frühen sechziger Jahre, München 1995. versucht dieses in den 60er Jahren in mehreren westlichen Ländern gleichzeitig auftauchende Phänomen gegenüber anderen Formen der Destruktion in der Kunst abzugrenzen. Dabei unterscheidet er zwischen dem Ikonoklasmus (Bildersturm), dem Kunstattentat, der zumeist konventionell naturalistischen Abbildung von Zerstörung in der Malerei und der modernen Collagierung von Bruchstücken und Abfallobjekten, die er als Integration gefundener und zerstörter Gegenstände bezeichnet. Im Gegensatz dazu beanspruche die Destruktionskunst eine neuartige, bislang unbekannte Formbestimmung: "Die Destruktionskunst unterscheidet sich grundsätzlich sowohl von zerstörerischen Akten (Ikonoklasmus - kollektiv, Kunstattentat - individuell), die nicht auf ein künstlerisches Resultat abzielen, als auch von Kunstwerken, die nicht durch destruktive Handlungen des Künstlers entstanden sind, sondern Destruktion lediglich abbilden, oder die von fremder Hand zerstörten Dinge als Element aufweisen."A. a. O., S. 16. Danach muß das Spezifikum der Destruktionskunst in einem Punkt gesucht werden, in dem sie in paradoxer Weise auf etwas Kreatives oder doch zumindest das bloß Zerstörerische Transzendierende abzielt. Ganz besonders gilt das für Metzgers Idee des autodestruktiven Kunstwerks, die er bezeichnenderweise immer stärker um die Dimension des Autokreativen zu ergänzen versucht hat.
Wer sich Metzgers Konzept begrifflich zu nähern versucht, der ist zunächst einmal gezwungen, sein entscheidendes Charakteristikum zu erfassen. Autodestruktive Kunstwerke widersprechen dem in der klassischen Kunst erhobenen Ewigkeitsanspruch, es sind Objekte von einer begrenzten Lebensdauer. Ihre Existenz ist befristet. Senecas Ausruf "ars longa, vita brevis", der wie ein insgeheimer Portalspruch über der Klassik prangt, wird außer Kraft gesetzt. Die Kunst ist in diesem Falle noch kürzer als das Leben.
Der "Tod" des Kunstwerks tritt jedoch nicht abrupt oder plötzlich ein, sondern prozessual in einer voraussehbaren Weise. Der Betrachter, der dem Zerfalls-, Zersetzungs- oder Zerstörungsprozeß beiwohnt, ist Zeuge seines langsamen "Absterbens". Vor Beginn dieses Prozesses ist es jedoch noch kein Kunstwerk, sondern lediglich ein "totes" Objekt. Das autodestruktive Kunstwerk konstituiert sich, indem es vergeht. Es hat eine zeitliche Matrix. Es ist nichts außerhalb dieser destruktiv-produktiven Dauer. Seine Existenz währt im Vollzug seiner neue Erscheinungsformen kreierenden Auflösung. Das Vorher und Nachher sind nur unterschiedliche Aggregatzustände seiner Nichtexistenz, einmal in der Form eines Objekts, das andere Mal als Asche, Pulver oder nicht weiter definierbarer Rest.
In Gang gebracht wird dieser Prozeß in der Regel durch einen Impuls. Eine aktive Begleitung des gesamten Vorgangs durch den Künstler ist eher die Ausnahme. Die Destruktion vollzieht sich durch ein Minimum an äußerer Einwirkung oder Steuerung. Im Vordergrund steht der Zufallscharakter des Geschehens. Zwar ist am Anfang klar, daß der Vorgang mit der Auflösung des Kunstwerks enden wird, offen ist jedoch, welche Konfigurationen es auf diesem Wege hervorbringt.
Als Grundkategorien des autodestruktiven Kunstwerks dürfen die Temporalisierung, die Transformierung und die Dematerialisierung gelten. Die radikale Verzeitlichung des ästhetischen Objekts ist die Voraussetzung zur Bestimmung aller anderen Merkmale.In einem Interview hat Metzger diesen zentralen Gesichtspunkt auf eigene Weise hervorgehoben: "Time is at the very center of the idea. Time and a way of demonstrating it. Demonstrating time. Showing time. Getting people involved with time. That is at the center of it all. In that sense it relates to music and to dance." Hans Ulrich Obrist: Metzger 's Quest for Social Change - From the Auto-destructive Art Manifesto and onwards, Interview mit Gustav Metzger, 30. März 1999, in: www.artnode.se. Die permanente Verwandlung seiner Erscheinungsform ist das ungeschriebene Gesetz seiner Existenz. Und die Entstofflichung bis hin zum fast völligen Verschwinden des ursprünglichen Gegenstandes macht die Essenz dieser kontrafaktisch anmutenden Kunstwerkauffassung aus.
Von der paradoxen Grundstruktur des autodestruktiven Kunstwerks bleibt freilich auch die Rolle des entsprechenden Künstlers nicht unberührt. Mit dem klassischen Verständnis von einer Person, die ein ästhetisches Objekt schafft, indem sie es bearbeitet und formt, hat der autodestruktive Künstler nur noch wenig zu tun. Er ist kein wirklicher Akteur, sondern in seiner Rolle bis auf einen äußersten Punkt zurückgenommen. Er ist reduziert auf den Part eines Arrangeurs und Impulsgebers. Zwar hat er zuvor eine Konstruktion geschaffen, die einen Bewegungsautomatismus auslösen kann, jedoch keinen Gegenstand, der in seiner Formbeschaffenheit noch die Intention eines Schaffenden ausdrückt. Was das autodestruktive Kunstwerk im Stadium seiner Ausgangskonstruktion verrät, ist nicht mehr als eine Rahmenbedingung seiner prozessualen Selbstentäußerung. Innsofern bringt der Künstler das Kunstwerk lediglich in Gang. Sich bewegen und dabei ungeahnte Formen annehmen kann es selbst.
Eine Kunst, die "automatisch zu ihrer Zerstörung führt", stellt das traditionelle Bild zweifelsohne auf den Kopf. Für viele Betrachter ist autodestruktive Kunst eine Provokation, für manche gar ein Schock. Sie wehren sich dagegen ,in dem destruktiven Akt etwas anderes sehen zu können als die mutwillige Zerstörung von Materialien, Mechanismen oder ganzen maschinenartigen Konstruktionen. Der Gedanke jedoch, daß die Sabotage der traditionellen Kunstformen vielleicht die einzige sich noch bietende Möglichkeit sein könnte, der Kunst neben ihrer Kommerzialisierung und Musealisierung eine Zukunft zu geben, wird in aller Regel nicht in Erwägung gezogen.
Im Angesicht von Gustav Metzgers Lebenslauf ist es beinahe zwingend, an einen besonders engen Zusammenhang zwischen Werk und Biographie zu denken. Es liegt insoweit nicht fern, die autodestruktive Kunst "als radikale Konsequenz aus der Erfahrung einer menschenverachtenden und -vernichtenden Ideologie, von Verfolgung und Exil des aus Deutschland vertriebenen polnischen Juden"Michaela Unterdörfer: Gustav Metzger und die Kunst der neunziger Jahre, in: Kunsthalle Nürnberg (Hrsg.), a. a. O., S. 15. zu begreifen. Es wäre jedoch zu einfach, im autodestruktiven Kunstwerk eine Widerspiegelung der Traumata eines Verfolgten oder aber eine Art szenisch-symbolischer Reproduktion der Selbstzerstörungstendenzen in der Moderne sehen zu wollen.
In Anlehnung an Adornos Diktum, daß es "barbarisch" sei, "nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben",Das häufig nur paraphrasiert wiedergegebene Zitat lautet vollständig: "Kulturkritik findet sich der letzten Stufe der Dialektik von Kultur und Barbarei gegenüber; nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frißt auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben." Theodor W. Adorno: Prismen - Kulturkritik und Gesellschaft, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 10. 1, Kulturkritik und Gesellschaft I, hrsg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt am Main 1977, S.30. haben sich auch manche Künstler mit der Frage auseinandergesetzt, ob es moralisch verwerflich sein könnte, nach dem Holocaust auch weiterhin noch Kunstwerke hervorzubringen. Für Metzger, der sich offenbar immer wieder dieser Herausforderung gestellt hat, gibt es darauf eine klare, in einem beinahe aktivistischen Gestus gegebene Aussage: "Für mich lautet die Antwort auf die Frage
Darf es nach Auschwitz noch Gedichte geben?
x nicht nur
xJa, es darf
x, sondern
xEs muß
x - um diesem Horror entgegenzutreten."Zit. nach Nicola Kuhn: Unerhörter Warner in der Wüste - Abgetaucht, wieder entdeckt, mißverstanden: Die "Young British Artists" lieben Gustav Metzger, in: Der Tagesspiegel vom 20. Dezember 1998. Seine Idee des autodestruktiven Kunstwerks ist weder abbildnerisch, weder reflexiv noch symbolisch gemeint, sie ist vielmehr der Versuch, der Kunst nach Auschwitz und Hiroshima ihr Terrain wieder zurückzugewinnen. Erst indem Metzger das ungeheure, im 20. Jahrhundert offenbar gewordene Destruktions- und Bedrohungspotential in das Kunstwerk integriert, darin jedenfalls scheint seine Hoffnung zu liegen, glaubt er es von seinen unfreiwillig ideologischen Tendenzen befreien und es in der für seine Produktion unverzichtbaren Autonomie aktualisieren zu können.
Der "Art-Strike" und das Abseits
Ende 1966 gerät Metzger immer stärker in Kontakt mit der innovativen Szene britischer Rockbands. Unter den angehenden Popstars hat sich herumgesprochen, daß der Künstler mit dem Außenseiter-Image mit der Projektion von Flüssigkristallen experimentiert, die sich aus Showgründen zur Illumination von Rockkonzerten eignen könnte. Was auf der Bühne als optische Effektsteigerung wirken könnte, ist für Metzger eine logische Fortentwicklung seiner Ideen zum autodestruktiven Kunstwerk. Er ist vor allem an der Sichtbarmachung der selbstzerstörerischen Vorgänge interessiert. Deshalb hat er 1963 bei einer Präsentation der Bartlett Society an der Universität London mit einem Bildprojektor gezeigt, was sich abspielt, wenn ein in einen Diarahmen gespannter Nylonfetzen von Säure zersetzt wird. Solche Vorführungen entwickeln sich zu immer effektreicheren Bildszenarien, schließlich zu monströsen Visualisierungen, die schon bald als "Light-Shows "bezeichnet werden.
Die "Liquid Crystal Projections", bei denen sich Metzger von einem befreundeten Experten unterstützen läßt, basieren auf einer vergleichsweise einfachen Methode: "Das Prinzip der Flüssigkristall-Technik sind dünne Glasdias, die Flüssigkristalle enthalten, erhitzt und in Projektoren mit Polarisationsfiltern vor dem Objektiv eingeführt werden. Das Bild, das sich dadurch ergibt, wird auf eine Leinwand projiziert. Während sich die Kristalle abkühlen, wechselt ihre Farbe von Schwarz im heißesten Stadium zu Grau und mischt sich dann dabei allmählich zu jeder Farbe des Spektrums - von Grün zu Gelb, Purpur, Rot, Blau und Rosa - und wandelt sich in endlosen, immer anderen Kombinationen."Astrid Bowron: Ein Schnitt entlang der Zeit, a. a. O., S. 56. Es ist naheliegend, warum sich Rockmusiker von derartigen Illuminationen angezogen fühlen - sie übersetzen das Klangerlebnis in sich permanent verändernde, farbengesättigte Bilder, die eine Traumwelt hervorbringen, die an visuelle Effekte einer Rauscherfahrung heranreicht.
Wenn das Motiv der Gitarrenzerstörung die autodestruktive Seite von Metzgers Verständnis einer zeitgemäßen Kunst repräsentiert, dann drückt sich in den Flüssigkristall-Projektionen zweifelsohne deren autokreative Seite aus.
An den beiden letzten Tagen des Jahres 1966 ist es soweit. Metzger kann seine Flüssigkristall-Lichtprojektionen bei einem Großkonzert im Londoner Roundhouse als "Light-Show" präsentieren. Den Anfang macht ein Auftritt von The Cream, der Band mit Eric Clapton, Ginger Baker und Jack Bruce, die wie keine zweite in Großbritannien die Hörgewohnheiten ihres Publikums verändert und mit ihrem improvisierten Blues-Rock zugleich das Zweieinhalb-Minuten-Format der üblichen Hit-Singles gesprengt hat. Den ganzen Abend über projiziert Metzger zu Stücken wie "Wrapping Paper", "Cat's Squirrel", "I 'm so glad" und "I feel free" seine spektralfarbigen Bilder an die Hinterwand der Bühne. Die Besucher sind von den psychedelischen Effekten begeistert. Durch die Kreation ständig ineinander- und auseinanderlaufender Luftblasen, einer Art von flüssigen Mobiles, wird den Hörern ein zusätzlicher Imaginationsraum eröffnet.
Im Gegensatz zum ersten Abend mißglückt der als Höhepunkt gedachte Silvesterabend wegen technischer Probleme. Als The Who, die im Anschluß an Pink Floyd folgen sollen, mit ihrem Auftritt beginnen wollen, läßt sich die Hälfte der sechs Projektoren nicht mehr benutzen. Irgendwelche Teile sind aus ihnen entfernt worden, Metzger vermutet einen Sabotageakt. Da es nun auf der Bühne so dunkel ist, daß die Musiker kaum zu sehen sind, wird die Saalbeleuchtung angeschaltet, die wiederum den Effekt der drei funktionierenden Projektoren zunichte macht. Die zauberhafte Stimmung, die von den schwebenden ballonartigen Farbbildern ausging, ist jedenfalls verflogen. Townshend ist auf Metzger stinksauer und beschimpft ihn als Versager. Probleme hat er, wenn auch aus ganz anderen Gründen, mit dem Auftritt von The Move. Ihre Show beginnt damit, daß ein Auto hereingefahren wird, auf dem drei mehr oder weniger bekleidete junge Frauen sitzen. Als sie herausgestiegen sind, kommen mehrere Männer mit großen Hämmern herbei und schlagen das Auto unter martialischem Getöse in Bruch. Metzger mißfällt diese Zerstörungsaktion, in der er seine Idee der Autodestruktion nur noch als billigen Witz aufgehoben sieht, vollständig. Obwohl er in der Folge darum gebeten wird, auch weiter Lichtprojektionen durchzuführen, gibt er diese Aktivitäten auf. Mark Boyle, einer seiner jüngeren Kollegen, greift das Konzept auf und begleitet damit die erste britische Band, die als "psychedelisch" bezeichnet wird, die nach einem Buchtitel von William Burroughs benannte Soft Machine, auf einer internationalen Tournee.
Vier Jahre später zeigt Metzger, wie ein mit künstlerischen Mitteln vorgetragener Angriff auf das Automobil aussehen könnte. Zur Eröffnung der Ausstellung "Kinetics" im September 1970 läßt er ein Auto durch London fahren, auf dessen Dach eine durchsichtige Plastikbox befestigt ist. Darin werden die von dem Wagen emittierten und mittels eines Schlauchs nach oben geleiteten Motorabgase aufgefangen. Schon bald bilden sich erste häßliche Tropfen, die den Behälter nach und nach dunkler erscheinen lassen. Die gewöhnlich unsichtbar bleibenden gesundheitsschädlichen Absonderungen werden so in konzentrierter Form der Öffentlichkeit vor Augen geführt. Die Auto-Aktion trägt den Titel "Mobbile", Metzger betrachtet sein Objekt als eine Art kinetischer Skulptur, als ein Werk, mit dem er einen Beitrag zu der Ausstellung leisten möchte.
Das Motiv der Umweltzerstörung durch zunehmenden Autoverkehr beschäftigt ihn weiter. Als er 1972 zur documenta nach Kassel eingeladen wird, entwickelt er ein Projekt, das jedoch nicht realisiert werden kann. Unter dem Titel "Stockholm June" schlägt er ein anderes vor. Was darunter zu verstehen ist, läßt sich dem Ausstellungskatalog entnehmen: "Phase 1.120 Autos werden Wagen an Wagen um einen rechteckigen, 2,5 bis 4 Meter hohen Bau, dessen Seiten aus durchsichtigem Plastik bestehen, aufgestellt. Das Plastik ist in regelmäßigen Abständen perforiert, um die Abgase herauszulassen. Die Abgase aller Wagen werden ins Innere der Struktur geleitet. Die Motoren laufen von frühmorgens bis spätabends. Phase 2. In der Nacht zum 14. werden sämtliche Autos in den Bau hineingebracht, säuberlich hintereinander an den Seiten aufgereiht, die Maschinen mit Benzin gefüllt und gestartet. Die Struktur wird nun mit einer undurchlöcherten Plastikhülle überdeckt und verdichtet. Falls bis zum Mittag des 15. die Wagen nicht in Flammen aufgegangen sind, werden kleine Bomben in die Skulptur hineingeworfen."Documenta 5, Katalog, Kassel 1972, S. 16, 56. Daneben sind zwei Fotomontagen abgebildet. Realisiert wird das Projekt nicht. Weder in Kassel noch in Stockholm, wofür es ursprünglich geplant war.
Ein anderer Mißerfolg macht sich negativer bemerkbar und treibt ihn schließlich mehr und mehr in die Isolation. Als im Herbst 1974 mit der Ausstellung "Art into Society /Society into Art" sieben deutsche Künstler präsentiert werden, darunter Joseph Beuys, Hans Haacke und Klaus Staeck, ruft Metzger im Katalog unter der Überschrift "Years without Art, 1977 - 1980" zu einem dreijährigen Kunststreik auf.Gustav Metzger: "Kunststreik" 1977 - 1980, in: Gustav Metzger: Manifeste, Schriften, Konzepte, a. a. O., S. 44. Da er befürchtet, daß die subversive Kraft der Kunst durch ihre zunehmende Integration in den kommerziellen Markt neutralisiert werden könnte, will er seine Kollegen dafür gewinnen, von 1977 bis 1980 auf die Produktion und Präsentation von Kunstwerken vollständig zu verzichten. Dieser gegen den Kunstbetrieb gerichtete Boykottaufruf ist von ihm zugleich als eine Gelegenheit zu einer schöpferischen Pause gedacht, in der sich die Künstler über die Konzepte ihres Schaffens wieder verstärkt Gedanken machen und diese untereinander austauschen sollten. Der äußerst naive Aufruf erweist sich als ein Desaster. Keiner seiner Kollegen folgt ihm. Auch diejenigen, die mit Metzgers Ideen sympathisieren, schrecken vor einem solch radikalen Schritt zurück, der sie von ihren ohnehin oft nur eingeschränkten Einnahmen abschneiden könnte.
In der Folge des fehlgeschlagenen "Art Strike" nehmen seine Aktivitäten eine andere Richtung, die ihn schließlich Ende der 70er Jahre nach Deutschland zurückführen. Ein wichtiger Aspekt ist dabei sicherlich die zunehmende Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Kunst. Im September 1976 organisiert er in London zusammen mit Cordula Frowein das Symposium "Art in Germany under National Socialism". Ein Jahr darauf beteiligt er sich an einer vom Historischen Museum in Frankfurt durchgeführten Tagung zum Thema "Faschismus - Kunst und Visuelle Medien".
Die Wiederentdeckung
In den 80er Jahren gerät er durch seinen Rückzug aus der Londoner Szene immer stärker in Vergessenheit. 1987 beginnt er im Hamburger Institut für Sozialforschung mit den vorbereitenden Recherchen zu einer Ausstellung mit Buchumschlägen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit, in der Buch- und Presseerzeugnisse noch von der Lizenzvergabe der Besatzungsmächte abhängig waren. Doch auch dieses Projekt erweist sich nach einiger Zeit als nicht durchführbar.Eine Wende zeichnet sich 1993 ab, als in der Barbican Art Gallery in London die Ausstellung "The Sixties:Art Scene in London" gezeigt wird, bei der auch Dokumente zur Entwicklung der autodestruktiven Kunst zu sehen sind. Im März 1995 hält er dann an der Middlesex University in London einen Vortrag über "Auto-Destructive Art and the Twentieth Century" und im September folgt eine Einzelausstellung mit dem Titel "Damaged Nature - Two New Works and Documents" in der Buchhandlung workfortheeyetodo. Zur selben Zeit stößt er auch auf ein zunehmendes Interesse unter jungen britischen Künstlern, die in dem Protagonisten der Destruktionskunst ein Vorbild zu entdecken glauben. Einige der von Damien Hirst angeführten "Young British Artists", die mit ihren Ausstellungen und Projekten auch international Aufmerksamkeit gewinnen, erklären Metzger öffentlich zu ihrem "dad".
Im Herbst 1997 ist der in seinem Zufluchtsland so überraschend Wiederentdeckte erstmals in Deutschland mit einer als Retrospektive organisierten Einzelausstellung zu sehen, mit seinem Namen als Titel im Kunstraum München. Kurator ist der Kunsthistoriker Justin Hoffmann, der mit dem Thema "Destruktionskunst" promoviert wurde. Im Jahr darauf ist er mit einer weiteren Einzelausstellung im Museum of Modern Art in Oxford zu sehen, im Frühjahr 1999 im Rahmen des Gruppenprojekts "Dream City "in München und im Sommer desselben Jahres in der Kunsthalle Nürnberg. Die Schirmherrschaft hat sein ehemaliger "Schüler" Pete Townshend.
Seine Arbeit in München trägt den Doppeltitel "Travertin /Judenpech", es ist eines seiner eindrucksvollsten Projekte. Gemeint ist damit ein von den Nazis vorzugsweise verwendeter Baustoff, der unbedingt aus dem Deutschen Reich stammen mußte, und - als Kontrastierung dazu - ein offen antisemitisch geprägter Ausdruck für Asphalt. Metzger versieht den Steinboden unmittelbar vor dem Haupteingang zum Haus der Kunst auf einer Fläche von 60 Quadratmetern mit Teer und legt so eine Art "Asphaltteppich"aus. Seine ursprünglich für die Feldherrnhalle geplante Installation kommentiert er mit den Worten:"Das Material Teer wurde einst auch Judenpech genannt. Und Judenpech ist auch das Ergebnis von Hitlers Größenwahn. Ich komme nun als armer Saujude aus einem anderen Land und wage es, etwas zu tun, was vom Großteil der Bevölkerung wohl nicht erwünscht ist."Leben im Widerstand - Der englische Aktionskünstler Gustav Metzger über seine Arbeiten, Interview: Dorothee Müller, in: Süddeutsche Zeitung vom 25. März 1999. In einem anderen Gespräch beleuchtet er noch stärker seine für das Projekt ausschlaggebenden persönlichen Motive: "Mein tiefstes Erlebnis in Nürnberg war, daß ich wußte, ich würde als Jude nie ins Theater gehen können. Ich lief daran vorbei, konnte die Aufführungsfotos anschauen, würde aber immer draußen, am Rande bleiben. Und auch hier blieb ich draußen, auf der Schwelle des Hauses der Kunst. Aber heute kann ich was ändern, damals konnte ich nichts tun. Ich kann einen Eingriff an diesem großartigen Bau vornehmen. Das ist auch ein Eingreifen in die Geschichte.""Ich bleibe auf der Schwelle" - Zum Kunst-Projekt "Dream City" München: Interview von Simone Dattenberger mit Gustav Metzger, in: Münchner Merkur vom 20. März 1999. Der Einzelgänger hat sich die ganzen Jahre über nicht unterkriegen lassen und demonstriert nun ein bemerkenswertes Selbstbewußtsein.
Die Journalistin Nicola Kuhn schreibt in einem Porträt verwundert: "Der kleine, fast gnomenhafte Mann bleibt ein Phänomen. Jahrzehntelang fragte keiner nach ihm; in Katalogen hieß es dann immer "Verbleib des Künstlers unbekannt". Doch plötzlich genießt er wie schon in den Sechzigern Kultstatus, ist auf Podien gefragt und stellt sogar wieder aus. Die Retrospektive im Oxforder Museum of Modern Art gilt als endgültige Rückkehr eines sich bis zuletzt verweigernden Künstlers. Die Wiedererschaffung einst entwickelter Werke ist dabei weniger ein verspäteter Versuch, doch noch Karriere zu machen, sondern vor allem Tribut an die heutige Generation, die sich für den unermüdlichen Weltverbesserer und die Kunst seiner Frühzeit interessiert."Nicola Kuhn, a. a. O. Metzger, der von sich selbst erklärt, daß er sich zuweilen wie ein "Warner in der Wüste" vorkomme, ist inzwischen auch an der amerikanischen Ost- und Westküste kein Unbekannter mehr. Insbesondere seine starke Präsenz im Internet dürfte dafür sorgen, daß seine Karriere wider Willen noch weiter fortschreiten wird.
Das Rockmuseum in Seattle
23. Juni 2000. Seattle, US-Bundesstaat Washington, eine am Pazifik, nahe der kanadischen Grenze gelegene Hafenstadt. Mit einem großen Popkonzert wird unter dem Namen "Experience Music Project" ein bis- lang einzigartiges Rockmuseum eingeweiht.26 Au einer begehbaren Oberfläche von mehr als 13 000 Quadratmetern präsentiert die Einrichtung nicht nur Relikte aus fünf Jahrzehnten Popmusik, sondern bietet dem Besucher mit Hilfe eines um den Hals zu tragenden "Museum Exhibit Guide" auch die Möglichkeit, Instrumente, Musikstücke sowie einzelne Interpreten zu hören und sich sogar virtuelle Räume zu erschließen.Vgl. den Vorbericht von Karl Bruckmaier, in: Der Spiegel vom 19. Juni 2000, 54. Jg., Nr. 25, S. 254 -260. In einer zentral gelegenen "Sky Church" werden stündlich Computeranimationen populärer Stücke aus der Geschichte der Rockmusik gezeigt und in einem eigenen "Sound Lab" können Laien programmgestützt erste Schritte unternehmen, um eigene Kompositionen auf die Beine zu stellen.
Die Idee zu dem Projekt stammt von dem 47jährigen Computermilliardär Paul Allen, der bereits vor Jahren aus dem Software-Giganten Microsoft ausgeschieden ist. Mit seinen musikalischen Vorlieben ebenso wie mit seinen technologischen Kenntnissen hat er die Konzeption des Multimedia-Parks entscheidend geprägt. Der Architekt Frank Gehry hat dem Stahlgebäude die Form einer zerschmetterten E-Gitarre gegeben. Das ist als Reverenz an den bereits 1970 verstorbenen Jimi Hendrix gedacht, dem neben Bill Gates wohl berühmtesten Sohn der im äußersten Nordosten der USA gelegenen Stadt. Es ist insofern durchaus in einem doppelten Sinne zutreffend, das Museum als architektonisch geronnene Destruktionskunst zu bezeichnen.
Insgesamt 80 000 Exponate sind gesammelt worden - von Bob Dylans Mundharmonika über Janis Joplins Federboa bis zu den Bruchstücken der Fender Stratocaster, die Jimi Hendrix am 4. Juni 1967 bei einem seiner Auftritte im Londoner Saville Theatre zerschlagen hat. Allens ursprünglicher Plan, einzig und allein Hendrix eine Art elektronisches Mausoleum setzen zu wollen, hatte sich wegen der schwierigen Kooperation mit dessen Erben als unrealisierbar erwiesen. Ein Kommentar Gustav Metzgers zu dem gigantisch anmutenden Schrein der Popmusik ist nicht bekannt. Es würde jedoch nicht überraschen, von ihm zu hören zu bekommen, daß es sich bei der gestalterischen Idee des Gebäudes um ein Mißverständnis handle. Die Form der zerstörten Gitarre verrate, könnte sein Einwand etwa lauten, daß der Unterschied zwischen Destruktion und Autodestruktion nicht begriffen worden sei. Die Selbstzerstörung eines Kunstwerks sei zugleich ein kreativer Prozeß. Ein Instrument zu zerschlagen sei hingegen weder im einfachen noch im übertragenen Sinne eine Kunst. Seine Idee des autodestruktiven Kunstwerks könne deshalb nichts mit dem zur Gebäudeformation erstarrten Torso einer E-Gitarre zu tun haben.